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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XXII.
und wartet den segen, so viel der HERR geben will. Wobey ich son-
derlich mir dieses immer vorstelle, daß ob ich schon in dem gegenwärtigen
wenig oder fast keine rechte frucht sehe, dennoch die arbeit nicht verge-
bens seyn werde. Es ist vielleicht eine noch grünende saat (Marc. 4, 28.)
da man wegen noch manglender ähren in die gedancken kommet, es seye
ein unfruchtbares graß-feld, und dennoch stecket bereits in solchem graß alle
die krafft der frucht, die sich nach einiger zeit hervorthun wird: Vielleicht
verbirgt uns der HERR auch etwas von der frucht unsers fleisses, uns in
der demuth zu erhalten, damit wir mit desto mehr sorgfalt, furcht und zittern
das unserige zu thun fortfahren: Vielleicht ist bey einigen, da wir noch
gar das geringste nicht sehen, daß nur etwas des worts gefasset hätte, dassel-
be ein solcher saamen, der gleichwol in die hertzen gefallen, aber daselbs als
in einem dürren staub noch ohne safft liget, und daher todt scheinet, hingegen
zu seiner zeit ein gesegneter regen, welchen der HERR annoch senden mag,
ob wirs auch nicht erlebten, das körnlein gleichsam lebendig machen wird,
daß es keyme, und vielleicht alsdann so viel geschwinder aufgehe, und zur zei-
tigung eile: vielleicht sind einige unter denen wenigen, die der HERR
durch uns gerühret hat, die jenige, durch die er künfftig eine noch reichere
frucht an andern schaffen will, welche nachmal auch auf unsere rechnung
kommen solle. Also sehe ich zwar offt mit betrübnüß die jetzige zeit an, als
in dero unter andern göttlichen gerichten dieses der schwersten eines seye, daß
man fast nirgend durchtringen kan, sondern scheinet, ob hätten die gnaden-
mittel ihre meiste krafft nunmehr verlohren, wie es wol seyn kan, daß das
grösseste theil derer, die wir vor uns haben, in ihren sünden in das ver-
derben gehen dörffte und sich nicht von uns retten lassen wird, weil ich aber
auch weiß, daß der HERR nach seiner gnade und warheit wiederum der
kirchen eine gesegnetere zeit folgen und nach Zach. 14. am abend liecht wer-
den lassen wird, so tröstet mich schon, daß wir aufs wenigste an denen vor-
bereitungen arbeiten, den acker gleichsam rüsten helffen, und in uns verlie-
hener göttlicher krafft einige so weit bringen mögen, daß sie bey anbrechen-
der solcher zeit, ob wir auch nicht mehr da seyn werden, die geheiligte werck-
zeuge seyn des grossen wercks des HERRER, in denen also auch unsere ar-
beit noch fortwähren solle. Welche ursach ist, warum ich auch die lehre, daß
wir noch einen bessern zustand der kirchen zu erwarten, von nicht gerin-
gem nutzen, sonderlich bey uns predigern, achte, weil diese hoffnung die läßige
hände trefflich stärcket, wo sie aber nicht ist, diese desperation eine trägheit
verursachet. Wie mir einmal ein vornehmer nun in GOtt selig ruhender
Theologus bekante, daß er lang dadurch von eyfferiger treibung des guten
abgehalten worden, es seye doch in den letzten zeiten nach der weissagung

nichts
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ARTIC. I. SECTIO XXII.
und wartet den ſegen, ſo viel der HERR geben will. Wobey ich ſon-
derlich mir dieſes immer vorſtelle, daß ob ich ſchon in dem gegenwaͤrtigen
wenig oder faſt keine rechte frucht ſehe, dennoch die arbeit nicht verge-
bens ſeyn werde. Es iſt vielleicht eine noch gruͤnende ſaat (Marc. 4, 28.)
da man wegen noch manglender aͤhren in die gedancken kommet, es ſeye
ein unfruchtbares graß-feld, und dennoch ſtecket bereits in ſolchem graß alle
die krafft der frucht, die ſich nach einiger zeit hervorthun wird: Vielleicht
verbirgt uns der HERR auch etwas von der frucht unſers fleiſſes, uns in
der demuth zu erhalten, damit wir mit deſto mehr ſorgfalt, furcht und zittern
das unſerige zu thun fortfahren: Vielleicht iſt bey einigen, da wir noch
gar das geringſte nicht ſehen, daß nur etwas des worts gefaſſet haͤtte, daſſel-
be ein ſolcher ſaamen, der gleichwol in die hertzen gefallen, aber daſelbs als
in einem duͤrren ſtaub noch ohne ſafft liget, und daher todt ſcheinet, hingegen
zu ſeiner zeit ein geſegneter regen, welchen der HERR annoch ſenden mag,
ob wirs auch nicht erlebten, das koͤrnlein gleichſam lebendig machen wird,
daß es keyme, und vielleicht alsdann ſo viel geſchwinder aufgehe, und zur zei-
tigung eile: vielleicht ſind einige unter denen wenigen, die der HERR
durch uns geruͤhret hat, die jenige, durch die er kuͤnfftig eine noch reichere
frucht an andern ſchaffen will, welche nachmal auch auf unſere rechnung
kommen ſolle. Alſo ſehe ich zwar offt mit betruͤbnuͤß die jetzige zeit an, als
