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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. III. SECTIO I.
det. 3. Nach diesem wird gemeiniglich ein nachlassen folgen/ öffters auch
des vorigen eyffers/ fast allezeit aber der ersten empfindlichkeit und süßig-
keit. Jch rede hie nicht eigenlich und vornemlich von dem abfall derjeni-
gen/ welche gar wiederum zurück fallen/ und da sie entflohen waren
dem unflat der welt durch die erkäntnüß des HErrn und Heylandes
JESU CHRJSTJ/ wieder in dieselbe sich flechten und über-
winden lassen/
derer zustand 2 Petr. 2/ 20. als sehr gefährlich und schreck-
lich vorgestellet wird: Sondern ich rede auch von denjenigen/ welche gleich-
wol in der gnade bestehen bleiben/ aber an statt des fortgangs/ aus wenig-
ste der empfindung nach/ vielmehr einen rückgang bey sich finden. Es komt
4. die ursach dessen zum theil von dem teufel/ welcher so bald er eine solche
kräfftige änderung in der seele gewahr wird/ desto hefftiger an sie setzet/ und
sie wiederum in seine gewalt zu bringen suchet. Er weiß aber wol/ daß er
solches mit blosser gewalt nicht thun kan/ daher versuchet er seine list/ und
der bey allen menschen genau acht gibet/ wie er denselben beykommen/ und
sie in seine stricke bringen/ oder darin behalten möge/ wendet noch mehr fleiß
an/ einer solchen seele gleichsam auf dem fuß nachzugehen/ dero zuneigungen
zu bemercken/ und gelegenheit zu finden/ damit er sie erstlich zu einer laulich-
keit bringen möge/ aus dero er sie nachmal weiter treiben möchte/ massen
es ihm auch bey einigen so glücklich geräth/ daß er sie endlich wiederum gar
in seine klauen bekomt/ und fester als erstmal hält. Er versucht es aber ja
nicht auf eine grobe art/ daß er sie stracks zu offenbaren sünden reitze/ als
der wol weiß/ daß er in solcher gestalt bald abgewiesen würde/ sondern er
hat genug/ wo er eine unachtsamkeit zu wege bringt/ daß die seele anfängt
verdrossen zu werden/ stäts auf sich acht zu geben/ und meinet also in der gna-
de gegründet zu seyn/ daß sie dessen nicht mehr so hoch bedörffe: Hingegen
wo er solches erhält/ sonderlich aber/ wo er noch dazu einige geistliche hof-
fart erwecken kan/ hat er ein grosses gewonnen/ und ist leicht müglich/ daß
er sie allerdings in seine macht wiederum bekomme: aufs wenigste bringt er
damit zu wege/ daß die seele warhafftig zurück komt/ da sie billich fortschrei-
ten solte/ ja gar auch zu dem vorigen grad nicht ohne schwerigkeit wiederum
gelanget. 5. Hat auch der mensch insgemein seine schuld dabey. Wir ha-
ben gehöret/ daß GOtt durch die ertheilung jener ersten empfindlichsten
gnade suchet/ daß die seel sich so vielmehr reinigen lassen/ und zu seinem dienst
heiligen solle/ wozu also ein grosser ernst/ und zwar nicht nur in einmaliger
hefftigkeit zu dem ersten durchbruch/ sondern in einem beständigen anhalten/
und also auch stäter wahrnehmung seiner selbs/ erfordert wird: Hingegen
ist der menschlichen verderbnüß art/ daß man leicht etwas müde wird/ son-
derlich in denjenigen dingen/ wo das gemüth in einer stäten gewahrsame

blei-
t t 2

ARTIC. III. SECTIO I.
