Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.Das siebende Capitel. lich vorzustellen/ wie schwer solche sünde seye/ nechstdem aber sehr sparsamin den exempeln zu seyn/ die deswegen angeführet würden/ ja zu solchem zweck allein diejenige zu erwehlen/ welche fast die gemeineste und bekanteste sind. Jch entsinne mich/ daß ich in meiner jugend einige dergleichen detorsio- nes und mißbräuche der wort der schrifft/ und auch aus den christlichen gesän- gen gehöret/ wo ich aber sie nicht gehöret zu haben/ gern etwas schuldig seyn wolte. Weil ich darnach nicht leicht jemal auf solche sprüche oder lieder gekommen bin/ daß mir solche verdrehung nicht mit eingefallen wäre/ und mir wider meinen willen die andacht zerstöhret hätte. Daher ich sorgen muß/ wo viele und etwa nicht insgemein bekante exempel angeführet und er- zehlet würden/ würde davon nicht viel nutzen/ wol aber doppelter schaden zu sorgen seyn/ einstheils/ daß lose spotvögel sich wol der arbeit darzu miß- brauchen würden/ diejenige verdrehungen/ die sie noch nicht gewust/ daraus zu lernen/ und ihre lust darinn zu suchen (unde peccata ita insectanda sunt, ne, quae detestamur, doceamus;) anderntheils/ daß christlichen hertzen eben dasjenige begegnete/ was ich mir geschehen zu seyn oben geklagt/ nemlich daß ihnen dergleichen in die gedächtnüß komme/ und sie darnach allezeit verunruhige/ und in der andacht stöhre/ so offt sie solche wort lesen und ge- brauchen sollen. Uber dieses wenige wüste ich in antecessum keine andere erinnerung zu thun/ indem mir der modus tractandi nicht bekant ist. Was im übrigen die mir bedeutete ordentliche amtsarbeit anlangt/ gratulire dem- selben von hertzen/ daß er die herrlichste gelegenheit von GOTT empfan- gen hat/ viel gutes zu erbauen. Es sind je die sontags episteln insge- mein von mehrern erbaulichsten materien erfüllet/ als man nicht solche ge- legenheit in den evangelien findet/ sondern wo man bey dieser abhandelung nach nothdurfft allen rath GOttes seiner gemeinde verkündigen soll und will/ offters manches fast mehr bey den haaren herbey ziehen muß/ was in den e- pistein sich selbs ungezwungen giebet. Wo aber mein geliebter bruder mel- det/ er trage daraus moralia vor/ so will ich es so annehmen/ daß dahin vor- nemlich etwa in diesem jahrgang auf dieselbe die reflexion gemacht/ sonsten aber ja die doctrinalia nicht hindan gesetzet würden. Wie dann die mora- lia mit rechtschaffenem succeß kaum können tractiret werden/ es werde dann stets der grund unserer seligkeit in den gnadengütern unsers lieben heylan- des rechtschaffen auch den leuten gezeiget/ damit aus solchem vortrag des Evangelii/ der wahre glaub stäts bey den zuhörern gewircket und gestärcket werde/ welcher darnach der saame ist/ aus welchem alles gottselige leben er- wachsen muß/ und eine seele mit demselben erfüllet/ erst recht die moralia mit frucht anhöret. Zu solchen materien der evangelischen grundlehren geben nun die episteln die erwünschteste gelegenheit/ die ich mir nachmal mehr bey
