Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. V. SECTIO XXVIII. mache von hertz, muth und sinn (und also nicht nur äusserlich, sondern indem hertzen eine änderung wircke) und den heiligen Geist mit sich bringe, zu treiben, sonderlich aber dieselbe lehr aus GOttes wort dermassen klar aus 1. Joh. 2, 3. 4. Jac. 2. und dergleichen vorzustellen, daß je mehr und mehr die gewissen überzeuget werden, Gottes wort müste nicht Gottes wort, oder aber dieses in demsel- ben so klar gegründete, die warheit seyn. Wo mit diesem eine weil angehalten wird, so wird sich durch göttliche gnade noch fernere frucht gewißlich zeigen, dabey wird aber geliebter Bruder auch nicht vergessen derjenigen, welche nun anfangen solchem wort des HErrn bey sich platz zu geben, und diese notwendigkeit zu erkennen, aber aus ansehung derselbigen an statt der vorigen sicherheit in allzuschwere zaghafftig- keit verfallen wollen, aufzuhelffen, und ihnen den unterscheid zu zeigen unter der gesetzlichen vollkommenheit, die wir hie nicht erreichen können, und unter der evangelischen aufrichtigkeit in unserem gehorsam, welche der Heil. Geist gewiß wircke in den seelen derer, die ihm raum lassen, und seine wirckungen nicht hindern: damit sie sehen, wir erkennen gern, daß die schwachheit hier in dem fleisch noch nie gantz abgeleget seye, sondern auch rechtschaffene Christen dieselbe an sich leiden und fühlen müssen, ja auch von derselben etwa übereilet werden, aber daß wir drum vor schwachheit nicht passiren lassen können, was die ihr selbs schmei- chelnde welt davor gehalten haben wil. Dieser punct ist sehr nothwendig, so wol als der erste, fleißig getrieben zu werden, damit also lästerer die ursach einer läste- rung verliehren, schwache gemüther aber, so leicht niedergeschlagen werden, kei- ne anlaß eines gefährlichen anstosses finden. Wann auch gehöret wird, daß man solches vor eine neue lehr halten wil, so ist fast nützlich, nechst der heiligen schrifft unsre symbolische bücher anzuführen, wo wir alle solche lehren von der rechtschaff- nen gottseligkeit schön zeigen können, auch sich auf die miteinstimmung aller unsrer rechtschaffenen lehrer zu beruffen: Jedoch immer den haupt-grund lassen in Gottes wort bleiben, und der zuhörer gewissen allein eigentlich auf dasselbe gründen. Jch rathe auch allezeit, um mißgunst zu verhüten, den leuten nach vermögen die mei- nung zu benehmen, daß die vorige nicht eben also gelehret, sondern vielmehr sie dahin zu verweisen, daß sie selbs nicht so acht als itzt darauf würden gegeben haben, oder solche warheit damal wahrzunehmen, noch nicht so bequem würden gewesen seyn, oder daß jene liebe leute dieselbige so deutlich zu treiben nicht immerdar wür- den gelegenheit gehabt haben: auf daß also, so viel möglich und christlich gesche- hen kan, dieselbige etwas entschuldiget werden. Solte auch, welches ja nicht hoffen wil, geschehen, daß jemand publice die lehre angreiffen oder anstechen würde, halte ichs vors rathsamste, man thue, als mercke man es nicht, und ziehe es nicht auf sich, sondern befleissige sich nur die wahrheiten, welche andre nicht gerne leiden, desto kräfftiger zu erweisen, ohne meldung der widersprecher. Wo aber gewisse einwürffe gemacht werden, dadurch die gemeinde irre gemacht werden kan, so riethe, dieselbe bey gelegenheit, nie aber ohne selbst gegebene gelegenheit zu wi- IV. Theil. h h h h
