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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
muß) als daß man allerseits die sache nicht anfange allein von debattirung
der streitigen lehrpuncten, sondern setze zum fundament dasjenige, was
auch wahrhafftig das einige fundament des glaubens ist, nemlich JEsum
Christum den gecreutzigten und auferstandenen, welcher uns alle durch sein
theuer verdienst von sünde, tod und teufel erlöset, seinen himmlischen va-
ter uns versöhnet, und uns damit so wol verbunden als auch darzu die
gnade und heiligen Geist erlangt habe, daß wir seines todes und auferste-
hung theilhafftig, kraft jenes allen sünden suchen abzusterben, und das
fleisch zu creutzigen; kraft dieses mit ihm auferwecket ein heiliges und ge-
rechtes leben führen. Damit stehet der glaube, als das einige mittel un-
serer gerechtigkeit und seligkeit und die liebe, als dessen erste frucht auch fol-
gends regiererin unseres gantzen lebens. Wo wir diesen grund rechtschaf-
fen geleget, so stehen wir auf dem wege der seligkeit, die uns nicht fehlen
wird, da wir auf demselben fort wandern in solchem glaubigen vertrauen,
liebe und stätigen verlangen in solchem guten zu zunehmen. Dahin dann
gehören wird der fleiß, stätig sich zu üben in dem wort unsers Heilandes,
darinnen wir so wol die milch als starcke speise finden werden, durch die al-
le, sie seyn junge kinder oder erwachsene in Christo, jeder seine nothwendige
nahrung zu seinem wachsthum finden wird. Wo wir nun in solchem wort
unsers Heilandes, der schrifft, vornemlich im neuen testament uns fleißig ü-
ben werden, aber in derjenigen ordnung, daß wir immerfort unsern himm-
lischen vater hertzlich um seine gnade anruffen, daß er unsere hertzen öffne,
so dann auf die wort Christi und seiner Aposteln gantz einfältig acht geben,
ohne absicht auf einiges menschen auslegung, wie vornehm oder groß der-
selbe in der welt geachtet wird, folglich diese ordnung halten, daß wir erstlich
bey nichts uns aufhalten, als denjenigen dingen, welcher verstand gantz
deutlich, unstreitbar und auch kindern vernehmlich ist, aber so bald mit al-
ler kraft, so uns GOTT gibet, uns dahin zu bestreben suchen, daß wir
solche dinge, so viel das jenige anlanget, was GOTT von uns erfordert,
stracks in die übung bringen, und unser leben darnach richten: So ists un-
zweiflich wahr (nach der verheissung, daß wer da hat dem wird ge geben
werden Matth. 25, 29. und daß GOTT den unmündigen und einfältigen
sich offenbaret Matth. 11, 25.) daß ein solcher mensch immer in der wahr-
heit wachse, und da er vorhin aus schuld seiner auferziehung, und der eusser-
lichen kirchen, bey dero er gelebet, irrthume gehabt, dieselbe fahren las-
sen wird, als der von GOTT in seinem wort anders lernet, als er von an-
dern war gelehret worden. Ach würde dieser weg practiciret, wie in kur-
tzem würde durch göttlichen segen sich ein herrlicher effect erweisen, und die
längst verlohrne, und nur noch in denen GOTT recht suchenden seelen be-

findli-

Das ſiebende Capitel.
muß) als daß man allerſeits die ſache nicht anfange allein von debattirung
der ſtreitigen lehrpuncten, ſondern ſetze zum fundament dasjenige, was
auch wahrhafftig das einige fundament des glaubens iſt, nemlich JEſum
Chriſtum den gecreutzigten und auferſtandenen, welcher uns alle durch ſein
theuer verdienſt von ſuͤnde, tod und teufel erloͤſet, ſeinen himmliſchen va-
ter uns verſoͤhnet, und uns damit ſo wol verbunden als auch darzu die
gnade und heiligen Geiſt erlangt habe, daß wir ſeines todes und auferſte-
hung theilhafftig, kraft jenes allen ſuͤnden ſuchen abzuſterben, und das
fleiſch zu creutzigen; kraft dieſes mit ihm auferwecket ein heiliges und ge-
rechtes leben fuͤhren. Damit ſtehet der glaube, als das einige mittel un-
ſerer gerechtigkeit und ſeligkeit und die liebe, als deſſen erſte frucht auch fol-
gends regiererin unſeres gantzen lebens. Wo wir dieſen grund rechtſchaf-
fen geleget, ſo ſtehen wir auf dem wege der ſeligkeit, die uns nicht fehlen
wird, da wir auf demſelben fort wandern in ſolchem glaubigen vertrauen,
liebe und ſtaͤtigen verlangen in ſolchem guten zu zunehmen. Dahin dann
gehoͤren wird der fleiß, ſtaͤtig ſich zu uͤben in dem wort unſers Heilandes,
darinnen wir ſo wol die milch als ſtarcke ſpeiſe finden werden, durch die al-
le, ſie ſeyn junge kinder oder erwachſene in Chriſto, jeder ſeine nothwendige
nahrung zu ſeinem wachsthum finden wird. Wo wir nun in ſolchem wort
unſers Heilandes, der ſchrifft, vornemlich im neuen teſtament uns fleißig uͤ-
ben werden, aber in derjenigen ordnung, daß wir immerfort unſern himm-
liſchen vater hertzlich um ſeine gnade anruffen, daß er unſere hertzen oͤffne,
ſo dann auf die wort Chriſti und ſeiner Apoſteln gantz einfaͤltig acht geben,
ohne abſicht auf einiges menſchen auslegung, wie vornehm oder groß der-
ſelbe in der welt geachtet wird, folglich dieſe ordnung halten, daß wir erſtlich
bey nichts uns aufhalten, als denjenigen dingen, welcher verſtand gantz
deutlich, unſtreitbar und auch kindern vernehmlich iſt, aber ſo bald mit al-
ler kraft, ſo uns GOTT gibet, uns dahin zu beſtreben ſuchen, daß wir
ſolche dinge, ſo viel das jenige anlanget, was GOTT von uns erfordert,
ſtracks in die uͤbung bringen, und unſer leben darnach richten: So iſts un-
zweiflich wahr (nach der verheiſſung, daß wer da hat dem wird ge geben
werden Matth. 25, 29. und daß GOTT den unmuͤndigen und einfaͤltigen
ſich offenbaret Matth. 11, 25.) daß ein ſolcher menſch immer in der wahr-
heit wachſe, und da er vorhin aus ſchuld ſeiner auferziehung, und der euſſer-
lichen kirchen, bey dero er gelebet, irrthume gehabt, dieſelbe fahren laſ-
ſen wird, als der von GOTT in ſeinem wort anders lernet, als er von an-
dern war gelehret worden. Ach wuͤrde dieſer weg practiciret, wie in kur-
tzem wuͤrde durch goͤttlichen ſegen ſich ein herrlicher effect erweiſen, und die
laͤngſt verlohrne, und nur noch in denen GOTT recht ſuchenden ſeelen be-

