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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO IX.
ihrer kirchen ordnung eine andere constitution stünde; Es wäre dann sach/ daß
dieselbe die excommunication allein den predigern/ da sie sie proprio ausu
vornehmen wolten/ verböte/ und solche mit der klage an das consistorium/
von dem das urtheil zu erwarten/ wiese: welches nicht mißbilligen könte. Ach
geliebter bruder! lasset uns in diesem betrübten zustand unserer kirchen in un-
serm amt vornehmlich auf die noch folgsame sehen/ und an denselben das mei-
ste unsers diensts verrichten/ und da wir noch in diesen einige frucht durch of-
fentliche und absonderliche handlungen schaffen können/ dem HErrn davor
dancken/ auch dasselbe so viel werth achten/ daß wir unser amt mit so vielmehr
gedult gegen die böse auch verrichten/ ob wir auch nichts bey diesen ausrichte-
ten/ weil wir es doch nicht dahin bringen können/ daß wir mit jenen allein zu
thun vermöchten/ sondern uns entweder auch jener enthalten und unsern dienst
ihnen entziehen oder denselben zugleich von den bösen auf gewisse masse miß-
brauchen lassen müssen. So vielmehr/ weil wir gleichwol auch nicht gar an
allem gehindert werden/ was wir zur besserung der bösen vornehmen sollen/
indem uns gleichwol annoch die offentliche und absonderliche bestraffung der
bösen/ die ankündigung göttlichen zorns und warnung davor/ zugelassen wird/
welches gleichwol lauter mittel seyn/ dadurch solcher armer leute buß befordert
werden kan: also daß nichts überbleibet/ worinnen wir noch gehindert wer-
den/ als daß wir zur wircklichen ausschliessung der beharrlich boßhaff-
tigen nicht gelassen werden. Ob nun zwar diese auch ihren herrlichen nutzen
haben könte/ wo dieselbe in der von Christo eingesetzten ordnung zu werck ge-
richtet würde/ dero unterlassung schuld aber diejenige tragen werden/ welche
solcher sache im weg stehen/ so solle uns dasjenige/ daß wir etwas nicht thun
dörffen/ nicht verdrossen machen/ dasjenige desto treulicher zu thun/ was uns
der HErr in diesem confusen statu annoch gelassen hat. Daß ferner mein
wehrter bruder mich animirt, nicht nur dem verderben der kirchen tieffer nach
zu dencken/ sondern auch ohne menschen-furcht und ansehen anderer exempel,
das werck der besserung selbs anzugreiffen/ erkenne ich ein zeugniß seiner liebe/
dero ich verbunden bleibe. Jch erkenne mich auch zu solchem nach dencken ver-
bunden/ versichere aber denselben/ daß ich auch bisher solche noth mit denjeni-
gen augen angesehen/ die er etwa von mir nicht vermuthet. Jch erkenne fer-
ner mich gehalten/ daß ich an dem werck auch nach vermögen arbeite/ wie etwa
meine vor dem heraus gegebene pia desideria ein zeugniß seyn mögen/ bin auch
noch bereit/ so viel mir der Herr mit einer versicherung meines hertzens (ausser
welcher sich ohne göttliche versuchung nichts thun lässet) zu erkennen giebet/
zu solchem zweck zu thun und anzugreiffen und mich von nichts dergleichen durch
eine bloße menschen furcht abhalten zu lassen/ der ich mir ohne das aufs we-
nigste von Babel nichts anders als verfolgung versehe/ wo mich GOTT noch

etwas
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ARTIC. I. SECTIO IX.
ihrer kirchen ordnung eine andere conſtitution ſtuͤnde; Es waͤre dann ſach/ daß
dieſelbe die excommunication allein den predigern/ da ſie ſie proprio auſu
vornehmen wolten/ verboͤte/ und ſolche mit der klage an das conſiſtorium/
von dem das urtheil zu erwarten/ wieſe: welches nicht mißbilligen koͤnte. Ach
geliebter bruder! laſſet uns in dieſem betruͤbten zuſtand unſerer kirchen in un-
ſerm amt vornehmlich auf die noch folgſame ſehen/ und an denſelben das mei-
ſte unſers dienſts verrichten/ und da wir noch in dieſen einige frucht durch of-
fentliche und abſonderliche handlungen ſchaffen koͤnnen/ dem HErrn davor
dancken/ auch daſſelbe ſo viel werth achten/ daß wir unſer amt mit ſo vielmehr
gedult gegen die boͤſe auch verrichten/ ob wir auch nichts bey dieſen ausrichte-
ten/ weil wir es doch nicht dahin bringen koͤnnen/ daß wir mit jenen allein zu
thun vermoͤchten/ ſondern uns entweder auch jener enthalten und unſern dienſt
ihnen entziehen oder denſelben zugleich von den boͤſen auf gewiſſe maſſe miß-
brauchen laſſen muͤſſen. So vielmehr/ weil wir gleichwol auch nicht gar an
allem gehindert werden/ was wir zur beſſerung der boͤſen vornehmen ſollen/
indem uns gleichwol annoch die offentliche und abſonderliche beſtraffung der
boͤſen/ die ankuͤndigung goͤttlichen zorns und warnung davor/ zugelaſſen wird/
welches gleichwol lauter mittel ſeyn/ dadurch ſolcher armer leute buß befordert
werden kan: alſo daß nichts uͤberbleibet/ worinnen wir noch gehindert wer-
den/ als daß wir zur wircklichen ausſchlieſſung der beharrlich boßhaff-
