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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
daß die predigten zur erbauung eingerichtet. Daher rechte predigten damit nicht
getroffen werden/ was p. 116. gesagt wird: Der orationum homileticarum
entzweck ist dieser/ mit vielen menschlichen worten wenig ausreden/ dann wo einer
nur gleich zugehen/ und die sache in ihrer nuditet vorstellen wolte/ lieber/ wo würde
das flumen eloqventiae bleiben/ und wo würden materien erfunden werden/ die
zu beredung so vieler 1000. stunden würden gnug seyn. Und bald darauf: die oratoria
ecclesiastica
handelt alle ihre sachen stückweiß/ und dienet nicht dazu/ noch ist ge-
schickt/ eine gantze sache oder scienz in ihrer vollkommenheit darzulegen/ und den
augen der lehrschüler zu entdecken/ denn ihre indoles und ultimus finis ist nicht igno-
tas res docere & methodice discere,
sondern antehac notas illustrare, exornare, am-
plificare, & ad amplectendum persvadere.
Daher es dann nicht ohn/ daß diese prom-
te
vielredenheit in Theologia bey denen/ die vorher die erkändtniß der Gött-
lichen geheimnüssen haben/ nützlich gebraucht werden könte. Aber die capita fi-
dei & morum,
ja die erkäntnüß der H. schrifft per oratoriam jemand beyzubrin-
gen/ ist eine verlohrne arbeit/ und heisset mit der ruthe ins wasser schlagen. Fer-
ner p. 117. die erkäntnis und wissenschafft eines dinges kommet mir demnach zu/
und ich erlange dieselbe nicht per oratorias persvasiones, dann dieselbe hindern
mehr/ als daß sie fördern solten/ sondern per continuas lectiones aut lectio-
num diligentes auscultationes
m. f. w. Hier gestehe ich gern/ daß ich eine von
Mhhr. beschriebene oratoriam Ecclesiasticam freylich mehr vor eine hindernis
als beförderung der erbauung hielte/ ich gebrauche sie aber selbs nicht/ und bin
versichert/ daß andre rechtschaffene prediger eben so wenig dieselbe achten: So
kan ich gewiß von mir sagen/ daß wo man mir eine kunst zeigen könte/ wie etwas
zu contrahiren wäre ohne abgang der erbauung/ ich solche lieber lernen wolte/
als die kunst zu amplificiren. Denn da wird kein text seyn der nicht/ wo man ihm
nachgräbet/ so viel von selbsten an die hand gebenkan/ daß man gewiß keines an-
derwertlich her entlehnten amplificirens bedarff: wer also sich dahin genötigt fin-
det/ allerhand amplificationes rhetoricas zu suchen/ wird sorglich wenig erbau-
en/ und die sache daher kommen/ daß er seinen text und die darinnen enthaltene
göttliche wahrheit nicht recht inne hat/ aus dero er sonsten zur erbauung ohne
weitgesuchtes amplificiren gnug herausgeben könte. Also sey Mhhl. versichert/
ich mit aller Christlich gesinnten predigern lassen dieses unsre hauptsorge seyn/
jegliche sache in ihrer nuditet deutlich vorzustellen/ und suchen darinnen mehr ver-
gnügung/ als in einem affectirten flumine eloqventiae. Wiewohl dahin stehet/
ob in der that diejenige art mehr eine eloqvenz seye/ eine sache recht deutlich vorzu-
stellen/ und wenig vergebliche wort zubrauchen/ oder wie Mhhl. saget/ mit vielen
worten wenig sagen. Auffs wenigste ich meines orts würde auch in humanis
solches vielmehr vor einvitium eloqventiae halten. So begreif ich auch nicht/ war-
um eine gantze sache oder scienz in ihrer vollkommenheit nicht solte können in den
predigten vorgestellet werden: Vielmehr ist meine meinung/ daß solches auf kei-

ne

Das ſechſte Capitel.
