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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
erst erwartet werden, nach dem die besserung erfolget, und das gute wieder
abgefallen.
6. Die zeichen Luc. 21, 25. sq. sind so gar noch nicht erfüllet, daß sie
auch noch nicht haben angefangen in die erfüllung zu gehen, ohne allein daß
wir ein und anders, so itzo geschihet, und eine vergleichung oder analogie
mit jenen zeichen hat, etlicher massen dahin ziehen mögen: auf die weise wie
ich jegliches symptoma eines menschen, als ein zeichen ansehe seines künff-
tigen, und etwa nach vielen jahren erfolgenden todes, da die tödtliche schwach-
heit an ihm noch den anfang nicht genommen.
7. Der gemeinen leute sagen, daß sie meinen, der jüngste tag seye vor der
thür, und alle tage zu erwarten, machet die sache nicht aus. Weder gelehr-
ter noch ungelehrter leute gedancken sind uns eine regel, sondern GOTTes
wort. Wo nun gemeiner leute gedancken sich auf GOttes wort gründen,
und darmit erwiesen werden können, so gebe ich ihnen beyfall, so gern als den
allergelehrtesten: aber auf ihre blosse einbildung verlasse ich mich nicht.
Die last, damit sie getruckt werden, erweiset die sache nicht, und hat schon
offtmals göttliches gericht darinnen abgewechselt, daß es bald leichtere
bald schwerere zeiten folgen lassen. Wann aber der tag des HErrn kom-
men solle, muß anderwertlichen aus GOTTES wort genommen wer-
den.
8. Jch bleibe gern bey der einfalt, und ziehe sie allen subtilitäten vor,
als welche mich in theologischen sachen ecklen und anstincken: hingegen die
liebe einfalt aestimire ich. Einfalt aber heisset nicht seinem eigen sinn fol-
gen, sondern der klaren offenbahrung GOttes, wie denn in allen sprüchen,
die ich noch nicht erfüllet zu seyn achte, ich keinen hohen und nur den gelehrten
begreifflichen, sondern den einfältigen wort-verstand treibe.
9. Ob wol jeglicher einfältiger Christ seines glaubens in den nöthigen
glaubens articuln und lebens regeln versichert seyn muß, daß er wisse, wie er
sich vor GOTT trösten, und wie er vor ihm leben müsse: so ists gleichwol
nicht jeglichen einfältigen zu wissen nöthig, wie nahe oder fern der jüngste tag
seye. Und kan er ohn verlust seiner seligkeit dessen unwissend seyn: wo er
nur allezeit also sich befleisset zu leben, wie er wolte von dem tag des HErrn
angetroffen werden. Jedoch zweiffle ich nicht, es wird noch, da wir näher
dabey seyn werden, eine zeit kommen, daß auch die einfältige, nach dem meh-
rere zeichen erfüllet, von dieser sache grosse erkäntnüß haben werden, die ih-
nen itzt noch nicht nöthig ist.
10. Daß gesagt wird, das principium cognoscendi müsse simplicissi-
mum, sole meridiano clarius
und omni exceptione majus seyn, bekenne
gern, daß von denen nothwendigen glaubens-articuln solche conditiones an-
neh-
Das ſiebende Capitel.
erſt erwartet werden, nach dem die beſſerung erfolget, und das gute wieder
abgefallen.
6. Die zeichen Luc. 21, 25. ſq. ſind ſo gar noch nicht erfuͤllet, daß ſie
auch noch nicht haben angefangen in die erfuͤllung zu gehen, ohne allein daß
wir ein und anders, ſo itzo geſchihet, und eine vergleichung oder analogie
mit jenen zeichen hat, etlicher maſſen dahin ziehen moͤgen: auf die weiſe wie
ich jegliches ſymptoma eines menſchen, als ein zeichen anſehe ſeines kuͤnff-
tigen, und etwa nach vielen jahren eꝛfolgenden todes, da die toͤdtliche ſchwach-
heit an ihm noch den anfang nicht genommen.
7. Der gemeinen leute ſagen, daß ſie meinen, der juͤngſte tag ſeye vor der
thuͤr, und alle tage zu erwarten, machet die ſache nicht aus. Weder gelehr-
ter noch ungelehrter leute gedancken ſind uns eine regel, ſondern GOTTes
wort. Wo nun gemeiner leute gedancken ſich auf GOttes wort gruͤnden,
und darmit erwieſen werden koͤnnen, ſo gebe ich ihnen beyfall, ſo gern als den
allergelehrteſten: aber auf ihre bloſſe einbildung verlaſſe ich mich nicht.
Die laſt, damit ſie getruckt werden, erweiſet die ſache nicht, und hat ſchon
offtmals goͤttliches gericht darinnen abgewechſelt, daß es bald leichtere
bald ſchwerere zeiten folgen laſſen. Wann aber der tag des HErrn kom-
men ſolle, muß anderwertlichen aus GOTTES wort genommen wer-
den.
8. Jch bleibe gern bey der einfalt, und ziehe ſie allen ſubtilitaͤten vor,
als welche mich in theologiſchen ſachen ecklen und anſtincken: hingegen die
liebe einfalt æſtimire ich. Einfalt aber heiſſet nicht ſeinem eigen ſinn fol-
gen, ſondern der klaren offenbahrung GOttes, wie denn in allen ſpruͤchen,
die ich noch nicht erfuͤllet zu ſeyn achte, ich keinen hohen und nur den gelehrten
begreifflichen, ſondern den einfaͤltigen wort-verſtand treibe.
