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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
die begierde vor andern etwas sonders zu seyn/ erdacht werden mag. So
vielmehr weil in dem fall/ daß einige andere erhebliche ursach solches zu thun
gewesen (die des orts selbs würde kündlich geweßt seyn) solches zu einem
solchen ärgernüß/ davon gemeldet wird/ nicht ausgeschlagen wäre/ vielmehr
weil andere dadurch veranlaßt worden/ sich vernehmen zu lassen/ daß dann
ihnen/ als höhern/ dergleichen zu thun nicht würde können verdacht werden/
ist abzunehmen/ daß des orts/ wo man von der sache am eigentlichsten und
gründlichsten urtheilen können/ solches nicht anders angesehen worden/ als
daß es aus einer sonderbaren affectirenden hoheit an heiliger statt (die
andere zur aemulation angefrischet) geschehen/ und sich damit hervor zu
thun gesucht worden seye. Aufs allerwenigste solte einige verantwortliche
unbekante ursach die rechte motive gewesen seyn/ so wären doch solche per-
sonen auch in deme nicht entschuldiget/ sondern daß sie dergleichen gethan/
woraus sie vernünfftig/ daß es als ein hochmuth aufgenommen würde wer-
den/ ermessen könten/ und dabey nicht anders offentlich gezeigt/ daraus
man abnehmen könne/ daß ihr hertz und sinn nicht also seye/ wird ihnen mit
recht zugemessen/ daß sie ihren hochmuth in jenem oder in diesem sehen lassen/
zu gedencken/ es stehe ihnen frey was sie wolten/ und sie möchten einen
schein böses von sich geben/ wie es sie gelüstete. Welches selbs ein nicht ge-
ringer hochmuth ist. Wie hoch nun alles/ was hoffärtig ist/ und aus hoch-
müthigem geist geschihet/ GOTT mißfällig/ und ein greuel vor seinen augen
seye/ bezeugt die schrifft so offters/ daß nicht nöthig stellen anzuführen. Aus
allen aber sehen wir/ daß kein ander laster GOTT mehr zuwider seye/ und
er sich am allerempfindlichsten weise gegen diejenige/ die ihm eben darinnen
an seine majestät greiffen/ daß/ da er allein alles seyn solle/ sie auch etwas neben
ihm seyn wollen. Andere sünden straffet er gleichsam als ein richter/ dieses
laster aber verfolgt er gar als ein offenbarer feind. Jst aber GOTT aller
hochmuth zuwider/ so vielmehr wo derselbe an heiliger stätte und bey hei-
ligen verrichtungen geübet wird.
4. Zu deme setzen wir billich/ daß solches geschehen auf dem heiligen
carfreytag/ so solches orts als ein gemeiner fast-buß- und bet-tag von jeder-
man mit demüthigen habit pflegt celebriret zu werden. Daher so wol das
ärgernüß bey andern schwerer worden/ als auch das verbrechen schwe-
rer ist. Dann es muß die begierde über andere sich sehen zu lassen/ und eini-
ge hoheit zu zeigen/ sehr tieff bey den menschen eingewurtzelt seyn/ bey wel-
chen auch die betrachtung des bittern leidens und sterbens unsers heylands/
der wie in dem gantzen leben lauter demuth zu folge seinen jüngern von sich hat
leuchten lassen/ also in seinem letzten leiden/ sich gar auf den untersten grad/
mit enteusserung aller sonsten ihm geziemender ehr und herrlichkeit ernie-
dri-
Das ſiebende Capitel.
