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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO XIX.
die immerfort bey uns zum tisch des HErrn gehen/ und dero rang über die
consules haben/ nicht von Graffen und Freyherren/ ja von dem landes-Für-
sten selber nicht/ der/ wann er bey uns zum tisch des HErrn gehet/ ihm kein
küssen legen/ noch sand streuen lässet/ sondern mit den knien auf den blossen
kalten steinen liget/ und also seinen GOttes-dienst verrichtet. Auch 2. an
diesen rothen küssen und sande streuen als einer unerhörten insolenz sich un-
terschiedene geärgert/ darüber offentlich geklaget/ und gehalten/ daß ihnen
als höhern nicht werde können verdacht werden/ wenn sie es ihnen nachthä-
ten. So hat der Superintendens, als dem für anderen ratione officii ob-
ligen wolte/ allen ärgernüssen durch GOttes beystand abzuhelffen und bö-
sen consequentzien vor zu steuren [verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt] occasione verborum Christi, der
Geist wird die welt straffen/ das ärgernüß solcher gestalt [verlorenes Material - 6 Zeichen fehlen]/ daß
er gesagt/ es wäre eine weltlichkeit am carfreytag vorgangen/ daran sich un-
terschiedliche in der gemeine geärgert hätten/ weil sie von dem lands-Fürsten
selbs niemals wäre gesehen worden/ GOtt möchte sie denen so daran schul-
dig/ in gnaden vergeben. Diß ist von den consulibus, von welchen doch der
Superintendens im geringsten nicht/ sondern allein von den beyden landes-
Fürsten dependiret/ so übel aufgenommen/ daß sie nicht allein/ da er nach
gehaltener predigt/ für ihren stul fürüber gangen/ ihn nicht/ wie allemal
vor deme geschehen/ gegrüsset/ sondern auch ein löwen- und bären-gesicht
gemacht/ ihm (da sie/ im fall er ihnen zu nahe getreten/ an gebührenden ort
ihn hätten belangen sollen) nachgehends/ so wol gegen einheimische als
frembde ja auch gegen seine eigene beichtkinder/ hinterrücks aufs schmäh-
lichste vernichtet/ dabey noch aufs greulichste wüten und toben. Hierüber
fragt sichs nun

1. Ob der Superintendens, indem er besagter massen das ärgernüß
gestrafft/ daran unrecht gethan habe?
2. Ob die beyde Consules zum heiligen nachtmahl können verstat-
tet werden/ ehe und bevor sie sich nach GOttes wort mit dem

Superintendenten ausgesöhnet/ und von solchem ärgernüß
hinführo abzustehen versprochen haben?

Auf diese aus der specie facti (ausser der sonsten von der sache uns nichts
wissend ist) resultirende und vorgelegte fragen/ nachdem wir solche in der
furcht des HErrn und mit seiner anruffung fleißig erwogen/ erachten wir
folgends zu antworten/ göttlicher wahrheit gemäß seyn.

1. Ob der Superintendens, indem er besagter massen das ärger-
nüß gestrafft/ daran unrecht gethan habe?
Es fasset diese frage wiederum zwo fragen in sich/ deren einer entscheid gleich-
wol

ARTIC. II. SECTIO XIX.
die immerfort bey uns zum tiſch des HErrn gehen/ und dero rang uͤber die
conſules haben/ nicht von Graffen und Freyherren/ ja von dem landes-Fuͤr-
ſten ſelber nicht/ der/ wann er bey uns zum tiſch des HErrn gehet/ ihm kein
kuͤſſen legen/ noch ſand ſtreuen laͤſſet/ ſondern mit den knien auf den bloſſen
kalten ſteinen liget/ und alſo ſeinen GOttes-dienſt verrichtet. Auch 2. an
dieſen rothen kuͤſſen und ſande ſtreuen als einer unerhoͤrten inſolenz ſich un-
terſchiedene geaͤrgert/ daruͤber offentlich geklaget/ und gehalten/ daß ihnen
als hoͤhern nicht werde koͤnnen verdacht werden/ wenn ſie es ihnen nachthaͤ-
ten. So hat der Superintendens, als dem fuͤr anderen ratione officii ob-
ligen wolte/ allen aͤrgernuͤſſen durch GOttes beyſtand abzuhelffen und boͤ-
ſen conſequentzien vor zu ſteuren [verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt] occaſione verborum Chriſti, der
Geiſt wird die welt ſtraffen/ das aͤrgernuͤß ſolcher geſtalt [verlorenes Material – 6 Zeichen fehlen]/ daß
er geſagt/ es waͤre eine weltlichkeit am carfreytag vorgangen/ daran ſich un-
terſchiedliche in der gemeine geaͤrgert haͤtten/ weil ſie von dem lands-Fuͤrſten
ſelbs niemals waͤre geſehen worden/ GOtt moͤchte ſie denen ſo daran ſchul-
dig/ in gnaden vergeben. Diß iſt von den conſulibus, von welchen doch der
Superintendens im geringſten nicht/ ſondern allein von den beyden landes-
Fuͤrſten dependiret/ ſo uͤbel aufgenommen/ daß ſie nicht allein/ da er nach
gehaltener predigt/ fuͤr ihren ſtul fuͤruͤber gangen/ ihn nicht/ wie allemal
vor deme geſchehen/ gegruͤſſet/ ſondern auch ein loͤwen- und baͤren-geſicht
gemacht/ ihm (da ſie/ im fall er ihnen zu nahe getreten/ an gebuͤhrenden ort
ihn haͤtten belangen ſollen) nachgehends/ ſo wol gegen einheimiſche als
frembde ja auch gegen ſeine eigene beichtkinder/ hinterruͤcks aufs ſchmaͤh-
lichſte vernichtet/ dabey noch aufs greulichſte wuͤten und toben. Hieruͤber
fragt ſichs nun

