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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
den sachen, da wirs mit ihm unmittelbar zu thun haben, erfordert, daß wir nichts
ohne vielen bedacht thun oder ändern. 4. Nachdem nun auch noch wichtigere ur-
sachen zu brechung dieses gelübdes nicht möchten gnug seyn, oder das gewissen si-
cher setzen, so könte solches so viel weniger geschehen guten freunden zu gefallen, wel-
che dergleichen auch, da sie es wüsten, nicht anzumuthen macht hätten. 5. So ist
die ursach nicht gnug, daß man scheinen möchte, sich ein ansehen zu machen mit sol-
chem gelübde. Denn ob wir wol mit unsrer gottesfurcht und dero übungen kein
gepräng machen, sondern diesen verderblichen mißbrauch fliehen und meiden müs-
sen, so müssen wir gleichwol auch nicht diesem stein des anstosses zu entgehen etwas
wider GOTT thun, sondern gedencken, daß unser Heyland, der uns Matth. 6, 1.
von aller scheinheiligkeit und gesuchten gepräng in almosen, fasten, beten ernstlich
abwarnet, in eben selbiger predigt vorher cap. 5, 16 uns erinnert, daß wir auch
unser liecht leuchten lassen vor den menschen, daß sie unsre gute wercke se-
hen, und den himmlischen Vater pteisen:
uns damit belehrende, ob wir wol
unser gutes vor den leuten nicht zum schein zu thun haben, also daß wir dasselbe hin-
gegen, wo es die leute nicht sehen, auch gar unterlassen würden, da demnach das
lob der menschen unsre bewegende ursach wäre, so haben wir es doch, wo es die ge-
legenheit mit sich bringet, auch dieser ursach wegen, daß es leute sehen, nicht zu un-
terlassen, als womit wir sonsten GOTT um seine ehre, die ihm davon gebühret,
und die menschen um die erbauung aus solchem exempel, bringen würden, sondern
solche demuth wäre alsdenn nicht rechter art. Vielmehr ist die verrichtung des-
sen, was unser gewissen sonst von uns fordert, da sie auch in gegenwart anderer ge-
schiehet, eine erkäntnüß vor GOTT, die wir schuldig sind. Wie wir auch sehen
daß dorten Dan. 6, 10. der prophet Daniel, nicht nur das gebet um des königlichen
verbots willen, nicht unterlassen, sondern ob er wol sorgen müssen, man werde
acht auf ihn geben, seine fenster nicht geschlossen, oder sich an einen abgelegenern
ort, um nicht gesehen zu werden, begeben hat. Also haben wir in den dingen, in
welchen wir es mit GOTT zu thun haben, weder das ansehen anderer zu suchen,
noch dasselbe mit unterlassen eines nöthigen wercks zu fliehen. So vielmehr, weil
auch, da andere dergleichen wissen, sie kein ärgernüß daher schöpffen können; dann
solten einige so verkehrt seyn, daß sie solches zur heucheley ausdeuten würden, dazu
sie die geringste scheinbare ursach nicht hätten, würden es solche leute seyn, dero
ärgernüß nicht zu achten, oder etwas deswegen zu unterlassen wäre, nach Matth.
15, 12. 13. Vielmehr ist das ärgernüß derjenigen zu vermeiden, welche wenn sie
denselben essen sehen, und nachmal von dem gelübd etwas erführen, wahrhafftig
würden geärgert werden.

6. Also bleibe ich nochmal dabey, daß das gewissen erfordert, bey solchem
gelübde zu bleiben, und es mit allem willen auch nicht einmal zu brechen, um nicht
göttlichen zorn gegen sich zu reitzen, der mit mehr entziehung der gnaden-wirckun-
gen

Das ſiebende Capitel.
