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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.

JCh achte mich aus dem guten vertrauen/ so dieselbe nun von einigen jahren
zu mir getragen/ und der aufrichtigen liebe zu ihrer seelen wahrem heyl/ ver-
bunden/ hiemit in christlichen vertrauen einiges anliegen meines hertzens in
ihren schoß auszuschütten. Jch habe aus bisheriger correspondenz und andern
zeugnüssen mit sonderbaren vergnügen erkannt/ daß der himmlische Vater in
dieselbe ein nicht geringes maß der gnaden geleget/ indem er dieselbe nicht nur mit
natürlichen gutem verstand und wissenschafften gezieret hat/ sondern auch mit
einer schönen erkäntnüß der geistlichen dinge begabet; worüber ich mich manchmal
nicht wenig in dem HErrn erfreuet/ und ihre werthe person als ein theures gefäß
seiner gnaden erkennende ein sonderbar vertrauen gegen dieselbe gefasset/ wie nicht
weniger bey gelegenheit gegen andere davon gerühmet habe. Dabey zweiffelte
nicht/ daß auch die früchte solcher erkäntnüß in verleugnung der lüsten dieser welt in
reichem maaß sich finden würden. Jch kan aber nicht bergen/ daß ehe noch von
Franckfurt weg zog/ es sich bey einer gelegenheit begeben/ da ich auch die gnade
GOttes an derselbigen mit mehrerem rühmete/ daß eine person (so zwar seiter von
GOtt abgefordert worden) dabey war/ welche dieselbe wol zu kennen/ und manch-
mal in ihrer gesellschafft gewesen zu seyn/ dabey aber bezeugte/ daß (viel anders
als ich mir das concept gemacht hatte) solche an vieler eitelkeit der welt ziemlich
gefallen trage/ und mit derselben nach dero art mitzumachen wenig bedencken tra-
ge in dergleichen dingen/ die ich an denjenigen nicht billichte/ welche wahrhafftig
von dem thätigen christenthum profession machen wolten. Welcher discurs
mich nicht wenig nidergeschlagen und b trübet hat/ ob ich mir wol meine hoffnung
ungenommen liesse. Hiezu kam/ daß in diesen landen ferner gehöret/ ob hätte
meine werthe frau bis daher dero wandel in einigen stücken aufs wenigste nicht mit
derjenigen vorsichtigkeit geführet/ wie sichs geziehmte/ daß daher bey andern eini-
ge ungleiche verdacht erwecket werden. Jch kan nicht sagen/ wie hertzlich mich
solches afficiret/ dann so inniglich mich erfreuet/ wo ich von einigen seelen höre/
daß in ihnen ein reiches maaß göttlicher gnade und redlicher vorsatz dem HErrn zu
dienen sich finde (als welcher leute zahl viel enger aller orten zusammen gehet/ als
ich wünschete) so wehemüthig werde ich darüber/ wo ich sorgen muß/ daß mir mei-
ne hoffnung zurücke falle: wie zwar fast auch natürlich ist/ daß man mehr betrau-
ret/ was man verlieret/ als was man niemalen gehabt. Nun wünsche ich
zwar von grund meiner seelen/ daß alles solches ohngegründet seyn möge. Wie
aber auch die christliche liebe ihre sorgfalt hat/ und mir jenes erste fast beglaubt ge-
macht werden wollen/ habe ich nicht nur bis daher unsern himmlischen Vater vor
dieselbe so viel angelegenlicher angeruffen/ daß derselbe ihre liebe seele vor allem ihm
mißfälligen in gnaden bewahren/ oder davon reinigen wolle/ sondern ich habe
endlich nicht unterlassen können/ mein anliegen vor dieselbe in christlichem vertrauen
zu bringen und meine sorge vor ihre seele zu bezeugen. Wie ich denn nach dem-
jenigen recht/ welches unser Heyland seinen kindern giebet/ sich untereinander zu

erbauen
Das ſiebende Capitel.

