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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. II. SECTIO LXI.
gen/ und wir zur rettung unsrer seelen ein mehrers thun müssen/ als die mei-
ste bißher gethan/ sonderlich aber hat er in vielen andren seelen einen
ungemeinen hunger und durst erwecket nach der kräfftigen speise/ daß sie sich nicht
mehr mit der oratorie und menschlichen kunstworten abspeisen lassen wollen/ son-
dern verlangen das wort des HErrn mit geist u. krafft vorgetragen/ erkennen auch
bald einen unterscheid unter den treuen und untreuen hirten. Wie denn gewiß
diese regung der gemüther von mehrern jahren zimlich kantlich angefangen hat/ a-
ber je länger je mehr zu nimmet/ und nicht allein das verlangen nach einer fernern
besserung brünstig machet/ so auch in viel tausend seuffzen/ die sich fast nicht mehr
dämpffen lassen/ daß sie nicht in offentlichen laut ausbrechen/ bißdaher sich bezeu-
get hat/ sondern auch denen die auff das werck des HErrn sehen (neben einigen din-
gen/ da der HErr auch ausser der ordnung sich scheinet anfangen den seinigen
kund geben zuwollen) die gewisseste versicherung gibet/ daß sich der liebste Hey-
land seiner armen braut erbarmen wolle/ und ihre gestalt bessern. Dieses werden
nicht nur allein fromme hertzen gewar/ und immer begiehriger/ nechst freudiger er-
wartung der vertrösteten hülffe des HErrn/ sondern auch der Fürst der finster-
nüß mercket es allerdings wol/ und suchet sich nach vermögen zuwidersetzen. Daher
rüstet er sich nicht weniger: die offenbahr böse mag er nun leicht weil sie ohne das al-
lerdings in seiner gewalt stehen/ nach seinem willen haben/ zu offenbahren u. wissent-
lichen lügen/ lästrungen/ verleumdungen/ und gewaltsamer verfolgung: was
andere sind/ die ob sie nicht rechtschaffen vor GOtt/ dannoch einige erbarkeit und
frömmigkeit in sich haben/ sucht er auf andre weise an sich zu ziehen/ mit forcht vor
die reine lehr/ die in gefahr/ und vor den respect des predigamts/ so in abnehmen
kommen möchte/ oder mit leichtgläubiger annehmung aller von gottseligen leuten
und dero vornehmen bößlich ausgedachten lästrungen/ dardurch sie zu einem blin-
den eyffer entzündet werden/ und darinnen allerdings recht zu haben meinen: damit
hält er sie nicht allein ab/ daß sie zu dem rechtschaffenen wesen in Christo JEsu nie-
mal kommen/ sondern vielmehr dasselbige auch andern verdächtig halten/ hassen
und jeglicher nach seinem vermögen zu hindern suchen. Die meiste aber/ die er zu
seinen werckzeugen gebraucht/ sind leider leute unsers ordens/ die das gute mit dop-
pelter verbindlichkeit befordern solten: aber einige sind ohne das in der seelen den
guten feind/ und förchte ich/ der Theologus so vor einigen jahren de atheismo
Theologorum Lutheranorum
schreiben wollen/ den ich aber hertzlich abgerathen/
würde viele warheit geschrieben haben/ und seyen manche allzuweit von allen/ was
nur einiger massen eine wahrheit ist/ entfernet: andere so es noch auff ihre art nicht
so böse meinen/ sorgen abermahl nicht allein vor die reinigkeit der lehr (gerade als
wann dieselbe durch die ernstliche gottseligkeit gehindert/ und nicht vielmehr vortref-
lich gefordert würde) sondern theils es würde ihre vorige trägheit/ wo andere nun

mehr
Ooooo

ARTIC. II. SECTIO LXI.
