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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
ben/ wozu sie sonderlich demselben verordnet hat. Nun wo ich bedencke/ daß jede
function etwa ihr sonderliches habe/ daß darin gleichsam das praedominans ist/ so
darinn erfordert wird/ nebens denen jenigen stücken/ die sich insgemein bey allen
geistlichen stellen finden müssen/ so wird sich das jenige am wenigsten bey mir finden/
was zu einer solchen stelle das nöthigste. Unter allen dem/ was mir der HERR ver-
liehen hat (davor ihm demüthig danck zusagen habe) ist das hauptwerck/ so viel ich
an mir sonderlich aus anderer anzeige erkennen solle/ einige vis dicendi vor einer
gemeinde/ dahingegen alle meine privat-verrichtungen ziemlich davon enfernet
sind. Da habe ich nun bißher davor gehalten/ weil der gebrauch solcher gabe
vornehmlich platz hat vor einer gewissen gemeinde/ daß mir auch dieses ein zeugnüß
Göttlichen beruffs seye/ da er mir unwürdigen das jenige in mediocri mensura
gegeben/ was darinnen vornehmlsch nutzen kan. Hingegen sehe ich jene stelle an/ daß
das hauptwerck in derselben stehe in prudentia und in einer hertzhafftigkeit. Wie
mirs aber an vielen mangelt; so sind an diesen beiden stücken meine vornehmste
gebrechen/ und zwar solche/ die gleichsam nicht ohne Göttliches wunder bey mir ge-
ändert werden können: Weil sonderlich dieser letzte mangel etwas von dem natür-
lichen temperament ziehet. Wie schwehr solte also werden/ zu glauben/ daß
des HERRN wille seye/ mich zu einer stelle zu setzen/ wo eines theils meine gabe
wegen eines an der zahl schwächeren Auditorii weniger angemendet würde/ andern
theils das jenige erfordert werden solte/ was ich am wenigsten bey mir finde/ und
dessen mangel gleichwohl grossen schaden bringen könte. Wie denn die angerühm-
te wichtigkeit des amts/ mit betrachtet dieses gebrechens vielmehr contra als
pro militiret. Da kommet mir billig zu sinne/ wie es bey Jeremie heisset. c. 12/
5. Wenn dich die müde machen/ die zu fusse gehen (wo diers am hertz offt man-
geln will/ so denn an klugheit der gerechten/ da du es mit noch geringern zu thun
hast?) Wie will dirs gehen da dn mit den rentern lauffen soltst? (Wie
wirstu einen muth fassen/ vor denenjenigen/ derer hoheit mehr schrecket/ und in die
geschäfften dich schicken/ da eine hohe weißheit nöhtig ist) daher mir schwehrlich
einbilden kan/ daß der HERR/ dem meine schwacheit bekant/ mich zu dergleichen
solte bestimmet haben/ worzu er mich nicht ausgerüstet. Das andere betreffend/ so bin
zwar meiner gemeinde und hiesiger statt mit einigen sonderbahren vinculis nicht
verbunden/ aber die allgemeine vincula des unzweifflich Göttlichen beruffs zu der-
selben/ der liebe gegen sie/ der liebe unterschiedlichen gegen mich (ob wohl deren
auch nicht wenig seyn mögen/ welche eines ihnen verdrießlichen mannes gern loß
kommen möchten) die furcht sehr schwehrer seufftzen in solchen fall wider mich und
dergleichen/ sind so starck/ daß ohne gantz offenbahre zeugnüßen des andern Göttli-
chen beruffs/ und also überzeugung des gewissens über denselbigen/ die verlassung
derselben nicht in gedancken gefasset werden könte. Wo aber Göttlicher wille
klährer einleuchtet/ so leugne nicht/ daß der HERR damit alle bande zerreisset.

