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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
stehet) unterschieden sind, sondern wo wir zu ihnen kommen solten, wir uns
entweder schlechterdings unterwerffen und unsern glauben gantz fahren las-
sen, oder sie ihr primum principium, daß die kirche in concilio oecumeni-
co,
nicht irren, und also keine lehr unrecht verdammen könne, über einen
hauffen stossen müsten: So ists auch nicht nur dem succes nach unmüglich,
sondern auch nur zu versuchen gefährlich, das momentum controversiarum
in einigen hauptpuncten zu verringern, als mit dem wir niemal nichts ge-
winnen, aber allezeit gegen sie verliehren müsten. Denn wir können sie in
nichts durch einige interpretation näher zu uns ziehen, als dero gräntzen
durch die autorität der kirchen fest verwahret, aber wir begeben uns leicht
aus unserer festung und vortheil. Daher meine haupt-absicht ist, vermit-
telst göttlicher gnade. 1. Unser seits zu zeigen, wie gefährlich der Papi-
sten lehr sey, und wie wir GOTT so wol für die offenbahrung der wahr-
heit zu dancken, als uns in derselbigen erkäntnüß zu befestigen, und auf al-
les bevorstehendes zu verwahren haben: So dann wie von so vielen unse-
re eigene lehre insgemein nicht recht gefasset, vielmehr schändlich mißdeu-
tet, den feinden zu lästern ursach gegeben, und die gnade GOttes, welche
wir rühmen, auf muthwillen gezogen: Hingegen, wo wir die lehr recht in
ihrer vollständigen harmonie ansehen und behalten, den widersachern
nichts eigeräumet, sondern allein die materie dieselbe zu schänden entzo-
gen werde. 2. Dem gegentheil aber selbs zu zeigen, wie weit sie von der
göttlichen wahrheit abgegangen, wie unbillig sie unsere lehr (welche gött-
lichem wort, der göttlichen ehre, gütigkeit und gerechtigkeit, und der wah-
ren versicher[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]en art selig zu werden, vollkommen gemäß seye) verdammen,
lästern und verfolgen, aber damit sie solches zum schein thun könten, sie sich
gantz anders verstellen. Ob dadurch einigen hartnäckigen das hertz etwas
gerühret, und vermittelst göttlicher gnaden-kraft die augen geöffnet;
sonderlich aber den unter ihnen selbs guten gemüthern die gefahr ihrer lehre,
die sie sonsten selbs nicht eben dermassen einsehen, nachtrücklich vorgestellet,
und sie entweder zu einer weitern gottseligen resolution dem HERRN
die ehre zu geben bewogen, oder in dem guten, was sie von der wahrheit gefas-
set, gestärcket, und von aller befftigkeit gegen uns möchten abgezogen werden.
Wiewol was insgesamt anlangt die frucht, welche man bey dem gegentheil
von dergleichen schrifften sonsten hoffen könte, dadurch meistens geschlagen
wird, daß die gute leute in einer solchen gefängnüß sind, daß sie unsre bü-
cher nicht ohne erlaubnüß lesen mögen: Damit also alle ritze verstopffet blei-
ben, dadurch einiger glast ihnen einleuchten möchte. Daher wir das unsrige
zwar zu thun, aber bey auch weniger hoffnung dem HErrn seine sache allein
zu empfehlen haben. Den bitte ich auch in dieser sache um das liecht seines

gei-

Das ſiebende Capitel.
ſtehet) unterſchieden ſind, ſondern wo wir zu ihnen kommen ſolten, wir uns
entweder ſchlechterdings unterwerffen und unſern glauben gantz fahren laſ-
ſen, oder ſie ihr primum principium, daß die kirche in concilio œcumeni-
co,
nicht irren, und alſo keine lehr unrecht verdammen koͤnne, uͤber einen
hauffen ſtoſſen muͤſten: So iſts auch nicht nur dem ſucces nach unmuͤglich,
ſondeꝛn auch nuꝛ zu verſuchen gefaͤhrlich, das momentum controverſiarum
in einigen hauptpuncten zu verringern, als mit dem wir niemal nichts ge-
winnen, aber allezeit gegen ſie verliehren muͤſten. Denn wir koͤnnen ſie in
nichts durch einige interpretation naͤher zu uns ziehen, als dero graͤntzen
durch die autoritaͤt der kirchen feſt verwahret, aber wir begeben uns leicht
aus unſerer feſtung und vortheil. Daher meine haupt-abſicht iſt, vermit-
telſt goͤttlicher gnade. 1. Unſer ſeits zu zeigen, wie gefaͤhrlich der Papi-
ſten lehr ſey, und wie wir GOTT ſo wol fuͤr die offenbahrung der wahr-
heit zu dancken, als uns in derſelbigen erkaͤntnuͤß zu befeſtigen, und auf al-
les bevorſtehendes zu verwahren haben: So dann wie von ſo vielen unſe-
re eigene lehre insgemein nicht recht gefaſſet, vielmehr ſchaͤndlich mißdeu-
tet, den feinden zu laͤſtern urſach gegeben, und die gnade GOttes, welche
wir ruͤhmen, auf muthwillen gezogen: Hingegen, wo wir die lehr recht in
ihrer vollſtaͤndigen harmonie anſehen und behalten, den widerſachern
nichts eigeraͤumet, ſondern allein die materie dieſelbe zu ſchaͤnden entzo-
gen werde. 2. Dem gegentheil aber ſelbs zu zeigen, wie weit ſie von der
goͤttlichen wahrheit abgegangen, wie unbillig ſie unſere lehr (welche goͤtt-
lichem wort, der goͤttlichen ehre, guͤtigkeit und gerechtigkeit, und der wah-
ren verſicher[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]en art ſelig zu werden, vollkommen gemaͤß ſeye) verdammen,
laͤſtern und verfolgen, aber damit ſie ſolches zum ſchein thun koͤnten, ſie ſich
gantz anders verſtellen. Ob dadurch einigen hartnaͤckigen das hertz etwas
geruͤhret, und vermittelſt goͤttlicher gnaden-kraft die augen geoͤffnet;
ſonderlich aber den unter ihnen ſelbs guten gemuͤthern die gefahr ihrer lehre,
die ſie ſonſten ſelbs nicht eben dermaſſen einſehen, nachtruͤcklich vorgeſtellet,
und ſie entweder zu einer weitern gottſeligen reſolution dem HERRN
die ehre zu geben bewogen, oder in dem guten, was ſie von der wahrheit gefaſ-
ſet, geſtaͤrcket, und von aller befftigkeit gegen uns moͤchten abgezogen werden.
Wiewol was insgeſamt anlangt die frucht, welche man bey dem gegentheil
von dergleichen ſchrifften ſonſten hoffen koͤnte, dadurch meiſtens geſchlagen
wird, daß die gute leute in einer ſolchen gefaͤngnuͤß ſind, daß ſie unſre buͤ-
cher nicht ohne erlaubnuͤß leſen moͤgen: Damit alſo alle ritze verſtopffet blei-
ben, dadurch einiger glaſt ihnen einleuchten moͤchte. Daher wir das unſrige
zwar zu thun, aber bey auch weniger hoffnung dem HErrn ſeine ſache allein
zu empfehlen haben. Den bitte ich auch in dieſer ſache um das liecht ſeines