die begierde vor andern etwas ſonders zu ſeyn/ erdacht werden mag. So
vielmehr weil in dem fall/ daß einige andere erhebliche urſach ſolches zu thun
geweſen (die des orts ſelbs wuͤrde kuͤndlich geweßt ſeyn) ſolches zu einem
ſolchen aͤrgernuͤß/ davon gemeldet wird/ nicht ausgeſchlagen waͤre/ vielmehr
weil andere dadurch veranlaßt worden/ ſich vernehmen zu laſſen/ daß dann
ihnen/ als hoͤhern/ dergleichen zu thun nicht wuͤrde koͤnnen verdacht werden/
iſt abzunehmen/ daß des orts/ wo man von der ſache am eigentlichſten und
gruͤndlichſten urtheilen koͤnnen/ ſolches nicht anders angeſehen worden/ als
daß es aus einer ſonderbaren affectirenden hoheit an heiliger ſtatt (die
andere zur æmulation angefriſchet) geſchehen/ und ſich damit hervor zu
thun geſucht worden ſeye. Aufs allerwenigſte ſolte einige verantwortliche
unbekante urſach die rechte motive geweſen ſeyn/ ſo waͤren doch ſolche per-
ſonen auch in deme nicht entſchuldiget/ ſondern daß ſie dergleichen gethan/
woraus ſie vernuͤnfftig/ daß es als ein hochmuth aufgenommen wuͤrde wer-
den/ ermeſſen koͤnten/ und dabey nicht anders offentlich gezeigt/ daraus
man abnehmen koͤnne/ daß ihr hertz und ſinn nicht alſo ſeye/ wird ihnen mit
recht zugemeſſen/ daß ſie ihren hochmuth in jenem oder in dieſem ſehen laſſen/
zu gedencken/ es ſtehe ihnen frey was ſie wolten/ und ſie moͤchten einen
ſchein boͤſes von ſich geben/ wie es ſie geluͤſtete. Welches ſelbs ein nicht ge-
ringer hochmuth iſt. Wie hoch nun alles/ was hoffaͤrtig iſt/ und aus hoch-
muͤthigem geiſt geſchihet/ GOTT mißfaͤllig/ und ein greuel vor ſeinen augen
ſeye/ bezeugt die ſchrifft ſo offters/ daß nicht noͤthig ſtellen anzufuͤhren. Aus
allen aber ſehen wir/ daß kein ander laſter GOTT mehr zuwider ſeye/ und
er ſich am allerempfindlichſten weiſe gegen diejenige/ die ihm eben darinnen
an ſeine majeſtaͤt greiffen/ daß/ da er allein alles ſeyn ſolle/ ſie auch etwas neben
ihm ſeyn wollen. Andere ſuͤnden ſtraffet er gleichſam als ein richter/ dieſes
laſter aber verfolgt er gar als ein offenbarer feind. Jſt aber GOTT aller
hochmuth zuwider/ ſo vielmehr wo derſelbe an heiliger ſtaͤtte und bey hei-
ligen verrichtungen geuͤbet wird.
4. Zu deme ſetzen wir billich/ daß ſolches geſchehen auf dem heiligen
carfreytag/ ſo ſolches orts als ein gemeiner faſt-buß- und bet-tag von jeder-
man mit demuͤthigen habit pflegt celebriret zu werden. Daher ſo wol das
aͤrgernuͤß bey andern ſchwerer worden/ als auch das verbrechen ſchwe-
rer iſt. Dann es muß die begierde uͤber andere ſich ſehen zu laſſen/ und eini-
ge hoheit zu zeigen/ ſehr tieff bey den menſchen eingewurtzelt ſeyn/ bey wel-
chen auch die betrachtung des bittern leidens und ſterbens unſers heylands/
der wie in dem gantzen leben lauter demuth zu folge ſeinen juͤngern von ſich hat
leuchten laſſen/ alſo in ſeinem letzten leiden/ ſich gar auf den unterſten grad/
mit enteuſſerung aller ſonſten ihm geziemender ehr und herrlichkeit ernie-
dri-
