Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.Das sechste Capitel. Was von der putrefaction, die vor der widergeburth hergehen müsse/ (wo sie et-was anders ist/ als die wahre buß)/ auffschliessung des contri der seelen/ und der- gleichen geme det wird/ verstehe ich solche wort nicht/ und bleibe bey meiner einfälti- gen Bieb[el]/ die ist mir geheimnüß genug; so vergnüge mich auch an ihren redens- arten/ und besorge daß aus der kainophonia leicht eine kenophania werden möchte. Daß ein ieglicher zu seiner widergeburt durch eine solche verwesung gehen müste/ daß die seele eine weil eben so wenig labsal von innen und aussen empfinden/ als Christus an dem creutz/ saget mir die Schrifft nirgends: ob ich wol nicht läugne/ daß der HErr freylich auch manche/ und etwa die jenige/ welche er zu seinen wichtigsten geschäfften bereiten und kräfftigere werckzeuge aus ihnen machen will/ in eine dergleichen hölle führe/ geineiniglich aber nicht so wol in ihrer bekehrung und widergeburt/ als da sie schon in der gnade eine gute weil gestanden/ und dergleichen einer probe fähig wor- den sind: Wodurch gewiß ist/ daß viel stattliches und himmlisches in ihnen dadurch gewürcket werde. Daß aber alle widergeburt und bekehrung auff solche weise geschehen müste/ wird weder GOttes Wort noch die erfahrung lehren. Seine wege sind heilig/ unbegreifflich und obwol auff einem zweck gerichtet/ den- noch nicht ohne grossen unterscheid: Er ziehet einige seelen mehr mit sanfften und an- muthigen liebes-seilen/ und lässet die selige geburt auch bey ihnen mit geringern oder kürtzern schmertzen hergehen/ bey andern haben seine schrecken mehr platz/ und gehet saurer her: Jedes und bey ieden nicht von ungefehr/ sondern nach dem rath seiner H. Weißheit/ dero wir nicht mit Petro/ Joh. 21/ 21. einzureden/ oder ihn wegen des unterschieds/ welchen er in seinen wegen hält/ zu rechenschafft zu fordern/ haben/ wollen wir nicht auch hören/ so ich will daß dieser bleibe biß daß ich komme/ daß er auff leichtere und anmuthigere art durch weniger binden geführet werde/ was gehet es dich an/ folge du mir nach/ und seye zu frieden mit der disposi- tion meiner weißheit über dich. Einen Paulum schlägt der HErr so zu reden als mit einem blitz zur erden/ und muß er drey tage in blindheit/ und fasten aushalten/ wo es etwa ohn die empfindligsten schmertzen nicht her gegangen seyen mag/ ehe ein solchs edles kind gebohren wurde: bey andern. Ap. Gesch. 2. war es aus einer predigt eine einige ernstliche buß betrübnüß/ so das hertz durchdringet/ und gelangen solche leute sobald solchen tage noch zu der gnade und Sacrament der widerge- burt: mit dem Cämmrer und Kerckermeister Apost. Geschicht 8. und 16. ginge es etwa noch geschwinder daher/ und wurden gleichwol alle so bald in den stand gesetzt/ darinnen sie seelig werden könten/ welches ie nicht ohne wahren göttlichen glauben und also eindringung des himmlischen liechts und krafft in die seelen selbs/ folglich die wahre wiedergeburt/ kan geschehen seyen: und gleichwohl fühlen eben nicht alle sel- bige das jenige/ wo durch der HErr andere seine auserwehlten aus ihme beliebten rath geführet hat: wie er auch in andern stücken seines umgehens mit den seinen in euserlich und innerlichem zimlichen unterschied hält/ daß also auch dieser art un- ter-
