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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECT. XVII.
zu befehlen geruhen/ erkenne derselben meine einfältige meinung wie in allen andern/
also auch hierin/ zu bekennen schuldig. Es bestehet aber solche hierin: daß was
die erste frage betrifft mit Herr D. Müllern gantz übereinstimme/ und Christlicher
liebe schuldigkeit achte/ vor des neben-menschen ewiges heil zu erhalten sein zeit-
liches leben dahin zu geben. Jch verstehe aber solches davon/ wofern durch meines
zeitlichen lebens verlust des neben-menschen seligkeit gewiß erhalten und seine ver-
damnüß verhütet werde; was aber die andere frage anlangt/ hätte ich einstheils
zwar gewünschet/ solche nicht auf die bahn gekommen zu seyn/ denn solcher fall mit al-
len den umständen und in solcher eil geschehender prüffung seines eigenen gewissens/
wie solche dabey erfordert wird/ schwerlich sich begeben wird/ andern theils
wofern er sich begäbe/ würde ich meines orts davor halten/ daß man gegen solchen
unrechtmäßiger weise angreiffenden sein leben vielmehr zu beschützen/ als seiner zu
schonen habe. Und halte ich nicht davor/ daß dieser frage beantwortung gantz aus
der andern fliesse. Dann ob schon vor diesesmal solcher truncken-bold damit der e-
wigen verdamnüs entgehet/ daß er nicht diese stunde darin untergehen muß/ so ist
damit gleich wol seine seligkeit nicht gewiß/ ja nicht einmal noch vermuthlich/ daß er
sich ernstlich bekehren werde/ und endlich selig werden/ daher kommt ietzo nicht so
wol in vergleichung mein zeitliches leben und des andern ewiges leben/ da freylich
dieses jenem weit vor zuziehen/ und also um erhaltung dieses/ jenes dahin zu geben
wäre/ sondern es kommen in vergleichung mein zeitliches leben/ und auf der andern
seiten eine längere frist und raum/ die dem trunckenbold zur buße gegönnet wird/ daß
er noch in dem stand bleibet/ wo es müglich ist/ daß er bekehret werde; wo nun die-
se vergleichung gemacht wird/ finde ich diese frist zur busse/ welche doch noch sehr un-
gewiß ist/ und dergleichen trunckenbolde viel in ihrer unbußfertigkeit dahin gehen/
also bewandt/ daß mein leben/ und dasjenige gute/ was etwa GOTT noch durch
mich zu seinen ehren und meines neben-menschen besten möchte ins künfftige wircken
wollen lassen/ derselben wol gleich/ oder höher zu achten seye/ und ich deswegen/ das
mir theur anvertraute pfand des leiblichen lebens/ so ich so lang es müglich/ um zu
seinen ehren anzuwenden/ zu erhalten vor GOTT verbunden bin/ nicht nachsetzen
und gewiß verliehren darf/ um der/ noch in so grossen zweiffel stehenden/ hoffnung
der seligkeit dieses um solche zeit gantz ausser GOttes gnade befindlichen truncken-
bolds willen. Solte aber jemand aus dieser meinung/ es erforderte solches die
Christliche liebe von ihm/ sich auf diese weise lieber umbringen lassen/ halte ich solches
zwar vor eine sünde/ aber dennoch so bewandt/ daß er nicht deswegen der seligkeit
verlustigt wäre/ wie es mit andern sünden der unwissenheit sich auch verhält. Wie
aber sonsten in allen fällen die umstände ein grosses auf sich haben/ so mögen freylich
auch einige umstände etwa gesucht werden können/ in welchen anders von der frage
zu urtheilen wäre/ als auf diese weise insgemein. Dieses ist meine einfältige mei-
nung über gegenwärtige frage/ die ich/ es wäre dann sach/ daß ich vor Herr D.

