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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO I.
traueten zu thun, noch sich zu einer solchen vertraulichkeit verstehen könten,
(wie auch nicht ohne, ehe man sich genauer untereinander kennet, daß es e-
ben nicht allemal rathsam, daß sich jeder gegen den andern gantz freymü-
thig heraus lasse.) daß aufs wenigste sich jeglicher einen oder zween erwehlte,
mit denen er und sie mit ihm in eine solche familiarität sich einliessen, dasjeni-
ge unter sich zu thun, was im bessern stand des Christenthums alle unter sich
zu thun gepfleget, nemlich sich brüderlich untereinander wahrzunehmen, und
zur liebe und andern guten wercken sich, sonderlich nachdem je einer des an-
dern hertzensgrund auch mehr erkennen gelernet, mit nachdruck zu reitzen.
Welches gewißlich, wo es unter christlichen auditoribus in den schwang ge-
bracht wird, von unaussprechlichem nutzen ist. Jch entsinne mich dabey,
daß vor unterschiedlichen jahren zwey christliche und feine studiosi allhier,
deren einer an meinem tisch und hause war, allein unter sich selbs eine solche
übung hatten, daß sie ohne andere meine manuduction, als daß den vor-
schlag gethan hatte, die episteln Pauli in ihrer täglichen zusammenkunfft vor
sich genommen, ohne einigen commentarium mit behuff allein der concor-
dantiae Schmidianae
wegen der griechischen parallel-ort, den text ponderirt,
den verstand untersacht, und manchmal die porismata daraus gezogen, und
sich unter sich, nachdem ihnen der text jedesmal anlaß gegeben, geprüffet
und erinnert. Solches fanden sie auch dergleichen nutzen ihnen zu bringen,
daß mir der eine, so ein gelehrter Magister, der unterschiedliche mal praesidi-
r
et hatte, bekennet, von keinem collegio auf einiger der universitäten, die er
besucht, so viel nutzen gehabt zu haben, als von solchem exercitio amico,
darinnen sie sich beyde in ihrem Christenthum erbauet, und zu dem werck des
diensts beqvem gemacht haben: Wie sie denn beyde bis dahero mit vielem
göttlichen segen ihren gemeinden vorgestanden sind. Dieses wäre mein
einfältiger vorschlag, dabey E. Excellenz nichts vorschreibe, sondern viel-
mehr auf dero begehren Jhro meine einfalt zur beurtheilung überlasse. Doch
halte dieses einige das gewisseste, daß zum grund einer rechten erbauung
nichts besser als die schrifft selbs geleget, und jene aus dieser lieber als andern
menschlichen büchern, die sonsten auch nicht verachte, aber jener nicht gleich
halte, gesuchet werden solle. Greiffet man nachmal das werck in der forcht
des HERRN und mit redlicher intention an, so gibt sich in progressu vie-
les von selbsten, wie es am besten anzustellen, das man eben voran noch
nicht so waruehmen oder vorsagen können: auch wird gewißlich der
HERR, dessen ehre es betrifft, auf hertzliche anruffung es an seinem se-
gen nicht ermangeln lassen. Wie ich denn auch seine himmlische güte de-
müthigst anruffe, die deroselben gottselige intention, die anvertraute stu-
dir
ende jugend zu einer heiligen erudition und gründlicher Gottseligkeit

anzu-
z 2

ARTIC. II. SECTIO I.
traueten zu thun, noch ſich zu einer ſolchen vertraulichkeit verſtehen koͤnten,
(wie auch nicht ohne, ehe man ſich genauer untereinander kennet, daß es e-
ben nicht allemal rathſam, daß ſich jeder gegen den andern gantz freymuͤ-
thig heraus laſſe.) daß aufs wenigſte ſich jeglicher einen oder zween erwehlte,
mit denen er und ſie mit ihm in eine ſolche familiaritaͤt ſich einlieſſen, dasjeni-
ge unter ſich zu thun, was im beſſern ſtand des Chriſtenthums alle unter ſich
zu thun gepfleget, nemlich ſich bruͤderlich untereinander wahrzunehmen, und
zur liebe und andern guten wercken ſich, ſonderlich nachdem je einer des an-
dern hertzensgrund auch mehr erkennen gelernet, mit nachdruck zu reitzen.
Welches gewißlich, wo es unter chriſtlichen auditoribus in den ſchwang ge-
bracht wird, von unausſprechlichem nutzen iſt. Jch entſinne mich dabey,
daß vor unterſchiedlichen jahren zwey chriſtliche und feine ſtudioſi allhier,
deren einer an meinem tiſch und hauſe war, allein unter ſich ſelbs eine ſolche
uͤbung hatten, daß ſie ohne andere meine manuduction, als daß den vor-
ſchlag gethan hatte, die epiſteln Pauli in ihrer taͤglichen zuſammenkunfft vor
ſich genommen, ohne einigen commentarium mit behuff allein der concor-
dantiæ Schmidianæ
wegẽ der griechiſchen parallel-ort, den text ponderirt,
den verſtand unterſacht, und manchmal die porismata daraus gezogen, und
ſich unter ſich, nachdem ihnen der text jedesmal anlaß gegeben, gepruͤffet
und erinnert. Solches fanden ſie auch dergleichen nutzen ihnen zu bringen,
daß mir der eine, ſo ein gelehrter Magiſter, der unterſchiedliche mal præſidi-
r
et hatte, bekennet, von keinem collegio auf einiger der univerſitaͤten, die er
beſucht, ſo viel nutzen gehabt zu haben, als von ſolchem exercitio amico,
darinnen ſie ſich beyde in ihrem Chriſtenthum erbauet, und zu dem werck des
dienſts beqvem gemacht haben: Wie ſie denn beyde bis dahero mit vielem
goͤttlichen ſegen ihren gemeinden vorgeſtanden ſind. Dieſes waͤre mein
einfaͤltiger vorſchlag, dabey E. Excellenz nichts vorſchreibe, ſondern viel-
mehr auf dero begehren Jhro meine einfalt zur beurtheilung uͤberlaſſe. Doch
halte dieſes einige das gewiſſeſte, daß zum grund einer rechten erbauung
nichts beſſer als die ſchrifft ſelbs geleget, und jene aus dieſer lieber als andern
menſchlichen buͤchern, die ſonſten auch nicht verachte, aber jener nicht gleich
halte, geſuchet werden ſolle. Greiffet man nachmal das werck in der forcht
des HERRN und mit redlicher intention an, ſo gibt ſich in progreſſu vie-
les von ſelbſten, wie es am beſten anzuſtellen, das man eben voran noch
nicht ſo waruehmen oder vorſagen koͤnnen: auch wird gewißlich der
HERR, deſſen ehre es betrifft, auf hertzliche anruffung es an ſeinem ſe-
gen nicht ermangeln laſſen. Wie ich denn auch ſeine himmliſche guͤte de-
muͤthigſt anruffe, die deroſelben gottſelige intention, die anvertraute ſtu-
dir
ende jugend zu einer heiligen erudition und gruͤndlicher Gottſeligkeit