findli-
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[146/0158] Das ſiebende Capitel. muß) als daß man allerſeits die ſache nicht anfange allein von debattirung der ſtreitigen lehrpuncten, ſondern ſetze zum fundament dasjenige, was auch wahrhafftig das einige fundament des glaubens iſt, nemlich JEſum Chriſtum den gecreutzigten und auferſtandenen, welcher uns alle durch ſein theuer verdienſt von ſuͤnde, tod und teufel erloͤſet, ſeinen himmliſchen va- ter uns verſoͤhnet, und uns damit ſo wol verbunden als auch darzu die gnade und heiligen Geiſt erlangt habe, daß wir ſeines todes und auferſte- hung theilhafftig, kraft jenes allen ſuͤnden ſuchen abzuſterben, und das fleiſch zu creutzigen; kraft dieſes mit ihm auferwecket ein heiliges und ge- rechtes leben fuͤhren. Damit ſtehet der glaube, als das einige mittel un- ſerer gerechtigkeit und ſeligkeit und die liebe, als deſſen erſte frucht auch fol- gends regiererin unſeres gantzen lebens. Wo wir dieſen grund rechtſchaf- fen geleget, ſo ſtehen wir auf dem wege der ſeligkeit, die uns nicht fehlen wird, da wir auf demſelben fort wandern in ſolchem glaubigen vertrauen, liebe und ſtaͤtigen verlangen in ſolchem guten zu zunehmen. Dahin dann gehoͤren wird der fleiß, ſtaͤtig ſich zu uͤben in dem wort unſers Heilandes, darinnen wir ſo wol die milch als ſtarcke ſpeiſe finden werden, durch die al- le, ſie ſeyn junge kinder oder erwachſene in Chriſto, jeder ſeine nothwendige nahrung zu ſeinem wachsthum finden wird. Wo wir nun in ſolchem wort unſers Heilandes, der ſchrifft, vornemlich im neuen teſtament uns fleißig uͤ- ben werden, aber in derjenigen ordnung, daß wir immerfort unſern himm- liſchen vater hertzlich um ſeine gnade anruffen, daß er unſere hertzen oͤffne, ſo dann auf die wort Chriſti und ſeiner Apoſteln gantz einfaͤltig acht geben, ohne abſicht auf einiges menſchen auslegung, wie vornehm oder groß der- ſelbe in der welt geachtet wird, folglich dieſe ordnung halten, daß wir erſtlich bey nichts uns aufhalten, als denjenigen dingen, welcher verſtand gantz deutlich, unſtreitbar und auch kindern vernehmlich iſt, aber ſo bald mit al- ler kraft, ſo uns GOTT gibet, uns dahin zu beſtreben ſuchen, daß wir ſolche dinge, ſo viel das jenige anlanget, was GOTT von uns erfordert, ſtracks in die uͤbung bringen, und unſer leben darnach richten: So iſts un- zweiflich wahr (nach der verheiſſung, daß wer da hat dem wird ge geben werden Matth. 25, 29. und daß GOTT den unmuͤndigen und einfaͤltigen ſich offenbaret Matth. 11, 25.) daß ein ſolcher menſch immer in der wahr- heit wachſe, und da er vorhin aus ſchuld ſeiner auferziehung, und der euſſer- lichen kirchen, bey dero er gelebet, irrthume gehabt, dieſelbe fahren laſ- ſen wird, als der von GOTT in ſeinem wort anders lernet, als er von an- dern war gelehret worden. Ach wuͤrde dieſer weg practiciret, wie in kur- tzem wuͤrde durch goͤttlichen ſegen ſich ein herrlicher effect erweiſen, und die laͤngſt verlohrne, und nur noch in denen GOTT recht ſuchenden ſeelen be- findli-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/158>, abgerufen am 27.11.2024.