Mül-
IV. Theil. d d d

ARTIC. III. SECT. XVII.
zu befehlen geruhen/ erkenne derſelben meine einfaͤltige meinung wie in allen andern/
alſo auch hierin/ zu bekennen ſchuldig. Es beſtehet aber ſolche hierin: daß was
die erſte frage betrifft mit Herr D. Muͤllern gantz uͤbereinſtimme/ und Chriſtlicher
liebe ſchuldigkeit achte/ vor des neben-menſchen ewiges heil zu erhalten ſein zeit-
liches leben dahin zu geben. Jch verſtehe aber ſolches davon/ wofern durch meines
zeitlichen lebens verluſt des neben-menſchen ſeligkeit gewiß erhalten und ſeine ver-
damnuͤß verhuͤtet werde; was aber die andere frage anlangt/ haͤtte ich einstheils
zwaꝛ gewuͤnſchet/ ſolche nicht auf die bahn gekommen zu ſeyn/ denn ſolcheꝛ fall mit al-
len den umſtaͤnden und in ſolcher eil geſchehender pruͤffung ſeines eigenen gewiſſens/
wie ſolche dabey erfordert wird/ ſchwerlich ſich begeben wird/ andern theils
wofern er ſich begaͤbe/ wuͤrde ich meines orts davor halten/ daß man gegen ſolchen
unrechtmaͤßiger weiſe angreiffenden ſein leben vielmehr zu beſchuͤtzen/ als ſeiner zu
ſchonen habe. Und halte ich nicht davor/ daß dieſer frage beantwortung gantz aus
der andern flieſſe. Dann ob ſchon vor dieſesmal ſolcher truncken-bold damit der e-
wigen verdamnuͤs entgehet/ daß er nicht dieſe ſtunde darin untergehen muß/ ſo iſt
damit gleich wol ſeine ſeligkeit nicht gewiß/ ja nicht einmal noch vermuthlich/ daß er
ſich ernſtlich bekehren werde/ und endlich ſelig werden/ daher kommt ietzo nicht ſo
wol in vergleichung mein zeitliches leben und des andern ewiges leben/ da freylich
dieſes jenem weit vor zuziehen/ und alſo um erhaltung dieſes/ jenes dahin zu geben
waͤre/ ſondern es kommen in vergleichung mein zeitliches leben/ und auf der andern
ſeiten eine laͤngere friſt und raum/ die dem tꝛunckenbold zur buße gegoͤnnet wird/ daß
er noch in dem ſtand bleibet/ wo es muͤglich iſt/ daß er bekehret werde; wo nun die-
ſe vergleichung gemacht wird/ finde ich dieſe friſt zur buſſe/ welche doch noch ſehr un-
gewiß iſt/ und dergleichen trunckenbolde viel in ihrer unbußfertigkeit dahin gehen/
alſo bewandt/ daß mein leben/ und dasjenige gute/ was etwa GOTT noch durch
mich zu ſeinen ehren und meines neben-menſchen beſten moͤchte ins kuͤnfftige wircken
wollen laſſen/ derſelben wol gleich/ oder hoͤher zu achten ſeye/ und ich deswegen/ das
mir theur anvertraute pfand des leiblichen lebens/ ſo ich ſo lang es muͤglich/ um zu
ſeinen ehren anzuwenden/ zu erhalten vor GOTT verbunden bin/ nicht nachſetzen
und gewiß verliehren darf/ um der/ noch in ſo groſſen zweiffel ſtehenden/ hoffnung
der ſeligkeit dieſes um ſolche zeit gantz auſſer GOttes gnade befindlichen truncken-
bolds willen. Solte aber jemand aus dieſer meinung/ es erforderte ſolches die
Chriſtliche liebe von ihm/ ſich auf dieſe weiſe lieber umbringen laſſen/ halte ich ſolches
zwar vor eine ſuͤnde/ aber dennoch ſo bewandt/ daß er nicht deswegen der ſeligkeit
verluſtigt waͤre/ wie es mit andern ſuͤnden der unwiſſenheit ſich auch verhaͤlt. Wie
aber ſonſten in allen faͤllen die umſtaͤnde ein groſſes auf ſich haben/ ſo moͤgen freylich
auch einige umſtaͤnde etwa geſucht werden koͤnnen/ in welchen anders von der frage
zu urtheilen waͤre/ als auf dieſe weiſe insgemein. Dieſes iſt meine einfaͤltige mei-
nung uͤber gegenwaͤrtige frage/ die ich/ es waͤre dann ſach/ daß ich vor Herr D.

