Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. III. SECT. XXIII. schen glaubens krafft der massen durch ihre seligkeit/ in dero sie sich befindet/ einge-nommen/ daß ihr nun nicht mehr unmüglich ist/ sich zu verleugnen; wie man zum exempel einen armen bauren nicht leichter sein stroh-hüttlein/ einen geitzigen sein klei- nes beutelein mit gold/ einen hungrigen sein käß und brod/ mit willen zu verlassen bringen würde/ als wo man jenem ein grosses herrliches hauß mit aller zugehör und bequemlichkeit/ dem andern einen grossen kasten mit geld/ diesem einen gantzen tisch voll allerhand ihm angenehmster speisen/ nicht nur zeigte/ sondern so bald zu eigen gä- be. Also wird unsre vornehmste sorge darinn stehen/ daß wir durch fleißigste lesung in H. Schrifft u. darinnen beobachtung vornemlich derjenigen materien/ welche uns un- ser heil in Christo JEsu vorstellen/ so dann etwa beyfügung derjenigen bücher/ die diese seligkeit der Christen beweglich uns anzeigen/ in krafft des H. Geistes in dem glauben kräfftig gegründet und befestigt werden/ daß wir von allen solchen gütern nicht nur die wort in dem mund führen/ noch einige müßige conceptus in den kopf fas- sen/ sondern sie in unsren seelen durch den glauben haben und besitzen/ daher etwa mit offtern gefühl von derselben lieblichkeit nach Gottes willen gestärckt werden mögen: wozu eine tägliche fleißigste erwegung solcher schätze wol die herrlichste übung ist. Stehen wir darinnen fest/ u. erkennen diese güter/ so ist der sache leicht gerathen. Da wird der süsse geschmack der himmlischen speise und trancks den unordentlichen ap- petit zur völlerey oder den leib geilmachen den zärtlichkeit in essen und trincken; die köstlichkeit der kleider des heils/ darmit wir uns angethan erkennen/ allen lust zu ei- niger äusserlichen schnöden und jene kleider befleckenden pracht oder puppenfreude; die lieblichkeit der göttlichen liebe und daher entstehenden freude/ alle unnütze welt freude und zeit-vertrieb; der unschätzbare reichthum Christi alle begierden nach die- sem erden kot oder geld/ die erkante weisheit und nutzbarkeit des väterlichen willens über uns alle anhängigkeit unsers eigenen willens; und in summa was wir in Gott und unserm JEsu gefunden haben/ alles hochhalten des übrigen tilgen und wegneh- men. Alsdenn so haben solche und andere bücher/ die diese und übrige unsre pflich- ten uns vorhalten/ ihren rechten nutzen/ wo erstlich die müglichkeit denselben auch zu folgen durch den glauben der güter in Christo/ und also das Evangelium zu wege ge- bracht worden ist: und bietet also gesetz und Evangelium in dem werck unsers heils einander die hand/ in dero rechten zusammen-gattung und ordnung aber bestehet wol die grösseste weisheit eines Christen/ vornemlich aber Theologi und predigers. Worinnen zwar E. Hochf. Durchl. von der treue ihres werthesten Hofpredigers gnugsame handleitung finden/ mir aber/ daß da ich an das schreiben gekommen/ allzu viel worte mag gemacht haben/ aus gdst. dero zuneigung zu gut halten wird. ART. f f f 3
ARTIC. III. SECT. XXIII. ſchen glaubens krafft der maſſen durch ihre ſeligkeit/ in dero ſie ſich befindet/ einge-nommen/ daß ihr nun nicht mehr unmuͤglich iſt/ ſich zu verleugnen; wie man zum exempel einen armen bauren nicht leichter ſein ſtroh-huͤttlein/ einen geitzigen ſein klei- nes beutelein mit gold/ einen hungrigen ſein kaͤß und brod/ mit willen zu verlaſſen bringen wuͤrde/ als wo man jenem ein groſſes herrliches hauß mit aller zugehoͤr und bequemlichkeit/ dem andern einen groſſen kaſten mit geld/ dieſem einen gantzen tiſch voll alleꝛhand ihm angenehmſteꝛ ſpeiſen/ nicht nur zeigte/ ſondern ſo bald zu eigen gaͤ- be. Alſo wiꝛd unſre vornehmſte ſorge darinn ſtehen/ daß wir durch fleißigſte leſung in H. Schrifft u. darinnen beobachtung vornemlich deꝛjenigen mateꝛien/ welche uns un- ſer heil in Chriſto JEſu vorſtellen/ ſo dann etwa beyfuͤgung derjenigen buͤcher/ die dieſe ſeligkeit der Chriſten beweglich uns anzeigen/ in krafft des H. Geiſtes in dem glauben kraͤfftig gegruͤndet und befeſtigt werden/ daß wir von allen ſolchen guͤtern nicht nuꝛ die wort in dem mund fuͤhꝛen/ noch einige muͤßige conceptus in den kopf faſ- ſen/ ſondern ſie in unſren ſeelen durch den glauben haben und beſitzen/ daher etwa mit offtern gefuͤhl von derſelben lieblichkeit nach Gottes willen geſtaͤrckt werden moͤgen: wozu eine taͤgliche fleißigſte erwegung ſolcher ſchaͤtze wol die herrlichſte uͤbung iſt. Stehen wir darinnen feſt/ u. erkennen dieſe guͤter/ ſo iſt der ſache leicht gerathen. Da wird der ſuͤſſe geſchmack der himmliſchen ſpeiſe und trancks den unordentlichen ap- petit zur voͤllerey oder den leib geilmachen den zaͤrtlichkeit in eſſen und trincken; die koͤſtlichkeit der kleider des heils/ darmit wir uns angethan erkennen/ allen luſt zu ei- niger aͤuſſerlichen ſchnoͤden und jene kleider befleckenden pracht oder puppenfreude; die lieblichkeit der goͤttlichen liebe und daher entſtehenden freude/ alle unnuͤtze welt freude und zeit-vertrieb; der unſchaͤtzbare reichthum Chriſti alle begierden nach die- ſem erden kot oder geld/ die erkante weisheit und nutzbarkeit des vaͤterlichen willens uͤber uns alle anhaͤngigkeit unſers eigenen willens; und in ſumma was wir in Gott und unſerm JEſu gefunden haben/ alles hochhalten des uͤbrigen tilgen und wegneh- men. Alsdenn ſo haben ſolche und andere buͤcher/ die dieſe und uͤbrige unſre pflich- ten uns vorhalten/ ihren rechten nutzen/ wo erſtlich die muͤglichkeit denſelben auch zu folgen durch den glauben der guͤter in Chriſto/ und alſo das Evangelium zu wege ge- bracht worden iſt: und bietet alſo geſetz und Evangelium in dem werck unſers heils einander die hand/ in dero rechten zuſammen-gattung und ordnung aber beſtehet wol die groͤſſeſte weisheit eines Chriſten/ vornemlich aber Theologi und predigers. Worinnen zwar E. Hochf. Durchl. von der treue ihres wertheſten Hofpredigers gnugſame handleitung finden/ mir aber/ daß da ich an das ſchreiben gekommen/ allzu viel worte mag gemacht haben/ aus gdſt. dero zuneigung zu gut halten wird. ART. f f f 3
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ARTIC. III. SECT. XXIII.