Das ſiebende Capitel. lich vorzuſtellen/ wie ſchwer ſolche ſuͤnde ſeye/ nechſtdem aber ſehr ſparſamin den exempeln zu ſeyn/ die deswegen angefuͤhret wuͤrden/ ja zu ſolchem zweck allein diejenige zu erwehlen/ welche faſt die gemeineſte und bekanteſte ſind. Jch entſinne mich/ daß ich in meiner jugend einige dergleichen detorſio- nes und mißbraͤuche der wort der ſchrifft/ und auch aus den chriſtlichen geſaͤn- gen gehoͤret/ wo ich aber ſie nicht gehoͤret zu haben/ gern etwas ſchuldig ſeyn wolte. Weil ich darnach nicht leicht jemal auf ſolche ſpruͤche oder lieder gekommen bin/ daß mir ſolche verdrehung nicht mit eingefallen waͤre/ und mir wider meinen willen die andacht zerſtoͤhret haͤtte. Daher ich ſorgen muß/ wo viele und etwa nicht insgemein bekante exempel angefuͤhret und er- zehlet wuͤrden/ wuͤrde davon nicht viel nutzen/ wol aber doppelter ſchaden zu ſorgen ſeyn/ einstheils/ daß loſe ſpotvoͤgel ſich wol der arbeit darzu miß- brauchen wuͤrden/ diejenige verdrehungen/ die ſie noch nicht gewuſt/ daraus zu lernen/ und ihre luſt darinn zu ſuchen (unde peccata ita inſectanda ſunt, ne, quæ deteſtamur, doceamus;) anderntheils/ daß chriſtlichen hertzen eben dasjenige begegnete/ was ich mir geſchehen zu ſeyn oben geklagt/ nemlich daß ihnen dergleichen in die gedaͤchtnuͤß komme/ und ſie darnach allezeit verunruhige/ und in der andacht ſtoͤhre/ ſo offt ſie ſolche wort leſen und ge- brauchen ſollen. Uber dieſes wenige wuͤſte ich in anteceſſum keine andere erinnerung zu thun/ indem mir der modus tractandi nicht bekant iſt. Was im uͤbrigen die mir bedeutete ordentliche amtsarbeit anlangt/ gratulire dem- ſelben von hertzen/ daß er die herrlichſte gelegenheit von GOTT empfan- gen hat/ viel gutes zu erbauen. Es ſind je die ſontags epiſteln insge- mein von mehrern erbaulichſten materien erfuͤllet/ als man nicht ſolche ge- legenheit in den evangelien findet/ ſondern wo man bey dieſer abhandelung nach nothdurfft allen rath GOttes ſeiner gemeinde verkuͤndigen ſoll und will/ offters manches faſt mehr bey den haaren herbey ziehen muß/ was in den e- piſtein ſich ſelbs ungezwungen giebet. Wo aber mein geliebter bruder mel- det/ er trage daraus moralia vor/ ſo will ich es ſo annehmen/ daß dahin vor- nemlich etwa in dieſem jahrgang auf dieſelbe die reflexion gemacht/ ſonſten aber ja die doctrinalia nicht hindan geſetzet wuͤrden. Wie dann die mora- lia mit rechtſchaffenem ſucceß kaum koͤnnen tractiret werden/ es werde dann ſtets der grund unſerer ſeligkeit in den gnadenguͤtern unſers lieben heylan- des rechtſchaffen auch den leuten gezeiget/ damit aus ſolchem vortrag des Evangelii/ der wahre glaub ſtaͤts bey den zuhoͤrern gewircket und geſtaͤrcket werde/ welcher darnach der ſaame iſt/ aus welchem alles gottſelige leben er- wachſen muß/ und eine ſeele mit demſelben erfuͤllet/ erſt recht die moralia mit frucht anhoͤret. Zu ſolchen materien der evangeliſchen grundlehren geben nun die epiſteln die erwuͤnſchteſte gelegenheit/ die ich mir nachmal mehr bey
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0234" n="222"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das ſiebende Capitel.