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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECT. XIX.
get die seele in der krafft GOttes in sich mit fleiß alle begierde u. gesuch eigener/ und
sonderlich eiteler/ ehre: Halt vielmehr ihren GOTT allein aller ehre würdig
und ehret auch denselben in denjenigen in welchen er auch geehret seyn will/ aber
daß immer durch solche hindurch die ehre wiederum auf GOtt tringe: ihro selbs
aber suchet sie keine ehre/ sondern lasset die ihr auch rechtmäßig zukommende ehre
viel lieber auf GOTT zurück fliessen. Jn dieser innerlichen beschaffenheit stehet
eigentlich das wahre Christenthum.
2. Wo nun diese bewandtnüß der seelen ist/ da mag nichts eusserliches sünde
seyn/ was nicht GOTT selbs verboten hat/ sondern der gebrauch aller mitteldin-
ge ist deroselben gut/ dann sie richtet denselben nach der regel göttlicher ehr und
des nechsten nutzens. Zu solchen mitteldingen gehöret nun so wol der gebrauch
dieser und jener kleider/ als auch was mit denselben fast übereinkomt/ einrichtung
der haar oder dergleichen in diese oder jene form: Dann alle solche dinge sind so
bewandt/ daß weder etwas gewisses uns darvon geboten noch verboten ist: ob zum
exempel die haar fliegend oder geflochten/ so oder anders accommodiret/ seyn sol-
len Also liget an und vor sich selbs GOttes ehr allerdings/ nicht an einem oder ande-
rem. Weil aber nebens GOtt und aus dessen befehl auch auf den nechsten gese-
hen werden muß/ demselben kein anstoß und ärgernüß zu setzen/ so muß in allen sol-
chen eusserlichen dingen diese eine von den vornehmsten considerationen seyn/ wie
jegliches an und von uns von dem nechsten möchte aufgenommen werden/ und
demselben entweder erbaulich oder ärgerlich seyn. Da dann nachdem man das
eine oder andere findet/ eine sache dadurch erlaubt oder verboten wird/ die sonsten
an sich selbs zu den mitteldingen gehöret hätte. Es kan aber in solcher sache nicht
wol einiges anders gedacht werden/ darinnen ein ärgernüß möchte gesucht wer-
den/ als wo man andern von sich eine meinung des hochmuths und eitelkeit machet/
oder solche mit seinem exempel darzu verleitet.
3. Wo wir nun zu der absonderlichen frage näher kommen/ so praesuppo-
ni
re ich erstlich eine solche seele/ die nach hertzlicher und fleißiger untersuchung ihrer
selbs/ ihr gleichwol bewust ist/ daß sie weder sonsten die eitelkeit liebe/ noch auch
in solcher art des tragens ihrer haar einen hochmuth des hertzens bey sich finde/
vielmehr in allem bereit wäre/ wo sie sehen und wissen solte/ daß dieses und je-
nes/ und also diese oder andere mode/ göttlicher ehre und des nechsten liebe entge-
gen solte seyn/ solche abzulegen/ und sich gantz zu enteusseren. Jch praesupponi-
re nechst diesem/ daß solche tracht der haar bey anderen Fürstlichen perso-
nen insgemein gebräuchlich/ und nichts sonderbares/ gesuchtes oder eigenwilli-
ges seye/ daher wie sonsten gewisse nationes, eine die manier der haar (also auch
in kleidern) auf diese die andere auf eine andere weise beliebet/ und keiner na-
tion
das allgemeine beliebte zur sünde gerechnet wird/ also auch jene form in die-
sem stande durch und durch hergebracht auf gleiche weise angesehen werden muß.
