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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTICIO II. SECT. X.
dinge sind/ daraus man die wahrheit eines rechten lebendigen glaubens er-
kennen solle. Sonderlich weil es sich bey einigen begeben kan/ daß sie nach
ihrer einfalt eine ziemliche erkäntnüß des nothwendigen haben/ und sich doch
nicht mit worten zu expliciren oder auf die fragen zu antworten wissen. Da-
her ich bey solchen fast am rathsamsten hielte/ ihnen den grund des heyls/
was Christus vor uns gethan/ und uns erworben habe/ mit einfältigen
worten vor zu halten und zu erklären/ nachmalen in dem befragen nicht so
wol von ihnen zu forderen/ daß sie mit eigenen worten antworten/ als nur
die beyden contradictoria von einer jeden sache vorzuhalten/ welches sie davon
ergreiffen wollen: daraus man doch ihren verstand erkennen kan. 2. Findet
man nun diesen obwol in geringe maß/ so ist bey denen/ welche sonsten
einige anzeigung des in ihnen wohnenden guten geistes von sich spüren
lassen/ kein zweiffel einer würdigen niessung des heiligen abendmahls. 3.
Könte ich auch den predigern blosser dings nicht aufbürden/ daß sie schlech-
ter dings niemand zu den heiligen tisch verstatten solten/ von dem sie nicht
genugsame proben seiner würdigkeit haben/ sondern in sorgen darüber ste-
hen. Vielmehr glaube/ daß sie ihr gewissen retten/ wo sie solche leute
ernstlich warnen/ ihnen/ wie ihre bewandnüß ihnen vorkomme/ und was sie
ihrentwegen sorgen/ offenhertzig andeuten/ dabey die gefahr der unwür-
digen niessung beweglich vorhalten/ endlich aber da diese sich nicht abhal-
ten lassen/ auf ihr gefahr vor GOTT admittiren: dafern man nemlich von
der obrigkeit/ oder/ welcher dieses recht vornemlich gehöret/ der kirche keine
weitere hülffe hat/ daß nehmlich dieselbe einen solchen excludire/ in welchem fall
er freylich ausgeschlossen werden könte und müßte; so lang aber die übrige
kirche ihn vor einen bruder noch hält/ würde eine eigenmächtige exclusion
weiter gehen/ als die gewalt uns von dem HERRN gegeben ist: weil
es der gantzen gemeinde zukomt/ welche sie vor ihre mitglieder annoch er-
kennen will/ oder nicht/ zu beurtheilen: dero urtheil folgen wir nach/ die
wir derselben diener sind. 4. Die insgemein nicht eben so bekante materien/
als von dem innern menschen/ verleugnung sein selbs und derglei-
chen belangend/ meine ich solte sie auch den einfältigen zimlich deutlich beyge-
bracht werden können/ weil es solche sind/ die mit offenbaren exemplen
aus dem gemeinen leben mögen erläutert werden/ und sich wol ehe fassen
lassen/ als andere materien/ die man vor deutlicher und verständlicher hält/
weil man mehrmal davon höret: Da hingegen diese an sich selbs leichtere
materien etwa deswegen mögen am schweresten seyn/ weil man selten davon
gehöret/ an sich selbsten aber sind sie so sehr unverständlich nicht. Jndessen
5. leugne ich freylich nicht/ daß wir prediger vor allen andern leuten in der
grössesten seelen gefahr stehen/ und also nicht nur mit grossem fleiß und behut-

samkeit

ARTICIO II. SECT. X.
dinge ſind/ daraus man die wahrheit eines rechten lebendigen glaubens er-
kennen ſolle. Sonderlich weil es ſich bey einigen begeben kan/ daß ſie nach
ihrer einfalt eine ziemliche erkaͤntnuͤß des nothwendigen haben/ und ſich doch
nicht mit worten zu expliciren oder auf die fragen zu antworten wiſſen. Da-
her ich bey ſolchen faſt am rathſamſten hielte/ ihnen den grund des heyls/
was Chriſtus vor uns gethan/ und uns erworben habe/ mit einfaͤltigen
worten vor zu halten und zu erklaͤren/ nachmalen in dem befragen nicht ſo
wol von ihnen zu forderen/ daß ſie mit eigenen worten antworten/ als nur
die beyden contradictoria von einer jeden ſache vorzuhalten/ welches ſie davon
ergreiffen wollen: daraus man doch ihren verſtand erkennen kan. 2. Findet
man nun dieſen obwol in geringe maß/ ſo iſt bey denen/ welche ſonſten
einige anzeigung des in ihnen wohnenden guten geiſtes von ſich ſpuͤren
laſſen/ kein zweiffel einer wuͤrdigen nieſſung des heiligen abendmahls. 3.
Koͤnte ich auch den predigern bloſſer dings nicht aufbuͤrden/ daß ſie ſchlech-
ter dings niemand zu den heiligen tiſch verſtatten ſolten/ von dem ſie nicht
genugſame proben ſeiner wuͤrdigkeit haben/ ſondern in ſorgen daruͤber ſte-
hen. Vielmehr glaube/ daß ſie ihr gewiſſen retten/ wo ſie ſolche leute
ernſtlich warnen/ ihnen/ wie ihre bewandnuͤß ihnen vorkomme/ und was ſie
ihrentwegen ſorgen/ offenhertzig andeuten/ dabey die gefahr der unwuͤr-
digen nieſſung beweglich vorhalten/ endlich aber da dieſe ſich nicht abhal-
ten laſſen/ auf ihr gefahr vor GOTT admittiren: dafern man nemlich von
der obrigkeit/ oder/ welcher dieſes recht vornemlich gehoͤret/ der kirche keine
weitere huͤlffe hat/ daß nehmlich dieſelbe einen ſolchẽ excludire/ in welchem fall
er freylich ausgeſchloſſen werden koͤnte und muͤßte; ſo lang aber die uͤbrige
kirche ihn vor einen bruder noch haͤlt/ wuͤrde eine eigenmaͤchtige excluſion
weiter gehen/ als die gewalt uns von dem HERRN gegeben iſt: weil
es der gantzen gemeinde zukomt/ welche ſie vor ihre mitglieder annoch er-
kennen will/ oder nicht/ zu beurtheilen: dero urtheil folgen wir nach/ die
wir derſelben diener ſind. 4. Die insgemein nicht eben ſo bekante materien/
als von dem innern menſchen/ verleugnung ſein ſelbs und derglei-
chen belangend/ meine ich ſolte ſie auch den einfaͤltigen zimlich deutlich beyge-
bracht werden koͤnnen/ weil es ſolche ſind/ die mit offenbaren exemplen
aus dem gemeinen leben moͤgen erlaͤutert werden/ und ſich wol ehe faſſen
laſſen/ als andere materien/ die man vor deutlicher und verſtaͤndlicher haͤlt/
weil man mehrmal davon hoͤret: Da hingegen dieſe an ſich ſelbs leichtere
materien etwa deswegen moͤgen am ſchwereſten ſeyn/ weil man ſelten davon
gehoͤret/ an ſich ſelbſten aber ſind ſie ſo ſehr unverſtaͤndlich nicht. Jndeſſen
5. leugne ich freylich nicht/ daß wir prediger vor allen andern leuten in der
groͤſſeſten ſeelen gefahr ſtehen/ und alſo nicht nur mit groſſem fleiß und behut-