</hi></fw><lb/> lich vorzuſtellen/ wie ſchwer ſolche ſuͤnde ſeye/ nechſtdem aber ſehr ſparſam<lb/> in den exempeln zu ſeyn/ die deswegen angefuͤhret wuͤrden/ ja zu ſolchem<lb/> zweck allein diejenige zu erwehlen/ welche faſt die gemeineſte und bekanteſte<lb/> ſind. Jch entſinne mich/ daß ich in meiner jugend einige dergleichen <hi rendition="#aq">detorſio-<lb/> nes</hi> und mißbraͤuche der wort der ſchrifft/ und auch aus den chriſtlichen geſaͤn-<lb/> gen gehoͤret/ wo ich aber ſie nicht gehoͤret zu haben/ gern etwas ſchuldig ſeyn<lb/> wolte. Weil ich darnach nicht leicht jemal auf ſolche ſpruͤche oder lieder<lb/> gekommen bin/ daß mir ſolche verdrehung nicht mit eingefallen waͤre/ und<lb/> mir wider meinen willen die andacht zerſtoͤhret haͤtte. Daher ich ſorgen<lb/> muß/ wo viele und etwa nicht insgemein bekante exempel angefuͤhret und er-<lb/> zehlet wuͤrden/ wuͤrde davon nicht viel nutzen/ wol aber doppelter ſchaden<lb/> zu ſorgen ſeyn/ einstheils/ daß loſe ſpotvoͤgel ſich wol der arbeit darzu miß-<lb/> brauchen wuͤrden/ diejenige verdrehungen/ die ſie noch nicht gewuſt/ daraus<lb/> zu lernen/ und ihre luſt darinn zu ſuchen (<hi rendition="#aq">unde peccata ita inſectanda ſunt,<lb/> ne, quæ deteſtamur, doceamus;</hi>) anderntheils/ daß chriſtlichen hertzen eben<lb/> dasjenige begegnete/ was ich mir geſchehen zu ſeyn oben geklagt/ nemlich<lb/> daß ihnen dergleichen in die gedaͤchtnuͤß komme/ und ſie darnach allezeit<lb/> verunruhige/ und in der andacht ſtoͤhre/ ſo offt ſie ſolche wort leſen und ge-<lb/> brauchen ſollen. Uber dieſes wenige wuͤſte ich in <hi rendition="#aq">anteceſſum</hi> keine andere<lb/> erinnerung zu thun/ indem mir der <hi rendition="#aq">modus tractandi</hi> nicht bekant iſt. Was<lb/> im uͤbrigen die mir bedeutete ordentliche amtsarbeit anlangt/ <hi rendition="#aq">gratuli</hi>re dem-<lb/> ſelben von hertzen/ daß er die herrlichſte gelegenheit von GOTT empfan-<lb/> gen hat/ viel gutes zu erbauen. Es ſind je die ſontags epiſteln insge-<lb/> mein von mehrern erbaulichſten <hi rendition="#aq">materi</hi>en erfuͤllet/ als man nicht ſolche ge-<lb/> legenheit in den evangelien findet/ ſondern wo man bey dieſer abhandelung<lb/> nach nothdurfft allen rath GOttes ſeiner gemeinde verkuͤndigen ſoll und will/<lb/> offters manches faſt mehr bey den haaren herbey ziehen muß/ was in den e-<lb/> piſtein ſich ſelbs ungezwungen giebet. Wo aber mein geliebter bruder mel-<lb/> det/ er trage daraus <hi rendition="#aq">moralia</hi> vor/ ſo will ich es ſo annehmen/ daß dahin vor-<lb/> nemlich etwa in dieſem jahrgang auf dieſelbe die <hi rendition="#aq">reflexion</hi> gemacht/ ſonſten<lb/> aber ja die <hi rendition="#aq">doctrinalia</hi> nicht hindan geſetzet wuͤrden. Wie dann die <hi rendition="#aq">mora-<lb/> lia</hi> mit rechtſchaffenem <hi rendition="#aq">ſucceß</hi> kaum koͤnnen <hi rendition="#aq">tracti</hi>ret werden/ es werde dann<lb/> ſtets der grund unſerer ſeligkeit in den gnadenguͤtern unſers lieben heylan-<lb/> des rechtſchaffen auch den leuten gezeiget/ damit aus ſolchem vortrag des<lb/> Evangelii/ der wahre glaub ſtaͤts bey den zuhoͤrern gewircket und geſtaͤrcket<lb/> werde/ welcher darnach der ſaame iſt/ aus welchem alles gottſelige leben er-<lb/> wachſen muß/ und eine ſeele mit demſelben erfuͤllet/ erſt recht die <hi rendition="#aq">moralia</hi> mit<lb/> frucht anhoͤret. Zu ſolchen <hi rendition="#aq">materi</hi>en der evangeliſchen grundlehren geben<lb/> nun die epiſteln die erwuͤnſchteſte gelegenheit/ die ich mir nachmal mehr<lb/> <fw place="bottom" type="catch">bey</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [222/0234]
Das ſiebende Capitel.
