WAs mein leben anlangt, welches geliebter bruder mit andern mir verlän- gert zu werden wünschet, sage ich vor solche liebe danck, setze es aber alles lediglich in das väterliche gutbefinden, unsers weisesten und gütigsten Vaters. Jch weiß, daß derselbige an keinen einigen menschen, vielweniger mich ar- men, gebunden ist, oder durch hinwegrückung meiner seinem werck das wenigste ab- gehen kan: wo er aber nach seinem freyen wolgefallen mich ferner allein zu einer po- saun andere aufzuwecken (wie dann bisher GOttes führung bey mir meistens war- genommen, daß er sich meiner mehr zu anderer aufmunterung, als selbs etwas nachdrückliches auszurichten zu gebrauchen pflegt) bestimmet hat, solle mir auch kein alter oder dessen beschwerde zu verdrießlich seyn, sondern ich gern die völlige vergnü- gung meiner eignen seelen seinem rath nachsetzen, als seines kräfftigen beystandes ohngezweiffelt gewiß: wiewol von seiner hand eine ehendere ruhe auch mit danck an- nehmende, da er mich zu deroselben beruffen möchte, so vielmehr, weil ich der stelle, darinnen ich stehe, dergleichen stürme vorzustehen vermuthe, zu dero überwindung das gegenwärtige maaß meiner kräfften zu schwach erkenne, und also wo der HErr meiner schwachheit schonen will, auch diese güte danckbar zu preisen haben werde. Jch will also nichts wollen, als an dessen wollen es auch nicht liegt, sondern denje- nigen über mich wollen und schaffen lassen, dem es rechtswegen zukommet, und ders mit nachdruck thun kan. Dessen name sey in allem gelobt! Was im übrigen geliebter bruder meldet, wie man zu dem vortrag einer erkanten wahrheit, wo man anderer brüder einstimmung siehet, desto getroster werde, ist eine ausgemachte sach, und braucht sich GOtt dessen auch, der seinigen schwachheit dadurch auf- zumuntern. Wie ich dergleichen auch selbst offt an mir erfahren, daß ich in wich- tigen sachen, von der hoffnung der künfftigen besserung, und andern, stattlich durch andere bekräfftiget worden, auch dieses als eine sonderliche wohlthat vor GOtt erkenne, daß er mir um meiner aufrichtigung willen, so viele rechtschaffene seiner kinder und diener, die er aller orten verstreuet hat, kund werden lassen: aus dem ich auch erkenne, daß der HErr seiner kirchen noch nicht vergessen, noch seine gnade gar zurück gezogen habe: vielmehr aus dem, daß sich seine krafft in vielen gemüthern mehr und mehr hervorthue, daß sichs aller orten reget, billig abnehme, es nahe sich die zeit eines grossen wercks, da die bäume anfangen wollen zu einem lie- ben frühling vor dem völligen sommer augen zu gewinnen: weil denn dazu helffen solle wer nur kan, und gewiß ist, daß ob man wol nicht gleich mit einiger öffentli- chen reformation zu stande kommen wird, als welches der zeit itzigen gerichts nicht gemäß seyn möchte, dannoch die arbeit in dem HErrn nicht vergebens seyn werde, in dem, ob wir die tage nicht erleben solten, gnug seyn mag, wo wir nur itzt diejeni- ge bereiten helffen, durch die das werck GOttes endlich durchtringen wird, und wollen wir uns alle freuen, wo uns GOtt nur einigerley massen dazu brauchet.
6. Jun. 1688.
SECTIO
Das ſiebende Capitel.
WAs mein leben anlangt, welches geliebter bruder mit andern mir verlaͤn- gert zu werden wuͤnſchet, ſage ich vor ſolche liebe danck, ſetze es aber alles lediglich in das vaͤterliche gutbefinden, unſers weiſeſten und guͤtigſten Vaters. Jch weiß, daß derſelbige an keinen einigen menſchen, vielweniger mich ar- men, gebunden iſt, oder durch hinwegruͤckung meiner ſeinem werck das wenigſte ab- gehen kan: wo er aber nach ſeinem freyen wolgefallen mich ferner allein zu einer po- ſaun andere aufzuwecken (wie dann bisher GOttes fuͤhrung bey mir meiſtens war- genommen, daß er ſich meiner mehr zu anderer aufmunterung, als ſelbs etwas nachdꝛuͤckliches auszurichten zu gebrauchen pflegt) beſtimmet hat, ſolle miꝛ auch kein alter oder deſſen beſchwerde zu verdrießlich ſeyn, ſondern ich gern die voͤllige vergnuͤ- gung meiner eignen ſeelen ſeinem rath nachſetzen, als ſeines kraͤfftigen beyſtandes ohngezweiffelt gewiß: wiewol von ſeiner hand eine ehendere ruhe auch mit danck an- nehmende, da er mich zu deroſelben beruffen moͤchte, ſo vielmehr, weil ich der ſtelle, darinnen ich ſtehe, dergleichen ſtuͤrme vorzuſtehen vermuthe, zu dero uͤberwindung das gegenwaͤrtige maaß meiner kraͤfften zu ſchwach erkenne, und alſo wo der HErr meiner ſchwachheit ſchonen will, auch dieſe guͤte danckbar zu preiſen haben werde. Jch will alſo nichts wollen, als an deſſen wollen es auch nicht liegt, ſondern denje- nigen uͤber mich wollen und ſchaffen laſſen, dem es rechtswegen zukommet, und ders mit nachdruck thun kan. Deſſen name ſey in allem gelobt! Was im uͤbrigen geliebter bruder meldet, wie man zu dem vortrag einer erkanten