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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
te uns GOTT gleichsam zwingen/ seine gebote seyen seinen christen genug/ und be-
dörffte man nichts mehr als deroselben haltung treulich zu befördern/ hingegen so
bald in der verbindung mit seinen geboten einige unserer verordnungen/ so aus
menschlicher klugheit herkommen/ wollen verglichen werden/ gehe aller segen weg/
und werden dieselbe gemeiniglich schädlich. Welches uns je vorsichtig machen
solle/ weder GOtt einzugreiffen/ noch den gewissen stricke anzuwerffen/ da sonder-
lich solches wol einer von den schwersten fehlern des pabstthums gewesen ist. Solte
also wol am rathsamsten seyn/ zwar etwa wo man einige ordnung zur erbauung
nützlich achtete/ mit beobachtung alles dessen/ was in diesem fall ohne das nöthig/
dieselben der kirche mit vorstellung des nutzens vielmehr zu recommendiren, als
jemand gesetz-weise dazu nötigen/ auch so bald man vieler dabey einschleichender
mißbräuche/ denen man nicht kräfftig genug zu steuren getrauet/ gewahr wird/ sol-
che wieder abzuschaffen. Damit also ein unendlicher unterschied unter dem blei-
be/ was GOTT eigentlich befohlen und menschen guter meinung eingeführet.
Sonderlich ist in solcher sache ferner zu verhüten/ daß mit einführung dergleichen
verordnungen nicht den einfältigern ein schein des pabstums gemacht oder auch eine
zuneigung zu demselben befördert würde: als welches ärgernüß abermal mehr scha-
den als die sache selbs nutzen dörffte. Jn summa/ es wil in der gantzen sache grosse be-
hutsamkeit nonnöthen seyn. Jedoch ist ein grosser unterschied zu machen unter denen
ceremonien oder verordnungen/ die in der schrifft aufs wenigste etwelchen grund
haben/ und unter denen/ da nichts davon befindlich/ als von welchen beyderley
nicht einerley urtheil zu fällen ist. Nun auf die besondere exempel zu kommen/
so solte etwa schwerlich bey einiger weniger bedencken seyn/ als bey dem of-
fentlichen gebet auf den knien/ weil solches in der schrifft dermassen gegründet/ daß
in dem alten und neuen testament der exempel so viel vorhanden des offentlich
und absonderlich auf den knien gethannen gottes diensts/daher wenig oder nichts der
obigen bedencken entgegen gehalten werden könte/ wo die kirche alle oder die mei-
ste gebet in den offentlichen versammlungen von denjenigen/ welchen es leibes-be-
schaffenheit wegen müglich/ auf den knien zu geschehen verordnete: Jn dem die stä-
te in der schrifft aufgezeichnete und von GOtt gebilligte praxis der heiligen uns die
sache so recommendiret, daß durch eine verordnung nur gleichsam das alte be-
kräfftiget und wieder in den schwang gebracht würde: welches ich nicht leugne hertz-
lich zu wünschen/ ja gar daß fast alles gebet offentlich und absonderlich auf solche
weise verrichtet würde. Wegen der gewissen offentlichen fasten würde das meiste
bedencken seyn. Zuweilen einige fasttäge zu bußübungen/ sonderlich in all-
gemeinen anliegen/ anzusetzen/ bleibet noch allezeit der kirchen recht aus den

gemei-

Das ſiebende Capitel.
te uns GOTT gleichſam zwingen/ ſeine gebote ſeyen ſeinen chriſten genug/ und be-
doͤrffte man nichts mehr als deroſelben haltung treulich zu befoͤrdern/ hingegen ſo
bald in der verbindung mit ſeinen geboten einige unſerer verordnungen/ ſo aus
menſchlicher klugheit herkommen/ wollen verglichen werden/ gehe aller ſegen weg/
und werden dieſelbe gemeiniglich ſchaͤdlich. Welches uns je vorſichtig machen
ſolle/ weder GOtt einzugreiffen/ noch den gewiſſen ſtricke anzuwerffen/ da ſonder-
lich ſolches wol einer von den ſchwerſten fehlern des pabſtthums geweſen iſt. Solte
alſo wol am rathſamſten ſeyn/ zwar etwa wo man einige ordnung zur erbauung
nuͤtzlich achtete/ mit beobachtung alles deſſen/ was in dieſem fall ohne das noͤthig/
dieſelben der kirche mit vorſtellung des nutzens vielmehr zu recommendiren, als
jemand geſetz-weiſe dazu noͤtigen/ auch ſo bald man vieler dabey einſchleichender
mißbraͤuche/ denen man nicht kraͤfftig genug zu ſteuren getrauet/ gewahr wird/ ſol-
che wieder abzuſchaffen. Damit alſo ein unendlicher unterſchied unter dem blei-
be/ was GOTT eigentlich befohlen und menſchen guter meinung eingefuͤhret.
Sonderlich iſt in ſolcher ſache ferner zu verhuͤten/ daß mit einfuͤhrung dergleichen
verordnungen nicht den einfaͤltigern ein ſchein des pabſtums gemacht oder auch eine
zuneigung zu demſelben befoͤrdert wuͤrde: als welches aͤrgernuͤß abermal mehr ſcha-
den als die ſache ſelbs nutzen doͤrffte. Jn ſumma/ es wil in der gantzen ſache groſſe be-
hutſamkeit nonnoͤthen ſeyn. Jedoch iſt ein groſſer unterſchied zu machen unter denen
ceremonien oder verordnungen/ die in der ſchrifft aufs wenigſte etwelchen grund
haben/ und unter denen/ da nichts davon befindlich/ als von welchen beyderley
nicht einerley urtheil zu faͤllen iſt. Nun auf die beſondere exempel zu kommen/
ſo ſolte etwa ſchwerlich bey einiger weniger bedencken ſeyn/ als bey dem of-
fentlichen gebet auf den knien/ weil ſolches in der ſchrifft dermaſſen gegruͤndet/ daß
in dem alten und neuen teſtament der exempel ſo viel vorhanden des offentlich
und abſonderlich auf den knien gethānen gottes dienſts/daher wenig oder nichts der
obigen bedencken entgegen gehalten werden koͤnte/ wo die kirche alle oder die mei-
ſte gebet in den offentlichen verſammlungen von denjenigen/ welchen es leibes-be-
ſchaffenheit wegen muͤglich/ auf den knien zu geſchehen verordnete: Jn dem die ſtaͤ-
te in der ſchrifft aufgezeichnete und von GOtt gebilligte praxis der heiligen uns die
ſache ſo recommendiret, daß durch eine verordnung nur gleichſam das alte be-
kraͤfftiget und wieder in den ſchwang gebracht wuͤrde: welches ich nicht leugne hertz-
lich zu wuͤnſchen/ ja gar daß faſt alles gebet offentlich und abſonderlich auf ſolche
weiſe verrichtet wuͤrde. Wegen der gewiſſen offentlichen faſten wuͤrde das meiſte
bedencken ſeyn. Zuweilen einige faſttaͤge zu bußuͤbungen/ ſonderlich in all-
gemeinen anliegen/ anzuſetzen/ bleibet noch allezeit der kirchen recht aus den

