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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
der krancken sonderlich die etwa langwierige kranckheiten haben/ oder all-
gemach wiederum anheben zu genesen/ daß solche um die zeit/ wo man sie ge-
meiniglich/ weil die sterbens gefahr aufgehöret/ fast nicht mehr heimzusu-
chen pfleget/ am meisten besuchet werden/ wo man mit erinnerung der gött-
lichen erzeigten gnade und ihrer neuen pflicht/ etwa auch gethaner gelübde/
einen zimlichen grund wiederum auf das künfftige legen kan. Was den
4. betrifft/ nemlich den methodum concionandi, so kan ich nicht an-
ders/ als muß nochmal bekennen/ daß ich mirs nicht möglich finde. Dann
wie soll ich von etwas schreiben/ was ich selbsten nicht gründlich verstehe?
Jch habe von der zeit an/ da ich etlicher massen die realia habe fassen
lernen/ alle die technica und oratoria praecepta so gar bey seit gesetzt/ daß
ich kaum etwas mehr von solchen artificialibus mich erinnere: mich auch al-
so gewehnet/ daß ob ich eine predigt höre/ ich doch auf nichts dergleichen/
was das artificium darin seyn möchte/ acht zu geben weiß/ sondern allein
auf die sache selbs/ und wie es zu hertzen getrungen/ dahero unter den zim-
lich viel leuten/ die ich gleichwol mein lebtag gehöret/ nicht von einem eini-
gen sagen kan/ diesen oder diesen methodum hätte er gehabt. Also vor
mich selbst habe ich auch allerdings keinen gewissen methodum, sondern es
muß mir allemal die materie selbs den methodum an die hand geben/ der
sich so zu reden allemal ändert/ wie die materien unterschiedlich seynd/ daß
also ich den methodum nach diesen/ nicht aber leicht dieselbe nach dem me-
thodo
einrichte/ ohne was etwa die allermeinste jahrs disposition seyn
möchte. Als zum exempel/ da ich dieses kirchen-Jahr durch die christliche
tugenden tractiret/ so ist meistentheils dieses mein methodus, zu zeigen
bey jeglicher tugend dero fundament, ihre art und worinnen sie bestehet/
ihren nutzen/ die so allgemeine mittel als nebens- und hülffs-mittel und hin-
dernüssen. Es variiret abermal vieles in diesen stücken/ je nach dem
sich die materie selbs gibet. Daher/ bald tractire ich schon bey der erklärung
des texts eben solche oder die meiste stück/ die ich in den lehr-puncten repe-
ti
ren will/ bald finde in dem evangelio das der tugend entgegen stehende
laster/ und handle daselbs davon/ bald geschiehets mit anderem unterschied.
Die allgemeine meine regulen sind/ alles entweder aus dem text selbs (wie
ich allezeit thue/ wo ich einen freyen text habe/ dann nach so offtmaliger
tractirung der evangelien/ so muste etwas von der regel abweichen/ da ich
sonsten allezeit die meiste arbeit an die erklärung des texts selbs anzuwenden
pflegte) oder aus andern dazu anführenden und etwas vorlegenden sprü-
chen/ zu erweisen/ damit die zuhörer sich gewehnen/ nichts anzunehmen auf
mein credit, oder mir zu gefallen zu glauben/ sondern allezeit wie sie aus
dem klaren göttlichen wort sehen und in ihren hertzen überzeugt worden/

daß

Das ſiebende Capitel.
der krancken ſonderlich die etwa langwierige kranckheiten haben/ oder all-
gemach wiederum anheben zu geneſen/ daß ſolche um die zeit/ wo man ſie ge-
meiniglich/ weil die ſterbens gefahr aufgehoͤret/ faſt nicht mehr heimzuſu-
chen pfleget/ am meiſten beſuchet werden/ wo man mit erinnerung der goͤtt-
lichen erzeigten gnade und ihrer neuen pflicht/ etwa auch gethaner geluͤbde/
einen zimlichen grund wiederum auf das kuͤnfftige legen kan. Was den
4. betrifft/ nemlich den methodum concionandi, ſo kan ich nicht an-
ders/ als muß nochmal bekennen/ daß ich mirs nicht moͤglich finde. Dann
wie ſoll ich von etwas ſchreiben/ was ich ſelbſten nicht gruͤndlich verſtehe?
Jch habe von der zeit an/ da ich etlicher maſſen die realia habe faſſen
lernen/ alle die technica und oratoria præcepta ſo gar bey ſeit geſetzt/ daß
ich kaum etwas mehr von ſolchen artificialibus mich erinnere: mich auch al-
ſo gewehnet/ daß ob ich eine predigt hoͤre/ ich doch auf nichts dergleichen/
was das artificium darin ſeyn moͤchte/ acht zu geben weiß/ ſondern allein
auf die ſache ſelbs/ und wie es zu hertzen getrungen/ dahero unter den zim-
lich viel leuten/ die ich gleichwol mein lebtag gehoͤret/ nicht von einem eini-
gen ſagen kan/ dieſen oder dieſen methodum haͤtte er gehabt. Alſo vor
mich ſelbſt habe ich auch allerdings keinen gewiſſen methodum, ſondern es
muß mir allemal die materie ſelbs den methodum an die hand geben/ der
ſich ſo zu reden allemal aͤndert/ wie die materien unterſchiedlich ſeynd/ daß
alſo ich den methodum nach dieſen/ nicht aber leicht dieſelbe nach dem me-
thodo
einrichte/ ohne was etwa die allermeinſte jahrs diſpoſition ſeyn
moͤchte. Als zum exempel/ da ich dieſes kirchen-Jahr durch die chriſtliche
tugenden tractiret/ ſo iſt meiſtentheils dieſes mein methodus, zu zeigen
bey jeglicher tugend dero fundament, ihre art und worinnen ſie beſtehet/
ihren nutzen/ die ſo allgemeine mittel als nebens- und huͤlffs-mittel und hin-
dernuͤſſen. Es variiret abermal vieles in dieſen ſtuͤcken/ je nach dem
ſich die materie ſelbs gibet. Daher/ bald tractire ich ſchon bey der erklaͤrung
des texts eben ſolche oder die meiſte ſtuͤck/ die ich in den lehr-puncten repe-
ti
ren will/ bald finde in dem evangelio das der tugend entgegen ſtehende
laſter/ und handle daſelbs davon/ bald geſchiehets mit anderem unterſchied.
Die allgemeine meine regulen ſind/ alles entweder aus dem text ſelbs (wie
ich allezeit thue/ wo ich einen freyen text habe/ dann nach ſo offtmaliger
tractirung der evangelien/ ſo muſte etwas von der regel abweichen/ da ich
ſonſten allezeit die meiſte arbeit an die erklaͤrung des texts ſelbs anzuwenden
pflegte) oder aus andern dazu anfuͤhrenden und etwas vorlegenden ſpruͤ-
chen/ zu erweiſen/ damit die zuhoͤrer ſich gewehnen/ nichts anzunehmen auf
mein credit, oder mir zu gefallen zu glauben/ ſondern allezeit wie ſie aus
dem klaren goͤttlichen wort ſehen und in ihren hertzen uͤberzeugt worden/