gen/ und wir zur rettung unſrer ſeelen ein mehrers thun muͤſſen/ als die mei-
ſte bißher gethan/ ſonderlich aber hat er in vielen andren ſeelen einen
ungemeinen hunger und durſt erwecket nach der kraͤfftigen ſpeiſe/ daß ſie ſich nicht
mehr mit der oratorie und menſchlichen kunſtworten abſpeiſen laſſen wollen/ ſon-
dern verlangen das wort des HErrn mit geiſt u. krafft vorgetragen/ erkeñen auch
bald einen unterſcheid unter den treuen und untreuen hirten. Wie denn gewiß
dieſe regung der gemuͤther von mehrern jahren zimlich kantlich angefangen hat/ a-
ber je laͤnger je mehr zu nimmet/ und nicht allein das verlangen nach einer fernern
beſſerung bruͤnſtig machet/ ſo auch in viel tauſend ſeuffzen/ die ſich faſt nicht mehr
daͤmpffen laſſen/ daß ſie nicht in offentlichen laut ausbrechen/ bißdaher ſich bezeu-
get hat/ ſondern auch denen die auff das werck des HErrn ſehen (neben einigen din-
gen/ da der HErr auch auſſer der oꝛdnung ſich ſcheinet anfangen den ſeinigen
kund geben zuwollen) die gewiſſeſte verſicherung gibet/ daß ſich der liebſte Hey-
land ſeiner armen braut erbarmen wolle/ und ihre geſtalt beſſern. Dieſes werden
nicht nur allein fromme hertzen gewar/ und immer begiehriger/ nechſt freudiger er-
wartung der vertroͤſteten huͤlffe des HErrn/ ſondern auch der Fuͤrſt der finſter-
nuͤß mercket es allerdings wol/ und ſuchet ſich nach vermoͤgen zuwiderſetzen. Daher
ruͤſtet er ſich nicht weniger: die offenbahr boͤſe mag er nun leicht weil ſie ohne das al-
lerdings in ſeiner gewalt ſtehen/ nach ſeinem willen haben/ zu offenbahren u. wiſſent-
lichen luͤgen/ laͤſtrungen/ verleumdungen/ und gewaltſamer verfolgung: was
andere ſind/ die ob ſie nicht rechtſchaffen vor GOtt/ dannoch einige erbarkeit und
froͤmmigkeit in ſich haben/ ſucht er auf andre weiſe an ſich zu ziehen/ mit forcht vor
die reine lehr/ die in gefahr/ und vor den reſpect des predigamts/ ſo in abnehmen
kommen moͤchte/ oder mit leichtglaͤubiger annehmung aller von gottſeligen leuten
und dero vornehmen boͤßlich ausgedachten laͤſtrungen/ dardurch ſie zu einem blin-
den eyffer entzuͤndet werden/ und darinnen allerdings recht zu haben meinen: damit
haͤlt er ſie nicht allein ab/ daß ſie zu dem rechtſchaffenen weſen in Chriſto JEſu nie-
mal kommen/ ſondern vielmehr daſſelbige auch andern verdaͤchtig halten/ haſſen
und jeglicher nach ſeinem vermoͤgen zu hindern ſuchen. Die meiſte aber/ die er zu
ſeinen werckzeugen gebraucht/ ſind leider leute unſers ordens/ die das gute mit dop-
pelter verbindlichkeit befordern ſolten: aber einige ſind ohne das in der ſeelen den
guten feind/ und foͤrchte ich/ der Theologus ſo vor einigen jahren de atheismo
Theologorum Lutheranorum
ſchreiben wollen/ den ich aber hertzlich abgerathen/
wuͤrde viele warheit geſchrieben haben/ und ſeyen manche allzuweit von allen/ was
nur einiger maſſen eine wahrheit iſt/ entfernet: andeꝛe ſo es noch auff ihre art nicht
ſo boͤſe meinen/ ſorgen abermahl nicht allein vor die reinigkeit der lehr (gerade als
wann dieſelbe durch die ernſtliche gottſeligkeit gehindert/ uñ nicht vielmehr vortref-