1. Ob der Superintendens, indem er beſagter maſſen das aͤrgernuͤß
geſtrafft/ daran unrecht gethan habe?
2. Ob die beyde Conſules zum heiligen nachtmahl koͤnnen verſtat-
tet werden/ ehe und bevor ſie ſich nach GOttes wort mit dem

Superintendenten ausgeſoͤhnet/ und von ſolchem aͤrgernuͤß
hinfuͤhro abzuſtehen verſprochen haben?

Auf dieſe aus der ſpecie facti (auſſer der ſonſten von der ſache uns nichts
wiſſend iſt) reſultirende und vorgelegte fragen/ nachdem wir ſolche in der
furcht des HErrn und mit ſeiner anruffung fleißig erwogen/ erachten wir
folgends zu antworten/ goͤttlicher wahrheit gemaͤß ſeyn.

1. Ob der Superintendens, indem er beſagter maſſen das aͤrger-
nuͤß geſtrafft/ daran unrecht gethan habe?
Es faſſet dieſe frage wiederum zwo fragen in ſich/ deren einer entſcheid gleich-
wol
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[239/0251] ARTIC. II. SECTIO XIX. die immerfort bey uns zum tiſch des HErrn gehen/ und dero rang uͤber die conſules haben/ nicht von Graffen und Freyherren/ ja von dem landes-Fuͤr- ſten ſelber nicht/ der/ wann er bey uns zum tiſch des HErrn gehet/ ihm kein kuͤſſen legen/ noch ſand ſtreuen laͤſſet/ ſondern mit den knien auf den bloſſen kalten ſteinen liget/ und alſo ſeinen GOttes-dienſt verrichtet. Auch 2. an dieſen rothen kuͤſſen und ſande ſtreuen als einer unerhoͤrten inſolenz ſich un- terſchiedene geaͤrgert/ daruͤber offentlich geklaget/ und gehalten/ daß ihnen als hoͤhern nicht werde koͤnnen verdacht werden/ wenn ſie es ihnen nachthaͤ- ten. So hat der Superintendens, als dem fuͤr anderen ratione officii ob- ligen wolte/ allen aͤrgernuͤſſen durch GOttes beyſtand abzuhelffen und boͤ- ſen conſequentzien vor zu ſteuren _ occaſione verborum Chriſti, der Geiſt wird die welt ſtraffen/ das aͤrgernuͤß ſolcher geſtalt ______/ daß er geſagt/ es waͤre eine weltlichkeit am carfreytag vorgangen/ daran ſich un- terſchiedliche in der gemeine geaͤrgert haͤtten/ weil ſie von dem lands-Fuͤrſten ſelbs niemals waͤre geſehen worden/ GOtt moͤchte ſie denen ſo daran ſchul- dig/ in gnaden vergeben. Diß iſt von den conſulibus, von welchen doch der Superintendens im geringſten nicht/ ſondern allein von den beyden landes- Fuͤrſten dependiret/ ſo uͤbel aufgenommen/ daß ſie nicht allein/ da er nach gehaltener predigt/ fuͤr ihren ſtul fuͤruͤber gangen/ ihn nicht/ wie allemal vor deme geſchehen/ gegruͤſſet/ ſondern auch ein loͤwen- und baͤren-geſicht gemacht/ ihm (da ſie/ im fall er ihnen zu nahe getreten/ an gebuͤhrenden ort ihn haͤtten belangen ſollen) nachgehends/ ſo wol gegen einheimiſche als frembde ja auch gegen ſeine eigene beichtkinder/ hinterruͤcks aufs ſchmaͤh- lichſte vernichtet/ dabey noch aufs greulichſte wuͤten und toben. Hieruͤber fragt ſichs nun 1. Ob der Superintendens, indem er beſagter maſſen das aͤrgernuͤß geſtrafft/ daran unrecht gethan habe? 2. Ob die beyde Conſules zum heiligen nachtmahl koͤnnen verſtat- tet werden/ ehe und bevor ſie ſich nach GOttes wort mit dem Superintendenten ausgeſoͤhnet/ und von ſolchem aͤrgernuͤß hinfuͤhro abzuſtehen verſprochen haben? Auf dieſe aus der ſpecie facti (auſſer der ſonſten von der ſache uns nichts wiſſend iſt) reſultirende und vorgelegte fragen/ nachdem wir ſolche in der furcht des HErrn und mit ſeiner anruffung fleißig erwogen/ erachten wir folgends zu antworten/ goͤttlicher wahrheit gemaͤß ſeyn. 1. Ob der Superintendens, indem er beſagter maſſen das aͤrger- nuͤß geſtrafft/ daran unrecht gethan habe? Es faſſet dieſe frage wiederum zwo fragen in ſich/ deren einer entſcheid gleich- wol

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/251>, abgerufen am 22.11.2024.