Das ſechſte Capitel. Was von der putrefaction, die vor der widergeburth hergehen muͤſſe/ (wo ſie et-was anders iſt/ als die wahre buß)/ auffſchlieſſung des contri der ſeelen/ und der- gleichen geme det wird/ verſtehe ich ſolche wort nicht/ und bleibe bey meiner einfaͤlti- gen Bieb[el]/ die iſt mir geheimnuͤß genug; ſo vergnuͤge mich auch an ihren redens- arten/ und beſorge daß aus der καινοφωνία leicht eine κενοφανία werden moͤchte. Daß ein ieglicher zu ſeiner widergeburt durch eine ſolche verweſung gehen muͤſte/ daß die ſeele eine weil eben ſo wenig labſal von innen und auſſen empfinden/ als Chriſtus an dem creutz/ ſaget mir die Schrifft nirgends: ob ich wol nicht laͤugne/ daß der HErr freylich auch manche/ und etwa die jenige/ welche er zu ſeinen wichtigſten geſchaͤfften bereiten und kraͤfftigere werckzeuge aus ihnen machen will/ in eine dergleichen hoͤlle fuͤhre/ geineiniglich aber nicht ſo wol in ihrer bekehrung und widergeburt/ als da ſie ſchon in der gnade eine gute weil geſtanden/ und dergleichen einer probe faͤhig wor- den ſind: Wodurch gewiß iſt/ daß viel ſtattliches und himmliſches in ihnen dadurch gewuͤrcket werde. Daß aber alle widergeburt und bekehrung auff ſolche weiſe geſchehen muͤſte/ wird weder GOttes Wort noch die erfahrung lehren. Seine wege ſind heilig/ unbegreifflich und obwol auff einem zweck gerichtet/ den- noch nicht ohne groſſen unterſcheid: Er ziehet einige ſeelen mehr mit ſanfften und an- muthigen liebes-ſeilen/ und laͤſſet die ſelige geburt auch bey ihnen mit geringern oder kuͤrtzern ſchmertzen hergehen/ bey andern haben ſeine ſchrecken mehr platz/ und gehet ſaurer her: Jedes und bey ieden nicht von ungefehr/ ſondern nach dem rath ſeiner H. Weißheit/ dero wir nicht mit Petro/ Joh. 21/ 21. einzureden/ oder ihn wegen des unterſchieds/ welchen er in ſeinen wegen haͤlt/ zu rechenſchafft zu fordern/ haben/ wollen wir nicht auch hoͤren/ ſo ich will daß dieſer bleibe biß daß ich komme/ daß er auff leichtere und anmuthigere art durch weniger binden gefuͤhret werde/ was gehet es dich an/ folge du mir nach/ und ſeye zu frieden mit der diſpoſi- tion meiner weißheit uͤber dich. Einen Paulum ſchlaͤgt der HErr ſo zu reden als mit einem blitz zur erden/ und muß er drey tage in blindheit/ und faſten aushalten/ wo es etwa ohn die empfindligſten ſchmertzen nicht her gegangen ſeyen mag/ ehe ein ſolchs edles kind gebohren wurde: bey andern. Ap. Geſch. 2. war es aus einer predigt eine einige ernſtliche buß betruͤbnuͤß/ ſo das hertz durchdringet/ und gelangen ſolche leute ſobald ſolchen tage noch zu der gnade und Sacrament der widerge- burt: mit dem Caͤmmrer und Kerckermeiſter Apoſt. Geſchicht 8. und 16. ginge es etwa noch geſchwinder daher/ und wurden gleichwol alle ſo bald in den ſtand geſetzt/ darinnen ſie ſeelig werden koͤnten/ welches ie nicht ohne wahren goͤttlichen glauben und alſo eindringung des himmliſchen liechts und krafft in die ſeelen ſelbs/ folglich die wahre wiedergeburt/ kan geſchehen ſeyen: und gleichwohl fuͤhlen eben nicht alle ſel- bige das jenige/ wo durch der HErr andere ſeine auserwehlten aus ihme beliebten rath gefuͤhret hat: wie er auch in andern ſtuͤcken ſeines umgehens mit den ſeinen in euſerlich und innerlichem zimlichen unterſchied haͤlt/ daß alſo auch dieſer art un- ter-
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Das ſechſte Capitel.
