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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
richt gehöret alsdann der kirchen, und hat sie solches zu üben entweder selbs, wo
eine gantze gemeindedarüber vernommen würde, oder durch ihr deßwegen nieder-
gesetztes kirchen-gericht und ältesten, nach dero ausspruch sich der prediger zu rich-
ten hat. 6. Wo nun dieses recht von der kirchen nicht gebraucht wird, wie man lei-
der! insgemein wenig davon weißt, so werden solche streitige casus an die Consisto-
ria,
so der kirchen rechte verwalten sollen, gebracht, u. von denselben entschieden. 7.
Wo man also einen solchen vor sich hat, von dessen unbußfertigkeit man sorge trägt,
hat der prediger demselben treulich zuzusprechen, seine sorge und dero grund ihm
beweglich vorzustellen, ihm zu rathen, daß er sich lieber dessen enthalte, was ihm
nicht zukommen möchte, und also vor schaden zu warnen; bleibet er alsdann aus
trieb seines gewissens davon, so ists gut: benimt aber auch ein solcher dem prediger
seinen scrupel, so ist abermal die sorge gehoben: behält aber der prediger noch ei-
nen vernünfftigen scrupel über des andern buß, der gleichwol seine buß vor richtig
ansgiebt, und sich nicht will abweisen lassen, so kan ihn freylich der prediger aus ei-
gner macht nicht abweisen, sondern lässets auf seine verantwortung, nachdem er sei-
ne seele gerettet hat, ankommen. 8. Die bedingte absolution anlangend, so ist al-
le absolution wie sie von menschen, welche in der andern hertzen nicht sehen kön-
nen, und die keine sonderbare offenbarung von derselben bewandtnüß haben, ge-
sprochen wird, in ihrer natur in gewisser maaß conditionata oder bedingt, wo nem-
lich das hertz des beicht-kindes dermassen bewandt seye, wie es sich mit worten vor
bußfertig darstellet, die wort derselben möchten nun eingerichtet werden, wie sie wol-
ten. Daher ich sehr nothwendig achte, daß solche lehr offters in den predigten ge-
trieben werde, damit sie also auch ausser dem beichtstuhl dasjenige vernehmen, was
der sicherheit über solche sache bey ihnen steuren könte, und sie also wol wissen, wie
fern sie sich der absolution anzunehmen haben. Wo nun die leute davon zur gnü-
ge unterrichtet, und es komt ein beicht-kind, von dessen bußfertigkeit ich gute hoff-
nung habe, spricht man die absolution am fügligsten mit solchen worten, die eben
keine bedingung ausdrucken, indem man keine vernünfftige sorge bey denselben fin-
det, daß die person anders seye, als ihre beicht lautet: ob wol nichts desto weniger
die sache sich anders verhalten, und eines solchen menschen buß heucheley seyn
kan. Dahero gedachter massen die [a]bsolution dennoch in sich conditionata ist,
nur, daß ich durch ausdruckung derselben bey diesem subjecto meine sorge anzu-
deuten nicht nöthig habe. Habe ichs aber zu thun mit einemsolchen, an dessen busse
ich wichtige ursachen zu zweiffeln, nicht aber gnugsam, die sache an die kirche zu brin-
gen, finde, werde ich nicht nur den menschen treulich erinnern, wie ihm bey der un-
bußfertigkeit die absolution nichts helffe, sondern nur sein gericht desto mehr ver-
grössere, sondern ich mag auch alsdann die formul derselben also einrichten, damit
derselbe seine sicherheit daraus nicht hege. Zum exempel: nach dem ich, was die bus-
se erfordere, ihm vorgestellet, endlich fortfahre: wofern denn nun euer hertz auch al-

so

Das ſiebende Capitel.
richt gehoͤret alsdann der kirchen, und hat ſie ſolches zu uͤben entweder ſelbs, wo
eine gantze gemeindedaruͤber vernommen wuͤrde, oder durch ihr deßwegen nieder-
geſetztes kirchen-gericht und aͤlteſten, nach dero ausſpruch ſich der prediger zu rich-
ten hat. 6. Wo nun dieſes recht von der kirchen nicht gebraucht wird, wie man lei-
der! insgemein wenig davon weißt, ſo werdẽ ſolche ſtreitige caſus an die Conſiſto-
ria,
ſo der kirchen rechte verwalten ſollen, gebracht, u. von denſelben entſchieden. 7.
