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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XXXII.
thums beyde der weißheit und erkäntnüß verborgen steckt, bis sichsolcher
dermaleins uns völliger offenbare, da wir etwa jetzo nur zu weilen einen
kleinen blick hierinn zu thun gelassen werden. Weswegen ich andere Se-
ct
en zwar hertzlich bejammere, und keinen tag vergehen lasse, daß nicht zu
samt den meinigen in unserem gebet GOtt den himmlischen vater um sol-
cher un-falsch- oder irr-gläubiger bekehrung anflehete, aber gegen dieselbige
weder einen haß der person trage, noch sie also ansehe, als hätte GOTT
nicht unter denselbigen auch noch einen verborgenen guten saamen von lie-
ben seelen, die wol GOTT ihrem vater angenehmer seyn können in
ihrem geringen liechtlein der wahrheit, davor und in dem sie ihm treuer und
danckbarer werden, als etwa wir, welche das liecht der wahrheit auch offent-
lich scheinend haben, und also von rechtswegen mit noch mehrer danckbar-
keit ihme begegnen solten. Daher, wo ich von je mand bey anderen, der
lehre nach von uns unterschiedenen gemeinden, höre, daß er anfange sei-
nem GOtt mit ernst zu dienen, freue ich mich hertzlich, aus solcher guten be-
wegung hoffend, er seye entweder schon wircklich in dem stande, da sein
glaube auf dem wahren grund beruhe, auf dem ihn GOtt mehr befestigen
und erleuchten werde, oder es seye doch an dem, daß ihn GOTT auch zu
solcher gemeinschafft bringen wolle. Jndessen leugne ich nicht, daß bey
nahem unter allen secten ich schwerere verderbnüß nicht anzutreffen meine,
als bey der Römischen kirchen, daher auch sorge, es gehe bey keiner schwerer
her, solchen grund zu erhalten, als bey deroselben. Daher mein hochge-
ehrter Herr sich versicheren wolle, daß, so offt ich derselben, oder einiger per-
son in ihrer gemeinschafft gedencke, das hertz mir über dero gefährlichen
stand mit erbarmender liebe übergehe; Jn dem nicht nur allein dieselbe vor
allen andern mehr in ein gantz politisches wesen und form einer reipublicae
nach der welt art, gar weit von der geistlichen art des himmelreichs Christi
verfallen, sondern mich betrübet meistens, weil nunmehr das principium
in deroselben so vieles von menschlicher autorität in sich hat, wann die auto-
rit
ät der kirchen, concilien, väter und dergleichen, der autorität der heili-
gen schrifft an die seiten gesetzt, ja dieser ansehen und verstand auf jene ge-
gründet wird. Wo ich gleichwol nichts anders erkennen kan, daß genug
seye meinen glauben zu gründen, als das zeugnüß des heiligen Geistes selbs,
wie derselbe in der schrifft redet, und durch die schrifft in dem hertzen der je-
nigen, die sie mit einfalt und gehorsam lesen, die warheit versieglet: ohne
einige reflexion auf einigen menschen, von deme ich nichts anders, als ein
zeugnüß der wahrheit, so sich noch erst aus der schrifft beurtheilen lassen
muß, annehmen darf. Jetzo nicht zu gedencken, wie auch sonsten so viele
lehren in dero kirchen, den menschen von GOTT auf sich und andere creatu-

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t 3

ARTIC. I. SECTIO XXXII.
thums beyde der weißheit und erkaͤntnuͤß verborgen ſteckt, bis ſichſolcher
dermaleins uns voͤlliger offenbare, da wir etwa jetzo nur zu weilen einen
kleinen blick hierinn zu thun gelaſſen werden. Weswegen ich andere Se-
ct
en zwar hertzlich bejammere, und keinen tag vergehen laſſe, daß nicht zu
ſamt den meinigen in unſerem gebet GOtt den himmliſchen vater um ſol-
cher un-falſch- oder irr-glaͤubiger bekehrung anflehete, aber gegen dieſelbige
weder einen haß der perſon trage, noch ſie alſo anſehe, als haͤtte GOTT
nicht unter denſelbigen auch noch einen verborgenen guten ſaamen von lie-
ben ſeelen, die wol GOTT ihrem vater angenehmer ſeyn koͤnnen in
ihrem geringen liechtlein der wahrheit, davor und in dem ſie ihm treuer und
danckbarer werden, als etwa wir, welche das liecht der wahrheit auch offent-
lich ſcheinend haben, und alſo von rechtswegen mit noch mehrer danckbar-
keit ihme begegnen ſolten. Daher, wo ich von je mand bey anderen, der
lehre nach von uns unterſchiedenen gemeinden, hoͤre, daß er anfange ſei-
nem GOtt mit ernſt zu dienen, freue ich mich hertzlich, aus ſolcher guten be-
wegung hoffend, er ſeye entweder ſchon wircklich in dem ſtande, da ſein
glaube auf dem wahren grund beruhe, auf dem ihn GOtt mehr befeſtigen
und erleuchten werde, oder es ſeye doch an dem, daß ihn GOTT auch zu
ſolcher gemeinſchafft bringen wolle. Jndeſſen leugne ich nicht, daß bey
nahem unter allen ſecten ich ſchwerere verderbnuͤß nicht anzutreffen meine,
als bey der Roͤmiſchen kirchen, daher auch ſorge, es gehe bey keiner ſchwerer
her, ſolchen grund zu erhalten, als bey deroſelben. Daher mein hochge-
ehrter Herr ſich verſicheren wolle, daß, ſo offt ich derſelben, oder einiger per-
ſon in ihrer gemeinſchafft gedencke, das hertz mir uͤber dero gefaͤhrlichen
ſtand mit erbarmender liebe uͤbergehe; Jn dem nicht nur allein dieſelbe vor
allen andern mehr in ein gantz politiſches weſen und form einer reipublicæ
nach der welt art, gar weit von der geiſtlichen art des himmelreichs Chriſti
verfallen, ſondern mich betruͤbet meiſtens, weil nunmehr das principium
in deroſelben ſo vieles von menſchlicher autoritaͤt in ſich hat, wann die auto-
rit
aͤt der kirchen, concilien, vaͤter und dergleichen, der autoritaͤt der heili-
gen ſchrifft an die ſeiten geſetzt, ja dieſer anſehen und verſtand auf jene ge-
gruͤndet wird. Wo ich gleichwol nichts anders erkennen kan, daß genug
ſeye meinen glauben zu gruͤnden, als das zeugnuͤß des heiligen Geiſtes ſelbs,
wie derſelbe in der ſchrifft redet, und durch die ſchrifft in dem hertzen der je-
nigen, die ſie mit einfalt und gehorſam leſen, die warheit verſieglet: ohne
einige reflexion auf einigen menſchen, von deme ich nichts anders, als ein
zeugnuͤß der wahrheit, ſo ſich noch erſt aus der ſchrifft beurtheilen laſſen
muß, annehmen darf. Jetzo nicht zu gedencken, wie auch ſonſten ſo viele
lehren in dero kirchen, den menſchen von GOTT auf ſich und andere creatu-