wahrheit, wo man anderer bruͤder einſtimmung ſiehet, deſto getroſter werde, iſt eine ausgemachte ſach, und braucht ſich GOtt deſſen auch, der ſeinigen ſchwachheit dadurch auf- zumuntern. Wie ich dergleichen auch ſelbſt offt an mir erfahren, daß ich in wich- tigen ſachen, von der hoffnung der kuͤnfftigen beſſerung, und andern, ſtattlich durch andere bekraͤfftiget worden, auch dieſes als eine ſonderliche wohlthat vor GOtt erkenne, daß er mir um meiner aufrichtigung willen, ſo viele rechtſchaffene ſeiner kinder und diener, die er aller orten verſtreuet hat, kund werden laſſen: aus dem ich auch erkenne, daß der HErr ſeiner kirchen noch nicht vergeſſen, noch ſeine gnade gar zuruͤck gezogen habe: vielmehr aus dem, daß ſich ſeine krafft in vielen gemuͤthern mehr und mehr hervorthue, daß ſichs aller orten reget, billig abnehme, es nahe ſich die zeit eines groſſen wercks, da die baͤume anfangen wollen zu einem lie- ben fruͤhling vor dem voͤlligen ſommer augen zu gewinnen: weil denn dazu helffen ſolle wer nur kan, und gewiß iſt, daß ob man wol nicht gleich mit einiger oͤffentli- chen reformation zu ſtande kommen wird, als welches der zeit itzigen gerichts nicht gemaͤß ſeyn moͤchte, dannoch die arbeit in dem HErrn nicht vergebens ſeyn werde, in dem, ob wir die tage nicht erleben ſolten, gnug ſeyn mag, wo wir nur itzt diejeni- ge bereiten helffen, durch die das werck GOttes endlich durchtringen wird, und wollen wir uns alle freuen, wo uns GOtt nur einigerley maſſen dazu brauchet.
6. Jun. 1688.
SECTIO
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Das ſiebende Capitel.
WAs mein leben anlangt, welches geliebter bruder mit andern mir verlaͤn-
gert zu werden wuͤnſchet, ſage ich vor ſolche liebe danck, ſetze es aber alles
lediglich in das vaͤterliche gutbefinden, unſers weiſeſten und guͤtigſten
Vaters. Jch weiß, daß derſelbige an keinen einigen menſchen, vielweniger mich ar-
men, gebunden iſt, oder durch hinwegruͤckung meiner ſeinem werck das wenigſte ab-
gehen kan: wo er aber nach ſeinem freyen wolgefallen mich ferner allein zu einer po-
ſaun andere aufzuwecken (wie dann bisher GOttes fuͤhrung bey mir meiſtens war-
genommen, daß er ſich meiner mehr zu anderer aufmunterung, als ſelbs etwas
nachdꝛuͤckliches auszurichten zu gebrauchen pflegt) beſtimmet hat, ſolle miꝛ auch kein
alter oder deſſen beſchwerde zu verdrießlich ſeyn, ſondern ich gern die voͤllige vergnuͤ-
gung meiner eignen ſeelen ſeinem rath nachſetzen, als ſeines kraͤfftigen beyſtandes
ohngezweiffelt gewiß: wiewol von ſeiner hand eine ehendere ruhe auch mit danck an-
nehmende, da er mich zu deroſelben beruffen moͤchte, ſo vielmehr, weil ich der ſtelle,
darinnen ich ſtehe, dergleichen ſtuͤrme vorzuſtehen vermuthe, zu dero uͤberwindung
das gegenwaͤrtige maaß meiner kraͤfften zu ſchwach erkenne, und alſo wo der HErr
meiner ſchwachheit ſchonen will, auch dieſe guͤte danckbar zu preiſen haben werde.
Jch will alſo nichts wollen, als an deſſen wollen es auch nicht liegt, ſondern denje-
nigen uͤber mich wollen und ſchaffen laſſen, dem es rechtswegen zukommet, und
ders mit nachdruck thun kan. Deſſen name ſey in allem gelobt! Was im uͤbrigen
geliebter bruder meldet, wie man zu dem vortrag einer erkanten wahrheit, wo man
anderer bruͤder einſtimmung ſiehet, deſto getroſter werde, iſt eine ausgemachte
ſach, und braucht ſich GOtt deſſen auch, der ſeinigen ſchwachheit dadurch auf-
zumuntern. Wie ich dergleichen auch ſelbſt offt an mir erfahren, daß ich in wich-
tigen ſachen, von der hoffnung der kuͤnfftigen beſſerung, und andern, ſtattlich
durch andere bekraͤfftiget worden, auch dieſes als eine ſonderliche wohlthat vor
GOtt erkenne, daß er mir um meiner aufrichtigung willen, ſo viele rechtſchaffene
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gnade gar zuruͤck gezogen habe: vielmehr aus dem, daß ſich ſeine krafft in vielen
gemuͤthern mehr und mehr hervorthue, daß ſichs aller orten reget, billig abnehme,
es nahe ſich die zeit eines groſſen wercks, da die baͤume anfangen wollen zu einem lie-
ben fruͤhling vor dem voͤlligen ſommer augen zu gewinnen: weil denn dazu helffen
ſolle wer nur kan, und gewiß iſt, daß ob man wol nicht gleich mit einiger oͤffentli-
chen reformation zu ſtande kommen wird, als welches der zeit itzigen gerichts nicht
gemaͤß ſeyn moͤchte, dannoch die arbeit in dem HErrn nicht vergebens ſeyn werde,
in dem, ob wir die tage nicht erleben ſolten, gnug ſeyn mag, wo wir nur itzt diejeni-
ge bereiten helffen, durch die das werck GOttes endlich durchtringen wird, und
wollen wir uns alle freuen, wo uns GOtt nur einigerley maſſen dazu brauchet.
6. Jun. 1688.
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/598>, abgerufen am 25.11.2024.
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