Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.ARTIC. II. SECT. XVI. daß es die wahrheit seye/ welches ich nicht leugne/ daß es eine gewaltigekrafft in den hertzen alsdann hat; ferner nichts anzuführen in den predig- ten/ was nur ad ornatum gehörte/ und nicht mittelbar zu einigem stück der erbauung dienlich seyn möchte/ sondern allein die erudition zeigen solte/ oder ad amplificationem gehörte/ und in blossen worten bestünde; es seye dann daß die crebrior repetitio und einigerley massen anstellende variation nö- tig/ die sache so viel tieffer einzudrücken/ und die gemüther kräfftiger zu be- wegen/ so dann die zuhörer ofters und fast stätig zu der prüffung über die jenige dinge/ die sie jetzt angehöret/ zu weisen/ daß sie allemal selbs in sich gehen/ wie sie dieses oder jenes bey sich selbs finden/ und was ihnen ihr hertz davon zeugnüß gebe. Worinnen wol der gröste nutzen der predigten be- stehet/ da die leut gewehnet werden/ in ihr hertz zu gehen/ als welches die rechte officin ist/ worinnen der heilige Geist durch das wort wircken will. Wie ich nun von dem methodo selbs nichts zu schreiben wüste/ also weiß ich auch keine autores practicos zu nennen; dann ich mich nie gewehnet/ viele predigten und solche bücher zu lesen/ daß also auch davon keine erkäntnüß ha- be. Der vornehmende methodus von dem krancken Evangelischen Christenthum gefällt mir wol/ wo er recht erbaulich angewendet/ und auf das nothwendige allein gesehen wird. Die angezogene bücher sind mir al- le nicht bekant/ ohne Bartolini de morbis quorum in Novo Testamento fit mentio: so dann daß Herr D. Heiler vor nicht langer zeit einen tractat geschrieben/ da er aus der apothec die artzneyen tractiret. Wo ichs aber zu thun/ und das von meinem vielgeliebten bruder vorgeschlagene thema von dem krancken Christenthum vorzunehmen hätte/ würde ich alles auslassen/ was etwa die meiste arbeit brauchen möchte/ die leibliche kranckheiten oder artzneyen erkennen zu lernen/ und solche zu beschreiben: als welches zwar viel ingenioses, in der application artiges und zuhörern anmuthiges würde in sich fassen/ es stehet aber sehr dahin/ ob die erbauung nach proportion solcher arbeit aus dem jenigen/ darauf das meiste wird gewendet werden/ zu erwarten seye; Daher ich meines orts ohne herbeysuchung aller dergleichen inventionen stracks die sache selbs einfältig angreiffen/ und bey der geistli- chen kranckheit/ welche ich tractiren wolte/ so wol/ deroselben natur anzei- gungen prognostica, als cur aus GOttes wort/ erwegen: Damit hält man sich nicht lang bey fremden dingen auf und gewehnen sich die leut/ nichts anders zu hören/ als das recht nöthige. Jedoch hat einer seine gabe so/ der ander anders; ich gebe allein meine meynung und urtheile anderer manier nicht gern. Was 5. die versprochene einwürffe/ entschuldigungen und ausflüchte anlangt/ solle mir lieb seyn/ wo ich deroselben farta- ginem zusammen haben möchte/ und bedarfhiezu keinen ordinem; solte ich nach f f 3
ARTIC. II. SECT. XVI. daß es die wahrheit ſeye/ welches ich nicht leugne/ daß es eine gewaltigekrafft in den hertzen alsdann hat; ferner nichts anzufuͤhren in den predig- ten/ was nur ad ornatum gehoͤrte/ und nicht mittelbar zu einigem ſtuͤck der erbauung dienlich ſeyn moͤchte/ ſondern allein die erudition zeigen ſolte/ oder ad amplificationem gehoͤrte/ und in bloſſen worten beſtuͤnde; es ſeye dann daß die crebrior repetitio und einigerley maſſen anſtellende variation noͤ- tig/ die ſache ſo viel tieffer einzudruͤcken/ und die gemuͤther kraͤfftiger zu be- wegen/ ſo dann die zuhoͤrer ofters und faſt ſtaͤtig zu der pruͤffung uͤber die jenige dinge/ die ſie jetzt angehoͤret/ zu weiſen/ daß ſie allemal ſelbs in ſich gehen/ wie ſie dieſes oder jenes bey ſich ſelbs finden/ und was ihnen ihr hertz davon zeugnuͤß gebe. Worinnen wol der groͤſte nutzen der predigten be- ſtehet/ da die leut gewehnet werden/ in ihr hertz zu gehen/ als welches die rechte officin iſt/ worinnen der heilige Geiſt durch das wort wircken will. Wie ich nun von dem methodo ſelbs nichts zu ſchreiben wuͤſte/ alſo weiß ich auch keine autores practicos zu nennen; dann ich mich nie gewehnet/ viele predigten und ſolche buͤcher zu leſen/ daß alſo auch davon keine erkaͤntnuͤß ha- be. Der vornehmende methodus von dem krancken Evangeliſchen Chriſtenthum gefaͤllt mir wol/ wo er recht erbaulich angewendet/ und auf das nothwendige allein geſehen wird. Die angezogene buͤcher ſind mir al- le nicht bekant/ ohne Bartolini de morbis quorum in Novo Teſtamento fit mentio: ſo dann daß Herr D. Heiler vor nicht langer zeit einen tractat geſchrieben/ da er aus der apothec die artzneyen tractiret. Wo ichs aber zu thun/ und das von meinem vielgeliebten bruder vorgeſchlagene thema von dem krancken Chriſtenthum vorzunehmen haͤtte/ wuͤrde ich alles auslaſſen/ was etwa die meiſte arbeit brauchen moͤchte/ die leibliche kranckheiten oder artzneyen erkennen zu lernen/ und ſolche zu beſchreiben: als welches zwar viel ingenioſes, in der application artiges und zuhoͤrern anmuthiges wuͤrde in ſich faſſen/ es ſtehet aber ſehr dahin/ ob die erbauung nach proportion ſolcher arbeit aus dem jenigen/ darauf das meiſte wird gewendet werden/ zu erwarten ſeye; Daher ich meines orts ohne herbeyſuchung aller dergleichen inventionen ſtracks die ſache ſelbs einfaͤltig angreiffen/ und bey der geiſtli- chen kranckheit/ welche ich tractiren wolte/ ſo wol/ deroſelben natur anzei- gungen prognoſtica, als cur aus GOttes wort/ erwegen: Damit haͤlt man ſich nicht lang bey fremden dingen auf und gewehnen ſich die leut/ nichts anders zu hoͤren/ als das recht noͤthige. Jedoch hat einer ſeine gabe ſo/ der ander anders; ich gebe allein meine meynung und urtheile anderer manier nicht gern. Was 5. die verſprochene einwuͤrffe/ entſchuldigungen und ausfluͤchte anlangt/ ſolle mir lieb ſeyn/ wo ich deroſelben farta- ginem zuſammen haben moͤchte/ und bedarfhiezu keinen ordinem; ſolte ich nach f f 3
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ARTIC. II. SECT. XVI.