ſamkeit
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[207/0219] ARTICIO II. SECT. X. dinge ſind/ daraus man die wahrheit eines rechten lebendigen glaubens er- kennen ſolle. Sonderlich weil es ſich bey einigen begeben kan/ daß ſie nach ihrer einfalt eine ziemliche erkaͤntnuͤß des nothwendigen haben/ und ſich doch nicht mit worten zu expliciren oder auf die fragen zu antworten wiſſen. Da- her ich bey ſolchen faſt am rathſamſten hielte/ ihnen den grund des heyls/ was Chriſtus vor uns gethan/ und uns erworben habe/ mit einfaͤltigen worten vor zu halten und zu erklaͤren/ nachmalen in dem befragen nicht ſo wol von ihnen zu forderen/ daß ſie mit eigenen worten antworten/ als nur die beyden contradictoria von einer jeden ſache vorzuhalten/ welches ſie davon ergreiffen wollen: daraus man doch ihren verſtand erkennen kan. 2. Findet man nun dieſen obwol in geringe maß/ ſo iſt bey denen/ welche ſonſten einige anzeigung des in ihnen wohnenden guten geiſtes von ſich ſpuͤren laſſen/ kein zweiffel einer wuͤrdigen nieſſung des heiligen abendmahls. 3. Koͤnte ich auch den predigern bloſſer dings nicht aufbuͤrden/ daß ſie ſchlech- ter dings niemand zu den heiligen tiſch verſtatten ſolten/ von dem ſie nicht genugſame proben ſeiner wuͤrdigkeit haben/ ſondern in ſorgen daruͤber ſte- hen. Vielmehr glaube/ daß ſie ihr gewiſſen retten/ wo ſie ſolche leute ernſtlich warnen/ ihnen/ wie ihre bewandnuͤß ihnen vorkomme/ und was ſie ihrentwegen ſorgen/ offenhertzig andeuten/ dabey die gefahr der unwuͤr- digen nieſſung beweglich vorhalten/ endlich aber da dieſe ſich nicht abhal- ten laſſen/ auf ihr gefahr vor GOTT admittiren: dafern man nemlich von der obrigkeit/ oder/ welcher dieſes recht vornemlich gehoͤret/ der kirche keine weitere huͤlffe hat/ daß nehmlich dieſelbe einen ſolchẽ excludire/ in welchem fall er freylich ausgeſchloſſen werden koͤnte und muͤßte; ſo lang aber die uͤbrige kirche ihn vor einen bruder noch haͤlt/ wuͤrde eine eigenmaͤchtige excluſion weiter gehen/ als die gewalt uns von dem HERRN gegeben iſt: weil es der gantzen gemeinde zukomt/ welche ſie vor ihre mitglieder annoch er- kennen will/ oder nicht/ zu beurtheilen: dero urtheil folgen wir nach/ die wir derſelben diener ſind. 4. Die insgemein nicht eben ſo bekante materien/ als von dem innern menſchen/ verleugnung ſein ſelbs und derglei- chen belangend/ meine ich ſolte ſie auch den einfaͤltigen zimlich deutlich beyge- bracht werden koͤnnen/ weil es ſolche ſind/ die mit offenbaren exemplen aus dem gemeinen leben moͤgen erlaͤutert werden/ und ſich wol ehe faſſen laſſen/ als andere materien/ die man vor deutlicher und verſtaͤndlicher haͤlt/ weil man mehrmal davon hoͤret: Da hingegen dieſe an ſich ſelbs leichtere materien etwa deswegen moͤgen am ſchwereſten ſeyn/ weil man ſelten davon gehoͤret/ an ſich ſelbſten aber ſind ſie ſo ſehr unverſtaͤndlich nicht. Jndeſſen 5. leugne ich freylich nicht/ daß wir prediger vor allen andern leuten in der groͤſſeſten ſeelen gefahr ſtehen/ und alſo nicht nur mit groſſem fleiß und behut- ſamkeit

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/219>, abgerufen am 09.11.2024.