tigen nicht gelaſſen werden. Ob nun zwar dieſe auch ihren herrlichen nutzen
haben koͤnte/ wo dieſelbe in der von Chriſto eingeſetzten ordnung zu werck ge-
richtet wuͤrde/ dero unterlaſſung ſchuld aber diejenige tragen werden/ welche
ſolcher ſache im weg ſtehen/ ſo ſolle uns dasjenige/ daß wir etwas nicht thun
doͤrffen/ nicht verdroſſen machen/ dasjenige deſto treulicher zu thun/ was uns
der HErr in dieſem confuſen ſtatu annoch gelaſſen hat. Daß ferner mein
wehrter bruder mich animirt, nicht nur dem verderben der kirchen tieffer nach
zu dencken/ ſondern auch ohne menſchen-furcht und anſehen anderer exempel,
das werck der beſſerung ſelbs anzugreiffen/ erkenne ich ein zeugniß ſeiner liebe/
dero ich verbunden bleibe. Jch erkenne mich auch zu ſolchem nach dencken ver-
bunden/ verſichere aber denſelben/ daß ich auch bisher ſolche noth mit denjeni-
gen augen angeſehen/ die er etwa von mir nicht vermuthet. Jch erkenne fer-
ner mich gehalten/ daß ich an dem werck auch nach vermoͤgen arbeite/ wie etwa
meine vor dem heraus gegebene pia deſideria ein zeugniß ſeyn moͤgen/ bin auch
noch bereit/ ſo viel mir der Herr mit einer verſicherung meines hertzens (auſſer
welcher ſich ohne goͤttliche verſuchung nichts thun laͤſſet) zu erkennen giebet/
zu ſolchem zweck zu thun und anzugreiffen uñ mich von nichts dergleichen durch
eine bloße menſchen furcht abhalten zu laſſen/ der ich mir ohne das aufs we-
nigſte von Babel nichts anders als verfolgung verſehe/ wo mich GOTT noch

etwas
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[203/0215] ARTIC. I. SECTIO IX. ihrer kirchen ordnung eine andere conſtitution ſtuͤnde; Es waͤre dann ſach/ daß dieſelbe die excommunication allein den predigern/ da ſie ſie proprio auſu vornehmen wolten/ verboͤte/ und ſolche mit der klage an das conſiſtorium/ von dem das urtheil zu erwarten/ wieſe: welches nicht mißbilligen koͤnte. Ach geliebter bruder! laſſet uns in dieſem betruͤbten zuſtand unſerer kirchen in un- ſerm amt vornehmlich auf die noch folgſame ſehen/ und an denſelben das mei- ſte unſers dienſts verrichten/ und da wir noch in dieſen einige frucht durch of- fentliche und abſonderliche handlungen ſchaffen koͤnnen/ dem HErrn davor dancken/ auch daſſelbe ſo viel werth achten/ daß wir unſer amt mit ſo vielmehr gedult gegen die boͤſe auch verrichten/ ob wir auch nichts bey dieſen ausrichte- ten/ weil wir es doch nicht dahin bringen koͤnnen/ daß wir mit jenen allein zu thun vermoͤchten/ ſondern uns entweder auch jener enthalten und unſern dienſt ihnen entziehen oder denſelben zugleich von den boͤſen auf gewiſſe maſſe miß- brauchen laſſen muͤſſen. So vielmehr/ weil wir gleichwol auch nicht gar an allem gehindert werden/ was wir zur beſſerung der boͤſen vornehmen ſollen/ indem uns gleichwol annoch die offentliche und abſonderliche beſtraffung der boͤſen/ die ankuͤndigung goͤttlichen zorns und warnung davor/ zugelaſſen wird/ welches gleichwol lauter mittel ſeyn/ dadurch ſolcher armer leute buß befordert werden kan: alſo daß nichts uͤberbleibet/ worinnen wir noch gehindert wer- den/ als daß wir zur wircklichen ausſchlieſſung der beharrlich boßhaff- tigen nicht gelaſſen werden. Ob nun zwar dieſe auch ihren herrlichen nutzen haben koͤnte/ wo dieſelbe in der von Chriſto eingeſetzten ordnung zu werck ge- richtet wuͤrde/ dero unterlaſſung ſchuld aber diejenige tragen werden/ welche ſolcher ſache im weg ſtehen/ ſo ſolle uns dasjenige/ daß wir etwas nicht thun doͤrffen/ nicht verdroſſen machen/ dasjenige deſto treulicher zu thun/ was uns der HErr in dieſem confuſen ſtatu annoch gelaſſen hat. Daß ferner mein wehrter bruder mich animirt, nicht nur dem verderben der kirchen tieffer nach zu dencken/ ſondern auch ohne menſchen-furcht und anſehen anderer exempel, das werck der beſſerung ſelbs anzugreiffen/ erkenne ich ein zeugniß ſeiner liebe/ dero ich verbunden bleibe. Jch erkenne mich auch zu ſolchem nach dencken ver- bunden/ verſichere aber denſelben/ daß ich auch bisher ſolche noth mit denjeni- gen augen angeſehen/ die er etwa von mir nicht vermuthet. Jch erkenne fer- ner mich gehalten/ daß ich an dem werck auch nach vermoͤgen arbeite/ wie etwa meine vor dem heraus gegebene pia deſideria ein zeugniß ſeyn moͤgen/ bin auch noch bereit/ ſo viel mir der Herr mit einer verſicherung meines hertzens (auſſer welcher ſich ohne goͤttliche verſuchung nichts thun laͤſſet) zu erkennen giebet/ zu ſolchem zweck zu thun und anzugreiffen uñ mich von nichts dergleichen durch eine bloße menſchen furcht abhalten zu laſſen/ der ich mir ohne das aufs we- nigſte von Babel nichts anders als verfolgung verſehe/ wo mich GOTT noch etwas c c 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/215>, abgerufen am 09.11.2024.