Vor-
ARTIC. III. SECT. XIX.
get die ſeele in der krafft GOttes in ſich mit fleiß alle begierde u. geſuch eigener/ und
ſonderlich eiteler/ ehre: Halt vielmehr ihren GOTT allein aller ehre wuͤrdig
und ehret auch denſelben in denjenigen in welchen er auch geehret ſeyn will/ aber
daß immer durch ſolche hindurch die ehre wiederum auf GOtt tringe: ihro ſelbs
aber ſuchet ſie keine ehre/ ſondern laſſet die ihr auch rechtmaͤßig zukommende ehre
viel lieber auf GOTT zuruͤck flieſſen. Jn dieſer innerlichen beſchaffenheit ſtehet
eigentlich das wahre Chriſtenthum.
2. Wo nun dieſe bewandtnuͤß der ſeelen iſt/ da mag nichts euſſerliches ſuͤnde
ſeyn/ was nicht GOTT ſelbs verboten hat/ ſondern der gebrauch aller mitteldin-
ge iſt deroſelben gut/ dann ſie richtet denſelben nach der regel goͤttlicher ehr und
des nechſten nutzens. Zu ſolchen mitteldingen gehoͤret nun ſo wol der gebrauch
dieſer und jener kleider/ als auch was mit denſelben faſt uͤbereinkomt/ einrichtung
der haar oder dergleichen in dieſe oder jene form: Dann alle ſolche dinge ſind ſo
bewandt/ daß weder etwas gewiſſes uns darvon geboten noch verboten iſt: ob zum
exempel die haar fliegend oder geflochten/ ſo oder anders accommodiret/ ſeyn ſol-
len Alſo liget an und vor ſich ſelbs GOttes ehr allerdings/ nicht an einem oder ande-
rem. Weil aber nebens GOtt und aus deſſen befehl auch auf den nechſten geſe-
hen werden muß/ demſelben kein anſtoß und aͤrgernuͤß zu ſetzen/ ſo muß in allen ſol-
chen euſſerlichen dingen dieſe eine von den vornehmſten conſiderationen ſeyn/ wie
jegliches an und von uns von dem nechſten moͤchte aufgenommen werden/ und
demſelben entweder erbaulich oder aͤrgerlich ſeyn. Da dann nachdem man das
eine oder andere findet/ eine ſache dadurch erlaubt oder verboten wird/ die ſonſten
an ſich ſelbs zu den mitteldingen gehoͤret haͤtte. Es kan aber in ſolcher ſache nicht
wol einiges anders gedacht werden/ darinnen ein aͤrgernuͤß moͤchte geſucht wer-
den/ als wo man andern von ſich eine meinung des hochmuths und eitelkeit machet/
oder ſolche mit ſeinem exempel darzu verleitet.
3. Wo wir nun zu der abſonderlichen frage naͤher kommen/ ſo præſuppo-
ni
re ich erſtlich eine ſolche ſeele/ die nach hertzlicher und fleißiger unterſuchung ihrer
ſelbs/ ihr gleichwol bewuſt iſt/ daß ſie weder ſonſten die eitelkeit liebe/ noch auch
in ſolcher art des tragens ihrer haar einen hochmuth des hertzens bey ſich finde/
vielmehr in allem bereit waͤre/ wo ſie ſehen und wiſſen ſolte/ daß dieſes und je-
nes/ und alſo dieſe oder andere mode/ goͤttlicher ehre und des nechſten liebe entge-
gen ſolte ſeyn/ ſolche abzulegen/ und ſich gantz zu enteuſſeren. Jch præſupponi-
re nechſt dieſem/ daß ſolche tracht der haar bey anderen Fuͤrſtlichen perſo-
nen insgemein gebraͤuchlich/ und nichts ſonderbares/ geſuchtes oder eigenwilli-
ges ſeye/ daher wie ſonſten gewiſſe nationes, eine die manier der haar (alſo auch
in kleidern) auf dieſe die andere auf eine andere weiſe beliebet/ und keiner na-
tion
das allgemeine beliebte zur ſuͤnde gerechnet wird/ alſo auch jene form in die-
ſem ſtande durch und durch hergebracht auf gleiche weiſe angeſehen werden muß.
