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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECTIO XXIX.
als sehe ich nicht/ wie ausser höchster noth/ wo man keine andere wege hat/ dieser
gefahr zu entgehen/ und ohne dieselbe der mittel seines heils theilhafftig zu werden/
so dann die zeit etwa allzu lange fallen wolte/ solches zu wagen wäre/ mit ziem-
lich verunruhigtem gemüth oder dessen gefahr sich zu solchen mitteln/ darinnen man
ruhe und trost suchet/ zu machen. Wo aber sonsten keine andere gelegenheit wä-
re/ und man entweder sich des dienstes und zuspruchs eines solchen predigers/ ge-
gen dem alles vertrauen gefallen/ gebrauchen/ oder immer oder doch allzu lange
desjenigen/ wodurch unser glaube gestärcket werden solte/ entrathen müste/ da
müste man endlich so zu reden die augen zuthun/ und bloß durch die person auf das
amt sehen/ den HERRN so viel ernstlicher um seine gnade anruffen/ damit er so
wol bey uns alle aufsteigende und uns etwa hinderende fleischliche affecten dämpf-
fen/ hingegen was in solchem stande von uns nöthig ist/ bey uns wircken/ als auch
des predigers hertz und mund also regieren wolle/ daß er uns zuspreche/ was unsrer
seelen ersprießlich ist/ und uns nicht auf eingerley weise an solchem ort aufs neue är-
gere/ ihm selbst aber auch seine sünde zu erkennen gebe und verzeihe/ sodann mit
solcher verwahrung und vorsatz an den gebrauch dessen gehe/ wozu uns der HErr
selbsten beruffen hat. Wie ich auch nicht zweiflen will/ daß in solchem nothfall der
HErr seine gnade einer nach derselben durstigen seele nicht versagen/ und ihro die
an dem prediger befindliche fehler nicht zu schaden gereichen lassen werde. Jndes-
sen wegen der dabey befindlichen gefahr/ stünde dennoch ein solches ausser sotha-
nem nothfall nicht eben leicht zu rathen/ der mensch fünde sich dann in seiner seelen
dermassen befestiget (wozu dennoch ein sehr großes gehörte) daß ihn nicht etwa
einige passionen in seiner andacht verstören könten. 5. Mag auch dabey das dar-
unter versirende ärgernüß der gemeinde/ um deren willen/ und aus liebe zu ihr/
wir auch etwas unseres trostes eine weil hindan zu setzen haben/ in bedacht gezogen
werden/ und hat man auch darinnen der schwachen brüder zu schonen: daher auch
die anderwertliche communion in gegenwärtiger bewandnüß noch nicht zu rathen
wäre. 6. Der vorschlag wegen der beicht bey dem cappellan wäre unter andern an-
noch der füglichste. Dann wo man nicht durch eine gewisse ordnung an den pasto-
rem
gebunden ist/ sondern seine freyheit hat/ gienge man am sichersten zu demje-
nigen/ bey welchem gleiches amt stehet/ und man ein gutes vertrauen zu ihm tra-
gen kan. Wie ich auch zwar nicht gern in der kirchen confusion sehe/ indessen
hertzlich wünschte/ nachdem die austheilung der beichtkinder bloß arbitrii humani
ist/ daß man aller orten eine mehrere freyheit hätte und gebrauchte/ und jegliches
beichtkind/ nicht nur in dem fall eines an dem beichtvater genommenen ärger-
nüsses (wo eher eines andern erkäntnüß über dasselbe erfordert würde) son-

dern

ARTIC. IV. SECTIO XXIX.