gei-
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[154/0166] Das ſiebende Capitel. ſtehet) unterſchieden ſind, ſondern wo wir zu ihnen kommen ſolten, wir uns entweder ſchlechterdings unterwerffen und unſern glauben gantz fahren laſ- ſen, oder ſie ihr primum principium, daß die kirche in concilio œcumeni- co, nicht irren, und alſo keine lehr unrecht verdammen koͤnne, uͤber einen hauffen ſtoſſen muͤſten: So iſts auch nicht nur dem ſucces nach unmuͤglich, ſondeꝛn auch nuꝛ zu verſuchen gefaͤhrlich, das momentum controverſiarum in einigen hauptpuncten zu verringern, als mit dem wir niemal nichts ge- winnen, aber allezeit gegen ſie verliehren muͤſten. Denn wir koͤnnen ſie in nichts durch einige interpretation naͤher zu uns ziehen, als dero graͤntzen durch die autoritaͤt der kirchen feſt verwahret, aber wir begeben uns leicht aus unſerer feſtung und vortheil. Daher meine haupt-abſicht iſt, vermit- telſt goͤttlicher gnade. 1. Unſer ſeits zu zeigen, wie gefaͤhrlich der Papi- ſten lehr ſey, und wie wir GOTT ſo wol fuͤr die offenbahrung der wahr- heit zu dancken, als uns in derſelbigen erkaͤntnuͤß zu befeſtigen, und auf al- les bevorſtehendes zu verwahren haben: So dann wie von ſo vielen unſe- re eigene lehre insgemein nicht recht gefaſſet, vielmehr ſchaͤndlich mißdeu- tet, den feinden zu laͤſtern urſach gegeben, und die gnade GOttes, welche wir ruͤhmen, auf muthwillen gezogen: Hingegen, wo wir die lehr recht in ihrer vollſtaͤndigen harmonie anſehen und behalten, den widerſachern nichts eigeraͤumet, ſondern allein die materie dieſelbe zu ſchaͤnden entzo- gen werde. 2. Dem gegentheil aber ſelbs zu zeigen, wie weit ſie von der goͤttlichen wahrheit abgegangen, wie unbillig ſie unſere lehr (welche goͤtt- lichem wort, der goͤttlichen ehre, guͤtigkeit und gerechtigkeit, und der wah- ren verſicher_en art ſelig zu werden, vollkommen gemaͤß ſeye) verdammen, laͤſtern und verfolgen, aber damit ſie ſolches zum ſchein thun koͤnten, ſie ſich gantz anders verſtellen. Ob dadurch einigen hartnaͤckigen das hertz etwas geruͤhret, und vermittelſt goͤttlicher gnaden-kraft die augen geoͤffnet; ſonderlich aber den unter ihnen ſelbs guten gemuͤthern die gefahr ihrer lehre, die ſie ſonſten ſelbs nicht eben dermaſſen einſehen, nachtruͤcklich vorgeſtellet, und ſie entweder zu einer weitern gottſeligen reſolution dem HERRN die ehre zu geben bewogen, oder in dem guten, was ſie von der wahrheit gefaſ- ſet, geſtaͤrcket, und von aller befftigkeit gegen uns moͤchten abgezogen werden. Wiewol was insgeſamt anlangt die frucht, welche man bey dem gegentheil von dergleichen ſchrifften ſonſten hoffen koͤnte, dadurch meiſtens geſchlagen wird, daß die gute leute in einer ſolchen gefaͤngnuͤß ſind, daß ſie unſre buͤ- cher nicht ohne erlaubnuͤß leſen moͤgen: Damit alſo alle ritze verſtopffet blei- ben, dadurch einiger glaſt ihnen einleuchten moͤchte. Daher wir das unſrige zwar zu thun, aber bey auch weniger hoffnung dem HErrn ſeine ſache allein zu empfehlen haben. Den bitte ich auch in dieſer ſache um das liecht ſeines gei-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/166>, abgerufen am 25.11.2024.