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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
hie gesagt wird, nichts anders, als GOTT gefalle die aufrichtigkeit in al-
lem, da wirs mit ihm und ers mit uns zu thun hat. Dieses aber bestehet
in zwey stücken, da er uns zu gnaden annimmet, und die gerechtigkeit Chri-
sti schencket, und da er nachmaln auch unsern wandel, gehorsam und wer-
cke in gnaden annimmet und denselben ihren gnadenlohn gibet. Jn bey-
den ists wahr, daß GOTT auf die treue, das ist aufrichtigkeit, sehe. Sol-
le der mensch gerechtfertiget werden, so geschihets durch den glauben, damit
der mensch solche gnade annimmet: Erkennet aber GOTT solchen glauben
als einen falschen und erdichteten, gefärbten (1. Tim 1, 5) glauben, so
schencket er demselben diese gabe nicht, oder er ist solches annehmens nicht fä-
hig. Es ist aber alsdenn diese treue keine sache oder tugend, welche dem
glauben in dem werck der rechtfertigung beygesetzet würde, als welches ihme
zukommet im gegensatz gegen alle wercke, sondern es ist die eigene art des
glaubens selbs, weil der nicht ungefärbte glaube kein wahrer glaube ist, und
also nicht rechtfertigen kan. Was nachmal dasjenige anlangt, daß Gott
ein wohlgefallen hat an der glaubigen leben, und solches annimmet, daß er sie
darinnen vor unsträflich, untadelich, heilig und vollkommen achtet, komt
freylich auch aus der treue oder aufrichtigkeit, weil nemlich solche tugen-
den, darinnen ihr leben bestehet und geführet wird, warhafftig und ohne
heucheley sind, folglich ihm, weil die anklebende schwachheiten um Christi
willen vergeben sind, wohlgefallen: Da hingegen auch die gnade nicht ma-
chen kan, daß die falschheit und heucheley, so an sich ein greuel sind, GOtt
gefielen. Also ist auch wiederum hie die treue nicht so wol eine sonderba-
re tugend als die jenige eigenschafft, welche in allen tugenden stecket, und
stecken muß, ohne welche sie im geringsten nicht sind, was sie sind oder seyn
sollen. Also schreibet der autor der treue ein grosses zu, nemlich alles das
jenige, was auf unterschiedliche art dem glauben und der liebe zugehörig
ist. Wir werden aber nicht hören, daß er diese unter sich confundire, noch
etwas der rechtfertigung der liebe und wercken zuschreibe. Worzu auch son-
derlich kommet, daß er in dem folgenden austrücklich einen unterscheid ma-
chet unter GOttes scharffem richter-aug und seinem freundlichem übersehen,
dem vater-auge: Und alles, was die treue darzu thut, daß wir nach un-
serm leben GOTT gefallen, diesem letzteren zuschreibet, dabey erkennet,
daß bey solchen kindern GOttes viele gebrechen und tadelhafftes seye, aber
von GOTT in gedult übersehen werde. Welches von den Papistischen
principiis weit entfernet ist, als nach denen die gerechtigkeit in inhafftenden
tugenden bestehen muß, dabey der mensch nicht dermassen voller mängel
und gebrechen seyn kan, wie zu geschehen hie gleichwol gelehret wird.

Der

Das ſiebende Capitel.
hie geſagt wird, nichts anders, als GOTT gefalle die aufrichtigkeit in al-
lem, da wirs mit ihm und ers mit uns zu thun hat. Dieſes aber beſtehet
in zwey ſtuͤcken, da er uns zu gnaden annimmet, und die gerechtigkeit Chri-
ſti ſchencket, und da er nachmaln auch unſern wandel, gehorſam und wer-
cke in gnaden annimmet und denſelben ihren gnadenlohn gibet. Jn bey-
den iſts wahr, daß GOTT auf die treue, das iſt aufrichtigkeit, ſehe. Sol-
le der menſch gerechtfertiget werden, ſo geſchihets durch den glauben, damit
der menſch ſolche gnade annimmet: Erkennet aber GOTT ſolchen glauben
als einen falſchen und erdichteten, gefaͤrbten (1. Tim 1, 5) glauben, ſo
ſchencket er demſelben dieſe gabe nicht, oder er iſt ſolches annehmens nicht faͤ-
hig. Es iſt aber alsdenn dieſe treue keine ſache oder tugend, welche dem
glauben in dem werck der rechtfertigung beygeſetzet wuͤrde, als welches ihme
zukommet im gegenſatz gegen alle wercke, ſondern es iſt die eigene art des
glaubens ſelbs, weil der nicht ungefaͤrbte glaube kein wahrer glaube iſt, und
alſo nicht rechtfertigen kan. Was nachmal dasjenige anlangt, daß Gott
ein wohlgefallen hat an der glaubigen leben, und ſolches annimmet, daß er ſie
darinnen vor unſtraͤflich, untadelich, heilig und vollkommen achtet, komt
freylich auch aus der treue oder aufrichtigkeit, weil nemlich ſolche tugen-
den, darinnen ihr leben beſtehet und gefuͤhret wird, warhafftig und ohne
heucheley ſind, folglich ihm, weil die anklebende ſchwachheiten um Chriſti
willen vergeben ſind, wohlgefallen: Da hingegen auch die gnade nicht ma-
chen kan, daß die falſchheit und heucheley, ſo an ſich ein greuel ſind, GOtt
gefielen. Alſo iſt auch wiederum hie die treue nicht ſo wol eine ſonderba-
re tugend als die jenige eigenſchafft, welche in allen tugenden ſtecket, und
ſtecken muß, ohne welche ſie im geringſten nicht ſind, was ſie ſind oder ſeyn
ſollen. Alſo ſchreibet der autor der treue ein groſſes zu, nemlich alles das
jenige, was auf unterſchiedliche art dem glauben und der liebe zugehoͤrig
iſt. Wir werden aber nicht hoͤren, daß er dieſe unter ſich confundire, noch
etwas der rechtfertigung der liebe und wercken zuſchreibe. Worzu auch ſon-
derlich kommet, daß er in dem folgenden austruͤcklich einen unterſcheid ma-
chet unter GOttes ſcharffem richter-aug und ſeinem freundlichem uͤberſehen,
dem vater-auge: Und alles, was die treue darzu thut, daß wir nach un-
ſerm leben GOTT gefallen, dieſem letzteren zuſchreibet, dabey erkennet,
daß bey ſolchen kindern GOttes viele gebrechen und tadelhafftes ſeye, aber
von GOTT in gedult überſehen werde. Welches von den Papiſtiſchen
principiis weit entfernet iſt, als nach denen die gerechtigkeit in inhafftenden
tugenden beſtehen muß, dabey der menſch nicht dermaſſen voller maͤngel
und gebrechen ſeyn kan, wie zu geſchehen hie gleichwol gelehret wird.

