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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
Was vor früchten verstanden werden sollen/ wird leicht und klahr/ wo wir
bedencken/ daß die frucht (als ein terminus metaphoricus) das jenige
seye/ was derjenige hervorbringet/ dessen frucht es heisset. Da ist
also eines lehrers oder propheten frucht/ was er als ein lehrer und pro-
phet hervor bringt/ solches ist aber die lehre: Also ist eines falschen pro-
pheten frucht nichts anders als seine falsche lehre: daran erkennet man ihn/
nach Christi aussage. Reden wir aber von einem Christen insgemein/ so ist
dessen frucht glauben und leben; dann solche kommen einem Christen als
Christen zu/ und daran wird er erkant. Mir kommt die sache so deutlich
vor/ und wie alles auf diese weise nicht verstreuet werde/ sondern artig und
richtig aneinander hange: daß mich wundere/ wo nicht jedermann solches
also erkennete. Dieses möchte das vornehmste seyn aus dem ersten brieff.
Jch wende mich nun zu dem andern/ in dem mich deucht/ daß derselbe fast
deutlicher rede. Was anlangt den miserabeln zustand der evangelischen
kirchen insgemein/ so bin mit ihm eben der meinung/ daß er freylich nicht
gnug bejammert werden möge/ und laugne ich nicht/ daß es neben dem leben
auch an der lehr mangle/ nicht zwar/ wie dieselbe an sich selbs in der thesi und
antithesi ist/ so dann in den libris symbolicis und bey rechtschaffenen The-
ologis
in ihren schrifften sich findet/ als in welcher absicht/ ich unsere lehr
vor wahrheit erkenne/ sondern/ 1. wie sie in der application von ihrer vie-
len verkehret und verderbet wird. 2. Wie sie angesehen wird in vieler pre-
diger verstand/ predigten und schrifften. Wie ich dann mich versichert hal-
te/ daß der prediger nicht wenige sind/ die wahrhafftig die lehre deß heyls
und des glaubens nicht solide verstehen/ und also niemal recht völlig vor-
tragen; Ja auch nicht vorzutragen vermögen/ in dem unterschiedliche wich-
tige puncten sind/ davon sie nichts rechts wissen/ daher dieselbe in ihren pre-
digten übergehen oder gantz ungeschickt davon handlen; da sie doch so nö-
thig sind/ daß/ wo dero erkäntnüß der gemeinde nicht treulich beygebracht
wird/ geschehen kan/ ja gemeiniglich geschiehet/ daß auch die übrige sonsten
an sich wahre lehr auf eine irrige art gefasset wird. Zum exempel/ ich sorge/
daß manche prediger/ was eigentlich der wahre glaube sey/ worinnen seine
natur bestehe/ und was er vor krafft habe/ nicht gründlich verstehen/ dahero et-
wa ihr lebelang davon nichts geprediget/ noch predigen haben können: Wo
nun solche lehrer sind/ ob es wol eine heilige wahre lehre ist/ daß wir allein
aus dem glauben gerecht und selig werden/ so fassen doch alsdann die meiste
zuhörer diesen articul auch falsch/ weil sie den glauben vor einen menschlichen
gedancken halten/ von dem wahrhafftig nicht mag gesagt werden/ daß er den
menschen gerecht mache/ viel weniger allein gerecht mache. Daher kommt
freylich grosse klage auch auf den mangel der lehre. Jndessen kan ich nicht

be-

Das ſiebende Capitel.
Was vor fruͤchten verſtanden werden ſollen/ wird leicht und klahr/ wo wir
bedencken/ daß die frucht (als ein terminus metaphoricus) das jenige
ſeye/ was derjenige hervorbringet/ deſſen frucht es heiſſet. Da iſt
alſo eines lehrers oder propheten frucht/ was er als ein lehrer und pro-
phet hervor bringt/ ſolches iſt aber die lehre: Alſo iſt eines falſchen pro-
pheten frucht nichts anders als ſeine falſche lehre: daran erkennet man ihn/
nach Chriſti auſſage. Reden wir aber von einem Chriſten insgemein/ ſo iſt
deſſen frucht glauben und leben; dann ſolche kommen einem Chriſten als
Chriſten zu/ und daran wird er erkant. Mir kommt die ſache ſo deutlich
vor/ und wie alles auf dieſe weiſe nicht verſtreuet werde/ ſondern artig und
richtig aneinander hange: daß mich wundere/ wo nicht jedermann ſolches
alſo erkennete. Dieſes moͤchte das vornehmſte ſeyn aus dem erſten brieff.
Jch wende mich nun zu dem andern/ in dem mich deucht/ daß derſelbe faſt
deutlicher rede. Was anlangt den miſerabeln zuſtand der evangeliſchen
kirchen insgemein/ ſo bin mit ihm eben der meinung/ daß er freylich nicht
gnug bejammert werden moͤge/ und laugne ich nicht/ daß es neben dem leben
auch an der lehr mangle/ nicht zwar/ wie dieſelbe an ſich ſelbs in der theſi und
antitheſi iſt/ ſo dann in den libris ſymbolicis und bey rechtſchaffenen The-
ologis
in ihren ſchrifften ſich findet/ als in welcher abſicht/ ich unſere lehr
vor wahrheit erkenne/ ſondern/ 1. wie ſie in der application von ihrer vie-
len verkehret und verderbet wird. 2. Wie ſie angeſehen wird in vieler pre-
diger verſtand/ predigten und ſchrifften. Wie ich dann mich verſichert hal-
te/ daß der prediger nicht wenige ſind/ die wahrhafftig die lehre deß heyls
und des glaubens nicht ſolide verſtehen/ und alſo niemal recht voͤllig vor-
tragen; Ja auch nicht vorzutragen vermoͤgen/ in dem unterſchiedliche wich-
tige puncten ſind/ davon ſie nichts rechts wiſſen/ daher dieſelbe in ihren pre-
digten uͤbergehen oder gantz ungeſchickt davon handlen; da ſie doch ſo noͤ-
thig ſind/ daß/ wo dero erkaͤntnuͤß der gemeinde nicht treulich beygebracht
wird/ geſchehen kan/ ja gemeiniglich geſchiehet/ daß auch die uͤbrige ſonſten
an ſich wahre lehr auf eine irrige art gefaſſet wird. Zum exempel/ ich ſorge/
daß manche prediger/ was eigentlich der wahre glaube ſey/ worinnen ſeine
natur beſtehe/ und was er vor krafft habe/ nicht gruͤndlich verſtehen/ dahero et-
wa ihr lebelang davon nichts geprediget/ noch predigen haben koͤnnen: Wo
nun ſolche lehrer ſind/ ob es wol eine heilige wahre lehre iſt/ daß wir allein
aus dem glauben gerecht und ſelig werden/ ſo faſſen doch alsdann die meiſte
zuhoͤrer dieſen articul auch falſch/ weil ſie den glauben vor einen menſchlichen
gedancken halten/ von dem wahrhafftig nicht mag geſagt werden/ daß er den
menſchen gerecht mache/ viel weniger allein gerecht mache. Daher kommt
freylich groſſe klage auch auf den mangel der lehre. Jndeſſen kan ich nicht