gemei-
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[502/0514] Das ſiebende Capitel. te uns GOTT gleichſam zwingen/ ſeine gebote ſeyen ſeinen chriſten genug/ und be- doͤrffte man nichts mehr als deroſelben haltung treulich zu befoͤrdern/ hingegen ſo bald in der verbindung mit ſeinen geboten einige unſerer verordnungen/ ſo aus menſchlicher klugheit herkommen/ wollen verglichen werden/ gehe aller ſegen weg/ und werden dieſelbe gemeiniglich ſchaͤdlich. Welches uns je vorſichtig machen ſolle/ weder GOtt einzugreiffen/ noch den gewiſſen ſtricke anzuwerffen/ da ſonder- lich ſolches wol einer von den ſchwerſten fehlern des pabſtthums geweſen iſt. Solte alſo wol am rathſamſten ſeyn/ zwar etwa wo man einige ordnung zur erbauung nuͤtzlich achtete/ mit beobachtung alles deſſen/ was in dieſem fall ohne das noͤthig/ dieſelben der kirche mit vorſtellung des nutzens vielmehr zu recommendiren, als jemand geſetz-weiſe dazu noͤtigen/ auch ſo bald man vieler dabey einſchleichender mißbraͤuche/ denen man nicht kraͤfftig genug zu ſteuren getrauet/ gewahr wird/ ſol- che wieder abzuſchaffen. Damit alſo ein unendlicher unterſchied unter dem blei- be/ was GOTT eigentlich befohlen und menſchen guter meinung eingefuͤhret. Sonderlich iſt in ſolcher ſache ferner zu verhuͤten/ daß mit einfuͤhrung dergleichen verordnungen nicht den einfaͤltigern ein ſchein des pabſtums gemacht oder auch eine zuneigung zu demſelben befoͤrdert wuͤrde: als welches aͤrgernuͤß abermal mehr ſcha- den als die ſache ſelbs nutzen doͤrffte. Jn ſumma/ es wil in der gantzen ſache groſſe be- hutſamkeit nonnoͤthen ſeyn. Jedoch iſt ein groſſer unterſchied zu machen unter denen ceremonien oder verordnungen/ die in der ſchrifft aufs wenigſte etwelchen grund haben/ und unter denen/ da nichts davon befindlich/ als von welchen beyderley nicht einerley urtheil zu faͤllen iſt. Nun auf die beſondere exempel zu kommen/ ſo ſolte etwa ſchwerlich bey einiger weniger bedencken ſeyn/ als bey dem of- fentlichen gebet auf den knien/ weil ſolches in der ſchrifft dermaſſen gegruͤndet/ daß in dem alten und neuen teſtament der exempel ſo viel vorhanden des offentlich und abſonderlich auf den knien gethānen gottes dienſts/daher wenig oder nichts der obigen bedencken entgegen gehalten werden koͤnte/ wo die kirche alle oder die mei- ſte gebet in den offentlichen verſammlungen von denjenigen/ welchen es leibes-be- ſchaffenheit wegen muͤglich/ auf den knien zu geſchehen verordnete: Jn dem die ſtaͤ- te in der ſchrifft aufgezeichnete und von GOtt gebilligte praxis der heiligen uns die ſache ſo recommendiret, daß durch eine verordnung nur gleichſam das alte be- kraͤfftiget und wieder in den ſchwang gebracht wuͤrde: welches ich nicht leugne hertz- lich zu wuͤnſchen/ ja gar daß faſt alles gebet offentlich und abſonderlich auf ſolche weiſe verrichtet wuͤrde. Wegen der gewiſſen offentlichen faſten wuͤrde das meiſte bedencken ſeyn. Zuweilen einige faſttaͤge zu bußuͤbungen/ ſonderlich in all- gemeinen anliegen/ anzuſetzen/ bleibet noch allezeit der kirchen recht aus den gemei-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/514>, abgerufen am 25.11.2024.