Wo man alſo einen ſolchen vor ſich hat, von deſſen unbußfertigkeit man ſorge traͤgt,
hat der prediger demſelben treulich zuzuſprechen, ſeine ſorge und dero grund ihm
beweglich vorzuſtellen, ihm zu rathen, daß er ſich lieber deſſen enthalte, was ihm
nicht zukommen moͤchte, und alſo vor ſchaden zu warnen; bleibet er alsdann aus
trieb ſeines gewiſſens davon, ſo iſts gut: benimt aber auch ein ſolcher dem prediger
ſeinen ſcrupel, ſo iſt abermal die ſorge gehoben: behaͤlt aber der prediger noch ei-
nen vernuͤnfftigen ſcrupel uͤber des andern buß, der gleichwol ſeine buß vor richtig
ansgiebt, und ſich nicht will abweiſen laſſen, ſo kan ihn freylich der prediger aus ei-
gner macht nicht abweiſen, ſondern laͤſſets auf ſeine verantwortung, nachdem er ſei-
ne ſeele gerettet hat, ankommen. 8. Die bedingte abſolution anlangend, ſo iſt al-
le abſolution wie ſie von menſchen, welche in der andern hertzen nicht ſehen koͤn-
nen, und die keine ſonderbare offenbarung von derſelben bewandtnuͤß haben, ge-
ſprochen wird, in ihrer natur in gewiſſer maaß conditionata oder bedingt, wo nem-
lich das hertz des beicht-kindes dermaſſen bewandt ſeye, wie es ſich mit worten vor
bußfertig darſtellet, die wort derſelben moͤchten nun eingerichtet weꝛden, wie ſie wol-
ten. Daher ich ſehr nothwendig achte, daß ſolche lehr offters in den predigten ge-
trieben werde, damit ſie alſo auch auſſer dem beichtſtuhl dasjenige vernehmen, was
der ſicherheit uͤber ſolche ſache bey ihnen ſteuren koͤnte, und ſie alſo wol wiſſen, wie
fern ſie ſich der abſolution anzunehmen haben. Wo nun die leute davon zur gnuͤ-
ge unterrichtet, und es komt ein beicht-kind, von deſſen bußfertigkeit ich gute hoff-
nung habe, ſpricht man die abſolution am fuͤgligſten mit ſolchen worten, die eben
keine bedingung ausdrucken, indem man keine vernuͤnfftige ſorge bey denſelben fin-
det, daß die perſon anders ſeye, als ihre beicht lautet: ob wol nichts deſto weniger
die ſache ſich anders verhalten, und eines ſolchen menſchen buß heucheley ſeyn
kan. Dahero gedachter maſſen die [a]bſolution dennoch in ſich conditionata iſt,
nur, daß ich durch ausdruckung derſelben bey dieſem ſubjecto meine ſorge anzu-
deuten nicht noͤthig habe. Habe ichs aber zu thun mit einemſolchen, an deſſen buſſe
ich wichtige urſachen zu zweiffeln, nicht aber gnugſam, die ſache an die kirche zu brin-
gen, finde, werde ich nicht nur den menſchen treulich erinnern, wie ihm bey der un-
bußfertigkeit die abſolution nichts helffe, ſondern nur ſein gericht deſto mehr ver-
groͤſſere, ſondern ich mag auch alsdann die formul derſelben alſo einrichten, damit
derſelbe ſeine ſicherheit daraus nicht hege. Zum exempel: nach dem ich, was die buſ-
ſe erfordere, ihm vorgeſtellet, endlich fortfahre: wofern denn nun euer hertz auch al-

