Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. ten/ sind aus seiner eigenen meynung zu expliciren/ in sensu composito, velde certitudine conditionata. 3. Jst auch nicht die frage: Ob ein unterscheid zwischen der grossen und kleinen buß lapsorum vel stantium, seye? welches freylich gewiß/ und nicht zuloben ist/ daß offt solcher nicht mit gnugsamen fleiß vor- getragen wird. 4. Jst auch die frage nicht: Ob diese grosse busse so offt wiederholet werde/ als manche sich einbilden: Daß man so zureden täglich und wöchentlich wie- derum muthwillig sündigen und immer wiederum die grosse busse thun möchte? Denn da gelten die worte p. 20. sonst immer muthwillig fort sündigen/ es mit unter bereuen/ und doch nie nicht muthwilliger sünden gar müßig gehen/ da wirds endlich die ewige höllische reue. Und p. 33. Manche lassen sich bedüncken/ daß ein Christ immer möge wohl 100. ja 1000. mal die grosse busse würcken. Und p. 43. daß die ge- wöhnliche art des rechten Christenthums sey/ daß die wiederge- bohrnen wohl 100. oder 1000. mal abwechslung weise fallen und aufstehen von todt-sünden/ das ist eine gotteslästerliche und der gantzen Harmoni des wahren Christenthums zuwider lauf- fende meynung. 5. Die frage ist auch nicht: Ob nach einmahl oder auch etlichmahl wiederholter buße/ wo gleichwol der rückfällige wiederum busse thete/ solcher auch wiederum von GOtt angenommen werde? Denn dieses gestehet Herr Stenger auch/ sondern so viel wir aus obigen orthen schliessen/ ist dieses die frage: Ob das Christenthum hier in dem reich der gnaden zu solcher vollkommenheit gebracht werde/ dz die allermeiste/ nach den sie einmahl wiederbekehret worden nicht mehr abfallen/ sondernihr lebe tage be- ständig an GOTT bleiben/ wo sie aber abfallen/ selten einiger von denselben wiederum zur wahren busse gelange/ und also die gött- liche barmhertzigkeit in ansehung der sünder ordentlicher weise sich nicht über 2. mahl erstrecke/ oder obs nicht vielmehr geschehe/ daß die kinder GOttes etlichemahl durch die grosse busse wieder von GOTT zu gnaden angenommen werden? Damit diese zwo fragen auch einfliessen. 1. Ob gnugsam ursach zuzweiffeln seye/ daß die vorige busse sey heucheley gewesen/ nach welcher/ nach dem er eine weile gottselig gelebet/ endlich der mensch wieder gefallen? oder ob nicht die busse des jenigen/ der nachmahl gött- liche gnade wiederum verschertzet/ eben so wol eine wahre busse sey gewesen/ als dessen der immer beständig bleibt? Und 2. Ob man nicht billich den jenigen vor- satz vor keinen gnugsam ernstlichen vorsatz zu halten habe/ wider welchen nach eini- ger zeit der mensch wiederum thut? Oder: Ob er möge vor ernstlich erkant wer- den/ obschon die beständigkeit nicht erfolgt. Jn diesen fragen finden wir/ so viel wir
ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. ten/ ſind aus ſeiner eigenen meynung zu expliciren/ in ſenſu compoſito, velde certitudine conditionata. 3. Jſt auch nicht die frage: Ob ein unterſcheid zwiſchen der groſſen und kleinen buß lapſorum vel ſtantium, ſeye? welches freylich gewiß/ und nicht zuloben iſt/ daß offt ſolcher nicht mit gnugſamen fleiß vor- getragen wird. 4. Jſt auch die frage nicht: Ob dieſe groſſe buſſe ſo offt wiederholet werde/ als manche ſich einbilden: Daß man ſo zureden taͤglich und woͤchentlich wie- derum muthwillig ſuͤndigen und immer wiederum die groſſe buſſe thun moͤchte? Denn da gelten die worte p. 20. ſonſt immer muthwillig fort ſuͤndigen/ es mit unter bereuen/ und doch nie nicht muthwilliger ſuͤnden gar muͤßig gehen/ da wirds endlich die ewige hoͤlliſche reue. Und p. 33. Manche laſſen ſich beduͤncken/ daß ein Chriſt immer moͤge wohl 100. ja 1000. mal die groſſe buſſe wuͤrcken. Und p. 43. daß die ge- woͤhnliche art des rechten Chriſtenthums ſey/ daß die wiederge- bohrnen wohl 100. oder 1000. mal abwechslung weiſe fallen und aufſtehen von todt-ſuͤnden/ das iſt eine gotteslaͤſterliche und der gantzen Harmoni des wahren Chriſtenthums zuwider lauf- fende meynung. 