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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO IX.
nehme, und doch gleichwol auch vielmehr davon, was solches principium co-
gnoscendi,
vor und an sich selbs als in einigen augen und gedancken seye, zu
verstehen. Dann auch e. g. die sprüche, die das geheimnüß der heiligen Drey-
einigkeit uns lehren, sind das verum principium, und doch wo wir die jeni-
ge, welche solches geheimnüß leugnen, fragen, werden sie sie nicht sole meri-
diano clariora
oder exceptione omni majora erkennen, und dannoch sind
sie es an sich selbs. Was denn anlangt die sprüche, welche das ende der welt
uns vorlegen, müssen in sich selbs simplicissima & exceptione major veri-
tas
seyn, aber so hell dörffen sie gleichwol nicht seyn, gleich wie andere, sondern
sie behalten die allgemeine eigenschafften der prophezeyungen, daß sie etwas
dunckler seyen, bis sie erfüllet werden, oder der erfüllung gantz nahe sind. Al-
so die sprüche, welche ich annoch nicht erfüllet achte und daher aus denselben
erweise, daß das ende der welt so nahe nicht seye, erkenne ich pro principio
in se simplicissimo & omni exceptione majori,
ob sie wol so klar bey allen
nicht sind. Wird mir entgegen gehalten, es werde gleichwol derselben ver-
stand von vielen in zweiffel gezogen, praejudiciret so wenig als mein Herr
schwager ihm den locum 2. Thess. 2. will disputiren lassen, ob solcher das
principium seye, in dessen verstand gewiß so viel difficultäten, was diesen
statum controverfiae anlangt, sich finden, als irgend in einem.
11. Die sententia, vor die ich stehe, ist durchaus nicht periculosa:
dann sie hat vor sich GOttes wort: und lehren wir die leute alle tage ihren
jüngsten tag erwarten, ob sie wol den allgemeinen nicht erleben werden. Jn
welchem stande sie, wo sie auch solten unvermuthet von diesem überfallen
werden gantz selig sind. Welche aber sich den täglich instehenden eignen
jüngsten tag zu gottseliger vorbereitung nicht bewegen lassen, die werden nicht
mehr auch bewogen werden durch die angetrohete nahe des allgemeinen ge-
richtstages.
12. Die andere meinung, die dieser entgegen ist, ist freylich periculosa,
wo es anders ist, in dem sie die fleißige leser der schrifft in gefährliche gedan-
cken führet von deroselben wahrheit, wo man dasjenige glauben solle erfül-
let zu seyn, das gleichwol auf die art, wie es geweissaget worden, nicht gezeigt
werden kan. Und weiß ich, in was gefährliche zweiffel von der wahrheit
göttlichen worts auch gottselige hertzen geführet worden sind, so lange sie
in der einbildung gestecket, daß der jüngste tag täglich zu erwarten, wo sie
in der schrifft so viele verheissungen gelesen, deren erfüllung sie nicht gesehen:
und haben nicht eher zu ruhe gebracht werden können, bis ihnen gezeigt, daß
jene einbildung falsch, und freylich noch unterschiedliche grosse wercke des
Herrn erfüllet zu werden bevorstehen. Damit aber sind sie gantz zu frie-
den, und bekennen hertzlich in ihrem glauben gestärcket zu seyn. Geschwei-
ge,
IV. Theil. f
ARTIC. I. SECTIO IX.
nehme, und doch gleichwol auch vielmehr davon, was ſolches principium co-
gnoſcendi,
vor und an ſich ſelbs als in einigen augen und gedancken ſeye, zu
verſtehen. Dann auch e. g. die ſpruͤche, die das geheimnuͤß der heiligen Drey-
einigkeit uns lehren, ſind das verum principium, und doch wo wir die jeni-
ge, welche ſolches geheimnuͤß leugnen, fragen, werden ſie ſie nicht ſole meri-
diano clariora
oder exceptione omni majora erkennen, und dannoch ſind
ſie es an ſich ſelbs. Was denn anlangt die ſpruͤche, welche das ende der welt
uns vorlegen, muͤſſen in ſich ſelbs ſimpliciſſima & exceptione major veri-
tas
ſeyn, aber ſo hell doͤrffen ſie gleichwol nicht ſeyn, gleich wie andere, ſondern
ſie behalten die allgemeine eigenſchafften der prophezeyungen, daß ſie etwas
dunckler ſeyen, bis ſie erfuͤllet werden, oder der erfuͤllung gantz nahe ſind. Al-
ſo die ſpruͤche, welche ich annoch nicht erfuͤllet achte und daher aus denſelben
erweiſe, daß das ende der welt ſo nahe nicht ſeye, erkenne ich pro principio
in ſe ſimpliciſſimo & omni exceptione majori,
ob ſie wol ſo klar bey allen
nicht ſind. Wird mir entgegen gehalten, es werde gleichwol derſelben ver-
ſtand von vielen in zweiffel gezogen, præjudiciret ſo wenig als mein Herr
ſchwager ihm den locum 2. Theſſ. 2. will diſputiren laſſen, ob ſolcher das
principium ſeye, in deſſen verſtand gewiß ſo viel difficultaͤten, was dieſen
ſtatum controverfiæ anlangt, ſich finden, als irgend in einem.