den ſachen, da wirs mit ihm unmittelbar zu thun haben, erfordert, daß wir nichts
ohne vielen bedacht thun oder aͤndern. 4. Nachdem nun auch noch wichtigere ur-
ſachen zu brechung dieſes geluͤbdes nicht moͤchten gnug ſeyn, oder das gewiſſen ſi-
cher ſetzen, ſo koͤnte ſolches ſo viel weniger geſchehen guten freunden zu gefallen, wel-
che dergleichen auch, da ſie es wuͤſten, nicht anzumuthen macht haͤtten. 5. So iſt
die urſach nicht gnug, daß man ſcheinen moͤchte, ſich ein anſehen zu machen mit ſol-
chem geluͤbde. Denn ob wir wol mit unſrer gottesfurcht und dero uͤbungen kein
gepraͤng machen, ſondern dieſen verderblichen mißbrauch fliehen und meiden muͤſ-
ſen, ſo muͤſſen wir gleichwol auch nicht dieſem ſtein des anſtoſſes zu entgehen etwas
wider GOTT thun, ſondern gedencken, daß unſer Heyland, der uns Matth. 6, 1.
von aller ſcheinheiligkeit und geſuchten gepraͤng in almoſen, faſten, beten ernſtlich
abwarnet, in eben ſelbiger predigt vorher cap. 5, 16 uns erinnert, daß wir auch
unſer liecht leuchten laſſen vor den menſchen, daß ſie unſre gute wercke ſe-
hen, und den himmliſchen Vater pteiſen:
uns damit belehrende, ob wir wol
unſer gutes vor den leuten nicht zum ſchein zu thun haben, alſo daß wir daſſelbe hin-
gegen, wo es die leute nicht ſehen, auch gar unterlaſſen wuͤrden, da demnach das
lob der menſchen unſre bewegende urſach waͤre, ſo haben wir es doch, wo es die ge-
legenheit mit ſich bringet, auch dieſer urſach wegen, daß es leute ſehen, nicht zu un-
terlaſſen, als womit wir ſonſten GOTT um ſeine ehre, die ihm davon gebuͤhret,
und die menſchen um die erbauung aus ſolchem exempel, bringen wuͤrden, ſondern
ſolche demuth waͤre alsdenn nicht rechter art. Vielmehr iſt die verrichtung deſ-
ſen, was unſer gewiſſen ſonſt von uns fordert, da ſie auch in gegenwart anderer ge-
ſchiehet, eine erkaͤntnuͤß vor GOTT, die wir ſchuldig ſind. Wie wir auch ſehen
daß dorten Dan. 6, 10. der prophet Daniel, nicht nur das gebet um des koͤniglichen
verbots willen, nicht unterlaſſen, ſondern ob er wol ſorgen muͤſſen, man werde
acht auf ihn geben, ſeine fenſter nicht geſchloſſen, oder ſich an einen abgelegenern
ort, um nicht geſehen zu werden, begeben hat. Alſo haben wir in den dingen, in
welchen wir es mit GOTT zu thun haben, weder das anſehen anderer zu ſuchen,
noch daſſelbe mit unterlaſſen eines noͤthigen wercks zu fliehen. So vielmehr, weil
auch, da andere dergleichen wiſſen, ſie kein aͤrgernuͤß daher ſchoͤpffen koͤnnen; dann
ſolten einige ſo verkehrt ſeyn, daß ſie ſolches zur heucheley ausdeuten wuͤrden, dazu
ſie die geringſte ſcheinbare urſach nicht haͤtten, wuͤrden es ſolche leute ſeyn, dero
aͤrgernuͤß nicht zu achten, oder etwas deswegen zu unterlaſſen waͤre, nach Matth.
15, 12. 13. Vielmehr iſt das aͤrgernuͤß derjenigen zu vermeiden, welche wenn ſie
denſelben eſſen ſehen, und nachmal von dem geluͤbd etwas erfuͤhren, wahrhafftig
wuͤrden geaͤrgert werden.

