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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XXVI.
selbs besserung, u. das alles in der liebe. Eph. 4. Er erhöre uns in solcher
bitte gnädiglich, wo ich weiß, daß wir nach seinem willen bitten! Was die in
dem schreiben anhangende frag anlangt, wegen einiger wort der bey der tauff
ihres orts gebräuchlichen gebets-formul: so dancke ich GOTT, daß wir
weder allhier noch bey der Straßburgischen kirchen, da ich vorhin gewesen,
solche oder einige andere jemand anstößige wort oder ceremonien haben.
Jch erkläre mich einfältigst dahin. 1. Jch erkenne, daß solche formul anfäng-
lich hergenommen aus der tauff der erwachsenen, folgends aber zu der kin-
der-tauff auch gebraucht worden seye; da aber gemeiniglich diejenigen for-
muln, so nicht eigenlich erstlich zu einer sache aufgesetzet worden, ihre incom-
moda
zu haben pflegen. 2. Möchte es wol füglicher seyn, wo solche wort
nicht wären, wie sie dann samt dem exorcismo an vielen orten der evange-
lischen kirchen nicht gebräuchlich sind. 3. Jedoch wo sie üblich sind, und die
christliche kirche wegen anstosses der schwachen, oder aus andern ursachen,
solche wort zu ändern nicht rathsam achtet, welches deroselben christlichen
ermessen heimgegeben wird, stünde es in keines predigers oder andern glie-
des der gemeinde macht, dieselbe zu ändern oder auszulassen. 4. Es ist a-
ber nöthig, daß ein solcher gleichwol in seinem gewissen die versicherung habe,
daß solche wort nicht an sich selbs unrecht, falsch oder göttlicher wahrheit
entgegen seyen, sondern einen verstand in sich fassen, welcher wahrhafftig
(obwol nicht eben prima fronte von jedem erkäntlich) ist, und sie also auch
in solchem verstand angenommen werden mögen und sollen. So finde ich
nun diesen verstand. 1. Daß bey den jungen kindern gleichwol auch, ob
wol nicht solche wirckliche sünden sich finden, wie bey alten angetroffen wer-
den, und in sündlichen ausdrücklichen gedancken, worten und wercken be-
stehen, dannoch auch einige befindlich sind, die wircklich genant, und der
erbsünde entgegen gesetzet werden mögen. Aufs aller wenigste sind die
peccata omissionis vorhanden. Es solle GOTT unser vertrauen und
zuversicht seyn von mutterleibe an, und wie solches bey dem HERRN
Messia gewesen Psalm. 22, 10. 11. so solte es auch bey uns allen in dem
stand der unschuld gewesen seyn: Daß nemlich die seele, welche nicht mit zu-
nehmenden alter erst anfängt vernünfftig zu werden, sondern die anerschaf-
fene krafft des verstandes, ob er sich wol noch nicht in allerley wirckungen,
etwa wegen indisposition ihrer wohnung heraus lassen kan, bey sich hat,
also bald auch mit sich die aus dem göttlichen ebenbild einerschaffene erkänt-
nüß ihres schöpffers auf die welt brächte, die niemals ohne solchem ihrem
zustand gemässe bewegungen des vertrauens und der liebe bleiben hätte
können, sondern sich dieselbe allezeit dabey würden gefunden haben. Daß

also
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ARTIC. I. SECTIO XXVI.
ſelbs beſſerung, u. das alles in der liebe. Eph. 4. Er erhoͤre uns in ſolcher
bitte gnaͤdiglich, wo ich weiß, daß wir nach ſeinem willen bitten! Was die in
dem ſchꝛeiben anhangende frag anlangt, wegen einiger wort der bey der tauff
ihres orts gebraͤuchlichen gebets-formul: ſo dancke ich GOTT, daß wir
weder allhier noch bey der Straßburgiſchen kirchen, da ich vorhin geweſen,
ſolche oder einige andere jemand anſtoͤßige wort oder ceremonien haben.