daß die predigten zur erbauung eingerichtet. Daher rechte predigten damit nicht
getroffen werden/ was p. 116. geſagt wird: Der orationum homileticarum
entzweck iſt dieſer/ mit vielen menſchlichen worten wenig ausreden/ dann wo einer
nur gleich zugehen/ und die ſache in ihrer nuditet vorſtellen wolte/ lieber/ wo wuͤrde
das flumen eloqventiæ bleiben/ und wo wuͤrden materien erfunden werden/ die
zu beredung ſo vieler 1000. ſtundẽ wuͤrden gnug ſeyn. Und bald darauf: die oratoria
eccleſiaſtica
handelt alle ihre ſachen ſtuͤckweiß/ und dienet nicht dazu/ noch iſt ge-
ſchickt/ eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit darzulegen/ und den
augen der lehrſchuͤler zu entdecken/ deñ ihre indoles und ultimus finis iſt nicht igno-
tas res docere & methodice diſcere,
ſondern antehac notas illuſtrare, exornare, am-
plificare, & ad amplectendum perſvadere.
Daher es dañ nicht ohn/ daß dieſe prom-
te
vielredenheit in Theologia bey denen/ die vorher die erkaͤndtniß der Goͤtt-
lichen geheimnuͤſſen haben/ nuͤtzlich gebraucht werden koͤnte. Aber die capita fi-
dei & morum,
ja die erkaͤntnuͤß der H. ſchrifft per oratoriam jemand beyzubrin-
gen/ iſt eine verlohrne arbeit/ und heiſſet mit der ruthe ins waſſer ſchlagen. Fer-
ner p. 117. die erkaͤntnis und wiſſenſchafft eines dinges kommet mir demnach zu/
und ich erlange dieſelbe nicht per oratorias perſvaſiones, dann dieſelbe hindern
mehr/ als daß ſie foͤrdern ſolten/ ſondern per continuas lectiones aut lectio-
num diligentes auſcultationes
m. f. w. Hier geſtehe ich gern/ daß ich eine von
Mhhr. beſchriebene oratoriam Eccleſiaſticam freylich mehr vor eine hindernis
als befoͤrderung der erbauung hielte/ ich gebrauche ſie aber ſelbs nicht/ und bin
verſichert/ daß andre rechtſchaffene prediger eben ſo wenig dieſelbe achten: So
kan ich gewiß von mir ſagen/ daß wo man mir eine kunſt zeigen koͤnte/ wie etwas
zu contrahiren waͤre ohne abgang der erbauung/ ich ſolche lieber lernen wolte/
als die kunſt zu amplificiren. Denn da wird kein text ſeyn der nicht/ wo man ihm
nachgraͤbet/ ſo viel von ſelbſten an die hand gebenkan/ daß man gewiß keines an-
derwertlich her entlehnten amplificirens bedarff: wer alſo ſich dahin genoͤtigt fin-
det/ allerhand amplificationes rhetoricas zu ſuchen/ wird ſorglich wenig erbau-
en/ und die ſache daher kommen/ daß er ſeinen text und die darinnen enthaltene
goͤttliche wahrheit nicht recht inne hat/ aus dero er ſonſten zur erbauung ohne
weitgeſuchtes amplificiren gnug herausgeben koͤnte. Alſo ſey Mhhl. verſichert/
ich mit aller Chriſtlich geſinnten predigern laſſen dieſes unſre hauptſorge ſeyn/
jegliche ſache in ihrer nuditet deutlich vorzuſtellen/ und ſuchen darinnen mehr ver-
gnuͤgung/ als in einem affectirten flumine eloqventiæ. Wiewohl dahin ſtehet/
ob in der that diejenige art mehr eine eloqvenz ſeye/ eine ſache recht deutlich vorzu-
ſtellen/ und wenig vergebliche wort zubrauchen/ oder wie Mhhl. ſaget/ mit vielen
worten wenig ſagen. Auffs wenigſte ich meines orts wuͤrde auch in humanis
ſolches vielmehr vor einvitium eloqventiæ halten. So begreif ich auch nicht/ war-
um eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit nicht ſolte koͤnnen in den
predigten vorgeſtellet werden: Vielmehr iſt meine meinung/ daß ſolches auf kei-