11. Die ſententia, vor die ich ſtehe, iſt durchaus nicht periculoſa:
dann ſie hat vor ſich GOttes wort: und lehren wir die leute alle tage ihren
juͤngſten tag erwarten, ob ſie wol den allgemeinen nicht erleben werden. Jn
welchem ſtande ſie, wo ſie auch ſolten unvermuthet von dieſem uͤberfallen
werden gantz ſelig ſind. Welche aber ſich den taͤglich inſtehenden eignen
juͤngſten tag zu gottſeliger vorbereitung nicht bewegen laſſen, die werden nicht
mehr auch bewogen werden durch die angetrohete nahe des allgemeinen ge-
richtstages.
12. Die andere meinung, die dieſer entgegen iſt, iſt freylich periculoſa,
wo es anders iſt, in dem ſie die fleißige leſer der ſchrifft in gefaͤhrliche gedan-
cken fuͤhret von deroſelben wahrheit, wo man dasjenige glauben ſolle erfuͤl-
let zu ſeyn, das gleichwol auf die art, wie es geweiſſaget worden, nicht gezeigt
werden kan. Und weiß ich, in was gefaͤhrliche zweiffel von der wahrheit
goͤttlichen worts auch gottſelige hertzen gefuͤhret worden ſind, ſo lange ſie
in der einbildung geſtecket, daß der juͤngſte tag taͤglich zu erwarten, wo ſie
in der ſchrifft ſo viele verheiſſungen geleſen, deren erfuͤllung ſie nicht geſehen:
und haben nicht eher zu ruhe gebracht werden koͤnnen, bis ihnen gezeigt, daß
jene einbildung falſch, und freylich noch unterſchiedliche groſſe wercke des
Herrn erfuͤllet zu werden bevorſtehen. Damit aber ſind ſie gantz zu frie-
den, und bekennen hertzlich in ihrem glauben geſtaͤrcket zu ſeyn. Geſchwei-
ge,
IV. Theil. f
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[41/0053] ARTIC. I. SECTIO IX. nehme, und doch gleichwol auch vielmehr davon, was ſolches principium co- gnoſcendi, vor und an ſich ſelbs als in einigen augen und gedancken ſeye, zu verſtehen. Dann auch e. g. die ſpruͤche, die das geheimnuͤß der heiligen Drey- einigkeit uns lehren, ſind das verum principium, und doch wo wir die jeni- ge, welche ſolches geheimnuͤß leugnen, fragen, werden ſie ſie nicht ſole meri- diano clariora oder exceptione omni majora erkennen, und dannoch ſind ſie es an ſich ſelbs. Was denn anlangt die ſpruͤche, welche das ende der welt uns vorlegen, muͤſſen in ſich ſelbs ſimpliciſſima & exceptione major veri- tas ſeyn, aber ſo hell doͤrffen ſie gleichwol nicht ſeyn, gleich wie andere, ſondern ſie behalten die allgemeine eigenſchafften der prophezeyungen, daß ſie etwas dunckler ſeyen, bis ſie erfuͤllet werden, oder der erfuͤllung gantz nahe ſind. Al- ſo die ſpruͤche, welche ich annoch nicht erfuͤllet achte und daher aus denſelben erweiſe, daß das ende der welt ſo nahe nicht ſeye, erkenne ich pro principio in ſe ſimpliciſſimo & omni exceptione majori, ob ſie wol ſo klar bey allen nicht ſind. Wird mir entgegen gehalten, es werde gleichwol derſelben ver- ſtand von vielen in zweiffel gezogen, præjudiciret ſo wenig als mein Herr ſchwager ihm den locum 2. Theſſ. 2. will diſputiren laſſen, ob ſolcher das principium ſeye, in deſſen verſtand gewiß ſo viel difficultaͤten, was dieſen ſtatum controverfiæ anlangt, ſich finden, als irgend in einem. 11. Die ſententia, vor die ich ſtehe, iſt durchaus nicht periculoſa: dann ſie hat vor ſich GOttes wort: und lehren wir die leute alle tage ihren juͤngſten tag erwarten, ob ſie wol den allgemeinen nicht erleben werden. Jn welchem ſtande ſie, wo ſie auch ſolten unvermuthet von dieſem uͤberfallen werden gantz ſelig ſind. Welche aber ſich den taͤglich inſtehenden eignen juͤngſten tag zu gottſeliger vorbereitung nicht bewegen laſſen, die werden nicht mehr auch bewogen werden durch die angetrohete nahe des allgemeinen ge- richtstages. 12. Die andere meinung, die dieſer entgegen iſt, iſt freylich periculoſa, wo es anders iſt, in dem ſie die fleißige leſer der ſchrifft in gefaͤhrliche gedan- cken fuͤhret von deroſelben wahrheit, wo man dasjenige glauben ſolle erfuͤl- let zu ſeyn, das gleichwol auf die art, wie es geweiſſaget worden, nicht gezeigt werden kan. Und weiß ich, in was gefaͤhrliche zweiffel von der wahrheit goͤttlichen worts auch gottſelige hertzen gefuͤhret worden ſind, ſo lange ſie in der einbildung geſtecket, daß der juͤngſte tag taͤglich zu erwarten, wo ſie in der ſchrifft ſo viele verheiſſungen geleſen, deren erfuͤllung ſie nicht geſehen: und haben nicht eher zu ruhe gebracht werden koͤnnen, bis ihnen gezeigt, daß jene einbildung falſch, und freylich noch unterſchiedliche groſſe wercke des Herrn erfuͤllet zu werden bevorſtehen. Damit aber ſind ſie gantz zu frie- den, und bekennen hertzlich in ihrem glauben geſtaͤrcket zu ſeyn. Geſchwei- ge, IV. Theil. f

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/53>, abgerufen am 28.11.2024.