daß es die wahrheit ſeye/ welches ich nicht leugne/ daß es eine gewaltige
krafft in den hertzen alsdann hat; ferner nichts anzufuͤhren in den predig-
ten/ was nur ad ornatum gehoͤrte/ und nicht mittelbar zu einigem ſtuͤck der
erbauung dienlich ſeyn moͤchte/ ſondern allein die erudition zeigen ſolte/ oder
ad amplificationem gehoͤrte/ und in bloſſen worten beſtuͤnde; es ſeye dann
daß die crebrior repetitio und einigerley maſſen anſtellende variation noͤ-
tig/ die ſache ſo viel tieffer einzudruͤcken/ und die gemuͤther kraͤfftiger zu be-
wegen/ ſo dann die zuhoͤrer ofters und faſt ſtaͤtig zu der pruͤffung uͤber die
jenige dinge/ die ſie jetzt angehoͤret/ zu weiſen/ daß ſie allemal ſelbs in ſich
gehen/ wie ſie dieſes oder jenes bey ſich ſelbs finden/ und was ihnen ihr hertz
davon zeugnuͤß gebe. Worinnen wol der groͤſte nutzen der predigten be-
ſtehet/ da die leut gewehnet werden/ in ihr hertz zu gehen/ als welches die
rechte officin iſt/ worinnen der heilige Geiſt durch das wort wircken will.
Wie ich nun von dem methodo ſelbs nichts zu ſchreiben wuͤſte/ alſo weiß ich
auch keine autores practicos zu nennen; dann ich mich nie gewehnet/ viele
predigten und ſolche buͤcher zu leſen/ daß alſo auch davon keine erkaͤntnuͤß ha-
be. Der vornehmende methodus von dem krancken Evangeliſchen
Chriſtenthum gefaͤllt mir wol/ wo er recht erbaulich angewendet/ und auf
das nothwendige allein geſehen wird. Die angezogene buͤcher ſind mir al-
le nicht bekant/ ohne Bartolini de morbis quorum in Novo Teſtamento
fit mentio: ſo dann daß Herr D. Heiler vor nicht langer zeit einen tractat
geſchrieben/ da er aus der apothec die artzneyen tractiret. Wo ichs aber zu
thun/ und das von meinem vielgeliebten bruder vorgeſchlagene thema von
dem krancken Chriſtenthum vorzunehmen haͤtte/ wuͤrde ich alles auslaſſen/
was etwa die meiſte arbeit brauchen moͤchte/ die leibliche kranckheiten oder
artzneyen erkennen zu lernen/ und ſolche zu beſchreiben: als welches zwar
viel ingenioſes, in der application artiges und zuhoͤrern anmuthiges wuͤrde
in ſich faſſen/ es ſtehet aber ſehr dahin/ ob die erbauung nach proportion
ſolcher arbeit aus dem jenigen/ darauf das meiſte wird gewendet werden/ zu
erwarten ſeye; Daher ich meines orts ohne herbeyſuchung aller dergleichen
inventionen ſtracks die ſache ſelbs einfaͤltig angreiffen/ und bey der geiſtli-
chen kranckheit/ welche ich tractiren wolte/ ſo wol/ deroſelben natur anzei-
gungen prognoſtica, als cur aus GOttes wort/ erwegen: Damit haͤlt man
ſich nicht lang bey fremden dingen auf und gewehnen ſich die leut/ nichts
anders zu hoͤren/ als das recht noͤthige. Jedoch hat einer ſeine gabe ſo/ der
ander anders; ich gebe allein meine meynung und urtheile anderer manier
nicht gern. Was 5. die verſprochene einwuͤrffe/ entſchuldigungen
und ausfluͤchte anlangt/ ſolle mir lieb ſeyn/ wo ich deroſelben farta-
ginem zuſammen haben moͤchte/ und bedarfhiezu keinen ordinem; ſolte ich
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/241>, abgerufen am 16.02.2025. |