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[752/0770] Das ſechſte Capitel. daß die predigten zur erbauung eingerichtet. Daher rechte predigten damit nicht getroffen werden/ was p. 116. geſagt wird: Der orationum homileticarum entzweck iſt dieſer/ mit vielen menſchlichen worten wenig ausreden/ dann wo einer nur gleich zugehen/ und die ſache in ihrer nuditet vorſtellen wolte/ lieber/ wo wuͤrde das flumen eloqventiæ bleiben/ und wo wuͤrden materien erfunden werden/ die zu beredung ſo vieler 1000. ſtundẽ wuͤrden gnug ſeyn. Und bald darauf: die oratoria eccleſiaſtica handelt alle ihre ſachen ſtuͤckweiß/ und dienet nicht dazu/ noch iſt ge- ſchickt/ eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit darzulegen/ und den augen der lehrſchuͤler zu entdecken/ deñ ihre indoles und ultimus finis iſt nicht igno- tas res docere & methodice diſcere, ſondern antehac notas illuſtrare, exornare, am- plificare, & ad amplectendum perſvadere. Daher es dañ nicht ohn/ daß dieſe prom- te vielredenheit in Theologia bey denen/ die vorher die erkaͤndtniß der Goͤtt- lichen geheimnuͤſſen haben/ nuͤtzlich gebraucht werden koͤnte. Aber die capita fi- dei & morum, ja die erkaͤntnuͤß der H. ſchrifft per oratoriam jemand beyzubrin- gen/ iſt eine verlohrne arbeit/ und heiſſet mit der ruthe ins waſſer ſchlagen. Fer- ner p. 117. die erkaͤntnis und wiſſenſchafft eines dinges kommet mir demnach zu/ und ich erlange dieſelbe nicht per oratorias perſvaſiones, dann dieſelbe hindern mehr/ als daß ſie foͤrdern ſolten/ ſondern per continuas lectiones aut lectio- num diligentes auſcultationes m. f. w. Hier geſtehe ich gern/ daß ich eine von Mhhr. beſchriebene oratoriam Eccleſiaſticam freylich mehr vor eine hindernis als befoͤrderung der erbauung hielte/ ich gebrauche ſie aber ſelbs nicht/ und bin verſichert/ daß andre rechtſchaffene prediger eben ſo wenig dieſelbe achten: So kan ich gewiß von mir ſagen/ daß wo man mir eine kunſt zeigen koͤnte/ wie etwas zu contrahiren waͤre ohne abgang der erbauung/ ich ſolche lieber lernen wolte/ als die kunſt zu amplificiren. Denn da wird kein text ſeyn der nicht/ wo man ihm nachgraͤbet/ ſo viel von ſelbſten an die hand gebenkan/ daß man gewiß keines an- derwertlich her entlehnten amplificirens bedarff: wer alſo ſich dahin genoͤtigt fin- det/ allerhand amplificationes rhetoricas zu ſuchen/ wird ſorglich wenig erbau- en/ und die ſache daher kommen/ daß er ſeinen text und die darinnen enthaltene goͤttliche wahrheit nicht recht inne hat/ aus dero er ſonſten zur erbauung ohne weitgeſuchtes amplificiren gnug herausgeben koͤnte. Alſo ſey Mhhl. verſichert/ ich mit aller Chriſtlich geſinnten predigern laſſen dieſes unſre hauptſorge ſeyn/ jegliche ſache in ihrer nuditet deutlich vorzuſtellen/ und ſuchen darinnen mehr ver- gnuͤgung/ als in einem affectirten flumine eloqventiæ. Wiewohl dahin ſtehet/ ob in der that diejenige art mehr eine eloqvenz ſeye/ eine ſache recht deutlich vorzu- ſtellen/ und wenig vergebliche wort zubrauchen/ oder wie Mhhl. ſaget/ mit vielen worten wenig ſagen. Auffs wenigſte ich meines orts wuͤrde auch in humanis ſolches vielmehr vor einvitium eloqventiæ halten. So begreif ich auch nicht/ war- um eine gantze ſache oder ſcienz in ihrer vollkommenheit nicht ſolte koͤnnen in den predigten vorgeſtellet werden: Vielmehr iſt meine meinung/ daß ſolches auf kei- ne

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/770>, abgerufen am 22.11.2024.