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[149/0161] ARTIC. I. SECTIO XXXII. thums beyde der weißheit und erkaͤntnuͤß verborgen ſteckt, bis ſichſolcher dermaleins uns voͤlliger offenbare, da wir etwa jetzo nur zu weilen einen kleinen blick hierinn zu thun gelaſſen werden. Weswegen ich andere Se- cten zwar hertzlich bejammere, und keinen tag vergehen laſſe, daß nicht zu ſamt den meinigen in unſerem gebet GOtt den himmliſchen vater um ſol- cher un-falſch- oder irr-glaͤubiger bekehrung anflehete, aber gegen dieſelbige weder einen haß der perſon trage, noch ſie alſo anſehe, als haͤtte GOTT nicht unter denſelbigen auch noch einen verborgenen guten ſaamen von lie- ben ſeelen, die wol GOTT ihrem vater angenehmer ſeyn koͤnnen in ihrem geringen liechtlein der wahrheit, davor und in dem ſie ihm treuer und danckbarer werden, als etwa wir, welche das liecht der wahrheit auch offent- lich ſcheinend haben, und alſo von rechtswegen mit noch mehrer danckbar- keit ihme begegnen ſolten. Daher, wo ich von je mand bey anderen, der lehre nach von uns unterſchiedenen gemeinden, hoͤre, daß er anfange ſei- nem GOtt mit ernſt zu dienen, freue ich mich hertzlich, aus ſolcher guten be- wegung hoffend, er ſeye entweder ſchon wircklich in dem ſtande, da ſein glaube auf dem wahren grund beruhe, auf dem ihn GOtt mehr befeſtigen und erleuchten werde, oder es ſeye doch an dem, daß ihn GOTT auch zu ſolcher gemeinſchafft bringen wolle. Jndeſſen leugne ich nicht, daß bey nahem unter allen ſecten ich ſchwerere verderbnuͤß nicht anzutreffen meine, als bey der Roͤmiſchen kirchen, daher auch ſorge, es gehe bey keiner ſchwerer her, ſolchen grund zu erhalten, als bey deroſelben. Daher mein hochge- ehrter Herr ſich verſicheren wolle, daß, ſo offt ich derſelben, oder einiger per- ſon in ihrer gemeinſchafft gedencke, das hertz mir uͤber dero gefaͤhrlichen ſtand mit erbarmender liebe uͤbergehe; Jn dem nicht nur allein dieſelbe vor allen andern mehr in ein gantz politiſches weſen und form einer reipublicæ nach der welt art, gar weit von der geiſtlichen art des himmelreichs Chriſti verfallen, ſondern mich betruͤbet meiſtens, weil nunmehr das principium in deroſelben ſo vieles von menſchlicher autoritaͤt in ſich hat, wann die auto- ritaͤt der kirchen, concilien, vaͤter und dergleichen, der autoritaͤt der heili- gen ſchrifft an die ſeiten geſetzt, ja dieſer anſehen und verſtand auf jene ge- gruͤndet wird. Wo ich gleichwol nichts anders erkennen kan, daß genug ſeye meinen glauben zu gruͤnden, als das zeugnuͤß des heiligen Geiſtes ſelbs, wie derſelbe in der ſchrifft redet, und durch die ſchrifft in dem hertzen der je- nigen, die ſie mit einfalt und gehorſam leſen, die warheit verſieglet: ohne einige reflexion auf einigen menſchen, von deme ich nichts anders, als ein zeugnuͤß der wahrheit, ſo ſich noch erſt aus der ſchrifft beurtheilen laſſen muß, annehmen darf. Jetzo nicht zu gedencken, wie auch ſonſten ſo viele lehren in dero kirchen, den menſchen von GOTT auf ſich und andere creatu- ren t 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/161>, abgerufen am 27.11.2024.