met, allen mit gnugsamen licht in die seelen einleuchten lassen wolle. Daß auch geliebter Bruder bemercket, daß einige Politici unser verderben und die verwüstung des Zions tieffer und mit so schärfferen als bessermeinenden augen, als dessen eigne wächter, ansehen, habe ich selbs offt wahrgenommen, und GOttes heilige regie- rung darüber in mir selbs verehret, so gar daß einige hoffnung habe, ob vielleicht GOtt unsern stand dadurch demüthigen, und durch jener bessers exempel oder auf andere weise durch dero treue sorgfalt und autorität dermaleins bessern und refor- miren wolte. Nun er ist der HErr, er brauche, wen er will, und führe sein werck, wenn, wo und durch wen ers weißlich nach seiner freyheit beschlossen hat, herrlich hinaus, welches er nach seiner wahrheit thun wird. Amen.
5. Octobr. 1688.
SECTIO XXV. Das verderben aller/ sonderlich obern stände. Die zeit göttlichen gerichts. Keine allgemeine besserung noch nicht zu hoffen. Trost dargegen/ und hoffnung.
DAß mein geliebter Freund sich beklaget über das grosse verderben in allen, zu- mal aber dem obern stand, ist nicht ohne grund, und freylich wol werth, daß die den HErrn lieben, sich darüber betrüben, wenn sie freventlich wider denselbigen sündigen sehen. Jndessen versichre sich derselbe, daß alle fromme her- tzen, die auch anderwertlich leben, nicht weniger zu klagen finden über dasjenige, was sie eben so wol vor augen sehen müssen. Also ist dieses betrübte ansehen ein lei- den, so über unsre brüder an allen orten gehet, und wirs deswegen mit so viel mehr gedult zu ertragen, aber auch den Herrn so viel inbrünstiger anzuruffen haben, nach- dem nunmehr das übel so hoch gestiegen, daß menschen hülff nicht mehr zulanget, und die auch noch etwas steuren könten, es nicht thun, daß er selbs hülffe schaffen und in das mittel treten wolle. Wie ich ohne das unsere zeiten als zeiten solches gött- lichen gerichts ansehe, da sich auch göttliche gnade wegen vorhergegangenen so schrecklichen mißverstandes und mißbrauchs des evangelii sehr zurück gezogen habe, daß wir daraus sehen, wie fast keine auch beste anschläge zu beförderung des guten den erwünschten succeß haben, und sorglich nirgend keine scheinbare und allgemei- ne reformation oder besserung von statten gehen wird. Also, daß wir prediger nicht hoffen können, mit vielem nachdruck dem einreissenden bösen und überhand nehmen- den unkraut zu steuren, sondern müssen zu frieden seyn, wo wir nur noch den weitzen unter dem unkraut erhalten, daß dasselbe nicht gar ersticke, sondern je zuweilen noch
etwas
Das ſiebende Capitel.
met, allen mit gnugſamen licht in die ſeelen einleuchten laſſen wolle. Daß auch geliebter Bruder bemercket, daß einige Politici unſer verderben und die verwuͤſtung des Zions tieffer und mit ſo ſchaͤrfferen als beſſermeinenden augen, als deſſen eigne waͤchter, anſehen, habe ich ſelbs offt wahrgenommen, und GOttes heilige regie- rung daruͤber in mir ſelbs verehret, ſo gar daß einige hoffnung habe, ob vielleicht GOtt unſern ſtand dadurch demuͤthigen, und durch jener beſſers exempel oder auf andere weiſe durch dero treue ſorgfalt und autoritaͤt dermaleins beſſern und refor- miren wolte. Nun er iſt der HErr, er brauche, wen er will, und fuͤhre ſein werck, wenn, wo und durch wen ers weißlich nach ſeiner freyheit beſchloſſen hat, herrlich hinaus, welches er nach ſeiner wahrheit thun wird. Amen.
5. Octobr. 1688.
SECTIO XXV. Das verderben aller/ ſonderlich obern ſtaͤnde. Die zeit goͤttlichen gerichts. Keine allgemeine beſſerung noch nicht zu hoffen. Troſt dargegen/ und hoffnung.