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[841/0859] ARTIC. II. SECTIO LXI. gen/ und wir zur rettung unſrer ſeelen ein mehrers thun muͤſſen/ als die mei- ſte bißher gethan/ ſonderlich aber hat er in vielen andren ſeelen einen ungemeinen hunger und durſt erwecket nach der kraͤfftigen ſpeiſe/ daß ſie ſich nicht mehr mit der oratorie und menſchlichen kunſtworten abſpeiſen laſſen wollen/ ſon- dern verlangen das wort des HErrn mit geiſt u. krafft vorgetragen/ erkeñen auch bald einen unterſcheid unter den treuen und untreuen hirten. Wie denn gewiß dieſe regung der gemuͤther von mehrern jahren zimlich kantlich angefangen hat/ a- ber je laͤnger je mehr zu nimmet/ und nicht allein das verlangen nach einer fernern beſſerung bruͤnſtig machet/ ſo auch in viel tauſend ſeuffzen/ die ſich faſt nicht mehr daͤmpffen laſſen/ daß ſie nicht in offentlichen laut ausbrechen/ bißdaher ſich bezeu- get hat/ ſondern auch denen die auff das werck des HErrn ſehen (neben einigen din- gen/ da der HErr auch auſſer der oꝛdnung ſich ſcheinet anfangen den ſeinigen kund geben zuwollen) die gewiſſeſte verſicherung gibet/ daß ſich der liebſte Hey- land ſeiner armen braut erbarmen wolle/ und ihre geſtalt beſſern. Dieſes werden nicht nur allein fromme hertzen gewar/ und immer begiehriger/ nechſt freudiger er- wartung der vertroͤſteten huͤlffe des HErrn/ ſondern auch der Fuͤrſt der finſter- nuͤß mercket es allerdings wol/ und ſuchet ſich nach vermoͤgen zuwiderſetzen. Daher ruͤſtet er ſich nicht weniger: die offenbahr boͤſe mag er nun leicht weil ſie ohne das al- lerdings in ſeiner gewalt ſtehen/ nach ſeinem willen haben/ zu offenbahren u. wiſſent- lichen luͤgen/ laͤſtrungen/ verleumdungen/ und gewaltſamer verfolgung: was andere ſind/ die ob ſie nicht rechtſchaffen vor GOtt/ dannoch einige erbarkeit und froͤmmigkeit in ſich haben/ ſucht er auf andre weiſe an ſich zu ziehen/ mit forcht vor die reine lehr/ die in gefahr/ und vor den reſpect des predigamts/ ſo in abnehmen kommen moͤchte/ oder mit leichtglaͤubiger annehmung aller von gottſeligen leuten und dero vornehmen boͤßlich ausgedachten laͤſtrungen/ dardurch ſie zu einem blin- den eyffer entzuͤndet werden/ und darinnen allerdings recht zu haben meinen: damit haͤlt er ſie nicht allein ab/ daß ſie zu dem rechtſchaffenen weſen in Chriſto JEſu nie- mal kommen/ ſondern vielmehr daſſelbige auch andern verdaͤchtig halten/ haſſen und jeglicher nach ſeinem vermoͤgen zu hindern ſuchen. Die meiſte aber/ die er zu ſeinen werckzeugen gebraucht/ ſind leider leute unſers ordens/ die das gute mit dop- pelter verbindlichkeit befordern ſolten: aber einige ſind ohne das in der ſeelen den guten feind/ und foͤrchte ich/ der Theologus ſo vor einigen jahren de atheismo Theologorum Lutheranorum ſchreiben wollen/ den ich aber hertzlich abgerathen/ wuͤrde viele warheit geſchrieben haben/ und ſeyen manche allzuweit von allen/ was nur einiger maſſen eine wahrheit iſt/ entfernet: andeꝛe ſo es noch auff ihre art nicht ſo boͤſe meinen/ ſorgen abermahl nicht allein vor die reinigkeit der lehr (gerade als wann dieſelbe durch die ernſtliche gottſeligkeit gehindert/ uñ nicht vielmehr vortref- lich gefoꝛdert wuͤrde) ſondern theils es wuͤrde ihre vorige traͤgheit/ wo andere nun mehr Ooooo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 841. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/859>, abgerufen am 22.11.2024.