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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
NN. nicht dermassen/ daß er mit solchem argwohn zu beladen seye/ hoffe auch sei-
ne glaubens genossen sonderlich Hr. NN. werde anders von ihm urtheilen. Jns-
gesamt halte es vor ein stück meiner christlichen pflicht/ ohne die gewisseste gründe
niemand/ sonderlich mit solchen schwehren beschuldigungen zu belegen. Dieses
ist meine meinung/ zu dero ich zwar so wenig iemand anders zu nöthigen mir macht
nehmen/ als mir auch anders von andern zuhalten aufbürden liesse. Der HErr
regiere uns allerseits/ weder um der wahrheit willen/ die liebe/ noch um der liebe
willen/ die wahrheit zu verletzen/ sondern nach dieser doppelten Regul uns allezeit
zu richten. Was ferner meines wehrtesten bruders freundliche contestationes
gegen mich anlangt/ wären solche nicht nöthig gewesen/ als der ich dessen gegen
mich liebreich gesinnet gemüth von der ersten zeit an genugsam erkandt/ auch noch
biß daher daran zu zweiffelen keine ursach gehabt/ oder einiges dessen wort auf die-
se weiß angenommen: Hingegen demselben billich seine freyheit in ieglichem din-
ge nach seinem gewissen gelassen/ wie mir auch von allen mitbrüdern/ ein gleiches
bedinge. Also in der materie von der bekehrung der Juden/ kan ich an ande-
ren wohl tragen/ da sie darin dasjenige nicht erkennen/ darvon ich dannoch mich
versichert glaube/ nur daß mich umb der gemeinde willen/ so irre zu werden ge-
sorgt betrübet hätte/ wann es so gewesen wäre/ wie ich war berichtet worden (da
aber gern und mit freuden bessern bericht daß solches nicht geschehen/ angenom-
men habe) und ich mir gleichfals mein freyheit auch behalte. An dem Loco
Matth. 23/39. erkenne solche selbst nicht gegründet/ ob wohl unser Lutherus solche
meinung hat: Sehe aber auch aus dem überschriebenen/ daß es eben diese mei-
nung und nicht um die sache selbst sondern solches orts verstand zuthun gewesen
seyn müste/ da mir (wo mir recht ist/ so bald in dem ersten Jahr) von gel. Hr. Col-
lega
war referirt worden/ daß er auf Stephani tag dagegen geprediget/ ich hielte
es aber nicht wichtig/ mit demselben deswegen zureden/ oder darüber zu befragen/
damit es nicht das ansehen gewinne/ ich beschwehrte mich darüber/ und wolte an-
deren die geziemende freyheit neben mir nicht lassen/ welches allezeit wider meine
art ist/ daß ich bey mir und allen andern die freyheit so viel mit unverletztem gewis-
sen geschehen kan/ über alles andere liebe. So bekenne auch/ daß vor weilen die-
se meinung von der Juden bekehrung/ und derer fast daran hängender besserung
der gesamten kirche/ nicht gehabt habe/ als der ich ohne weiteren nachbedacht mei-
nem S. Praeceptori D. Dannhauer gefolget war/ daher es wohl seyn mag/ daß
ich an den Hertzog von Gotha in den ersten Jahren schreibend/ von den letzten zei-
ten andere gedancken und wenig hoffnung gehabt habe. Hingegen habe es meinem
seligen Collegis Hr. Grambsen und Hr. Emmeln (so viel mich erinnere) vor-
nehmlich zu dancken/ welche mir dazu anleitung gegeben/ biß darinnen mich mehr
und mehr also befestiget habe/ daß nicht leugne/ ein grosses itzo darauf zusetzen/ daß
solche sache auch nimmermehr fahren lassen könte; also daß mir mit hinfallung dersel-

ben
Zzzz 3

DISTINCTIO II. SECTIO XVII.