5. Die frage iſt auch nicht: Ob nach einmahl oder auch etlichmahl wiederholter buße/ wo gleichwol der ruͤckfaͤllige wiederum buſſe thete/ ſolcher auch wiederum von GOtt angenommen werde? Denn dieſes geſtehet Herr Stenger auch/ ſondern ſo viel wir aus obigen orthen ſchlieſſen/ iſt dieſes die frage: Ob das Chriſtenthum hier in dem reich der gnaden zu ſolcher vollkom̃enheit gebracht werde/ dz die allermeiſte/ nach dẽ ſie einmahl wiederbekehret worden nicht mehr abfallẽ/ ſondernihr lebe tage be- ſtaͤndig an GOTT bleiben/ wo ſie aber abfallen/ ſelten einiger von denſelben wiederum zur wahren buſſe gelange/ und alſo die goͤtt- liche barmhertzigkeit in anſehung der ſuͤnder ordentlicher weiſe ſich nicht uͤber 2. mahl erſtrecke/ oder obs nicht vielmehr geſchehe/ daß die kinder GOttes etlichemahl durch die groſſe buſſe wieder von GOTT zu gnaden angenommen werden? Damit dieſe zwo fragen auch einflieſſen. 1. Ob gnugſam urſach zuzweiffeln ſeye/ daß die vorige buſſe ſey heucheley geweſen/ nach welcher/ nach dem er eine weile gottſelig gelebet/ endlich der menſch wieder gefallen? oder ob nicht die buſſe des jenigen/ der nachmahl goͤtt- liche gnade wiederum verſchertzet/ eben ſo wol eine wahre buſſe ſey geweſen/ als deſſen der immer beſtaͤndig bleibt? Und 2. Ob man nicht billich den jenigen vor- ſatz vor keinen gnugſam ernſtlichen vorſatz zu halten habe/ wider welchen nach eini- ger zeit der menſch wiederum thut? Oder: Ob er moͤge vor ernſtlich erkant wer- den/ obſchon die beſtaͤndigkeit nicht erfolgt. Jn dieſen fragen finden wir/ ſo viel wir
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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
ten/ ſind aus ſeiner eigenen meynung zu expliciren/ in ſenſu compoſito, vel
de certitudine conditionata. 3. Jſt auch nicht die frage: Ob ein unterſcheid
zwiſchen der groſſen und kleinen buß lapſorum vel ſtantium, ſeye? welches
freylich gewiß/ und nicht zuloben iſt/ daß offt ſolcher nicht mit gnugſamen fleiß vor-
getragen wird. 4. Jſt auch die frage nicht: Ob dieſe groſſe buſſe ſo offt wiederholet
werde/ als manche ſich einbilden: Daß man ſo zureden taͤglich und woͤchentlich wie-
derum muthwillig ſuͤndigen und immer wiederum die groſſe buſſe thun moͤchte?
Denn da gelten die worte p. 20. ſonſt immer muthwillig fort ſuͤndigen/
es mit unter bereuen/ und doch nie nicht muthwilliger ſuͤnden gar
muͤßig gehen/ da wirds endlich die ewige hoͤlliſche reue. Und p. 33.
Manche laſſen ſich beduͤncken/ daß ein Chriſt immer moͤge wohl
100. ja 1000. mal die groſſe buſſe wuͤrcken. Und p. 43. daß die ge-
woͤhnliche art des rechten Chriſtenthums ſey/ daß die wiederge-
bohrnen wohl 100. oder 1000. mal abwechslung weiſe fallen und
aufſtehen von todt-ſuͤnden/ das iſt eine gotteslaͤſterliche und
der gantzen Harmoni des wahren Chriſtenthums zuwider lauf-
fende meynung. 5. Die frage iſt auch nicht: Ob nach einmahl oder auch
etlichmahl wiederholter buße/ wo gleichwol der ruͤckfaͤllige wiederum buſſe thete/
ſolcher auch wiederum von GOtt angenommen werde? Denn dieſes geſtehet
Herr Stenger auch/ ſondern ſo viel wir aus obigen orthen ſchlieſſen/ iſt dieſes die
frage: Ob das Chriſtenthum hier in dem reich der gnaden zu ſolcher
vollkom̃enheit gebracht werde/ dz die allermeiſte/ nach dẽ ſie einmahl
wiederbekehret worden nicht mehr abfallẽ/ ſondernihr lebe tage be-
ſtaͤndig an GOTT bleiben/ wo ſie aber abfallen/ ſelten einiger von
denſelben wiederum zur wahren buſſe gelange/ und alſo die goͤtt-
liche barmhertzigkeit in anſehung der ſuͤnder ordentlicher weiſe ſich
nicht uͤber 2. mahl erſtrecke/ oder obs nicht vielmehr geſchehe/ daß
die kinder GOttes etlichemahl durch die groſſe buſſe wieder von
GOTT zu gnaden angenommen werden? Damit dieſe zwo fragen
auch einflieſſen. 1. Ob gnugſam urſach zuzweiffeln ſeye/ daß die vorige buſſe ſey
heucheley geweſen/ nach welcher/ nach dem er eine weile gottſelig gelebet/ endlich
der menſch wieder gefallen? oder ob nicht die buſſe des jenigen/ der nachmahl goͤtt-
liche gnade wiederum verſchertzet/ eben ſo wol eine wahre buſſe ſey geweſen/ als
deſſen der immer beſtaͤndig bleibt? Und 2. Ob man nicht billich den jenigen vor-
ſatz vor keinen gnugſam ernſtlichen vorſatz zu halten habe/ wider welchen nach eini-
ger zeit der menſch wiederum thut? Oder: Ob er moͤge vor ernſtlich erkant wer-
den/ obſchon die beſtaͤndigkeit nicht erfolgt. Jn dieſen fragen finden wir/ ſo viel
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/65>, abgerufen am 22.07.2024. |