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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO XXI.
ist der heilige Geist der jenige, aus dessen wirckung der glaube kömmet,
solcher aber mag von der welt nicht empfangen werden, noch wohnet in einer
boßhafftigen seelen; Daher ist allezeit seine erste wirckung, daß er die welt
straffet, und ihr die nichtigkeit alles dessen, wovon sie trost hoffet, vor au-
gen stellet, auf daß sie nachmal nach dessen bessern gütern anfange be-
gierde zu bekommen, wo er folglich in solchen gemüthern anfangt von
CHristo zu zeugen. Weil wir dann nun wahrhafftig sehen, daß ein
grosser theil unserer zuhörer in dem gegenwärtigen stand wiederum gantz un-
wiedergebohrne leute seyen (massen auch solche gnade, die einmal in der tauff
empfangen worden, von unserer seiten wieder verlohren werden kan) und fast
tieffer in der welt stecken, als viele Juden, Heyden und Türcken, so wirds
je gantz nöthig seyn, daß wir sie mit dem gesetz der sünden krafft fühlen
machen, sonderlich aber sie aus ihrem leben ihres unglaubens überzeu-
gen, in dem bey aller solcher ihrer boßheit, so ein grosses theil von ihnen
aus dem opere operato des eusserlichen Gottesdiensts, und falscher ein-
bildung eines wahren glaubens in einer solchen sicherheit und verstockung
stecket, daß ihnen, wo ihnen solcher betrug nicht entdecket wird, nicht gera-
then werden mag. Denn geschihet solches nicht, so ist dem wahren glauben
der weg am allermeisten durch ihre einbildung verlegt, und was sie von dem
glauben hören, verstehen sie von nichts anders als von ihrem eigenen hirnge-
spenst: nicht allerdings ohne unsere schuld, wo wir ihnen nicht den betrug
entdecken. Also auch halte davor daß wir wol in acht zu nehmen ha-
ben, daß so bald das ringste fünckelein des glaubens in der seele des men-
schen erwecket, derselbe schuldig seye, stracks mit bringung der früchten der-
selben seinem GOTT danckbar zu werden, welches der weg ist, auf dem
der HERR auch solches liecht mehr wird bey ihme zunehmen lassen.
Wer da hat, dem wird gegeben, Matth. 25, 29. Daher auch der
so bald nach einiger vorstellung des glaubens (die wir in dem hertzen etwas
nach sich gelassen zu haben hoffen) beysetzende vermahnungen zu einem heili-
gen leben nicht allerdings werden vergebens seyn, sondern wie die wercke des
glaubens früchte sind, so sind sie auch wiederum diejenige danckbarkeit,
aus dero der HERR selbs die wurtzel bey uns gestärcket werden lässet.
Jch leugne nicht, daß hiezu eine nicht menschliche sondern göttliche weiß-
heit gehöret, darum wir unsern himmlischen Vater so hertzlich als um einiges
anderes in unserm amt anzuruffen haben, als an dem das meiste der frucht
desselben gelegen ist. Jch gestehe auch gern, da was die thesin anlangt,
wie der glaube aus dem evangelio allein komme, hingegen die seele unsers
Christenthums und alles guten lebens ursprung seye, davon in der vor-
rede über Cramerum ziemlich ausführlich gehandelt habe, die sache bey uns

al-

ARTIC. I. SECTIO XXI.
iſt der heilige Geiſt der jenige, aus deſſen wirckung der glaube koͤmmet,
ſolcher aber mag von der welt nicht empfangen werden, noch wohnet in einer
boßhafftigen ſeelen; Daher iſt allezeit ſeine erſte wirckung, daß er die welt
ſtraffet, und ihr die nichtigkeit alles deſſen, wovon ſie troſt hoffet, vor au-
gen ſtellet, auf daß ſie nachmal nach deſſen beſſern guͤtern anfange be-
gierde zu bekommen, wo er folglich in ſolchen gemuͤthern anfangt von
CHriſto zu zeugen. Weil wir dann nun wahrhafftig ſehen, daß ein
groſſer theil unſerer zuhoͤrer in dem gegenwaͤrtigen ſtand wiederum gantz un-
wiedergebohrne leute ſeyen (maſſen auch ſolche gnade, die einmal in der tauff
empfangen worden, von unſerer ſeiten wieder verlohren werden kan) und faſt
tieffer in der welt ſtecken, als viele Juden, Heyden und Tuͤrcken, ſo wirds
je gantz noͤthig ſeyn, daß wir ſie mit dem geſetz der ſuͤnden krafft fuͤhlen
machen, ſonderlich aber ſie aus ihrem leben ihres unglaubens uͤberzeu-
gen, in dem bey aller ſolcher ihrer boßheit, ſo ein groſſes theil von ihnen
aus dem opere operato des euſſerlichen Gottesdienſts, und falſcher ein-
bildung eines wahren glaubens in einer ſolchen ſicherheit und verſtockung
ſtecket, daß ihnen, wo ihnen ſolcher betrug nicht entdecket wird, nicht gera-
then werden mag. Denn geſchihet ſolches nicht, ſo iſt dem wahren glauben
der weg am allermeiſten durch ihre einbildung verlegt, und was ſie von dem
glauben hoͤren, verſtehen ſie von nichts anders als von ihrem eigenen hirnge-
ſpenſt: nicht allerdings ohne unſere ſchuld, wo wir ihnen nicht den betrug
entdecken. Alſo auch halte davor daß wir wol in acht zu nehmen ha-
ben, daß ſo bald das ringſte fuͤnckelein des glaubens in der ſeele des men-
ſchen erwecket, derſelbe ſchuldig ſeye, ſtracks mit bringung der fruͤchten der-
ſelben ſeinem GOTT danckbar zu werden, welches der weg iſt, auf dem
der HERR auch ſolches liecht mehr wird bey ihme zunehmen laſſen.
Wer da hat, dem wird gegeben, Matth. 25, 29. Daher auch der
ſo bald nach einiger vorſtellung des glaubens (die wir in dem hertzen etwas
nach ſich gelaſſen zu haben hoffen) beyſetzende vermahnungen zu einem heili-
gen leben nicht allerdings werden vergebens ſeyn, ſondern wie die wercke des
glaubens fruͤchte ſind, ſo ſind ſie auch wiederum diejenige danckbarkeit,
aus dero der HERR ſelbs die wurtzel bey uns geſtaͤrcket werden laͤſſet.
Jch leugne nicht, daß hiezu eine nicht menſchliche ſondern goͤttliche weiß-
heit gehoͤret, darum wir unſern himmliſchen Vater ſo hertzlich als um einiges
anderes in unſerm amt anzuruffen haben, als an dem das meiſte der frucht
deſſelben gelegen iſt. Jch geſtehe auch gern, da was die theſin anlangt,
wie der glaube aus dem evangelio allein komme, hingegen die ſeele unſers
Chriſtenthums und alles guten lebens urſprung ſeye, davon in der vor-
rede uͤber Cramerum ziemlich ausfuͤhrlich gehandelt habe, die ſache bey uns