Diese

Das ſechſte Capitel.
ben/ wozu ſie ſonderlich demſelben verordnet hat. Nun wo ich bedencke/ daß jede
function etwa ihr ſonderliches habe/ daß darin gleichſam das prædominans iſt/ ſo
darinn erfordert wird/ nebens denen jenigen ſtuͤcken/ die ſich insgemein bey allen
geiſtlichen ſtellen finden muͤſſen/ ſo wird ſich das jenige am wenigſten bey mir finden/
was zu einer ſolchen ſtelle das noͤthigſte. Unter allen dem/ was mir der HERR ver-
liehen hat (davor ihm demuͤthig danck zuſagen habe) iſt das hauptwerck/ ſo viel ich
an mir ſonderlich aus anderer anzeige erkennen ſolle/ einige vis dicendi vor einer
gemeinde/ dahingegen alle meine privat-verrichtungen ziemlich davon enfernet
ſind. Da habe ich nun bißher davor gehalten/ weil der gebrauch ſolcher gabe
vornehmlich platz hat vor einer gewiſſen gemeinde/ daß mir auch dieſes ein zeugnuͤß
Goͤttlichen beruffs ſeye/ da er mir unwuͤrdigen das jenige in mediocri menſura
gegeben/ was darinnen vornehmlſch nutzen kan. Hingegen ſehe ich jene ſtelle an/ daß
das hauptwerck in derſelben ſtehe in prudentia und in einer hertzhafftigkeit. Wie
mirs aber an vielen mangelt; ſo ſind an dieſen beiden ſtuͤcken meine vornehmſte
gebrechen/ und zwar ſolche/ die gleichſam nicht ohne Goͤttliches wunder bey mir ge-
aͤndert werden koͤnnen: Weil ſonderlich dieſer letzte mangel etwas von dem natuͤr-
lichen temperament ziehet. Wie ſchwehr ſolte alſo werden/ zu glauben/ daß
des HERRN wille ſeye/ mich zu einer ſtelle zu ſetzen/ wo eines theils meine gabe
wegen eines an der zahl ſchwaͤcheren Auditorii weniger angemendet wuͤrde/ andern
theils das jenige erfordert werden ſolte/ was ich am wenigſten bey mir finde/ und
deſſen mangel gleichwohl groſſen ſchaden bringen koͤnte. Wie denn die angeruͤhm-
te wichtigkeit des amts/ mit betrachtet dieſes gebrechens vielmehr contra als
pro militiret. Da kommet mir billig zu ſinne/ wie es bey Jeremie heiſſet. c. 12/
5. Wenn dich die muͤde machen/ die zu fuſſe gehen (wo diers am hertz offt man-
geln will/ ſo denn an klugheit der gerechten/ da du es mit noch geringern zu thun
haſt?) Wie will dirs gehen da dn mit den rentern lauffen ſoltſt? (Wie
wirſtu einen muth faſſen/ vor denenjenigen/ derer hoheit mehr ſchrecket/ und in die
geſchaͤfften dich ſchicken/ da eine hohe weißheit noͤhtig iſt) daher mir ſchwehrlich
einbilden kan/ daß der HERR/ dem meine ſchwacheit bekant/ mich zu dergleichen
ſolte beſtim̃et haben/ worzu er mich nicht ausgeruͤſtet. Das andeꝛe betreffend/ ſo bin
zwar meiner gemeinde und hieſiger ſtatt mit einigen ſonderbahren vinculis nicht
verbunden/ aber die allgemeine vincula des unzweifflich Goͤttlichen beruffs zu der-
ſelben/ der liebe gegen ſie/ der liebe unterſchiedlichen gegen mich (ob wohl deren
auch nicht wenig ſeyn moͤgen/ welche eines ihnen verdrießlichen mannes gern loß
kommen moͤchten) die furcht ſehr ſchwehrer ſeufftzen in ſolchen fall wider mich und
dergleichen/ ſind ſo ſtarck/ daß ohne gantz offenbahre zeugnuͤßen des andern Goͤttli-
chen beruffs/ und alſo uͤberzeugung des gewiſſens uͤber denſelbigen/ die verlaſſung
derſelben nicht in gedancken gefaſſet werden koͤnte. Wo aber Goͤttlicher wille
klaͤhrer einleuchtet/ ſo leugne nicht/ daß der HERR damit alle bande zerreiſſet.