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[179/0191] ARTIC. II. SECTIO I. traueten zu thun, noch ſich zu einer ſolchen vertraulichkeit verſtehen koͤnten, (wie auch nicht ohne, ehe man ſich genauer untereinander kennet, daß es e- ben nicht allemal rathſam, daß ſich jeder gegen den andern gantz freymuͤ- thig heraus laſſe.) daß aufs wenigſte ſich jeglicher einen oder zween erwehlte, mit denen er und ſie mit ihm in eine ſolche familiaritaͤt ſich einlieſſen, dasjeni- ge unter ſich zu thun, was im beſſern ſtand des Chriſtenthums alle unter ſich zu thun gepfleget, nemlich ſich bruͤderlich untereinander wahrzunehmen, und zur liebe und andern guten wercken ſich, ſonderlich nachdem je einer des an- dern hertzensgrund auch mehr erkennen gelernet, mit nachdruck zu reitzen. Welches gewißlich, wo es unter chriſtlichen auditoribus in den ſchwang ge- bracht wird, von unausſprechlichem nutzen iſt. Jch entſinne mich dabey, daß vor unterſchiedlichen jahren zwey chriſtliche und feine ſtudioſi allhier, deren einer an meinem tiſch und hauſe war, allein unter ſich ſelbs eine ſolche uͤbung hatten, daß ſie ohne andere meine manuduction, als daß den vor- ſchlag gethan hatte, die epiſteln Pauli in ihrer taͤglichen zuſammenkunfft vor ſich genommen, ohne einigen commentarium mit behuff allein der concor- dantiæ Schmidianæ wegẽ der griechiſchen parallel-ort, den text ponderirt, den verſtand unterſacht, und manchmal die porismata daraus gezogen, und ſich unter ſich, nachdem ihnen der text jedesmal anlaß gegeben, gepruͤffet und erinnert. Solches fanden ſie auch dergleichen nutzen ihnen zu bringen, daß mir der eine, ſo ein gelehrter Magiſter, der unterſchiedliche mal præſidi- ret hatte, bekennet, von keinem collegio auf einiger der univerſitaͤten, die er beſucht, ſo viel nutzen gehabt zu haben, als von ſolchem exercitio amico, darinnen ſie ſich beyde in ihrem Chriſtenthum erbauet, und zu dem werck des dienſts beqvem gemacht haben: Wie ſie denn beyde bis dahero mit vielem goͤttlichen ſegen ihren gemeinden vorgeſtanden ſind. Dieſes waͤre mein einfaͤltiger vorſchlag, dabey E. Excellenz nichts vorſchreibe, ſondern viel- mehr auf dero begehren Jhro meine einfalt zur beurtheilung uͤberlaſſe. Doch halte dieſes einige das gewiſſeſte, daß zum grund einer rechten erbauung nichts beſſer als die ſchrifft ſelbs geleget, und jene aus dieſer lieber als andern menſchlichen buͤchern, die ſonſten auch nicht verachte, aber jener nicht gleich halte, geſuchet werden ſolle. Greiffet man nachmal das werck in der forcht des HERRN und mit redlicher intention an, ſo gibt ſich in progreſſu vie- les von ſelbſten, wie es am beſten anzuſtellen, das man eben voran noch nicht ſo waruehmen oder vorſagen koͤnnen: auch wird gewißlich der HERR, deſſen ehre es betrifft, auf hertzliche anruffung es an ſeinem ſe- gen nicht ermangeln laſſen. Wie ich denn auch ſeine himmliſche guͤte de- muͤthigſt anruffe, die deroſelben gottſelige intention, die anvertraute ſtu- dir ende jugend zu einer heiligen erudition und gruͤndlicher Gottſeligkeit anzu- z 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/191>, abgerufen am 25.11.2024.