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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
seinen catechismum und allgemeinste analogiam fidei verstehet/ aber von grund
der seelen GOTT liebet und fürchtet/ und deswegen nach allem vermögen sein
amt zu führen beflissen ist/ zu haben/ als einen solchen/ der nach der welt ge-
sinnet sich selbs/ seinen geitz/ ehrsucht und wollust suchen wird. Wie dann die zu
unsers lieben Lutheri zeiten aus mangel der gelehrten zu einigen pfarrstellen be-
förderte christliche handwercks-leute/ so die predigten aus denen postillen vorgele-
sen/ offt mehr erbauet haben/ als manche in den studiis wol versirte. Wie dann
gewiß ist/ wo ein solcher christlicher prediger ist/ deme es an natürlichen gaben und
erudition manglet/ wo er nur noch in dem amt fleißig ist mit lesung der schrifft
(welches nicht ausbleiben kan/ da er ein christlicher frommer mann zu seyn prae-
supponi
rt wird) daß er auch in dem amt durch solche lesung/ inbrünstiges gebet
und erfahrung/ selbs in der erkäntnüß sehr wachsen/ und folglich ein immer tüch-
tiger instrument göttlicher ehre werden kan: dahingegen offt die gelehrt geweste/
wo sie nachmalen in dem amt dem liederlichen leben/ geitz/ sauffen und dergleichen
sich zu ergeben angefangen/ vieles ihrer vorigen gaben verliehren/ und samtlich
wenig nutzen schaffen. Die beygefügte klage/ wie über diese sache/ nemlich die ü-
bung des wahren christenthums/ bey den universitäten so schlecht gehalten werde/
ist abermal gerecht und offenbar/ möchte auch noch manches beygefüget werden/
wo es noth wäre. Also stecket daselbst grossen theils die quelle desjenigen/ was
in denen ministeriis mangelt/ dann solche leute bekomt man zu den diensten/ wie
sie auf den universitäten gezogen werden: wie dieselbe aber seyen/ klagen selbst
gewissenhaffte theologiae Professores, und werden fast ihres lebens darüber über-
drüßig/ wie ich die brieffe selbsten habe. Ach/ daß GOTT nach seiner grossen
barmhertzigkeit und weisheit da rath und mittel zeigen wolte/ wie dieses Augiae sta-
bulum
möchte ausgesaubert werden/ so solte unsere hoffnung erst recht blühen.
Aber hie ists über mein vermögen/ auch fast nur mittel vorzuschlagen/ wie zu
helffen wäre: wo man nemlich von solchen vorschlägen redet/ von dero succeß, und
daß sie practicabel, ein gut vertrauen seyn kan; dann sonsten läst sich die sache
auf dem papier stattlich ausrichten/ aber gibt annoch eine remp. Platonicam in
idea.
Es müssen viele bey der sache cooperiren, hingegen theils wollen/ und kön-
nen nicht/ andere können und wollen nicht/ die zusammen setzen solten/ verstehen sich
nicht mit einander/ und also/ dum deliberabimus seculum abibit, oder möchte ein
mittel kommen/ daß uns betrüblich genug werden solte/ daß GOtt gar niederrisse/
was sich nicht flicken lassen will/ und etwas neues anfbaute. Jedoch wäre auch an
jener besserung zu arbeiten/ so viel wir vermöchten/ u. liesse sich etwa einiges ausrich-
ten. Sonderlich/ wo die studiosi erstlich fleißiger zu der schrifft angeführet/ und diese

ihr

Das ſiebende Capitel.