als ſehe ich nicht/ wie auſſer hoͤchſter noth/ wo man keine andere wege hat/ dieſer
gefahr zu entgehen/ und ohne dieſelbe der mittel ſeines heils theilhafftig zu werden/
ſo dann die zeit etwa allzu lange fallen wolte/ ſolches zu wagen waͤre/ mit ziem-
lich verunruhigtem gemuͤth oder deſſen gefahr ſich zu ſolchen mitteln/ darinnen man
ruhe und troſt ſuchet/ zu machen. Wo aber ſonſten keine andere gelegenheit waͤ-
re/ und man entweder ſich des dienſtes und zuſpruchs eines ſolchen predigers/ ge-
gen dem alles vertrauen gefallen/ gebrauchen/ oder immer oder doch allzu lange
desjenigen/ wodurch unſer glaube geſtaͤrcket werden ſolte/ entrathen muͤſte/ da
muͤſte man endlich ſo zu reden die augen zuthun/ und bloß durch die perſon auf das
amt ſehen/ den HERRN ſo viel ernſtlicher um ſeine gnade anruffen/ damit er ſo
wol bey uns alle aufſteigende und uns etwa hinderende fleiſchliche affecten daͤmpf-
fen/ hingegen was in ſolchem ſtande von uns noͤthig iſt/ bey uns wircken/ als auch
des predigers hertz und mund alſo regieren wolle/ daß er uns zuſpreche/ was unſrer
ſeelen erſprießlich iſt/ und uns nicht auf eingerley weiſe an ſolchem ort aufs neue aͤr-
gere/ ihm ſelbſt aber auch ſeine ſuͤnde zu erkennen gebe und verzeihe/ ſodann mit
ſolcher verwahrung und vorſatz an den gebrauch deſſen gehe/ wozu uns der HErr
ſelbſten beruffen hat. Wie ich auch nicht zweiflen will/ daß in ſolchem nothfall der
HErr ſeine gnade einer nach derſelben durſtigen ſeele nicht verſagen/ und ihro die
an dem prediger befindliche fehler nicht zu ſchaden gereichen laſſen werde. Jndeſ-
ſen wegen der dabey befindlichen gefahr/ ſtuͤnde dennoch ein ſolches auſſer ſotha-
nem nothfall nicht eben leicht zu rathen/ der menſch fuͤnde ſich dann in ſeiner ſeelen
dermaſſen befeſtiget (wozu dennoch ein ſehr großes gehoͤrte) daß ihn nicht etwa
einige paſſionen in ſeiner andacht verſtoͤren koͤnten. 5. Mag auch dabey das dar-
unter verſirende aͤrgernuͤß der gemeinde/ um deren willen/ und aus liebe zu ihr/
wir auch etwas unſeres troſtes eine weil hindan zu ſetzen haben/ in bedacht gezogen
werden/ und hat man auch darinnen der ſchwachen bruͤder zu ſchonen: daher auch
die anderwertliche communion in gegenwaͤrtiger bewandnuͤß noch nicht zu rathen
waͤre. 6. Der vorſchlag wegen der beicht bey dem cappellan waͤre unter andern an-
noch der fuͤglichſte. Dann wo man nicht durch eine gewiſſe ordnung an den paſto-
rem
gebunden iſt/ ſondern ſeine freyheit hat/ gienge man am ſicherſten zu demje-
nigen/ bey welchem gleiches amt ſtehet/ und man ein gutes vertrauen zu ihm tra-
gen kan. Wie ich auch zwar nicht gern in der kirchen confuſion ſehe/ indeſſen
hertzlich wuͤnſchte/ nachdem die austheilung der beichtkinder bloß arbitrii humani
iſt/ daß man aller orten eine mehrere freyheit haͤtte und gebrauchte/ und jegliches
beichtkind/ nicht nur in dem fall eines an dem beichtvater genommenen aͤrger-
nuͤſſes (wo eher eines andern erkaͤntnuͤß uͤber daſſelbe erfordert wuͤrde) ſon-

dern