9. Ob wol jeglicher einfaͤltiger Chriſt ſeines glaubens in den noͤthigen
glaubens articuln und lebens regeln verſichert ſeyn muß, daß er wiſſe, wie er
ſich vor GOTT troͤſten, und wie er vor ihm leben muͤſſe: ſo iſts gleichwol
nicht jeglichen einfaͤltigen zu wiſſen noͤthig, wie nahe oder fern der juͤngſte tag
ſeye. Und kan er ohn verluſt ſeiner ſeligkeit deſſen unwiſſend ſeyn: wo er
nur allezeit alſo ſich befleiſſet zu leben, wie er wolte von dem tag des HErrn
angetroffen werden. Jedoch zweiffle ich nicht, es wird noch, da wir naͤher
dabey ſeyn werden, eine zeit kommen, daß auch die einfaͤltige, nach dem meh-
rere zeichen erfuͤllet, von dieſer ſache groſſe erkaͤntnuͤß haben werden, die ih-
nen itzt noch nicht noͤthig iſt.
10. Daß geſagt wird, das principium cognoſcendi muͤſſe ſimpliciſſi-
mum, ſole meridiano clarius
und omni exceptione majus ſeyn, bekenne
gern, daß von denen nothwendigen glaubens-aꝛticuln ſolche conditiones an-
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[40/0052] Das ſiebende Capitel. erſt erwartet werden, nach dem die beſſerung erfolget, und das gute wieder abgefallen. 6. Die zeichen Luc. 21, 25. ſq. ſind ſo gar noch nicht erfuͤllet, daß ſie auch noch nicht haben angefangen in die erfuͤllung zu gehen, ohne allein daß wir ein und anders, ſo itzo geſchihet, und eine vergleichung oder analogie mit jenen zeichen hat, etlicher maſſen dahin ziehen moͤgen: auf die weiſe wie ich jegliches ſymptoma eines menſchen, als ein zeichen anſehe ſeines kuͤnff- tigen, und etwa nach vielen jahren eꝛfolgenden todes, da die toͤdtliche ſchwach- heit an ihm noch den anfang nicht genommen. 7. Der gemeinen leute ſagen, daß ſie meinen, der juͤngſte tag ſeye vor der thuͤr, und alle tage zu erwarten, machet die ſache nicht aus. Weder gelehr- ter noch ungelehrter leute gedancken ſind uns eine regel, ſondern GOTTes wort. Wo nun gemeiner leute gedancken ſich auf GOttes wort gruͤnden, und darmit erwieſen werden koͤnnen, ſo gebe ich ihnen beyfall, ſo gern als den allergelehrteſten: aber auf ihre bloſſe einbildung verlaſſe ich mich nicht. Die laſt, damit ſie getruckt werden, erweiſet die ſache nicht, und hat ſchon offtmals goͤttliches gericht darinnen abgewechſelt, daß es bald leichtere bald ſchwerere zeiten folgen laſſen. Wann aber der tag des HErrn kom- men ſolle, muß anderwertlichen aus GOTTES wort genommen wer- den. 8. Jch bleibe gern bey der einfalt, und ziehe ſie allen ſubtilitaͤten vor, als welche mich in theologiſchen ſachen ecklen und anſtincken: hingegen die liebe einfalt æſtimire ich. Einfalt aber heiſſet nicht ſeinem eigen ſinn fol- gen, ſondern der klaren offenbahrung GOttes, wie denn in allen ſpruͤchen, die ich noch nicht erfuͤllet zu ſeyn achte, ich keinen hohen und nur den gelehrten begreifflichen, ſondern den einfaͤltigen wort-verſtand treibe. 9. Ob wol jeglicher einfaͤltiger Chriſt ſeines glaubens in den noͤthigen glaubens articuln und lebens regeln verſichert ſeyn muß, daß er wiſſe, wie er ſich vor GOTT troͤſten, und wie er vor ihm leben muͤſſe: ſo iſts gleichwol nicht jeglichen einfaͤltigen zu wiſſen noͤthig, wie nahe oder fern der juͤngſte tag ſeye. Und kan er ohn verluſt ſeiner ſeligkeit deſſen unwiſſend ſeyn: wo er nur allezeit alſo ſich befleiſſet zu leben, wie er wolte von dem tag des HErrn angetroffen werden. Jedoch zweiffle ich nicht, es wird noch, da wir naͤher dabey ſeyn werden, eine zeit kommen, daß auch die einfaͤltige, nach dem meh- rere zeichen erfuͤllet, von dieſer ſache groſſe erkaͤntnuͤß haben werden, die ih- nen itzt noch nicht noͤthig iſt. 10. Daß geſagt wird, das principium cognoſcendi muͤſſe ſimpliciſſi- mum, ſole meridiano clarius und omni exceptione majus ſeyn, bekenne gern, daß von denen nothwendigen glaubens-aꝛticuln ſolche conditiones an- neh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/52>, abgerufen am 27.11.2024.