ſeinen catechismum und allgemeinſte analogiam fidei verſtehet/ aber von grund
der ſeelen GOTT liebet und fuͤrchtet/ und deswegen nach allem vermoͤgen ſein
amt zu fuͤhren befliſſen iſt/ zu haben/ als einen ſolchen/ der nach der welt ge-
ſinnet ſich ſelbs/ ſeinen geitz/ ehrſucht und wolluſt ſuchen wird. Wie dann die zu
unſers lieben Lutheri zeiten aus mangel der gelehrten zu einigen pfarrſtellen be-
foͤrderte chriſtliche handwercks-leute/ ſo die predigten aus denen poſtillen vorgele-
ſen/ offt mehr erbauet haben/ als manche in den ſtudiis wol verſirte. Wie dann
gewiß iſt/ wo ein ſolcher chriſtlicher prediger iſt/ deme es an natuͤrlichen gaben und
erudition manglet/ wo er nur noch in dem amt fleißig iſt mit leſung der ſchrifft
(welches nicht ausbleiben kan/ da er ein chriſtlicher frommer mann zu ſeyn præ-
ſupponi
rt wird) daß er auch in dem amt durch ſolche leſung/ inbruͤnſtiges gebet
und erfahrung/ ſelbs in der erkaͤntnuͤß ſehr wachſen/ und folglich ein immer tuͤch-
tiger inſtrument goͤttlicher ehre werden kan: dahingegen offt die gelehrt geweſte/
wo ſie nachmalen in dem amt dem liederlichen leben/ geitz/ ſauffen und dergleichen
ſich zu ergeben angefangen/ vieles ihrer vorigen gaben verliehren/ und ſamtlich
wenig nutzen ſchaffen. Die beygefuͤgte klage/ wie uͤber dieſe ſache/ nemlich die uͤ-
bung des wahren chriſtenthums/ bey den univerſitaͤten ſo ſchlecht gehalten werde/
iſt abermal gerecht und offenbar/ moͤchte auch noch manches beygefuͤget werden/
wo es noth waͤre. Alſo ſtecket daſelbſt groſſen theils die quelle desjenigen/ was
in denen miniſteriis mangelt/ dann ſolche leute bekomt man zu den dienſten/ wie
ſie auf den univerſitaͤten gezogen werden: wie dieſelbe aber ſeyen/ klagen ſelbſt
gewiſſenhaffte theologiæ Profeſſores, und werden faſt ihres lebens daruͤber uͤber-
druͤßig/ wie ich die brieffe ſelbſten habe. Ach/ daß GOTT nach ſeiner groſſen
barmhertzigkeit und weisheit da rath und mittel zeigen wolte/ wie dieſes Augiæ ſta-
bulum
moͤchte ausgeſaubert werden/ ſo ſolte unſere hoffnung erſt recht bluͤhen.
Aber hie iſts uͤber mein vermoͤgen/ auch faſt nur mittel vorzuſchlagen/ wie zu
helffen waͤre: wo man nemlich von ſolchen vorſchlaͤgen redet/ von dero ſucceß, und
daß ſie practicabel, ein gut vertrauen ſeyn kan; dann ſonſten laͤſt ſich die ſache
auf dem papier ſtattlich ausrichten/ aber gibt annoch eine remp. Platonicam in
idea.
