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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
les/ als dessen exempel mir genug bekant/ auch mein werther bruder ohn zweiffel
selbs dergleichen mehrmahl wird gesehen haben/ ich nicht ohne hertzliche wehmuth
gedencken kan: Sondern offters sorgen muß/ wir liegen unter schwehrerem
Göttlichem gericht als wir glauben; in dem so zu reden allem gutem die thür muß
versperret werden/ damit vollends das sünden maß erfüllet/ und dem übrigem ge-
richt das thor völlig geöffnet werde. Jndessen müssen wir die hände nicht sincken
lassen/ sondern desto eiffriger zu dem HERRN tag und nacht seufftzen/ desto fester
alle/ die es redlich meinen uns in einer einigkeit des Geistes zu gemeinem treiben des
guten verbinden/ und in dem glauben auff des HERRN wort fort zu fahren/ thun/
was unsere hand findet/ ihn endlich den letzten ausgang empfehlende/ der gewissen
versicherung/ auch unser hertzlicher wille und conatus werde mit Davids wohl in-
tendir
tem/ aber von dem HERRN selbst abgeleinten/ tempel-bau/ GOTT
angenehm/ und zu seiner zeit nicht ohne frucht seyen.

Ach der HERR stärcke uns in solchem glauben/ und gebe zu pflantzen und
begiessen so viel gedeyen/ als seinem gnädigen rath gemäß! Jch versichere mich
es werde auch diese meine wehmüthige klage nicht übel genommen werden/ als wo
zu mich das liebe schreiben veranlasset/ und gleichsam freundlich ausgelocket hat/ in
dem aus demselben auch seine Christliche erkantnüß des zustandes unserer zeit
und hertzlichem vergnügen eingesehen zu haben nicht zweiffle/ und desto getroster
zu reden kein bedenckens gefunden habe. 11. Oct. 1682.

SECTIO XI.

Bedencken über einen Commentarium apoca-
Iypticum.

MEil mein weniges judicium darüber verlangt worden/ so gebe dasselbe
gantz offenhertzig und mit derjenigen freyheit/ so mir dero bißheriges gegen
mich bezeugtes vertrauen gemacht hat. Jch finde in dem gantzen werck eine
statliche erudition/ daß unter anderen commentatoribus es nicht eben viele
diesem mann werden vorthun: so ist nicht weniger ein scharffes judicium bey dem
autore/ und neben der Philologia und illustration der locorum aus der anti-
qui
tät eine sehr ingeniosa application der propheceyungen auff seinen jedesmahl
vorgesetzten scopum: daß er mich meistens an den unvergleichlichen Grotium
dessen er sich auch offtmahls und vielleicht allzu offt gebraucht hat/ gemahnet. Wie
ich aber an solchem werck ein exempel habe/ wie eine mit dem text doch in den grund
nicht übereinkommende meinung durch einen scharffsinnigen und gelehrten mann
so speciose dannoch behauptet werden könne/ also leugne nicht/ daß ich mit der gan-
tzen explication fast kaum in einigem einig seyn kan/ sonder davor halte/ ob sie wohl
von dem autore pro vera, oder doch verae proxima, ausgegeben wird/ seyen

doch

Das ſechſte Capitel.
les/ als deſſen exempel mir genug bekant/ auch mein werther bruder ohn zweiffel
ſelbs dergleichen mehrmahl wird geſehen haben/ ich nicht ohne hertzliche wehmuth
gedencken kan: Sondern offters ſorgen muß/ wir liegen unter ſchwehrerem
Goͤttlichem gericht als wir glauben; in dem ſo zu reden allem gutem die thuͤr muß
verſperret werden/ damit vollends das ſuͤnden maß erfuͤllet/ und dem uͤbrigem ge-
richt das thor voͤllig geoͤffnet werde. Jndeſſen muͤſſen wir die haͤnde nicht ſincken
laſſen/ ſondern deſto eiffriger zu dem HERRN tag und nacht ſeufftzen/ deſto feſter
alle/ die es redlich meinen uns in einer einigkeit des Geiſtes zu gemeinem treiben des
guten verbinden/ und in dem glauben auff des HERRN wort fort zu fahren/ thun/
was unſere hand findet/ ihn endlich den letzten ausgang empfehlende/ der gewiſſen
verſicherung/ auch unſer hertzlicher wille und conatus werde mit Davids wohl in-
tendir
tem/ aber von dem HERRN ſelbſt abgeleinten/ tempel-bau/ GOTT
angenehm/ und zu ſeiner zeit nicht ohne frucht ſeyen.

Ach der HERR ſtaͤrcke uns in ſolchem glauben/ und gebe zu pflantzen und
begieſſen ſo viel gedeyen/ als ſeinem gnaͤdigen rath gemaͤß! Jch verſichere mich
es werde auch dieſe meine wehmuͤthige klage nicht uͤbel genommen werden/ als wo
zu mich das liebe ſchreiben veranlaſſet/ und gleichſam freundlich ausgelocket hat/ in
dem aus demſelben auch ſeine Chriſtliche erkantnuͤß des zuſtandes unſerer zeit
und hertzlichem vergnuͤgen eingeſehen zu haben nicht zweiffle/ und deſto getroſter
zu reden kein bedenckens gefunden habe. 11. Oct. 1682.