in dero unter andern goͤttlichen gerichten dieſes der ſchwerſten eines ſeye, daß
man faſt nirgend durchtringen kan, ſondern ſcheinet, ob haͤtten die gnaden-
mittel ihre meiſte krafft nunmehr verlohren, wie es wol ſeyn kan, daß das
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derben gehen doͤrffte und ſich nicht von uns retten laſſen wird, weil ich aber
auch weiß, daß der HERR nach ſeiner gnade und warheit wiederum der
kirchen eine geſegnetere zeit folgen und nach Zach. 14. am abend liecht wer-
den laſſen wird, ſo troͤſtet mich ſchon, daß wir aufs wenigſte an denen vor-
bereitungen arbeiten, den acker gleichſam ruͤſten helffen, und in uns verlie-
hener goͤttlicher krafft einige ſo weit bringen moͤgen, daß ſie bey anbrechen-
der ſolcher zeit, ob wir auch nicht mehr da ſeyn werden, die geheiligte werck-
zeuge ſeyn des groſſen wercks des HERRER, in denen alſo auch unſere ar-
beit noch fortwaͤhren ſolle. Welche urſach iſt, warum ich auch die lehre, daß
wir noch einen beſſern zuſtand der kirchen zu erwarten, von nicht gerin-
gem nutzen, ſonderlich bey uns predigern, achte, weil dieſe hoffnung die laͤßige
haͤnde trefflich ſtaͤrcket, wo ſie aber nicht iſt, dieſe deſperation eine traͤgheit
verurſachet. Wie mir einmal ein vornehmer nun in GOtt ſelig ruhender
Theologus bekante, daß er lang dadurch von eyfferiger treibung des guten
abgehalten worden, es ſeye doch in den letzten zeiten nach der weiſſagung

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[123/0135] ARTIC. I. SECTIO XXII. und wartet den ſegen, ſo viel der HERR geben will. Wobey ich ſon- derlich mir dieſes immer vorſtelle, daß ob ich ſchon in dem gegenwaͤrtigen wenig oder faſt keine rechte frucht ſehe, dennoch die arbeit nicht verge- bens ſeyn werde. Es iſt vielleicht eine noch gruͤnende ſaat (Marc. 4, 28.) da man wegen noch manglender aͤhren in die gedancken kommet, es ſeye ein unfruchtbares graß-feld, und dennoch ſtecket bereits in ſolchem graß alle die krafft der frucht, die ſich nach einiger zeit hervorthun wird: Vielleicht verbirgt uns der HERR auch etwas von der frucht unſers fleiſſes, uns in der demuth zu erhalten, damit wir mit deſto mehr ſorgfalt, furcht und zittern das unſerige zu thun fortfahren: Vielleicht iſt bey einigen, da wir noch gar das geringſte nicht ſehen, daß nur etwas des worts gefaſſet haͤtte, daſſel- be ein ſolcher ſaamen, der gleichwol in die hertzen gefallen, aber daſelbs als in einem duͤrren ſtaub noch ohne ſafft liget, und daher todt ſcheinet, hingegen zu ſeiner zeit ein geſegneter regen, welchen der HERR annoch ſenden mag, ob wirs auch nicht erlebten, das koͤrnlein gleichſam lebendig machen wird, daß es keyme, und vielleicht alsdann ſo viel geſchwinder aufgehe, und zur zei- tigung eile: vielleicht ſind einige unter denen wenigen, die der HERR durch uns geruͤhret hat, die jenige, durch die er kuͤnfftig eine noch reichere frucht an andern ſchaffen will, welche nachmal auch auf unſere rechnung kommen ſolle. Alſo ſehe ich zwar offt mit betruͤbnuͤß die jetzige zeit an, als in dero unter andern goͤttlichen gerichten dieſes der ſchwerſten eines ſeye, daß man faſt nirgend durchtringen kan, ſondern ſcheinet, ob haͤtten die gnaden- mittel ihre meiſte krafft nunmehr verlohren, wie es wol ſeyn kan, daß das groͤſſeſte theil derer, die wir vor uns haben, in ihren ſuͤnden in das ver- derben gehen doͤrffte und ſich nicht von uns retten laſſen wird, weil ich aber auch weiß, daß der HERR nach ſeiner gnade und warheit wiederum der kirchen eine geſegnetere zeit folgen und nach Zach. 14. am abend liecht wer- den laſſen wird, ſo troͤſtet mich ſchon, daß wir aufs wenigſte an denen vor- bereitungen arbeiten, den acker gleichſam ruͤſten helffen, und in uns verlie- hener goͤttlicher krafft einige ſo weit bringen moͤgen, daß ſie bey anbrechen- der ſolcher zeit, ob wir auch nicht mehr da ſeyn werden, die geheiligte werck- zeuge ſeyn des groſſen wercks des HERRER, in denen alſo auch unſere ar- beit noch fortwaͤhren ſolle. Welche urſach iſt, warum ich auch die lehre, daß wir noch einen beſſern zuſtand der kirchen zu erwarten, von nicht gerin- gem nutzen, ſonderlich bey uns predigern, achte, weil dieſe hoffnung die laͤßige haͤnde trefflich ſtaͤrcket, wo ſie aber nicht iſt, dieſe deſperation eine traͤgheit verurſachet. Wie mir einmal ein vornehmer nun in GOtt ſelig ruhender Theologus bekante, daß er lang dadurch von eyfferiger treibung des guten abgehalten worden, es ſeye doch in den letzten zeiten nach der weiſſagung nichts q 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/135>, abgerufen am 24.11.2024.