Es muͤſſen viele bey der ſache cooperiren, hingegen theils wollen/ und koͤn-
nen nicht/ andere koͤnnen und wollen nicht/ die zuſammen ſetzen ſolten/ verſtehen ſich
nicht mit einander/ und alſo/ dum deliberabimus ſeculum abibit, oder moͤchte ein
mittel kommen/ daß uns betruͤblich genug werden ſolte/ daß GOtt gar niederriſſe/
was ſich nicht flicken laſſen will/ und etwas neues anfbaute. Jedoch waͤre auch an
jener beſſerung zu arbeiten/ ſo viel wir vermoͤchten/ u. lieſſe ſich etwa einiges ausrich-
ten. Sonderlich/ wo die ſtudioſi erſtlich fleißiger zu der ſchrifft angefuͤhret/ und dieſe

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[528/0540] Das ſiebende Capitel. ſeinen catechismum und allgemeinſte analogiam fidei verſtehet/ aber von grund der ſeelen GOTT liebet und fuͤrchtet/ und deswegen nach allem vermoͤgen ſein amt zu fuͤhren befliſſen iſt/ zu haben/ als einen ſolchen/ der nach der welt ge- ſinnet ſich ſelbs/ ſeinen geitz/ ehrſucht und wolluſt ſuchen wird. Wie dann die zu unſers lieben Lutheri zeiten aus mangel der gelehrten zu einigen pfarrſtellen be- foͤrderte chriſtliche handwercks-leute/ ſo die predigten aus denen poſtillen vorgele- ſen/ offt mehr erbauet haben/ als manche in den ſtudiis wol verſirte. Wie dann gewiß iſt/ wo ein ſolcher chriſtlicher prediger iſt/ deme es an natuͤrlichen gaben und erudition manglet/ wo er nur noch in dem amt fleißig iſt mit leſung der ſchrifft (welches nicht ausbleiben kan/ da er ein chriſtlicher frommer mann zu ſeyn præ- ſupponirt wird) daß er auch in dem amt durch ſolche leſung/ inbruͤnſtiges gebet und erfahrung/ ſelbs in der erkaͤntnuͤß ſehr wachſen/ und folglich ein immer tuͤch- tiger inſtrument goͤttlicher ehre werden kan: dahingegen offt die gelehrt geweſte/ wo ſie nachmalen in dem amt dem liederlichen leben/ geitz/ ſauffen und dergleichen ſich zu ergeben angefangen/ vieles ihrer vorigen gaben verliehren/ und ſamtlich wenig nutzen ſchaffen. Die beygefuͤgte klage/ wie uͤber dieſe ſache/ nemlich die uͤ- bung des wahren chriſtenthums/ bey den univerſitaͤten ſo ſchlecht gehalten werde/ iſt abermal gerecht und offenbar/ moͤchte auch noch manches beygefuͤget werden/ wo es noth waͤre. Alſo ſtecket daſelbſt groſſen theils die quelle desjenigen/ was in denen miniſteriis mangelt/ dann ſolche leute bekomt man zu den dienſten/ wie ſie auf den univerſitaͤten gezogen werden: wie dieſelbe aber ſeyen/ klagen ſelbſt gewiſſenhaffte theologiæ Profeſſores, und werden faſt ihres lebens daruͤber uͤber- druͤßig/ wie ich die brieffe ſelbſten habe. Ach/ daß GOTT nach ſeiner groſſen barmhertzigkeit und weisheit da rath und mittel zeigen wolte/ wie dieſes Augiæ ſta- bulum moͤchte ausgeſaubert werden/ ſo ſolte unſere hoffnung erſt recht bluͤhen. Aber hie iſts uͤber mein vermoͤgen/ auch faſt nur mittel vorzuſchlagen/ wie zu helffen waͤre: wo man nemlich von ſolchen vorſchlaͤgen redet/ von dero ſucceß, und daß ſie practicabel, ein gut vertrauen ſeyn kan; dann ſonſten laͤſt ſich die ſache auf dem papier ſtattlich ausrichten/ aber gibt annoch eine remp. Platonicam in idea. Es muͤſſen viele bey der ſache cooperiren, hingegen theils wollen/ und koͤn- nen nicht/ andere koͤnnen und wollen nicht/ die zuſammen ſetzen ſolten/ verſtehen ſich nicht mit einander/ und alſo/ dum deliberabimus ſeculum abibit, oder moͤchte ein mittel kommen/ daß uns betruͤblich genug werden ſolte/ daß GOtt gar niederriſſe/ was ſich nicht flicken laſſen will/ und etwas neues anfbaute. Jedoch waͤre auch an jener beſſerung zu arbeiten/ ſo viel wir vermoͤchten/ u. lieſſe ſich etwa einiges ausrich- ten. Sonderlich/ wo die ſtudioſi erſtlich fleißiger zu der ſchrifft angefuͤhret/ und dieſe ihr

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/540>, abgerufen am 22.11.2024.