Vor-
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[399/0411] ARTIC. III. SECT. XIX. get die ſeele in der krafft GOttes in ſich mit fleiß alle begierde u. geſuch eigener/ und ſonderlich eiteler/ ehre: Halt vielmehr ihren GOTT allein aller ehre wuͤrdig und ehret auch denſelben in denjenigen in welchen er auch geehret ſeyn will/ aber daß immer durch ſolche hindurch die ehre wiederum auf GOtt tringe: ihro ſelbs aber ſuchet ſie keine ehre/ ſondern laſſet die ihr auch rechtmaͤßig zukommende ehre viel lieber auf GOTT zuruͤck flieſſen. Jn dieſer innerlichen beſchaffenheit ſtehet eigentlich das wahre Chriſtenthum. 2. Wo nun dieſe bewandtnuͤß der ſeelen iſt/ da mag nichts euſſerliches ſuͤnde ſeyn/ was nicht GOTT ſelbs verboten hat/ ſondern der gebrauch aller mitteldin- ge iſt deroſelben gut/ dann ſie richtet denſelben nach der regel goͤttlicher ehr und des nechſten nutzens. Zu ſolchen mitteldingen gehoͤret nun ſo wol der gebrauch dieſer und jener kleider/ als auch was mit denſelben faſt uͤbereinkomt/ einrichtung der haar oder dergleichen in dieſe oder jene form: Dann alle ſolche dinge ſind ſo bewandt/ daß weder etwas gewiſſes uns darvon geboten noch verboten iſt: ob zum exempel die haar fliegend oder geflochten/ ſo oder anders accommodiret/ ſeyn ſol- len Alſo liget an und vor ſich ſelbs GOttes ehr allerdings/ nicht an einem oder ande- rem. Weil aber nebens GOtt und aus deſſen befehl auch auf den nechſten geſe- hen werden muß/ demſelben kein anſtoß und aͤrgernuͤß zu ſetzen/ ſo muß in allen ſol- chen euſſerlichen dingen dieſe eine von den vornehmſten conſiderationen ſeyn/ wie jegliches an und von uns von dem nechſten moͤchte aufgenommen werden/ und demſelben entweder erbaulich oder aͤrgerlich ſeyn. Da dann nachdem man das eine oder andere findet/ eine ſache dadurch erlaubt oder verboten wird/ die ſonſten an ſich ſelbs zu den mitteldingen gehoͤret haͤtte. Es kan aber in ſolcher ſache nicht wol einiges anders gedacht werden/ darinnen ein aͤrgernuͤß moͤchte geſucht wer- den/ als wo man andern von ſich eine meinung des hochmuths und eitelkeit machet/ oder ſolche mit ſeinem exempel darzu verleitet. 3. Wo wir nun zu der abſonderlichen frage naͤher kommen/ ſo præſuppo- nire ich erſtlich eine ſolche ſeele/ die nach hertzlicher und fleißiger unterſuchung ihrer ſelbs/ ihr gleichwol bewuſt iſt/ daß ſie weder ſonſten die eitelkeit liebe/ noch auch in ſolcher art des tragens ihrer haar einen hochmuth des hertzens bey ſich finde/ vielmehr in allem bereit waͤre/ wo ſie ſehen und wiſſen ſolte/ daß dieſes und je- nes/ und alſo dieſe oder andere mode/ goͤttlicher ehre und des nechſten liebe entge- gen ſolte ſeyn/ ſolche abzulegen/ und ſich gantz zu enteuſſeren. Jch præſupponi- re nechſt dieſem/ daß ſolche tracht der haar bey anderen Fuͤrſtlichen perſo- nen insgemein gebraͤuchlich/ und nichts ſonderbares/ geſuchtes oder eigenwilli- ges ſeye/ daher wie ſonſten gewiſſe nationes, eine die manier der haar (alſo auch in kleidern) auf dieſe die andere auf eine andere weiſe beliebet/ und keiner na- tion das allgemeine beliebte zur ſuͤnde gerechnet wird/ alſo auch jene form in die- ſem ſtande durch und durch hergebracht auf gleiche weiſe angeſehen werden muß. Vor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/411>, abgerufen am 25.11.2024.