Jch erklaͤre mich einfaͤltigſt dahin. 1. Jch erkenne, daß ſolche formul anfaͤng-
lich hergenommen aus der tauff der erwachſenen, folgends aber zu der kin-
der-tauff auch gebraucht worden ſeye; da aber gemeiniglich diejenigen for-
muln, ſo nicht eigenlich erſtlich zu einer ſache aufgeſetzet worden, ihre incom-
moda
zu haben pflegen. 2. Moͤchte es wol fuͤglicher ſeyn, wo ſolche wort
nicht waͤren, wie ſie dann ſamt dem exorcismo an vielen orten der evange-
liſchen kirchen nicht gebraͤuchlich ſind. 3. Jedoch wo ſie uͤblich ſind, und die
chriſtliche kirche wegen anſtoſſes der ſchwachen, oder aus andern urſachen,
ſolche wort zu aͤndern nicht rathſam achtet, welches deroſelben chriſtlichen
ermeſſen heimgegeben wird, ſtuͤnde es in keines predigers oder andern glie-
des der gemeinde macht, dieſelbe zu aͤndern oder auszulaſſen. 4. Es iſt a-
ber noͤthig, daß ein ſolcher gleichwol in ſeinem gewiſſen die verſicherung habe,
daß ſolche wort nicht an ſich ſelbs unrecht, falſch oder goͤttlicher wahrheit
entgegen ſeyen, ſondern einen verſtand in ſich faſſen, welcher wahrhafftig
(obwol nicht eben prima fronte von jedem erkaͤntlich) iſt, und ſie alſo auch
in ſolchem verſtand angenommen werden moͤgen und ſollen. So finde ich
nun dieſen verſtand. 1. Daß bey den jungen kindern gleichwol auch, ob
wol nicht ſolche wirckliche ſuͤnden ſich finden, wie bey alten angetroffen wer-
den, und in ſuͤndlichen ausdruͤcklichen gedancken, worten und wercken be-
ſtehen, dannoch auch einige befindlich ſind, die wircklich genant, und der
erbſuͤnde entgegen geſetzet werden moͤgen. Aufs aller wenigſte ſind die
peccata omiſſionis vorhanden. Es ſolle GOTT unſer vertrauen und
zuverſicht ſeyn von mutterleibe an, und wie ſolches bey dem HERRN
Meſſia geweſen Pſalm. 22, 10. 11. ſo ſolte es auch bey uns allen in dem
ſtand der unſchuld geweſen ſeyn: Daß nemlich die ſeele, welche nicht mit zu-
nehmenden alter erſt anfaͤngt vernuͤnfftig zu werden, ſondern die anerſchaf-
fene krafft des verſtandes, ob er ſich wol noch nicht in allerley wirckungen,
etwa wegen indiſpoſition ihrer wohnung heraus laſſen kan, bey ſich hat,
alſo bald auch mit ſich die aus dem goͤttlichen ebenbild einerſchaffene erkaͤnt-
nuͤß ihres ſchoͤpffers auf die welt braͤchte, die niemals ohne ſolchem ihrem
zuſtand gemaͤſſe bewegungen des vertrauens und der liebe bleiben haͤtte
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alſo
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[131/0143] ARTIC. I. SECTIO XXVI. ſelbs beſſerung, u. das alles in der liebe. Eph. 4. Er erhoͤre uns in ſolcher bitte gnaͤdiglich, wo ich weiß, daß wir nach ſeinem willen bitten! Was die in dem ſchꝛeiben anhangende frag anlangt, wegen einiger wort der bey der tauff ihres orts gebraͤuchlichen gebets-formul: ſo dancke ich GOTT, daß wir weder allhier noch bey der Straßburgiſchen kirchen, da ich vorhin geweſen, ſolche oder einige andere jemand anſtoͤßige wort oder ceremonien haben. Jch erklaͤre mich einfaͤltigſt dahin. 1. Jch erkenne, daß ſolche formul anfaͤng- lich hergenommen aus der tauff der erwachſenen, folgends aber zu der kin- der-tauff auch gebraucht worden ſeye; da aber gemeiniglich diejenigen for- muln, ſo nicht eigenlich erſtlich zu einer ſache aufgeſetzet worden, ihre incom- moda zu haben pflegen. 2. Moͤchte es wol fuͤglicher ſeyn, wo ſolche wort nicht waͤren, wie ſie dann ſamt dem exorcismo an vielen orten der evange- liſchen kirchen nicht gebraͤuchlich ſind. 3. Jedoch wo ſie uͤblich ſind, und die chriſtliche kirche wegen anſtoſſes der ſchwachen, oder aus andern urſachen, ſolche wort zu aͤndern nicht rathſam achtet, welches deroſelben chriſtlichen ermeſſen heimgegeben wird, ſtuͤnde es in keines predigers oder andern glie- des der gemeinde macht, dieſelbe zu aͤndern oder auszulaſſen. 4. Es iſt a- ber noͤthig, daß ein ſolcher gleichwol in ſeinem gewiſſen die verſicherung habe, daß ſolche wort nicht an ſich ſelbs unrecht, falſch oder goͤttlicher wahrheit entgegen ſeyen, ſondern einen verſtand in ſich faſſen, welcher wahrhafftig (obwol nicht eben prima fronte von jedem erkaͤntlich) iſt, und ſie alſo auch in ſolchem verſtand angenommen werden moͤgen und ſollen. So finde ich nun dieſen verſtand. 1. Daß bey den jungen kindern gleichwol auch, ob wol nicht ſolche wirckliche ſuͤnden ſich finden, wie bey alten angetroffen wer- den, und in ſuͤndlichen ausdruͤcklichen gedancken, worten und wercken be- ſtehen, dannoch auch einige befindlich ſind, die wircklich genant, und der erbſuͤnde entgegen geſetzet werden moͤgen. Aufs aller wenigſte ſind die peccata omiſſionis vorhanden. Es ſolle GOTT unſer vertrauen und zuverſicht ſeyn von mutterleibe an, und wie ſolches bey dem HERRN Meſſia geweſen Pſalm. 22, 10. 11. ſo ſolte es auch bey uns allen in dem ſtand der unſchuld geweſen ſeyn: Daß nemlich die ſeele, welche nicht mit zu- nehmenden alter erſt anfaͤngt vernuͤnfftig zu werden, ſondern die anerſchaf- fene krafft des verſtandes, ob er ſich wol noch nicht in allerley wirckungen, etwa wegen indiſpoſition ihrer wohnung heraus laſſen kan, bey ſich hat, alſo bald auch mit ſich die aus dem goͤttlichen ebenbild einerſchaffene erkaͤnt- nuͤß ihres ſchoͤpffers auf die welt braͤchte, die niemals ohne ſolchem ihrem zuſtand gemaͤſſe bewegungen des vertrauens und der liebe bleiben haͤtte koͤnnen, ſondern ſich dieſelbe allezeit dabey wuͤrden gefunden haben. Daß alſo r 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/143>, abgerufen am 24.11.2024.