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[242/0254] Das ſiebende Capitel. die begierde vor andern etwas ſonders zu ſeyn/ erdacht werden mag. So vielmehr weil in dem fall/ daß einige andere erhebliche urſach ſolches zu thun geweſen (die des orts ſelbs wuͤrde kuͤndlich geweßt ſeyn) ſolches zu einem ſolchen aͤrgernuͤß/ davon gemeldet wird/ nicht ausgeſchlagen waͤre/ vielmehr weil andere dadurch veranlaßt worden/ ſich vernehmen zu laſſen/ daß dann ihnen/ als hoͤhern/ dergleichen zu thun nicht wuͤrde koͤnnen verdacht werden/ iſt abzunehmen/ daß des orts/ wo man von der ſache am eigentlichſten und gruͤndlichſten urtheilen koͤnnen/ ſolches nicht anders angeſehen worden/ als daß es aus einer ſonderbaren affectirenden hoheit an heiliger ſtatt (die andere zur æmulation angefriſchet) geſchehen/ und ſich damit hervor zu thun geſucht worden ſeye. Aufs allerwenigſte ſolte einige verantwortliche unbekante urſach die rechte motive geweſen ſeyn/ ſo waͤren doch ſolche per- ſonen auch in deme nicht entſchuldiget/ ſondern daß ſie dergleichen gethan/ woraus ſie vernuͤnfftig/ daß es als ein hochmuth aufgenommen wuͤrde wer- den/ ermeſſen koͤnten/ und dabey nicht anders offentlich gezeigt/ daraus man abnehmen koͤnne/ daß ihr hertz und ſinn nicht alſo ſeye/ wird ihnen mit recht zugemeſſen/ daß ſie ihren hochmuth in jenem oder in dieſem ſehen laſſen/ zu gedencken/ es ſtehe ihnen frey was ſie wolten/ und ſie moͤchten einen ſchein boͤſes von ſich geben/ wie es ſie geluͤſtete. Welches ſelbs ein nicht ge- ringer hochmuth iſt. Wie hoch nun alles/ was hoffaͤrtig iſt/ und aus hoch- muͤthigem geiſt geſchihet/ GOTT mißfaͤllig/ und ein greuel vor ſeinen augen ſeye/ bezeugt die ſchrifft ſo offters/ daß nicht noͤthig ſtellen anzufuͤhren. Aus allen aber ſehen wir/ daß kein ander laſter GOTT mehr zuwider ſeye/ und er ſich am allerempfindlichſten weiſe gegen diejenige/ die ihm eben darinnen an ſeine majeſtaͤt greiffen/ daß/ da er allein alles ſeyn ſolle/ ſie auch etwas neben ihm ſeyn wollen. Andere ſuͤnden ſtraffet er gleichſam als ein richter/ dieſes laſter aber verfolgt er gar als ein offenbarer feind. Jſt aber GOTT aller hochmuth zuwider/ ſo vielmehr wo derſelbe an heiliger ſtaͤtte und bey hei- ligen verrichtungen geuͤbet wird. 4. Zu deme ſetzen wir billich/ daß ſolches geſchehen auf dem heiligen carfreytag/ ſo ſolches orts als ein gemeiner faſt-buß- und bet-tag von jeder- man mit demuͤthigen habit pflegt celebriret zu werden. Daher ſo wol das aͤrgernuͤß bey andern ſchwerer worden/ als auch das verbrechen ſchwe- rer iſt. Dann es muß die begierde uͤber andere ſich ſehen zu laſſen/ und eini- ge hoheit zu zeigen/ ſehr tieff bey den menſchen eingewurtzelt ſeyn/ bey wel- chen auch die betrachtung des bittern leidens und ſterbens unſers heylands/ der wie in dem gantzen leben lauter demuth zu folge ſeinen juͤngern von ſich hat leuchten laſſen/ alſo in ſeinem letzten leiden/ ſich gar auf den unterſten grad/ mit enteuſſerung aller ſonſten ihm geziemender ehr und herrlichkeit ernie- dri-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/254>, abgerufen am 25.11.2024.