be-
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[200/0212] Das ſiebende Capitel. Was vor fruͤchten verſtanden werden ſollen/ wird leicht und klahr/ wo wir bedencken/ daß die frucht (als ein terminus metaphoricus) das jenige ſeye/ was derjenige hervorbringet/ deſſen frucht es heiſſet. Da iſt alſo eines lehrers oder propheten frucht/ was er als ein lehrer und pro- phet hervor bringt/ ſolches iſt aber die lehre: Alſo iſt eines falſchen pro- pheten frucht nichts anders als ſeine falſche lehre: daran erkennet man ihn/ nach Chriſti auſſage. Reden wir aber von einem Chriſten insgemein/ ſo iſt deſſen frucht glauben und leben; dann ſolche kommen einem Chriſten als Chriſten zu/ und daran wird er erkant. Mir kommt die ſache ſo deutlich vor/ und wie alles auf dieſe weiſe nicht verſtreuet werde/ ſondern artig und richtig aneinander hange: daß mich wundere/ wo nicht jedermann ſolches alſo erkennete. Dieſes moͤchte das vornehmſte ſeyn aus dem erſten brieff. Jch wende mich nun zu dem andern/ in dem mich deucht/ daß derſelbe faſt deutlicher rede. Was anlangt den miſerabeln zuſtand der evangeliſchen kirchen insgemein/ ſo bin mit ihm eben der meinung/ daß er freylich nicht gnug bejammert werden moͤge/ und laugne ich nicht/ daß es neben dem leben auch an der lehr mangle/ nicht zwar/ wie dieſelbe an ſich ſelbs in der theſi und antitheſi iſt/ ſo dann in den libris ſymbolicis und bey rechtſchaffenen The- ologis in ihren ſchrifften ſich findet/ als in welcher abſicht/ ich unſere lehr vor wahrheit erkenne/ ſondern/ 1. wie ſie in der application von ihrer vie- len verkehret und verderbet wird. 2. Wie ſie angeſehen wird in vieler pre- diger verſtand/ predigten und ſchrifften. Wie ich dann mich verſichert hal- te/ daß der prediger nicht wenige ſind/ die wahrhafftig die lehre deß heyls und des glaubens nicht ſolide verſtehen/ und alſo niemal recht voͤllig vor- tragen; Ja auch nicht vorzutragen vermoͤgen/ in dem unterſchiedliche wich- tige puncten ſind/ davon ſie nichts rechts wiſſen/ daher dieſelbe in ihren pre- digten uͤbergehen oder gantz ungeſchickt davon handlen; da ſie doch ſo noͤ- thig ſind/ daß/ wo dero erkaͤntnuͤß der gemeinde nicht treulich beygebracht wird/ geſchehen kan/ ja gemeiniglich geſchiehet/ daß auch die uͤbrige ſonſten an ſich wahre lehr auf eine irrige art gefaſſet wird. Zum exempel/ ich ſorge/ daß manche prediger/ was eigentlich der wahre glaube ſey/ worinnen ſeine natur beſtehe/ und was er vor krafft habe/ nicht gruͤndlich verſtehen/ dahero et- wa ihr lebelang davon nichts geprediget/ noch predigen haben koͤnnen: Wo nun ſolche lehrer ſind/ ob es wol eine heilige wahre lehre iſt/ daß wir allein aus dem glauben gerecht und ſelig werden/ ſo faſſen doch alsdann die meiſte zuhoͤrer dieſen articul auch falſch/ weil ſie den glauben vor einen menſchlichen gedancken halten/ von dem wahrhafftig nicht mag geſagt werden/ daß er den menſchen gerecht mache/ viel weniger allein gerecht mache. Daher kommt freylich groſſe klage auch auf den mangel der lehre. Jndeſſen kan ich nicht be-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/212>, abgerufen am 09.11.2024.