ARTIC. V. SECTIO XXVIII. mache von hertz, muth und ſinn (und alſo nicht nur aͤuſſerlich, ſondern indem hertzen eine aͤnderung wircke) und den heiligen Geiſt mit ſich bringe, zu treiben, ſonderlich aber dieſelbe lehr aus GOttes wort dermaſſen klar aus 1. Joh. 2, 3. 4. Jac. 2. und dergleichen vorzuſtellen, daß je mehr und mehr die gewiſſen uͤberzeuget werden, Gottes wort muͤſte nicht Gottes wort, oder aber dieſes in demſel- ben ſo klar gegruͤndete, die warheit ſeyn. Wo mit dieſem eine weil angehalten wird, ſo wird ſich durch goͤttliche gnade noch fernere frucht gewißlich zeigen, dabey wird aber geliebter Bruder auch nicht vergeſſen derjenigen, welche nun anfangen ſolchem wort des HErrn bey ſich platz zu geben, und dieſe notwendigkeit zu erkennen, aber aus anſehung derſelbigen an ſtatt der vorigen ſicherheit in allzuſchwere zaghafftig- keit verfallen wollen, aufzuhelffen, und ihnen den unterſcheid zu zeigen unter der geſetzlichen vollkommenheit, die wir hie nicht erreichen koͤnnen, und unter der evangeliſchen aufrichtigkeit in unſerem gehorſam, welche der Heil. Geiſt gewiß wircke in den ſeelen derer, die ihm raum laſſen, und ſeine wirckungen nicht hindern: damit ſie ſehen, wir erkennen gern, daß die ſchwachheit hier in dem fleiſch noch nie gantz abgeleget ſeye, ſondern auch rechtſchaffene Chriſten dieſelbe an ſich leiden und fuͤhlen muͤſſen, ja auch von derſelben etwa uͤbereilet werden, aber daß wir drum vor ſchwachheit nicht paſſiren laſſen koͤnnen, was die ihr ſelbs ſchmei- chelnde welt davor gehalten haben wil. Dieſer punct iſt ſehr nothwendig, ſo wol als der erſte, fleißig getrieben zu werden, damit alſo laͤſterer die urſach einer laͤſte- rung verliehren, ſchwache gemuͤther aber, ſo leicht niedergeſchlagen werden, kei- ne anlaß eines gefaͤhrlichen anſtoſſes finden. Wann auch gehoͤret wird, daß man ſolches vor eine neue lehr halten wil, ſo iſt faſt nuͤtzlich, nechſt der heiligen ſchrifft unſre ſymboliſche buͤcher anzufuͤhren, wo wir alle ſolche lehren von der rechtſchaff- nen gottſeligkeit ſchoͤn zeigen koͤnnen, auch ſich auf die miteinſtimmung aller unſrer rechtſchaffenen lehrer zu beruffen: Jedoch immer den haupt-grund laſſen in Gottes wort bleiben, und der zuhoͤrer gewiſſen allein eigentlich auf daſſelbe gruͤnden. Jch rathe auch allezeit, um mißgunſt zu verhuͤten, den leuten nach vermoͤgen die mei- nung zu benehmen, daß die vorige nicht eben alſo gelehret, ſondern vielmehr ſie dahin zu verweiſen, daß ſie ſelbs nicht ſo acht als itzt darauf wuͤrden gegeben haben, oder ſolche warheit damal wahrzunehmen, noch nicht ſo bequem wuͤrden geweſen ſeyn, oder daß jene liebe leute dieſelbige ſo deutlich zu treiben nicht immerdar wuͤr- den gelegenheit gehabt haben: auf daß alſo, ſo viel moͤglich und chriſtlich geſche- hen kan, dieſelbige etwas entſchuldiget werden. Solte auch, welches ja nicht hoffen wil, geſchehen, daß jemand publice die lehre angreiffen oder anſtechen wuͤrde, halte ichs vors rathſamſte, man thue, als mercke man es nicht, und ziehe es nicht auf ſich, ſondern befleiſſige ſich nur die wahrheiten, welche andre nicht gerne leiden, deſto kraͤfftiger zu erweiſen, ohne meldung der widerſprecher. Wo aber gewiſſe einwuͤrffe gemacht werden, dadurch die gemeinde irre gemacht werden kan, ſo riethe, dieſelbe bey gelegenheit, nie aber ohne ſelbſt gegebene gelegenheit zu wi- IV. Theil. h h h h
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ARTIC. V. SECTIO XXVIII.
mache von hertz, muth und ſinn (und alſo nicht nur aͤuſſerlich, ſondern in
dem hertzen eine aͤnderung wircke) und den heiligen Geiſt mit ſich bringe,
zu treiben, ſonderlich aber dieſelbe lehr aus GOttes wort dermaſſen klar aus 1. Joh.