JCh achte mich aus dem guten vertrauen/ ſo dieſelbe nun von einigen jahren
zu mir getragen/ und der aufrichtigen liebe zu ihrer ſeelen wahrem heyl/ ver-
bunden/ hiemit in chriſtlichen vertrauen einiges anliegen meines hertzens in
ihren ſchoß auszuſchuͤtten. Jch habe aus bisheriger correſpondenz und andern
zeugnuͤſſen mit ſonderbaren vergnuͤgen erkannt/ daß der himmliſche Vater in
dieſelbe ein nicht geringes maß der gnaden geleget/ indem er dieſelbe nicht nur mit
natuͤrlichen gutem verſtand und wiſſenſchafften gezieret hat/ ſondern auch mit
einer ſchoͤnen erkaͤntnuͤß der geiſtlichen dinge begabet; woruͤber ich mich manchmal
nicht wenig in dem HErrn erfreuet/ und ihre werthe perſon als ein theures gefaͤß
ſeiner gnaden erkennende ein ſonderbar vertrauen gegen dieſelbe gefaſſet/ wie nicht
weniger bey gelegenheit gegen andere davon geruͤhmet habe. Dabey zweiffelte
nicht/ daß auch die fruͤchte ſolcher erkaͤntnuͤß in verleugnung der luͤſten dieſer welt in
reichem maaß ſich finden wuͤrden. Jch kan aber nicht bergen/ daß ehe noch von
Franckfurt weg zog/ es ſich bey einer gelegenheit begeben/ da ich auch die gnade
GOttes an derſelbigen mit mehrerem ruͤhmete/ daß eine perſon (ſo zwar ſeiter von
GOtt abgefordert worden) dabey war/ welche dieſelbe wol zu kennen/ und manch-
mal in ihrer geſellſchafft geweſen zu ſeyn/ dabey aber bezeugte/ daß (viel anders
als ich mir das concept gemacht hatte) ſolche an vieler eitelkeit der welt ziemlich
gefallen trage/ und mit derſelben nach dero art mitzumachen wenig bedencken tra-
ge in dergleichen dingen/ die ich an denjenigen nicht billichte/ welche wahrhafftig
von dem thaͤtigen chriſtenthum profeſſion machen wolten. Welcher diſcurs
mich nicht wenig nidergeſchlagen und b truͤbet hat/ ob ich mir wol meine hoffnung
ungenommen lieſſe. Hiezu kam/ daß in dieſen landen ferner gehoͤret/ ob haͤtte
meine werthe frau bis daher dero wandel in einigen ſtuͤcken aufs wenigſte nicht mit
derjenigen vorſichtigkeit gefuͤhret/ wie ſichs geziehmte/ daß daher bey andern eini-
ge ungleiche verdacht erwecket werden. Jch kan nicht ſagen/ wie hertzlich mich
ſolches afficiret/ dann ſo inniglich mich erfreuet/ wo ich von einigen ſeelen hoͤre/
daß in ihnen ein reiches maaß goͤttlicher gnade und redlicher vorſatz dem HErrn zu
dienen ſich finde (als welcher leute zahl viel enger aller orten zuſammen gehet/ als
ich wuͤnſchete) ſo wehemuͤthig werde ich daruͤber/ wo ich ſorgen muß/ daß mir mei-
ne hoffnung zuruͤcke falle: wie zwar faſt auch natuͤrlich iſt/ daß man mehr betrau-
ret/ was man verlieret/ als was man niemalen gehabt. Nun wuͤnſche ich
zwar von grund meiner ſeelen/ daß alles ſolches ohngegruͤndet ſeyn moͤge. Wie
aber auch die chriſtliche liebe ihre ſorgfalt hat/ und mir jenes erſte faſt beglaubt ge-
macht werden wollen/ habe ich nicht nur bis daher unſern himmliſchen Vater vor
dieſelbe ſo viel angelegenlicher angeruffen/ daß derſelbe ihre liebe ſeele vor allem ihm
mißfaͤlligen in gnaden bewahren/ oder davon reinigen wolle/ ſondern ich habe
endlich nicht unterlaſſen koͤnnen/ mein anliegen vor dieſelbe in chriſtlichem vertrauen
zu bringen und meine ſorge vor ihre ſeele zu bezeugen. Wie ich denn nach dem-
jenigen recht/ welches unſer Heyland ſeinen kindern giebet/ ſich untereinander zu

erbauen
