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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECT. XXXIII.
Römischen ist dieses als die seele des glaubens, glauben was die kirche glau-
bet. Daher in solcher grossen gefahr der Römischen verführung haben wir
ja genau auf die lehr derselben zu sehen, nicht wie man etzlicher massen einen
andern verstand in den worten finden könte, sondern wie der verstand eigen-
lich nach der kirchen meinung seyn solle. Wo wir nun auf diese art die lehr
examiniren, welches gantz nöthig ist, so werden wir finden, daß einmal ein
haupt-streit in solchem articul seye, der sich auch nachmal in alle übrige arti-
cul erbreitet; wie ich hoffe in meinem scripto gantz deutlich darzulegen: Daß
kein einiger articul, der in die oeconomiam salutis nostrae einlauffet, übrig
bleibe, da nicht ihre gantze analogia fidei der unsrigen in den hauptstücken,
und wo der knoten allemal hafftet, entgegen stünde. Das bleibet wol unter
beyderseits wahr, das heyl komme von CHristi verdienst, aber ob die erlan-
gung dessen nur ein blosses gnaden-geschenck seye, welches unsere behauptende
imputatio in sich fasset, oder ob es müsse erst von uns mit unsern wercken ver-
dienet, und nach dem jetzo die verdienste gnugsam, oder nicht gnugsam, aus
denselben die gewißheit und ungewißheit des heils hergenommen werden, ist
ein solcher hauptstreit, welcher durch alle articul durchlauffet, und uns Pau-
lus sonderlich zeiget, wie hoch in solchem momento, ob es blosse gnade oder
etwas vermischtes, gelegen seye: Also daß er auch Christum verloren zu seyn
achtet, wo etwas mit eingemischet wird, was in der ordnung unsers heils dem
glauben beygefüget wird. Daher ich zwar offt in den polemicis mit betrüb-
nüß ansehe, daß die sache des HERRN freylich mehrmal mit fleischlichen
affecten geführet, und damit mehr verdorben worden; Solches aber stehet
nicht darinnen, daß der haupt-unterscheid zu hoch exaggeriret worden, son-
dern in andern stücken, die mehr den modum tractandi betreffen. So ist
auch sonderlich zu mercken, daß in dem Concilio Tridentino, welches den
riß unheilbar gemachet, ausdrücklich unsere orthodoxe theses de justifica-
tione & tota oeconomia salutis
verdammet und anathematisiret worden.
Nun kan kein Papist von dem Concilio abweichen, oder auch dasselbe nur ge-
linder auslegen, sondern er ist darzu verbunden, oder höret auf ein glied der
Römischen Catholischen kirchen zu seyn; so gehöret die auslegung abermal
allein der kirchen selbs. Wir aber können uns solche warheit nicht nehmen
lassen, noch dürffen suchen dasjenige anders zu mildern durch eine fügliche er-
klärung, was uns ex sensu Romanae Ecclesiae entgegen gesetzet, und nicht nur
unsere wort sondern unsren sinn selbs verwirfft. Wie also wegen desjenigen
risses, der sich nicht wider menschlicher weise ergäntzen lässet, weil wir princi-
piis
(da dorten der kirchen autorität, und zwar einer kirchen die uns ver-
dammet hat, hie aber die schrifft in ihrem in sich selbs habendem verstand

stehet)
IV. Theil. u

ARTIC. I. SECT. XXXIII.
Roͤmiſchen iſt dieſes als die ſeele des glaubens, glauben was die kirche glau-
bet. Daher in ſolcher groſſen gefahr der Roͤmiſchen verfuͤhrung haben wir
ja genau auf die lehr derſelben zu ſehen, nicht wie man etzlicher maſſen einen
andern verſtand in den worten finden koͤnte, ſondern wie der verſtand eigen-
lich nach der kirchen meinung ſeyn ſolle. Wo wir nun auf dieſe art die lehr
examiniren, welches gantz noͤthig iſt, ſo werden wir finden, daß einmal ein
haupt-ſtreit in ſolchem articul ſeye, der ſich auch nachmal in alle uͤbrige arti-
cul erbreitet; wie ich hoffe in meinem ſcripto gantz deutlich darzulegen: Daß
kein einiger articul, der in die œconomiam ſalutis noſtræ einlauffet, uͤbrig
bleibe, da nicht ihre gantze analogia fidei der unſrigen in den hauptſtuͤcken,
und wo der knoten allemal hafftet, entgegen ſtuͤnde. Das bleibet wol unter
beyderſeits wahr, das heyl komme von CHriſti verdienſt, aber ob die erlan-
gung deſſen nur ein bloſſes gnaden-geſchenck ſeye, welches unſere behauptende
imputatio in ſich faſſet, oder ob es muͤſſe erſt von uns mit unſern wercken ver-
dienet, und nach dem jetzo die verdienſte gnugſam, oder nicht gnugſam, aus
denſelben die gewißheit und ungewißheit des heils hergenommen werden, iſt
ein ſolcher hauptſtreit, welcher durch alle articul durchlauffet, und uns Pau-
lus ſonderlich zeiget, wie hoch in ſolchem momento, ob es bloſſe gnade oder
etwas vermiſchtes, gelegen ſeye: Alſo daß er auch Chriſtum verloren zu ſeyn
achtet, wo etwas mit eingemiſchet wird, was in der ordnung unſers heils dem
glauben beygefuͤget wird. Daher ich zwar offt in den polemicis mit betruͤb-
nuͤß anſehe, daß die ſache des HERRN freylich mehrmal mit fleiſchlichen
affecten gefuͤhret, und damit mehr verdorben worden; Solches aber ſtehet
nicht darinnen, daß der haupt-unterſcheid zu hoch exaggeriret worden, ſon-
dern in andern ſtuͤcken, die mehr den modum tractandi betreffen. So iſt
auch ſonderlich zu mercken, daß in dem Concilio Tridentino, welches den
riß unheilbar gemachet, ausdruͤcklich unſere orthodoxe theſes de juſtifica-
tione & tota œconomia ſalutis
verdammet und anathematiſiret worden.
Nun kan kein Papiſt von dem Concilio abweichen, oder auch daſſelbe nur ge-
linder auslegen, ſondern er iſt darzu verbunden, oder hoͤret auf ein glied der
Roͤmiſchen Catholiſchen kirchen zu ſeyn; ſo gehoͤret die auslegung abermal
allein der kirchen ſelbs. Wir aber koͤnnen uns ſolche warheit nicht nehmen
laſſen, noch duͤrffen ſuchen dasjenige anders zu mildern durch eine fuͤgliche er-
klaͤrung, was uns ex ſenſu Romanæ Eccleſiæ entgegen geſetzet, und nicht nur
unſere wort ſondern unſren ſinn ſelbs verwirfft. Wie alſo wegen desjenigen
riſſes, der ſich nicht wider menſchlicher weiſe ergaͤntzen laͤſſet, weil wir princi-
piis
(da dorten der kirchen autoritaͤt, und zwar einer kirchen die uns ver-
dammet hat, hie aber die ſchrifft in ihrem in ſich ſelbs habendem verſtand