2, 3. 4. Jac. 2. und dergleichen vorzuſtellen, daß je mehr und mehr die gewiſſen
uͤberzeuget werden, Gottes wort muͤſte nicht Gottes wort, oder aber dieſes in demſel-
ben ſo klar gegruͤndete, die warheit ſeyn. Wo mit dieſem eine weil angehalten wird,
ſo wird ſich durch goͤttliche gnade noch fernere frucht gewißlich zeigen, dabey wird
aber geliebter Bruder auch nicht vergeſſen derjenigen, welche nun anfangen ſolchem
wort des HErrn bey ſich platz zu geben, und dieſe notwendigkeit zu erkennen, aber
aus anſehung derſelbigen an ſtatt der vorigen ſicherheit in allzuſchwere zaghafftig-
keit verfallen wollen, aufzuhelffen, und ihnen den unterſcheid zu zeigen unter der
geſetzlichen vollkommenheit, die wir hie nicht erreichen koͤnnen, und unter der
evangeliſchen aufrichtigkeit in unſerem gehorſam, welche der Heil. Geiſt
gewiß wircke in den ſeelen derer, die ihm raum laſſen, und ſeine wirckungen nicht
hindern: damit ſie ſehen, wir erkennen gern, daß die ſchwachheit hier in dem fleiſch
noch nie gantz abgeleget ſeye, ſondern auch rechtſchaffene Chriſten dieſelbe an ſich
leiden und fuͤhlen muͤſſen, ja auch von derſelben etwa uͤbereilet werden, aber daß
wir drum vor ſchwachheit nicht paſſiren laſſen koͤnnen, was die ihr ſelbs ſchmei-
chelnde welt davor gehalten haben wil. Dieſer punct iſt ſehr nothwendig, ſo wol
als der erſte, fleißig getrieben zu werden, damit alſo laͤſterer die urſach einer laͤſte-
rung verliehren, ſchwache gemuͤther aber, ſo leicht niedergeſchlagen werden, kei-
ne anlaß eines gefaͤhrlichen anſtoſſes finden. Wann auch gehoͤret wird, daß man
ſolches vor eine neue lehr halten wil, ſo iſt faſt nuͤtzlich, nechſt der heiligen ſchrifft
unſre ſymboliſche buͤcher anzufuͤhren, wo wir alle ſolche lehren von der rechtſchaff-
nen gottſeligkeit ſchoͤn zeigen koͤnnen, auch ſich auf die miteinſtimmung aller unſrer
rechtſchaffenen lehrer zu beruffen: Jedoch immer den haupt-grund laſſen in Gottes
wort bleiben, und der zuhoͤrer gewiſſen allein eigentlich auf daſſelbe gruͤnden. Jch
rathe auch allezeit, um mißgunſt zu verhuͤten, den leuten nach vermoͤgen die mei-
nung zu benehmen, daß die vorige nicht eben alſo gelehret, ſondern vielmehr ſie
dahin zu verweiſen, daß ſie ſelbs nicht ſo acht als itzt darauf wuͤrden gegeben haben,
oder ſolche warheit damal wahrzunehmen, noch nicht ſo bequem wuͤrden geweſen
ſeyn, oder daß jene liebe leute dieſelbige ſo deutlich zu treiben nicht immerdar wuͤr-
den gelegenheit gehabt haben: auf daß alſo, ſo viel moͤglich und chriſtlich geſche-
hen kan, dieſelbige etwas entſchuldiget werden. Solte auch, welches ja nicht
hoffen wil, geſchehen, daß jemand publice die lehre angreiffen oder anſtechen
wuͤrde, halte ichs vors rathſamſte, man thue, als mercke man es nicht, und ziehe
es nicht auf ſich, ſondern befleiſſige ſich nur die wahrheiten, welche andre nicht
gerne leiden, deſto kraͤfftiger zu erweiſen, ohne meldung der widerſprecher. Wo
aber gewiſſe einwuͤrffe gemacht werden, dadurch die gemeinde irre gemacht werden
kan, ſo riethe, dieſelbe bey gelegenheit, nie aber ohne ſelbſt gegebene gelegenheit
zu wi-
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