DAß mein geliebteꝛ Fꝛeund ſich beklaget uͤbeꝛ das groſſe verdeꝛben in allen, zu- mal aber dem obern ſtand, iſt nicht ohne grund, und freylich wol werth, daß die den HErrn lieben, ſich daruͤber betruͤben, wenn ſie freventlich wider denſelbigen ſuͤndigen ſehen. Jndeſſen verſichre ſich derſelbe, daß alle fromme her- tzen, die auch anderwertlich leben, nicht weniger zu klagen finden uͤber dasjenige, was ſie eben ſo wol vor augen ſehen muͤſſen. Alſo iſt dieſes betruͤbte anſehen ein lei- den, ſo uͤber unſre bruͤder an allen orten gehet, und wirs deswegen mit ſo viel mehr gedult zu ertragen, aber auch den Herrn ſo viel inbruͤnſtiger anzuruffen haben, nach- dem nunmehr das uͤbel ſo hoch geſtiegen, daß menſchen huͤlff nicht mehr zulanget, und die auch noch etwas ſteuren koͤnten, es nicht thun, daß er ſelbs huͤlffe ſchaffen und in das mittel treten wolle. Wie ich ohne das unſere zeiten als zeiten ſolches goͤtt- lichen gerichts anſehe, da ſich auch goͤttliche gnade wegen vorhergegangenen ſo ſchrecklichen mißverſtandes und mißbrauchs des evangelii ſehr zuruͤck gezogen habe, daß wir daraus ſehen, wie faſt keine auch beſte anſchlaͤge zu befoͤrderung des guten den erwuͤnſchten ſucceß haben, und ſorglich nirgend keine ſcheinbare und allgemei- ne reformation oder beſſerung von ſtatten gehen wird. Alſo, daß wir prediger nicht hoffen koͤnnen, mit vielem nachdruck dem einreiſſenden boͤſen und uͤbeꝛhand nehmen- den unkraut zu ſteuren, ſondern muͤſſen zu frieden ſeyn, wo wir nur noch den weitzen unter dem unkraut erhalten, daß daſſelbe nicht gar erſticke, ſondern je zuweilen noch
etwas
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Das ſiebende Capitel.
met, allen mit gnugſamen licht in die ſeelen einleuchten laſſen wolle. Daß auch
geliebter Bruder bemercket, daß einige Politici unſer verderben und die verwuͤſtung
des Zions tieffer und mit ſo ſchaͤrfferen als beſſermeinenden augen, als deſſen eigne
waͤchter, anſehen, habe ich ſelbs offt wahrgenommen, und GOttes heilige regie-
rung daruͤber in mir ſelbs verehret, ſo gar daß einige hoffnung habe, ob vielleicht
GOtt unſern ſtand dadurch demuͤthigen, und durch jener beſſers exempel oder auf
andere weiſe durch dero treue ſorgfalt und autoritaͤt dermaleins beſſern und refor-
miren wolte. Nun er iſt der HErr, er brauche, wen er will, und fuͤhre ſein werck,
wenn, wo und durch wen ers weißlich nach ſeiner freyheit beſchloſſen hat, herrlich
hinaus, welches er nach ſeiner wahrheit thun wird. Amen.
5. Octobr. 1688.
SECTIO XXV.
Das verderben aller/ ſonderlich obern ſtaͤnde. Die
zeit goͤttlichen gerichts. Keine allgemeine beſſerung noch
nicht zu hoffen. Troſt dargegen/ und
hoffnung.
DAß mein geliebteꝛ Fꝛeund ſich beklaget uͤbeꝛ das groſſe verdeꝛben in allen, zu-
mal aber dem obern ſtand, iſt nicht ohne grund, und freylich wol werth, daß
die den HErrn lieben, ſich daruͤber betruͤben, wenn ſie freventlich wider
denſelbigen ſuͤndigen ſehen. Jndeſſen verſichre ſich derſelbe, daß alle fromme her-
tzen, die auch anderwertlich leben, nicht weniger zu klagen finden uͤber dasjenige,
was ſie eben ſo wol vor augen ſehen muͤſſen. Alſo iſt dieſes betruͤbte anſehen ein lei-
den, ſo uͤber unſre bruͤder an allen orten gehet, und wirs deswegen mit ſo viel mehr
gedult zu ertragen, aber auch den Herrn ſo viel inbruͤnſtiger anzuruffen haben, nach-
dem nunmehr das uͤbel ſo hoch geſtiegen, daß menſchen huͤlff nicht mehr zulanget,
und die auch noch etwas ſteuren koͤnten, es nicht thun, daß er ſelbs huͤlffe ſchaffen
und in das mittel treten wolle. Wie ich ohne das unſere zeiten als zeiten ſolches goͤtt-
lichen gerichts anſehe, da ſich auch goͤttliche gnade wegen vorhergegangenen ſo
ſchrecklichen mißverſtandes und mißbrauchs des evangelii ſehr zuruͤck gezogen habe,
daß wir daraus ſehen, wie faſt keine auch beſte anſchlaͤge zu befoͤrderung des guten
den erwuͤnſchten ſucceß haben, und ſorglich nirgend keine ſcheinbare und allgemei-
ne reformation oder beſſerung von ſtatten gehen wird. Alſo, daß wir prediger nicht
hoffen koͤnnen, mit vielem nachdruck dem einreiſſenden boͤſen und uͤbeꝛhand nehmen-
den unkraut zu ſteuren, ſondern muͤſſen zu frieden ſeyn, wo wir nur noch den weitzen
unter dem unkraut erhalten, daß daſſelbe nicht gar erſticke, ſondern je zuweilen noch
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/610>, abgerufen am 22.11.2024.
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