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[542/0554] Das ſiebende Capitel. JCh achte mich aus dem guten vertrauen/ ſo dieſelbe nun von einigen jahren zu mir getragen/ und der aufrichtigen liebe zu ihrer ſeelen wahrem heyl/ ver- bunden/ hiemit in chriſtlichen vertrauen einiges anliegen meines hertzens in ihren ſchoß auszuſchuͤtten. Jch habe aus bisheriger correſpondenz und andern zeugnuͤſſen mit ſonderbaren vergnuͤgen erkannt/ daß der himmliſche Vater in dieſelbe ein nicht geringes maß der gnaden geleget/ indem er dieſelbe nicht nur mit natuͤrlichen gutem verſtand und wiſſenſchafften gezieret hat/ ſondern auch mit einer ſchoͤnen erkaͤntnuͤß der geiſtlichen dinge begabet; woruͤber ich mich manchmal nicht wenig in dem HErrn erfreuet/ und ihre werthe perſon als ein theures gefaͤß ſeiner gnaden erkennende ein ſonderbar vertrauen gegen dieſelbe gefaſſet/ wie nicht weniger bey gelegenheit gegen andere davon geruͤhmet habe. Dabey zweiffelte nicht/ daß auch die fruͤchte ſolcher erkaͤntnuͤß in verleugnung der luͤſten dieſer welt in reichem maaß ſich finden wuͤrden. Jch kan aber nicht bergen/ daß ehe noch von Franckfurt weg zog/ es ſich bey einer gelegenheit begeben/ da ich auch die gnade GOttes an derſelbigen mit mehrerem ruͤhmete/ daß eine perſon (ſo zwar ſeiter von GOtt abgefordert worden) dabey war/ welche dieſelbe wol zu kennen/ und manch- mal in ihrer geſellſchafft geweſen zu ſeyn/ dabey aber bezeugte/ daß (viel anders als ich mir das concept gemacht hatte) ſolche an vieler eitelkeit der welt ziemlich gefallen trage/ und mit derſelben nach dero art mitzumachen wenig bedencken tra- ge in dergleichen dingen/ die ich an denjenigen nicht billichte/ welche wahrhafftig von dem thaͤtigen chriſtenthum profeſſion machen wolten. Welcher diſcurs mich nicht wenig nidergeſchlagen und b truͤbet hat/ ob ich mir wol meine hoffnung ungenommen lieſſe. Hiezu kam/ daß in dieſen landen ferner gehoͤret/ ob haͤtte meine werthe frau bis daher dero wandel in einigen ſtuͤcken aufs wenigſte nicht mit derjenigen vorſichtigkeit gefuͤhret/ wie ſichs geziehmte/ daß daher bey andern eini- ge ungleiche verdacht erwecket werden. Jch kan nicht ſagen/ wie hertzlich mich ſolches afficiret/ dann ſo inniglich mich erfreuet/ wo ich von einigen ſeelen hoͤre/ daß in ihnen ein reiches maaß goͤttlicher gnade und redlicher vorſatz dem HErrn zu dienen ſich finde (als welcher leute zahl viel enger aller orten zuſammen gehet/ als ich wuͤnſchete) ſo wehemuͤthig werde ich daruͤber/ wo ich ſorgen muß/ daß mir mei- ne hoffnung zuruͤcke falle: wie zwar faſt auch natuͤrlich iſt/ daß man mehr betrau- ret/ was man verlieret/ als was man niemalen gehabt. Nun wuͤnſche ich zwar von grund meiner ſeelen/ daß alles ſolches ohngegruͤndet ſeyn moͤge. Wie aber auch die chriſtliche liebe ihre ſorgfalt hat/ und mir jenes erſte faſt beglaubt ge- macht werden wollen/ habe ich nicht nur bis daher unſern himmliſchen Vater vor dieſelbe ſo viel angelegenlicher angeruffen/ daß derſelbe ihre liebe ſeele vor allem ihm mißfaͤlligen in gnaden bewahren/ oder davon reinigen wolle/ ſondern ich habe endlich nicht unterlaſſen koͤnnen/ mein anliegen vor dieſelbe in chriſtlichem vertrauen zu bringen und meine ſorge vor ihre ſeele zu bezeugen. Wie ich denn nach dem- jenigen recht/ welches unſer Heyland ſeinen kindern giebet/ ſich untereinander zu erbauen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/554>, abgerufen am 22.11.2024.