SECTIO XI.

Bedencken uͤber einen Commentarium apoca-
Iypticum.

MEil mein weniges judicium daruͤber verlangt worden/ ſo gebe daſſelbe
gantz offenhertzig und mit derjenigen freyheit/ ſo mir dero bißheriges gegen
mich bezeugtes vertrauen gemacht hat. Jch finde in dem gantzen werck eine
ſtatliche erudition/ daß unter anderen commentatoribus es nicht eben viele
dieſem mann werden vorthun: ſo iſt nicht weniger ein ſcharffes judicium bey dem
autore/ und neben der Philologia und illuſtration der locorum aus der anti-
qui
taͤt eine ſehr ingenioſa application der propheceyungen auff ſeinen jedesmahl
vorgeſetzten ſcopum: daß er mich meiſtens an den unvergleichlichen Grotium
deſſen er ſich auch offtmahls und vielleicht allzu offt gebraucht hat/ gemahnet. Wie
ich aber an ſolchem werck ein exempel habe/ wie eine mit dem text doch in den grund
nicht uͤbereinkommende meinung durch einen ſcharffſinnigen und gelehrten mann
ſo ſpecioſe dannoch behauptet werden koͤnne/ alſo leugne nicht/ daß ich mit der gan-
tzen explication faſt kaum in einigem einig ſeyn kan/ ſonder davor halte/ ob ſie wohl
von dem autore pro vera, oder doch veræ proxima, ausgegeben wird/ ſeyen

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[562/0580] Das ſechſte Capitel. les/ als deſſen exempel mir genug bekant/ auch mein werther bruder ohn zweiffel ſelbs dergleichen mehrmahl wird geſehen haben/ ich nicht ohne hertzliche wehmuth gedencken kan: Sondern offters ſorgen muß/ wir liegen unter ſchwehrerem Goͤttlichem gericht als wir glauben; in dem ſo zu reden allem gutem die thuͤr muß verſperret werden/ damit vollends das ſuͤnden maß erfuͤllet/ und dem uͤbrigem ge- richt das thor voͤllig geoͤffnet werde. Jndeſſen muͤſſen wir die haͤnde nicht ſincken laſſen/ ſondern deſto eiffriger zu dem HERRN tag und nacht ſeufftzen/ deſto feſter alle/ die es redlich meinen uns in einer einigkeit des Geiſtes zu gemeinem treiben des guten verbinden/ und in dem glauben auff des HERRN wort fort zu fahren/ thun/ was unſere hand findet/ ihn endlich den letzten ausgang empfehlende/ der gewiſſen verſicherung/ auch unſer hertzlicher wille und conatus werde mit Davids wohl in- tendirtem/ aber von dem HERRN ſelbſt abgeleinten/ tempel-bau/ GOTT angenehm/ und zu ſeiner zeit nicht ohne frucht ſeyen. Ach der HERR ſtaͤrcke uns in ſolchem glauben/ und gebe zu pflantzen und begieſſen ſo viel gedeyen/ als ſeinem gnaͤdigen rath gemaͤß! Jch verſichere mich es werde auch dieſe meine wehmuͤthige klage nicht uͤbel genommen werden/ als wo zu mich das liebe ſchreiben veranlaſſet/ und gleichſam freundlich ausgelocket hat/ in dem aus demſelben auch ſeine Chriſtliche erkantnuͤß des zuſtandes unſerer zeit und hertzlichem vergnuͤgen eingeſehen zu haben nicht zweiffle/ und deſto getroſter zu reden kein bedenckens gefunden habe. 11. Oct. 1682. SECTIO XI. Bedencken uͤber einen Commentarium apoca- Iypticum. MEil mein weniges judicium daruͤber verlangt worden/ ſo gebe daſſelbe gantz offenhertzig und mit derjenigen freyheit/ ſo mir dero bißheriges gegen mich bezeugtes vertrauen gemacht hat. Jch finde in dem gantzen werck eine ſtatliche erudition/ daß unter anderen commentatoribus es nicht eben viele dieſem mann werden vorthun: ſo iſt nicht weniger ein ſcharffes judicium bey dem autore/ und neben der Philologia und illuſtration der locorum aus der anti- quitaͤt eine ſehr ingenioſa application der propheceyungen auff ſeinen jedesmahl vorgeſetzten ſcopum: daß er mich meiſtens an den unvergleichlichen Grotium deſſen er ſich auch offtmahls und vielleicht allzu offt gebraucht hat/ gemahnet. Wie ich aber an ſolchem werck ein exempel habe/ wie eine mit dem text doch in den grund nicht uͤbereinkommende meinung durch einen ſcharffſinnigen und gelehrten mann ſo ſpecioſe dannoch behauptet werden koͤnne/ alſo leugne nicht/ daß ich mit der gan- tzen explication faſt kaum in einigem einig ſeyn kan/ ſonder davor halte/ ob ſie wohl von dem autore pro vera, oder doch veræ proxima, ausgegeben wird/ ſeyen doch

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/580>, abgerufen am 21.11.2024.