ſtehet)
IV. Theil. u
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[153/0165] ARTIC. I. SECT. XXXIII. Roͤmiſchen iſt dieſes als die ſeele des glaubens, glauben was die kirche glau- bet. Daher in ſolcher groſſen gefahr der Roͤmiſchen verfuͤhrung haben wir ja genau auf die lehr derſelben zu ſehen, nicht wie man etzlicher maſſen einen andern verſtand in den worten finden koͤnte, ſondern wie der verſtand eigen- lich nach der kirchen meinung ſeyn ſolle. Wo wir nun auf dieſe art die lehr examiniren, welches gantz noͤthig iſt, ſo werden wir finden, daß einmal ein haupt-ſtreit in ſolchem articul ſeye, der ſich auch nachmal in alle uͤbrige arti- cul erbreitet; wie ich hoffe in meinem ſcripto gantz deutlich darzulegen: Daß kein einiger articul, der in die œconomiam ſalutis noſtræ einlauffet, uͤbrig bleibe, da nicht ihre gantze analogia fidei der unſrigen in den hauptſtuͤcken, und wo der knoten allemal hafftet, entgegen ſtuͤnde. Das bleibet wol unter beyderſeits wahr, das heyl komme von CHriſti verdienſt, aber ob die erlan- gung deſſen nur ein bloſſes gnaden-geſchenck ſeye, welches unſere behauptende imputatio in ſich faſſet, oder ob es muͤſſe erſt von uns mit unſern wercken ver- dienet, und nach dem jetzo die verdienſte gnugſam, oder nicht gnugſam, aus denſelben die gewißheit und ungewißheit des heils hergenommen werden, iſt ein ſolcher hauptſtreit, welcher durch alle articul durchlauffet, und uns Pau- lus ſonderlich zeiget, wie hoch in ſolchem momento, ob es bloſſe gnade oder etwas vermiſchtes, gelegen ſeye: Alſo daß er auch Chriſtum verloren zu ſeyn achtet, wo etwas mit eingemiſchet wird, was in der ordnung unſers heils dem glauben beygefuͤget wird. Daher ich zwar offt in den polemicis mit betruͤb- nuͤß anſehe, daß die ſache des HERRN freylich mehrmal mit fleiſchlichen affecten gefuͤhret, und damit mehr verdorben worden; Solches aber ſtehet nicht darinnen, daß der haupt-unterſcheid zu hoch exaggeriret worden, ſon- dern in andern ſtuͤcken, die mehr den modum tractandi betreffen. So iſt auch ſonderlich zu mercken, daß in dem Concilio Tridentino, welches den riß unheilbar gemachet, ausdruͤcklich unſere orthodoxe theſes de juſtifica- tione & tota œconomia ſalutis verdammet und anathematiſiret worden. Nun kan kein Papiſt von dem Concilio abweichen, oder auch daſſelbe nur ge- linder auslegen, ſondern er iſt darzu verbunden, oder hoͤret auf ein glied der Roͤmiſchen Catholiſchen kirchen zu ſeyn; ſo gehoͤret die auslegung abermal allein der kirchen ſelbs. Wir aber koͤnnen uns ſolche warheit nicht nehmen laſſen, noch duͤrffen ſuchen dasjenige anders zu mildern durch eine fuͤgliche er- klaͤrung, was uns ex ſenſu Romanæ Eccleſiæ entgegen geſetzet, und nicht nur unſere wort ſondern unſren ſinn ſelbs verwirfft. Wie alſo wegen desjenigen riſſes, der ſich nicht wider menſchlicher weiſe ergaͤntzen laͤſſet, weil wir princi- piis (da dorten der kirchen autoritaͤt, und zwar einer kirchen die uns ver- dammet hat, hie aber die ſchrifft in ihrem in ſich ſelbs habendem verſtand ſtehet) IV. Theil. u

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/165>, abgerufen am 25.11.2024.