det. 3. Nach dieſem wird gemeiniglich ein nachlaſſen folgen/ oͤffters auch
des vorigen eyffers/ faſt allezeit aber der erſten empfindlichkeit und ſuͤßig-
keit. Jch rede hie nicht eigenlich und vornemlich von dem abfall derjeni-
gen/ welche gar wiederum zuruͤck fallen/ und da ſie entflohen waren
dem unflat der welt durch die erkaͤntnuͤß des HErrn und Heylandes
JESU CHRJSTJ/ wieder in dieſelbe ſich flechten und uͤber-
winden laſſen/
derer zuſtand 2 Petr. 2/ 20. als ſehr gefaͤhrlich und ſchreck-
lich vorgeſtellet wird: Sondern ich rede auch von denjenigen/ welche gleich-
wol in der gnade beſtehen bleiben/ aber an ſtatt des fortgangs/ aus wenig-
ſte der empfindung nach/ vielmehr einen ruͤckgang bey ſich finden. Es komt
4. die urſach deſſen zum theil von dem teufel/ welcher ſo bald er eine ſolche
kraͤfftige aͤnderung in der ſeele gewahr wird/ deſto hefftiger an ſie ſetzet/ und
ſie wiederum in ſeine gewalt zu bringen ſuchet. Er weiß aber wol/ daß er
ſolches mit bloſſer gewalt nicht thun kan/ daher verſuchet er ſeine liſt/ und
der bey allen menſchen genau acht gibet/ wie er denſelben beykommen/ und
ſie in ſeine ſtricke bringen/ oder darin behalten moͤge/ wendet noch mehr fleiß
an/ einer ſolchen ſeele gleichſam auf dem fuß nachzugehen/ dero zuneigungen
zu bemercken/ und gelegenheit zu finden/ damit er ſie erſtlich zu einer laulich-
keit bringen moͤge/ aus dero er ſie nachmal weiter treiben moͤchte/ maſſen
es ihm auch bey einigen ſo gluͤcklich geraͤth/ daß er ſie endlich wiederum gar
in ſeine klauen bekomt/ und feſter als erſtmal haͤlt. Er verſucht es aber ja
nicht auf eine grobe art/ daß er ſie ſtracks zu offenbaren ſuͤnden reitze/ als
der wol weiß/ daß er in ſolcher geſtalt bald abgewieſen wuͤrde/ ſondern er
hat genug/ wo er eine unachtſamkeit zu wege bringt/ daß die ſeele anfaͤngt
verdroſſen zu werden/ ſtaͤts auf ſich acht zu geben/ und meinet alſo in der gna-
de gegruͤndet zu ſeyn/ daß ſie deſſen nicht mehr ſo hoch bedoͤrffe: Hingegen
wo er ſolches erhaͤlt/ ſonderlich aber/ wo er noch dazu einige geiſtliche hof-
fart erwecken kan/ hat er ein groſſes gewonnen/ und iſt leicht muͤglich/ daß
er ſie allerdings in ſeine macht wiederum bekomme: aufs wenigſte bringt er
damit zu wege/ daß die ſeele warhafftig zuruͤck komt/ da ſie billich fortſchrei-
ten ſolte/ ja gar auch zu dem vorigen grad nicht ohne ſchwerigkeit wiederum
gelanget. 5. Hat auch der menſch insgemein ſeine ſchuld dabey. Wir ha-
ben gehoͤret/ daß GOtt durch die ertheilung jener erſten empfindlichſten
gnade ſuchet/ daß die ſeel ſich ſo vielmehr reinigen laſſen/ und zu ſeinem dienſt
heiligen ſolle/ wozu alſo ein groſſer ernſt/ und zwar nicht nur in einmaliger
hefftigkeit zu dem erſten durchbruch/ ſondern in einem beſtaͤndigen anhalten/
und alſo auch ſtaͤter wahrnehmung ſeiner ſelbs/ erfordert wird: Hingegen
iſt der menſchlichen verderbnuͤß art/ daß man leicht etwas muͤde wird/ ſon-
derlich in denjenigen dingen/ wo das gemuͤth in einer ſtaͤten gewahrſame