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[487/0499] ARTIC. IV. SECTIO XXIX. als ſehe ich nicht/ wie auſſer hoͤchſter noth/ wo man keine andere wege hat/ dieſer gefahr zu entgehen/ und ohne dieſelbe der mittel ſeines heils theilhafftig zu werden/ ſo dann die zeit etwa allzu lange fallen wolte/ ſolches zu wagen waͤre/ mit ziem- lich verunruhigtem gemuͤth oder deſſen gefahr ſich zu ſolchen mitteln/ darinnen man ruhe und troſt ſuchet/ zu machen. Wo aber ſonſten keine andere gelegenheit waͤ- re/ und man entweder ſich des dienſtes und zuſpruchs eines ſolchen predigers/ ge- gen dem alles vertrauen gefallen/ gebrauchen/ oder immer oder doch allzu lange desjenigen/ wodurch unſer glaube geſtaͤrcket werden ſolte/ entrathen muͤſte/ da muͤſte man endlich ſo zu reden die augen zuthun/ und bloß durch die perſon auf das amt ſehen/ den HERRN ſo viel ernſtlicher um ſeine gnade anruffen/ damit er ſo wol bey uns alle aufſteigende und uns etwa hinderende fleiſchliche affecten daͤmpf- fen/ hingegen was in ſolchem ſtande von uns noͤthig iſt/ bey uns wircken/ als auch des predigers hertz und mund alſo regieren wolle/ daß er uns zuſpreche/ was unſrer ſeelen erſprießlich iſt/ und uns nicht auf eingerley weiſe an ſolchem ort aufs neue aͤr- gere/ ihm ſelbſt aber auch ſeine ſuͤnde zu erkennen gebe und verzeihe/ ſodann mit ſolcher verwahrung und vorſatz an den gebrauch deſſen gehe/ wozu uns der HErr ſelbſten beruffen hat. Wie ich auch nicht zweiflen will/ daß in ſolchem nothfall der HErr ſeine gnade einer nach derſelben durſtigen ſeele nicht verſagen/ und ihro die an dem prediger befindliche fehler nicht zu ſchaden gereichen laſſen werde. Jndeſ- ſen wegen der dabey befindlichen gefahr/ ſtuͤnde dennoch ein ſolches auſſer ſotha- nem nothfall nicht eben leicht zu rathen/ der menſch fuͤnde ſich dann in ſeiner ſeelen dermaſſen befeſtiget (wozu dennoch ein ſehr großes gehoͤrte) daß ihn nicht etwa einige paſſionen in ſeiner andacht verſtoͤren koͤnten. 5. Mag auch dabey das dar- unter verſirende aͤrgernuͤß der gemeinde/ um deren willen/ und aus liebe zu ihr/ wir auch etwas unſeres troſtes eine weil hindan zu ſetzen haben/ in bedacht gezogen werden/ und hat man auch darinnen der ſchwachen bruͤder zu ſchonen: daher auch die anderwertliche communion in gegenwaͤrtiger bewandnuͤß noch nicht zu rathen waͤre. 6. Der vorſchlag wegen der beicht bey dem cappellan waͤre unter andern an- noch der fuͤglichſte. Dann wo man nicht durch eine gewiſſe ordnung an den paſto- rem gebunden iſt/ ſondern ſeine freyheit hat/ gienge man am ſicherſten zu demje- nigen/ bey welchem gleiches amt ſtehet/ und man ein gutes vertrauen zu ihm tra- gen kan. Wie ich auch zwar nicht gern in der kirchen confuſion ſehe/ indeſſen hertzlich wuͤnſchte/ nachdem die austheilung der beichtkinder bloß arbitrii humani iſt/ daß man aller orten eine mehrere freyheit haͤtte und gebrauchte/ und jegliches beichtkind/ nicht nur in dem fall eines an dem beichtvater genommenen aͤrger- nuͤſſes (wo eher eines andern erkaͤntnuͤß uͤber daſſelbe erfordert wuͤrde) ſon- dern

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/499>, abgerufen am 25.11.2024.