Der
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[102/0114] Das ſiebende Capitel. hie geſagt wird, nichts anders, als GOTT gefalle die aufrichtigkeit in al- lem, da wirs mit ihm und ers mit uns zu thun hat. Dieſes aber beſtehet in zwey ſtuͤcken, da er uns zu gnaden annimmet, und die gerechtigkeit Chri- ſti ſchencket, und da er nachmaln auch unſern wandel, gehorſam und wer- cke in gnaden annimmet und denſelben ihren gnadenlohn gibet. Jn bey- den iſts wahr, daß GOTT auf die treue, das iſt aufrichtigkeit, ſehe. Sol- le der menſch gerechtfertiget werden, ſo geſchihets durch den glauben, damit der menſch ſolche gnade annimmet: Erkennet aber GOTT ſolchen glauben als einen falſchen und erdichteten, gefaͤrbten (1. Tim 1, 5) glauben, ſo ſchencket er demſelben dieſe gabe nicht, oder er iſt ſolches annehmens nicht faͤ- hig. Es iſt aber alsdenn dieſe treue keine ſache oder tugend, welche dem glauben in dem werck der rechtfertigung beygeſetzet wuͤrde, als welches ihme zukommet im gegenſatz gegen alle wercke, ſondern es iſt die eigene art des glaubens ſelbs, weil der nicht ungefaͤrbte glaube kein wahrer glaube iſt, und alſo nicht rechtfertigen kan. Was nachmal dasjenige anlangt, daß Gott ein wohlgefallen hat an der glaubigen leben, und ſolches annimmet, daß er ſie darinnen vor unſtraͤflich, untadelich, heilig und vollkommen achtet, komt freylich auch aus der treue oder aufrichtigkeit, weil nemlich ſolche tugen- den, darinnen ihr leben beſtehet und gefuͤhret wird, warhafftig und ohne heucheley ſind, folglich ihm, weil die anklebende ſchwachheiten um Chriſti willen vergeben ſind, wohlgefallen: Da hingegen auch die gnade nicht ma- chen kan, daß die falſchheit und heucheley, ſo an ſich ein greuel ſind, GOtt gefielen. Alſo iſt auch wiederum hie die treue nicht ſo wol eine ſonderba- re tugend als die jenige eigenſchafft, welche in allen tugenden ſtecket, und ſtecken muß, ohne welche ſie im geringſten nicht ſind, was ſie ſind oder ſeyn ſollen. Alſo ſchreibet der autor der treue ein groſſes zu, nemlich alles das jenige, was auf unterſchiedliche art dem glauben und der liebe zugehoͤrig iſt. Wir werden aber nicht hoͤren, daß er dieſe unter ſich confundire, noch etwas der rechtfertigung der liebe und wercken zuſchreibe. Worzu auch ſon- derlich kommet, daß er in dem folgenden austruͤcklich einen unterſcheid ma- chet unter GOttes ſcharffem richter-aug und ſeinem freundlichem uͤberſehen, dem vater-auge: Und alles, was die treue darzu thut, daß wir nach un- ſerm leben GOTT gefallen, dieſem letzteren zuſchreibet, dabey erkennet, daß bey ſolchen kindern GOttes viele gebrechen und tadelhafftes ſeye, aber von GOTT in gedult überſehen werde. Welches von den Papiſtiſchen principiis weit entfernet iſt, als nach denen die gerechtigkeit in inhafftenden tugenden beſtehen muß, dabey der menſch nicht dermaſſen voller maͤngel und gebrechen ſeyn kan, wie zu geſchehen hie gleichwol gelehret wird. Der

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/114>, abgerufen am 21.11.2024.