Was von der putrefaction, die vor der widergeburth hergehen muͤſſe/ (wo ſie et-
was anders iſt/ als die wahre buß)/ auffſchlieſſung des contri der ſeelen/ und der-
gleichen geme det wird/ verſtehe ich ſolche wort nicht/ und bleibe bey meiner einfaͤlti-
gen Biebel/ die iſt mir geheimnuͤß genug; ſo vergnuͤge mich auch an ihren redens-
arten/ und beſorge daß aus der καινοφωνία leicht eine κενοφανία werden moͤchte. Daß
ein ieglicher zu ſeiner widergeburt durch eine ſolche verweſung gehen muͤſte/ daß die
ſeele eine weil eben ſo wenig labſal von innen und auſſen empfinden/ als Chriſtus an
dem creutz/ ſaget mir die Schrifft nirgends: ob ich wol nicht laͤugne/ daß der HErr
freylich auch manche/ und etwa die jenige/ welche er zu ſeinen wichtigſten geſchaͤfften
bereiten und kraͤfftigere werckzeuge aus ihnen machen will/ in eine dergleichen hoͤlle
fuͤhre/ geineiniglich aber nicht ſo wol in ihrer bekehrung und widergeburt/ als da ſie
ſchon in der gnade eine gute weil geſtanden/ und dergleichen einer probe faͤhig wor-
den ſind: Wodurch gewiß iſt/ daß viel ſtattliches und himmliſches in ihnen
dadurch gewuͤrcket werde. Daß aber alle widergeburt und bekehrung auff ſolche
weiſe geſchehen muͤſte/ wird weder GOttes Wort noch die erfahrung lehren.
Seine wege ſind heilig/ unbegreifflich und obwol auff einem zweck gerichtet/ den-
noch nicht ohne groſſen unterſcheid: Er ziehet einige ſeelen mehr mit ſanfften und an-
muthigen liebes-ſeilen/ und laͤſſet die ſelige geburt auch bey ihnen mit geringern oder
kuͤrtzern ſchmertzen hergehen/ bey andern haben ſeine ſchrecken mehr platz/ und gehet
ſaurer her: Jedes und bey ieden nicht von ungefehr/ ſondern nach dem rath ſeiner
H. Weißheit/ dero wir nicht mit Petro/ Joh. 21/ 21. einzureden/ oder ihn wegen des
unterſchieds/ welchen er in ſeinen wegen haͤlt/ zu rechenſchafft zu fordern/ haben/
wollen wir nicht auch hoͤren/ ſo ich will daß dieſer bleibe biß daß ich komme/
daß er auff leichtere und anmuthigere art durch weniger binden gefuͤhret werde/
was gehet es dich an/ folge du mir nach/ und ſeye zu frieden mit der diſpoſi-
tion meiner weißheit uͤber dich. Einen Paulum ſchlaͤgt der HErr ſo zu reden als
mit einem blitz zur erden/ und muß er drey tage in blindheit/ und faſten aushalten/
wo es etwa ohn die empfindligſten ſchmertzen nicht her gegangen ſeyen mag/ ehe ein
ſolchs edles kind gebohren wurde: bey andern. Ap. Geſch. 2. war es aus einer
predigt eine einige ernſtliche buß betruͤbnuͤß/ ſo das hertz durchdringet/ und gelangen
ſolche leute ſobald ſolchen tage noch zu der gnade und Sacrament der widerge-
burt: mit dem Caͤmmrer und Kerckermeiſter Apoſt. Geſchicht 8. und 16. ginge es
etwa noch geſchwinder daher/ und wurden gleichwol alle ſo bald in den ſtand geſetzt/
darinnen ſie ſeelig werden koͤnten/ welches ie nicht ohne wahren goͤttlichen glauben
und alſo eindringung des himmliſchen liechts und krafft in die ſeelen ſelbs/ folglich
die wahre wiedergeburt/ kan geſchehen ſeyen: und gleichwohl fuͤhlen eben nicht alle ſel-
bige das jenige/ wo durch der HErr andere ſeine auserwehlten aus ihme beliebten
rath gefuͤhret hat: wie er auch in andern ſtuͤcken ſeines umgehens mit den ſeinen
in euſerlich und innerlichem zimlichen unterſchied haͤlt/ daß alſo auch dieſer art un-
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/606>, abgerufen am 02.07.2024. |