Muͤl-
IV. Theil. d d d
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[393/0405] ARTIC. III. SECT. XVII. zu befehlen geruhen/ erkenne derſelben meine einfaͤltige meinung wie in allen andern/ alſo auch hierin/ zu bekennen ſchuldig. Es beſtehet aber ſolche hierin: daß was die erſte frage betrifft mit Herr D. Muͤllern gantz uͤbereinſtimme/ und Chriſtlicher liebe ſchuldigkeit achte/ vor des neben-menſchen ewiges heil zu erhalten ſein zeit- liches leben dahin zu geben. Jch verſtehe aber ſolches davon/ wofern durch meines zeitlichen lebens verluſt des neben-menſchen ſeligkeit gewiß erhalten und ſeine ver- damnuͤß verhuͤtet werde; was aber die andere frage anlangt/ haͤtte ich einstheils zwaꝛ gewuͤnſchet/ ſolche nicht auf die bahn gekommen zu ſeyn/ denn ſolcheꝛ fall mit al- len den umſtaͤnden und in ſolcher eil geſchehender pruͤffung ſeines eigenen gewiſſens/ wie ſolche dabey erfordert wird/ ſchwerlich ſich begeben wird/ andern theils wofern er ſich begaͤbe/ wuͤrde ich meines orts davor halten/ daß man gegen ſolchen unrechtmaͤßiger weiſe angreiffenden ſein leben vielmehr zu beſchuͤtzen/ als ſeiner zu ſchonen habe. Und halte ich nicht davor/ daß dieſer frage beantwortung gantz aus der andern flieſſe. Dann ob ſchon vor dieſesmal ſolcher truncken-bold damit der e- wigen verdamnuͤs entgehet/ daß er nicht dieſe ſtunde darin untergehen muß/ ſo iſt damit gleich wol ſeine ſeligkeit nicht gewiß/ ja nicht einmal noch vermuthlich/ daß er ſich ernſtlich bekehren werde/ und endlich ſelig werden/ daher kommt ietzo nicht ſo wol in vergleichung mein zeitliches leben und des andern ewiges leben/ da freylich dieſes jenem weit vor zuziehen/ und alſo um erhaltung dieſes/ jenes dahin zu geben waͤre/ ſondern es kommen in vergleichung mein zeitliches leben/ und auf der andern ſeiten eine laͤngere friſt und raum/ die dem tꝛunckenbold zur buße gegoͤnnet wird/ daß er noch in dem ſtand bleibet/ wo es muͤglich iſt/ daß er bekehret werde; wo nun die- ſe vergleichung gemacht wird/ finde ich dieſe friſt zur buſſe/ welche doch noch ſehr un- gewiß iſt/ und dergleichen trunckenbolde viel in ihrer unbußfertigkeit dahin gehen/ alſo bewandt/ daß mein leben/ und dasjenige gute/ was etwa GOTT noch durch mich zu ſeinen ehren und meines neben-menſchen beſten moͤchte ins kuͤnfftige wircken wollen laſſen/ derſelben wol gleich/ oder hoͤher zu achten ſeye/ und ich deswegen/ das mir theur anvertraute pfand des leiblichen lebens/ ſo ich ſo lang es muͤglich/ um zu ſeinen ehren anzuwenden/ zu erhalten vor GOTT verbunden bin/ nicht nachſetzen und gewiß verliehren darf/ um der/ noch in ſo groſſen zweiffel ſtehenden/ hoffnung der ſeligkeit dieſes um ſolche zeit gantz auſſer GOttes gnade befindlichen truncken- bolds willen. Solte aber jemand aus dieſer meinung/ es erforderte ſolches die Chriſtliche liebe von ihm/ ſich auf dieſe weiſe lieber umbringen laſſen/ halte ich ſolches zwar vor eine ſuͤnde/ aber dennoch ſo bewandt/ daß er nicht deswegen der ſeligkeit verluſtigt waͤre/ wie es mit andern ſuͤnden der unwiſſenheit ſich auch verhaͤlt. Wie aber ſonſten in allen faͤllen die umſtaͤnde ein groſſes auf ſich haben/ ſo moͤgen freylich auch einige umſtaͤnde etwa geſucht werden koͤnnen/ in welchen anders von der frage zu urtheilen waͤre/ als auf dieſe weiſe insgemein. Dieſes iſt meine einfaͤltige mei- nung uͤber gegenwaͤrtige frage/ die ich/ es waͤre dann ſach/ daß ich vor Herr D. Muͤl- IV. Theil. d d d

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/405>, abgerufen am 25.11.2024.