NN. nicht dermaſſen/ daß er mit ſolchem argwohn zu beladen ſeye/ hoffe auch ſei-
ne glaubens genoſſen ſonderlich Hr. NN. werde anders von ihm urtheilen. Jns-
geſamt halte es vor ein ſtuͤck meiner chriſtlichen pflicht/ ohne die gewiſſeſte gruͤnde
niemand/ ſonderlich mit ſolchen ſchwehren beſchuldigungen zu belegen. Dieſes
iſt meine meinung/ zu dero ich zwar ſo wenig iemand anders zu noͤthigen mir macht
nehmen/ als mir auch anders von andern zuhalten aufbuͤrden lieſſe. Der HErr
regiere uns allerſeits/ weder um der wahrheit willen/ die liebe/ noch um der liebe
willen/ die wahrheit zu verletzen/ ſondern nach dieſer doppelten Regul uns allezeit
zu richten. Was ferner meines wehrteſten bruders freundliche conteſtationes
gegen mich anlangt/ waͤren ſolche nicht noͤthig geweſen/ als der ich deſſen gegen
mich liebreich geſinnet gemuͤth von der erſten zeit an genugſam erkandt/ auch noch
biß daher daran zu zweiffelen keine urſach gehabt/ oder einiges deſſen wort auf die-
ſe weiß angenommen: Hingegen demſelben billich ſeine freyheit in ieglichem din-
ge nach ſeinem gewiſſen gelaſſen/ wie mir auch von allen mitbruͤdern/ ein gleiches
bedinge. Alſo in der materie von der bekehrung der Juden/ kan ich an ande-
ren wohl tragen/ da ſie darin dasjenige nicht erkennen/ darvon ich dannoch mich
verſichert glaube/ nur daß mich umb der gemeinde willen/ ſo irre zu werden ge-
ſorgt betruͤbet haͤtte/ wann es ſo geweſen waͤre/ wie ich war berichtet worden (da
aber gern und mit freuden beſſern bericht daß ſolches nicht geſchehen/ angenom-
men habe) und ich mir gleichfals mein freyheit auch behalte. An dem Loco
Matth. 23/39. erkenne ſolche ſelbſt nicht gegruͤndet/ ob wohl unſer Lutherus ſolche
meinung hat: Sehe aber auch aus dem uͤberſchriebenen/ daß es eben dieſe mei-
nung und nicht um die ſache ſelbſt ſondern ſolches orts verſtand zuthun geweſen
ſeyn muͤſte/ da mir (wo mir recht iſt/ ſo bald in dem erſten Jahr) von gel. Hr. Col-
lega
war referirt worden/ daß er auf Stephani tag dagegen geprediget/ ich hielte
es aber nicht wichtig/ mit demſelben deswegen zureden/ oder daruͤber zu befragen/
damit es nicht das anſehen gewinne/ ich beſchwehrte mich daruͤber/ und wolte an-
deren die geziemende freyheit neben mir nicht laſſen/ welches allezeit wider meine
art iſt/ daß ich bey mir und allen andern die freyheit ſo viel mit unverletztem gewiſ-
ſen geſchehen kan/ uͤber alles andere liebe. So bekenne auch/ daß vor weilen die-
ſe meinung von der Juden bekehrung/ und derer faſt daran haͤngender beſſerung
der geſamten kirche/ nicht gehabt habe/ als der ich ohne weiteren nachbedacht mei-
nem S. Præceptori D. Dannhauer gefolget war/ daher es wohl ſeyn mag/ daß
ich an den Hertzog von Gotha in den erſten Jahren ſchreibend/ von den letzten zei-
ten andere gedancken und wenig hoffnung gehabt habe. Hingegen habe es meinem
ſeligen Collegis Hr. Grambſen und Hr. Emmeln (ſo viel mich erinnere) vor-
nehmlich zu dancken/ welche mir dazu anleitung gegeben/ biß darinnen mich mehr
und mehr alſo befeſtiget habe/ daß nicht leugne/ ein groſſes itzo darauf zuſetzen/ daß