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[570/0582] Das ſiebende Capitel. richt gehoͤret alsdann der kirchen, und hat ſie ſolches zu uͤben entweder ſelbs, wo eine gantze gemeindedaruͤber vernommen wuͤrde, oder durch ihr deßwegen nieder- geſetztes kirchen-gericht und aͤlteſten, nach dero ausſpruch ſich der prediger zu rich- ten hat. 6. Wo nun dieſes recht von der kirchen nicht gebraucht wird, wie man lei- der! insgemein wenig davon weißt, ſo werdẽ ſolche ſtreitige caſus an die Conſiſto- ria, ſo der kirchen rechte verwalten ſollen, gebracht, u. von denſelben entſchieden. 7. Wo man alſo einen ſolchen vor ſich hat, von deſſen unbußfertigkeit man ſorge traͤgt, hat der prediger demſelben treulich zuzuſprechen, ſeine ſorge und dero grund ihm beweglich vorzuſtellen, ihm zu rathen, daß er ſich lieber deſſen enthalte, was ihm nicht zukommen moͤchte, und alſo vor ſchaden zu warnen; bleibet er alsdann aus trieb ſeines gewiſſens davon, ſo iſts gut: benimt aber auch ein ſolcher dem prediger ſeinen ſcrupel, ſo iſt abermal die ſorge gehoben: behaͤlt aber der prediger noch ei- nen vernuͤnfftigen ſcrupel uͤber des andern buß, der gleichwol ſeine buß vor richtig ansgiebt, und ſich nicht will abweiſen laſſen, ſo kan ihn freylich der prediger aus ei- gner macht nicht abweiſen, ſondern laͤſſets auf ſeine verantwortung, nachdem er ſei- ne ſeele gerettet hat, ankommen. 8. Die bedingte abſolution anlangend, ſo iſt al- le abſolution wie ſie von menſchen, welche in der andern hertzen nicht ſehen koͤn- nen, und die keine ſonderbare offenbarung von derſelben bewandtnuͤß haben, ge- ſprochen wird, in ihrer natur in gewiſſer maaß conditionata oder bedingt, wo nem- lich das hertz des beicht-kindes dermaſſen bewandt ſeye, wie es ſich mit worten vor bußfertig darſtellet, die wort derſelben moͤchten nun eingerichtet weꝛden, wie ſie wol- ten. Daher ich ſehr nothwendig achte, daß ſolche lehr offters in den predigten ge- trieben werde, damit ſie alſo auch auſſer dem beichtſtuhl dasjenige vernehmen, was der ſicherheit uͤber ſolche ſache bey ihnen ſteuren koͤnte, und ſie alſo wol wiſſen, wie fern ſie ſich der abſolution anzunehmen haben. Wo nun die leute davon zur gnuͤ- ge unterrichtet, und es komt ein beicht-kind, von deſſen bußfertigkeit ich gute hoff- nung habe, ſpricht man die abſolution am fuͤgligſten mit ſolchen worten, die eben keine bedingung ausdrucken, indem man keine vernuͤnfftige ſorge bey denſelben fin- det, daß die perſon anders ſeye, als ihre beicht lautet: ob wol nichts deſto weniger die ſache ſich anders verhalten, und eines ſolchen menſchen buß heucheley ſeyn kan. Dahero gedachter maſſen die abſolution dennoch in ſich conditionata iſt, nur, daß ich durch ausdruckung derſelben bey dieſem ſubjecto meine ſorge anzu- deuten nicht noͤthig habe. Habe ichs aber zu thun mit einemſolchen, an deſſen buſſe ich wichtige urſachen zu zweiffeln, nicht aber gnugſam, die ſache an die kirche zu brin- gen, finde, werde ich nicht nur den menſchen treulich erinnern, wie ihm bey der un- bußfertigkeit die abſolution nichts helffe, ſondern nur ſein gericht deſto mehr ver- groͤſſere, ſondern ich mag auch alsdann die formul derſelben alſo einrichten, damit derſelbe ſeine ſicherheit daraus nicht hege. Zum exempel: nach dem ich, was die buſ- ſe erfordere, ihm vorgeſtellet, endlich fortfahre: wofern denn nun euer hertz auch al- ſo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/582>, abgerufen am 22.11.2024.