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[331/0343] ARTIC. III. SECTIO I. det. 3. Nach dieſem wird gemeiniglich ein nachlaſſen folgen/ oͤffters auch des vorigen eyffers/ faſt allezeit aber der erſten empfindlichkeit und ſuͤßig- keit. Jch rede hie nicht eigenlich und vornemlich von dem abfall derjeni- gen/ welche gar wiederum zuruͤck fallen/ und da ſie entflohen waren dem unflat der welt durch die erkaͤntnuͤß des HErrn und Heylandes JESU CHRJSTJ/ wieder in dieſelbe ſich flechten und uͤber- winden laſſen/ derer zuſtand 2 Petr. 2/ 20. als ſehr gefaͤhrlich und ſchreck- lich vorgeſtellet wird: Sondern ich rede auch von denjenigen/ welche gleich- wol in der gnade beſtehen bleiben/ aber an ſtatt des fortgangs/ aus wenig- ſte der empfindung nach/ vielmehr einen ruͤckgang bey ſich finden. Es komt 4. die urſach deſſen zum theil von dem teufel/ welcher ſo bald er eine ſolche kraͤfftige aͤnderung in der ſeele gewahr wird/ deſto hefftiger an ſie ſetzet/ und ſie wiederum in ſeine gewalt zu bringen ſuchet. Er weiß aber wol/ daß er ſolches mit bloſſer gewalt nicht thun kan/ daher verſuchet er ſeine liſt/ und der bey allen menſchen genau acht gibet/ wie er denſelben beykommen/ und ſie in ſeine ſtricke bringen/ oder darin behalten moͤge/ wendet noch mehr fleiß an/ einer ſolchen ſeele gleichſam auf dem fuß nachzugehen/ dero zuneigungen zu bemercken/ und gelegenheit zu finden/ damit er ſie erſtlich zu einer laulich- keit bringen moͤge/ aus dero er ſie nachmal weiter treiben moͤchte/ maſſen es ihm auch bey einigen ſo gluͤcklich geraͤth/ daß er ſie endlich wiederum gar in ſeine klauen bekomt/ und feſter als erſtmal haͤlt. Er verſucht es aber ja nicht auf eine grobe art/ daß er ſie ſtracks zu offenbaren ſuͤnden reitze/ als der wol weiß/ daß er in ſolcher geſtalt bald abgewieſen wuͤrde/ ſondern er hat genug/ wo er eine unachtſamkeit zu wege bringt/ daß die ſeele anfaͤngt verdroſſen zu werden/ ſtaͤts auf ſich acht zu geben/ und meinet alſo in der gna- de gegruͤndet zu ſeyn/ daß ſie deſſen nicht mehr ſo hoch bedoͤrffe: Hingegen wo er ſolches erhaͤlt/ ſonderlich aber/ wo er noch dazu einige geiſtliche hof- fart erwecken kan/ hat er ein groſſes gewonnen/ und iſt leicht muͤglich/ daß er ſie allerdings in ſeine macht wiederum bekomme: aufs wenigſte bringt er damit zu wege/ daß die ſeele warhafftig zuruͤck komt/ da ſie billich fortſchrei- ten ſolte/ ja gar auch zu dem vorigen grad nicht ohne ſchwerigkeit wiederum gelanget. 5. Hat auch der menſch insgemein ſeine ſchuld dabey. Wir ha- ben gehoͤret/ daß GOtt durch die ertheilung jener erſten empfindlichſten gnade ſuchet/ daß die ſeel ſich ſo vielmehr reinigen laſſen/ und zu ſeinem dienſt heiligen ſolle/ wozu alſo ein groſſer ernſt/ und zwar nicht nur in einmaliger hefftigkeit zu dem erſten durchbruch/ ſondern in einem beſtaͤndigen anhalten/ und alſo auch ſtaͤter wahrnehmung ſeiner ſelbs/ erfordert wird: Hingegen iſt der menſchlichen verderbnuͤß art/ daß man leicht etwas muͤde wird/ ſon- derlich in denjenigen dingen/ wo das gemuͤth in einer ſtaͤten gewahrſame blei- t t 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/343>, abgerufen am 09.11.2024.