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[228/0240] Das ſiebende Capitel. der krancken ſonderlich die etwa langwierige kranckheiten haben/ oder all- gemach wiederum anheben zu geneſen/ daß ſolche um die zeit/ wo man ſie ge- meiniglich/ weil die ſterbens gefahr aufgehoͤret/ faſt nicht mehr heimzuſu- chen pfleget/ am meiſten beſuchet werden/ wo man mit erinnerung der goͤtt- lichen erzeigten gnade und ihrer neuen pflicht/ etwa auch gethaner geluͤbde/ einen zimlichen grund wiederum auf das kuͤnfftige legen kan. Was den 4. betrifft/ nemlich den methodum concionandi, ſo kan ich nicht an- ders/ als muß nochmal bekennen/ daß ich mirs nicht moͤglich finde. Dann wie ſoll ich von etwas ſchreiben/ was ich ſelbſten nicht gruͤndlich verſtehe? Jch habe von der zeit an/ da ich etlicher maſſen die realia habe faſſen lernen/ alle die technica und oratoria præcepta ſo gar bey ſeit geſetzt/ daß ich kaum etwas mehr von ſolchen artificialibus mich erinnere: mich auch al- ſo gewehnet/ daß ob ich eine predigt hoͤre/ ich doch auf nichts dergleichen/ was das artificium darin ſeyn moͤchte/ acht zu geben weiß/ ſondern allein auf die ſache ſelbs/ und wie es zu hertzen getrungen/ dahero unter den zim- lich viel leuten/ die ich gleichwol mein lebtag gehoͤret/ nicht von einem eini- gen ſagen kan/ dieſen oder dieſen methodum haͤtte er gehabt. Alſo vor mich ſelbſt habe ich auch allerdings keinen gewiſſen methodum, ſondern es muß mir allemal die materie ſelbs den methodum an die hand geben/ der ſich ſo zu reden allemal aͤndert/ wie die materien unterſchiedlich ſeynd/ daß alſo ich den methodum nach dieſen/ nicht aber leicht dieſelbe nach dem me- thodo einrichte/ ohne was etwa die allermeinſte jahrs diſpoſition ſeyn moͤchte. Als zum exempel/ da ich dieſes kirchen-Jahr durch die chriſtliche tugenden tractiret/ ſo iſt meiſtentheils dieſes mein methodus, zu zeigen bey jeglicher tugend dero fundament, ihre art und worinnen ſie beſtehet/ ihren nutzen/ die ſo allgemeine mittel als nebens- und huͤlffs-mittel und hin- dernuͤſſen. Es variiret abermal vieles in dieſen ſtuͤcken/ je nach dem ſich die materie ſelbs gibet. Daher/ bald tractire ich ſchon bey der erklaͤrung des texts eben ſolche oder die meiſte ſtuͤck/ die ich in den lehr-puncten repe- tiren will/ bald finde in dem evangelio das der tugend entgegen ſtehende laſter/ und handle daſelbs davon/ bald geſchiehets mit anderem unterſchied. Die allgemeine meine regulen ſind/ alles entweder aus dem text ſelbs (wie ich allezeit thue/ wo ich einen freyen text habe/ dann nach ſo offtmaliger tractirung der evangelien/ ſo muſte etwas von der regel abweichen/ da ich ſonſten allezeit die meiſte arbeit an die erklaͤrung des texts ſelbs anzuwenden pflegte) oder aus andern dazu anfuͤhrenden und etwas vorlegenden ſpruͤ- chen/ zu erweiſen/ damit die zuhoͤrer ſich gewehnen/ nichts anzunehmen auf mein credit, oder mir zu gefallen zu glauben/ ſondern allezeit wie ſie aus dem klaren goͤttlichen wort ſehen und in ihren hertzen uͤberzeugt worden/ daß

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/240>, abgerufen am 22.11.2024.