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[733/0751] DISTINCTIO II. SECTIO XVII. NN. nicht dermaſſen/ daß er mit ſolchem argwohn zu beladen ſeye/ hoffe auch ſei- ne glaubens genoſſen ſonderlich Hr. NN. werde anders von ihm urtheilen. Jns- geſamt halte es vor ein ſtuͤck meiner chriſtlichen pflicht/ ohne die gewiſſeſte gruͤnde niemand/ ſonderlich mit ſolchen ſchwehren beſchuldigungen zu belegen. Dieſes iſt meine meinung/ zu dero ich zwar ſo wenig iemand anders zu noͤthigen mir macht nehmen/ als mir auch anders von andern zuhalten aufbuͤrden lieſſe. Der HErr regiere uns allerſeits/ weder um der wahrheit willen/ die liebe/ noch um der liebe willen/ die wahrheit zu verletzen/ ſondern nach dieſer doppelten Regul uns allezeit zu richten. Was ferner meines wehrteſten bruders freundliche conteſtationes gegen mich anlangt/ waͤren ſolche nicht noͤthig geweſen/ als der ich deſſen gegen mich liebreich geſinnet gemuͤth von der erſten zeit an genugſam erkandt/ auch noch biß daher daran zu zweiffelen keine urſach gehabt/ oder einiges deſſen wort auf die- ſe weiß angenommen: Hingegen demſelben billich ſeine freyheit in ieglichem din- ge nach ſeinem gewiſſen gelaſſen/ wie mir auch von allen mitbruͤdern/ ein gleiches bedinge. Alſo in der materie von der bekehrung der Juden/ kan ich an ande- ren wohl tragen/ da ſie darin dasjenige nicht erkennen/ darvon ich dannoch mich verſichert glaube/ nur daß mich umb der gemeinde willen/ ſo irre zu werden ge- ſorgt betruͤbet haͤtte/ wann es ſo geweſen waͤre/ wie ich war berichtet worden (da aber gern und mit freuden beſſern bericht daß ſolches nicht geſchehen/ angenom- men habe) und ich mir gleichfals mein freyheit auch behalte. An dem Loco Matth. 23/39. erkenne ſolche ſelbſt nicht gegruͤndet/ ob wohl unſer Lutherus ſolche meinung hat: Sehe aber auch aus dem uͤberſchriebenen/ daß es eben dieſe mei- nung und nicht um die ſache ſelbſt ſondern ſolches orts verſtand zuthun geweſen ſeyn muͤſte/ da mir (wo mir recht iſt/ ſo bald in dem erſten Jahr) von gel. Hr. Col- lega war referirt worden/ daß er auf Stephani tag dagegen geprediget/ ich hielte es aber nicht wichtig/ mit demſelben deswegen zureden/ oder daruͤber zu befragen/ damit es nicht das anſehen gewinne/ ich beſchwehrte mich daruͤber/ und wolte an- deren die geziemende freyheit neben mir nicht laſſen/ welches allezeit wider meine art iſt/ daß ich bey mir und allen andern die freyheit ſo viel mit unverletztem gewiſ- ſen geſchehen kan/ uͤber alles andere liebe. So bekenne auch/ daß vor weilen die- ſe meinung von der Juden bekehrung/ und derer faſt daran haͤngender beſſerung der geſamten kirche/ nicht gehabt habe/ als der ich ohne weiteren nachbedacht mei- nem S. Præceptori D. Dannhauer gefolget war/ daher es wohl ſeyn mag/ daß ich an den Hertzog von Gotha in den erſten Jahren ſchreibend/ von den letzten zei- ten andere gedancken und wenig hoffnung gehabt habe. Hingegen habe es meinem ſeligen Collegis Hr. Grambſen und Hr. Emmeln (ſo viel mich erinnere) vor- nehmlich zu dancken/ welche mir dazu anleitung gegeben/ biß darinnen mich mehr und mehr alſo befeſtiget habe/ daß nicht leugne/ ein groſſes itzo darauf zuſetzen/ daß ſolche ſache auch nim̃ermehr fahren laſſen koͤnte; alſo daß mir mit hinfallung derſel- ben Zzzz 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/751>, abgerufen am 22.11.2024.