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[664/0682] Das ſechſte Capitel. ben/ wozu ſie ſonderlich demſelben verordnet hat. Nun wo ich bedencke/ daß jede function etwa ihr ſonderliches habe/ daß darin gleichſam das prædominans iſt/ ſo darinn erfordert wird/ nebens denen jenigen ſtuͤcken/ die ſich insgemein bey allen geiſtlichen ſtellen finden muͤſſen/ ſo wird ſich das jenige am wenigſten bey mir finden/ was zu einer ſolchen ſtelle das noͤthigſte. Unter allen dem/ was mir der HERR ver- liehen hat (davor ihm demuͤthig danck zuſagen habe) iſt das hauptwerck/ ſo viel ich an mir ſonderlich aus anderer anzeige erkennen ſolle/ einige vis dicendi vor einer gemeinde/ dahingegen alle meine privat-verrichtungen ziemlich davon enfernet ſind. Da habe ich nun bißher davor gehalten/ weil der gebrauch ſolcher gabe vornehmlich platz hat vor einer gewiſſen gemeinde/ daß mir auch dieſes ein zeugnuͤß Goͤttlichen beruffs ſeye/ da er mir unwuͤrdigen das jenige in mediocri menſura gegeben/ was darinnen vornehmlſch nutzen kan. Hingegen ſehe ich jene ſtelle an/ daß das hauptwerck in derſelben ſtehe in prudentia und in einer hertzhafftigkeit. Wie mirs aber an vielen mangelt; ſo ſind an dieſen beiden ſtuͤcken meine vornehmſte gebrechen/ und zwar ſolche/ die gleichſam nicht ohne Goͤttliches wunder bey mir ge- aͤndert werden koͤnnen: Weil ſonderlich dieſer letzte mangel etwas von dem natuͤr- lichen temperament ziehet. Wie ſchwehr ſolte alſo werden/ zu glauben/ daß des HERRN wille ſeye/ mich zu einer ſtelle zu ſetzen/ wo eines theils meine gabe wegen eines an der zahl ſchwaͤcheren Auditorii weniger angemendet wuͤrde/ andern theils das jenige erfordert werden ſolte/ was ich am wenigſten bey mir finde/ und deſſen mangel gleichwohl groſſen ſchaden bringen koͤnte. Wie denn die angeruͤhm- te wichtigkeit des amts/ mit betrachtet dieſes gebrechens vielmehr contra als pro militiret. Da kommet mir billig zu ſinne/ wie es bey Jeremie heiſſet. c. 12/ 5. Wenn dich die muͤde machen/ die zu fuſſe gehen (wo diers am hertz offt man- geln will/ ſo denn an klugheit der gerechten/ da du es mit noch geringern zu thun haſt?) Wie will dirs gehen da dn mit den rentern lauffen ſoltſt? (Wie wirſtu einen muth faſſen/ vor denenjenigen/ derer hoheit mehr ſchrecket/ und in die geſchaͤfften dich ſchicken/ da eine hohe weißheit noͤhtig iſt) daher mir ſchwehrlich einbilden kan/ daß der HERR/ dem meine ſchwacheit bekant/ mich zu dergleichen ſolte beſtim̃et haben/ worzu er mich nicht ausgeruͤſtet. Das andeꝛe betreffend/ ſo bin zwar meiner gemeinde und hieſiger ſtatt mit einigen ſonderbahren vinculis nicht verbunden/ aber die allgemeine vincula des unzweifflich Goͤttlichen beruffs zu der- ſelben/ der liebe gegen ſie/ der liebe unterſchiedlichen gegen mich (ob wohl deren auch nicht wenig ſeyn moͤgen/ welche eines ihnen verdrießlichen mannes gern loß kommen moͤchten) die furcht ſehr ſchwehrer ſeufftzen in ſolchen fall wider mich und dergleichen/ ſind ſo ſtarck/ daß ohne gantz offenbahre zeugnuͤßen des andern Goͤttli- chen beruffs/ und alſo uͤberzeugung des gewiſſens uͤber denſelbigen/ die verlaſſung derſelben nicht in gedancken gefaſſet werden koͤnte. Wo aber Goͤttlicher wille klaͤhrer einleuchtet/ ſo leugne nicht/ daß der HERR damit alle bande zerreiſſet. Dieſe

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/682>, abgerufen am 22.11.2024.