6. Alſo bleibe ich nochmal dabey, daß das gewiſſen erfordert, bey ſolchem
geluͤbde zu bleiben, und es mit allem willen auch nicht einmal zu brechen, um nicht
goͤttlichen zorn gegen ſich zu reitzen, der mit mehr entziehung der gnaden-wirckun-
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[582/0594] Das ſiebende Capitel. den ſachen, da wirs mit ihm unmittelbar zu thun haben, erfordert, daß wir nichts ohne vielen bedacht thun oder aͤndern. 4. Nachdem nun auch noch wichtigere ur- ſachen zu brechung dieſes geluͤbdes nicht moͤchten gnug ſeyn, oder das gewiſſen ſi- cher ſetzen, ſo koͤnte ſolches ſo viel weniger geſchehen guten freunden zu gefallen, wel- che dergleichen auch, da ſie es wuͤſten, nicht anzumuthen macht haͤtten. 5. So iſt die urſach nicht gnug, daß man ſcheinen moͤchte, ſich ein anſehen zu machen mit ſol- chem geluͤbde. Denn ob wir wol mit unſrer gottesfurcht und dero uͤbungen kein gepraͤng machen, ſondern dieſen verderblichen mißbrauch fliehen und meiden muͤſ- ſen, ſo muͤſſen wir gleichwol auch nicht dieſem ſtein des anſtoſſes zu entgehen etwas wider GOTT thun, ſondern gedencken, daß unſer Heyland, der uns Matth. 6, 1. von aller ſcheinheiligkeit und geſuchten gepraͤng in almoſen, faſten, beten ernſtlich abwarnet, in eben ſelbiger predigt vorher cap. 5, 16 uns erinnert, daß wir auch unſer liecht leuchten laſſen vor den menſchen, daß ſie unſre gute wercke ſe- hen, und den himmliſchen Vater pteiſen: uns damit belehrende, ob wir wol unſer gutes vor den leuten nicht zum ſchein zu thun haben, alſo daß wir daſſelbe hin- gegen, wo es die leute nicht ſehen, auch gar unterlaſſen wuͤrden, da demnach das lob der menſchen unſre bewegende urſach waͤre, ſo haben wir es doch, wo es die ge- legenheit mit ſich bringet, auch dieſer urſach wegen, daß es leute ſehen, nicht zu un- terlaſſen, als womit wir ſonſten GOTT um ſeine ehre, die ihm davon gebuͤhret, und die menſchen um die erbauung aus ſolchem exempel, bringen wuͤrden, ſondern ſolche demuth waͤre alsdenn nicht rechter art. Vielmehr iſt die verrichtung deſ- ſen, was unſer gewiſſen ſonſt von uns fordert, da ſie auch in gegenwart anderer ge- ſchiehet, eine erkaͤntnuͤß vor GOTT, die wir ſchuldig ſind. Wie wir auch ſehen daß dorten Dan. 6, 10. der prophet Daniel, nicht nur das gebet um des koͤniglichen verbots willen, nicht unterlaſſen, ſondern ob er wol ſorgen muͤſſen, man werde acht auf ihn geben, ſeine fenſter nicht geſchloſſen, oder ſich an einen abgelegenern ort, um nicht geſehen zu werden, begeben hat. Alſo haben wir in den dingen, in welchen wir es mit GOTT zu thun haben, weder das anſehen anderer zu ſuchen, noch daſſelbe mit unterlaſſen eines noͤthigen wercks zu fliehen. So vielmehr, weil auch, da andere dergleichen wiſſen, ſie kein aͤrgernuͤß daher ſchoͤpffen koͤnnen; dann ſolten einige ſo verkehrt ſeyn, daß ſie ſolches zur heucheley ausdeuten wuͤrden, dazu ſie die geringſte ſcheinbare urſach nicht haͤtten, wuͤrden es ſolche leute ſeyn, dero aͤrgernuͤß nicht zu achten, oder etwas deswegen zu unterlaſſen waͤre, nach Matth. 15, 12. 13. Vielmehr iſt das aͤrgernuͤß derjenigen zu vermeiden, welche wenn ſie denſelben eſſen ſehen, und nachmal von dem geluͤbd etwas erfuͤhren, wahrhafftig wuͤrden geaͤrgert werden. 6. Alſo bleibe ich nochmal dabey, daß das gewiſſen erfordert, bey ſolchem geluͤbde zu bleiben, und es mit allem willen auch nicht einmal zu brechen, um nicht goͤttlichen zorn gegen ſich zu reitzen, der mit mehr entziehung der gnaden-wirckun- gen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/594>, abgerufen am 25.11.2024.