ſchen glaubens krafft der maſſen durch ihre ſeligkeit/ in dero ſie ſich befindet/ einge-
nommen/ daß ihr nun nicht mehr unmuͤglich iſt/ ſich zu verleugnen; wie man zum
exempel einen armen bauren nicht leichter ſein ſtroh-huͤttlein/ einen geitzigen ſein klei-
nes beutelein mit gold/ einen hungrigen ſein kaͤß und brod/ mit willen zu verlaſſen
bringen wuͤrde/ als wo man jenem ein groſſes herrliches hauß mit aller zugehoͤr und
bequemlichkeit/ dem andern einen groſſen kaſten mit geld/ dieſem einen gantzen tiſch
voll alleꝛhand ihm angenehmſteꝛ ſpeiſen/ nicht nur zeigte/ ſondern ſo bald zu eigen gaͤ-
be. Alſo wiꝛd unſre vornehmſte ſorge darinn ſtehen/ daß wir durch fleißigſte leſung in
H. Schrifft u. darinnen beobachtung vornemlich deꝛjenigen mateꝛien/ welche uns un-
ſer heil in Chriſto JEſu vorſtellen/ ſo dann etwa beyfuͤgung derjenigen buͤcher/ die
dieſe ſeligkeit der Chriſten beweglich uns anzeigen/ in krafft des H. Geiſtes in dem
glauben kraͤfftig gegruͤndet und befeſtigt werden/ daß wir von allen ſolchen guͤtern
nicht nuꝛ die wort in dem mund fuͤhꝛen/ noch einige muͤßige conceptus in den kopf faſ-
ſen/ ſondern ſie in unſren ſeelen durch den glauben haben und beſitzen/ daher etwa mit
offtern gefuͤhl von derſelben lieblichkeit nach Gottes willen geſtaͤrckt werden moͤgen:
wozu eine taͤgliche fleißigſte erwegung ſolcher ſchaͤtze wol die herrlichſte uͤbung iſt.
Stehen wir darinnen feſt/ u. erkennen dieſe guͤter/ ſo iſt der ſache leicht gerathen. Da
wird der ſuͤſſe geſchmack der himmliſchen ſpeiſe und trancks den unordentlichen ap-
petit zur voͤllerey oder den leib geilmachen den zaͤrtlichkeit in eſſen und trincken; die
koͤſtlichkeit der kleider des heils/ darmit wir uns angethan erkennen/ allen luſt zu ei-
niger aͤuſſerlichen ſchnoͤden und jene kleider befleckenden pracht oder puppenfreude;
die lieblichkeit der goͤttlichen liebe und daher entſtehenden freude/ alle unnuͤtze welt
freude und zeit-vertrieb; der unſchaͤtzbare reichthum Chriſti alle begierden nach die-
ſem erden kot oder geld/ die erkante weisheit und nutzbarkeit des vaͤterlichen willens
uͤber uns alle anhaͤngigkeit unſers eigenen willens; und in ſumma was wir in Gott
und unſerm JEſu gefunden haben/ alles hochhalten des uͤbrigen tilgen und wegneh-
men. Alsdenn ſo haben ſolche und andere buͤcher/ die dieſe und uͤbrige unſre pflich-
ten uns vorhalten/ ihren rechten nutzen/ wo erſtlich die muͤglichkeit denſelben auch zu
folgen durch den glauben der guͤter in Chriſto/ und alſo das Evangelium zu wege ge-
bracht worden iſt: und bietet alſo geſetz und Evangelium in dem werck unſers heils
einander die hand/ in dero rechten zuſammen-gattung und ordnung aber beſtehet
wol die groͤſſeſte weisheit eines Chriſten/ vornemlich aber Theologi und predigers.
Worinnen zwar E. Hochf. Durchl. von der treue ihres wertheſten Hofpredigers
gnugſame handleitung finden/ mir aber/ daß da ich an das ſchreiben gekommen/ allzu
viel worte mag gemacht haben/ aus gdſt. dero zuneigung zu gut halten wird.
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/425>, abgerufen am 16.02.2025. |