al-
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[119/0131] ARTIC. I. SECTIO XXI. iſt der heilige Geiſt der jenige, aus deſſen wirckung der glaube koͤmmet, ſolcher aber mag von der welt nicht empfangen werden, noch wohnet in einer boßhafftigen ſeelen; Daher iſt allezeit ſeine erſte wirckung, daß er die welt ſtraffet, und ihr die nichtigkeit alles deſſen, wovon ſie troſt hoffet, vor au- gen ſtellet, auf daß ſie nachmal nach deſſen beſſern guͤtern anfange be- gierde zu bekommen, wo er folglich in ſolchen gemuͤthern anfangt von CHriſto zu zeugen. Weil wir dann nun wahrhafftig ſehen, daß ein groſſer theil unſerer zuhoͤrer in dem gegenwaͤrtigen ſtand wiederum gantz un- wiedergebohrne leute ſeyen (maſſen auch ſolche gnade, die einmal in der tauff empfangen worden, von unſerer ſeiten wieder verlohren werden kan) und faſt tieffer in der welt ſtecken, als viele Juden, Heyden und Tuͤrcken, ſo wirds je gantz noͤthig ſeyn, daß wir ſie mit dem geſetz der ſuͤnden krafft fuͤhlen machen, ſonderlich aber ſie aus ihrem leben ihres unglaubens uͤberzeu- gen, in dem bey aller ſolcher ihrer boßheit, ſo ein groſſes theil von ihnen aus dem opere operato des euſſerlichen Gottesdienſts, und falſcher ein- bildung eines wahren glaubens in einer ſolchen ſicherheit und verſtockung ſtecket, daß ihnen, wo ihnen ſolcher betrug nicht entdecket wird, nicht gera- then werden mag. Denn geſchihet ſolches nicht, ſo iſt dem wahren glauben der weg am allermeiſten durch ihre einbildung verlegt, und was ſie von dem glauben hoͤren, verſtehen ſie von nichts anders als von ihrem eigenen hirnge- ſpenſt: nicht allerdings ohne unſere ſchuld, wo wir ihnen nicht den betrug entdecken. Alſo auch halte davor daß wir wol in acht zu nehmen ha- ben, daß ſo bald das ringſte fuͤnckelein des glaubens in der ſeele des men- ſchen erwecket, derſelbe ſchuldig ſeye, ſtracks mit bringung der fruͤchten der- ſelben ſeinem GOTT danckbar zu werden, welches der weg iſt, auf dem der HERR auch ſolches liecht mehr wird bey ihme zunehmen laſſen. Wer da hat, dem wird gegeben, Matth. 25, 29. Daher auch der ſo bald nach einiger vorſtellung des glaubens (die wir in dem hertzen etwas nach ſich gelaſſen zu haben hoffen) beyſetzende vermahnungen zu einem heili- gen leben nicht allerdings werden vergebens ſeyn, ſondern wie die wercke des glaubens fruͤchte ſind, ſo ſind ſie auch wiederum diejenige danckbarkeit, aus dero der HERR ſelbs die wurtzel bey uns geſtaͤrcket werden laͤſſet. Jch leugne nicht, daß hiezu eine nicht menſchliche ſondern goͤttliche weiß- heit gehoͤret, darum wir unſern himmliſchen Vater ſo hertzlich als um einiges anderes in unſerm amt anzuruffen haben, als an dem das meiſte der frucht deſſelben gelegen iſt. Jch geſtehe auch gern, da was die theſin anlangt, wie der glaube aus dem evangelio allein komme, hingegen die ſeele unſers Chriſtenthums und alles guten lebens urſprung ſeye, davon in der vor- rede uͤber Cramerum ziemlich ausfuͤhrlich gehandelt habe, die ſache bey uns al-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/131>, abgerufen am 23.11.2024.