lich vorzuſtellen/ wie ſchwer ſolche ſuͤnde ſeye/ nechſtdem aber ſehr ſparſam
in den exempeln zu ſeyn/ die deswegen angefuͤhret wuͤrden/ ja zu ſolchem
zweck allein diejenige zu erwehlen/ welche faſt die gemeineſte und bekanteſte
ſind. Jch entſinne mich/ daß ich in meiner jugend einige dergleichen detorſio-
nes und mißbraͤuche der wort der ſchrifft/ und auch aus den chriſtlichen geſaͤn-
gen gehoͤret/ wo ich aber ſie nicht gehoͤret zu haben/ gern etwas ſchuldig ſeyn
wolte. Weil ich darnach nicht leicht jemal auf ſolche ſpruͤche oder lieder
gekommen bin/ daß mir ſolche verdrehung nicht mit eingefallen waͤre/ und
mir wider meinen willen die andacht zerſtoͤhret haͤtte. Daher ich ſorgen
muß/ wo viele und etwa nicht insgemein bekante exempel angefuͤhret und er-
zehlet wuͤrden/ wuͤrde davon nicht viel nutzen/ wol aber doppelter ſchaden
zu ſorgen ſeyn/ einstheils/ daß loſe ſpotvoͤgel ſich wol der arbeit darzu miß-
brauchen wuͤrden/ diejenige verdrehungen/ die ſie noch nicht gewuſt/ daraus
zu lernen/ und ihre luſt darinn zu ſuchen (unde peccata ita inſectanda ſunt,
ne, quæ deteſtamur, doceamus;) anderntheils/ daß chriſtlichen hertzen eben
dasjenige begegnete/ was ich mir geſchehen zu ſeyn oben geklagt/ nemlich
daß ihnen dergleichen in die gedaͤchtnuͤß komme/ und ſie darnach allezeit
verunruhige/ und in der andacht ſtoͤhre/ ſo offt ſie ſolche wort leſen und ge-
brauchen ſollen. Uber dieſes wenige wuͤſte ich in anteceſſum keine andere
erinnerung zu thun/ indem mir der modus tractandi nicht bekant iſt. Was
im uͤbrigen die mir bedeutete ordentliche amtsarbeit anlangt/ gratulire dem-
ſelben von hertzen/ daß er die herrlichſte gelegenheit von GOTT empfan-
gen hat/ viel gutes zu erbauen. Es ſind je die ſontags epiſteln insge-
mein von mehrern erbaulichſten materien erfuͤllet/ als man nicht ſolche ge-
legenheit in den evangelien findet/ ſondern wo man bey dieſer abhandelung
nach nothdurfft allen rath GOttes ſeiner gemeinde verkuͤndigen ſoll und will/
offters manches faſt mehr bey den haaren herbey ziehen muß/ was in den e-
piſtein ſich ſelbs ungezwungen giebet. Wo aber mein geliebter bruder mel-
det/ er trage daraus moralia vor/ ſo will ich es ſo annehmen/ daß dahin vor-
nemlich etwa in dieſem jahrgang auf dieſelbe die reflexion gemacht/ ſonſten
aber ja die doctrinalia nicht hindan geſetzet wuͤrden. Wie dann die mora-
lia mit rechtſchaffenem ſucceß kaum koͤnnen tractiret werden/ es werde dann
ſtets der grund unſerer ſeligkeit in den gnadenguͤtern unſers lieben heylan-
des rechtſchaffen auch den leuten gezeiget/ damit aus ſolchem vortrag des
Evangelii/ der wahre glaub ſtaͤts bey den zuhoͤrern gewircket und geſtaͤrcket
werde/ welcher darnach der ſaame iſt/ aus welchem alles gottſelige leben er-
wachſen muß/ und eine ſeele mit demſelben erfuͤllet/ erſt recht die moralia mit
frucht anhoͤret. Zu ſolchen materien der evangeliſchen grundlehren geben
nun die epiſteln die erwuͤnſchteſte gelegenheit/ die ich mir nachmal mehr
bey
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/234 |
Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/234>, abgerufen am 16.02.2025. |