Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. halten/ so thut doch GOtt was er wil/ er verdammt keinen men-schen/ es mangele ihm dann an der reue oder am Evangelio. Alles solches solte das ansehen gewinnen/ ob würde gelehrt/ daß der mensch möchte selig werden/ der doch mit verzweiffelung/ und ohne in dem hertzen gehabten trost der seligkeit/ gestorben seye. Welches der lehr von dem allein seligmachenden glauben stracks zu wider seyn würde. Wir können auch nicht in abred seyn/ daß wir diese arthen zu reden wünschen geändert zu haben/ damit sie nicht in einen un- rechten verstand/ so zwar des Autoris selbs nicht seyn wird/ gezogen werden möch- ten. Gleichwol wo die meynung des Autoris genauer angesehen wird/ lässet sich diese entschuldigung sehen/ daß er rede von dem stand der in der höchsten geist- lichen anfechtung liegenden Christen/ welche den bey ihnen wohnenden glauben nicht fühlen/ sondern zwar mit der verzweiflung ringen/ aber sich nicht überwin- den lassen: ob dann schon ein solcher mensch eine zeitlang des zeugnüß des heiligen Geistes und seines glaubens in der seelen nicht fühlet/ und hingegen die so gifftige als feurige pfeile des Satans/ der ihn wegen mangel fühlenden glaubens zur ver- zweiffelung treibet/ in seiner seelen leiden muß/ daß er meinet/ er sey schon gleich- sam mitten in der hölle/ so ist alsdann der glaube ihm gantz ohnbekäntlich in dessen hertzens-grund verborgen/ und wird auff unaussprechliche weise durch den hei- ligen Geist erhalten/ ob wohl der arme mensch selbs und andere neben ihm solches glaubens kein ander zeugnüß haben/ als sein noch habendes sehnliches verlangen nach der gnade: Deßwegen wie der in ohnmacht ligende mensch/ kein leben füh- let/ daß er doch hat/ so hat auch der angefochtene mensch das geistliche leben des glaubens/ daß er nicht spüret: Stehet also vor GOtt in seligem stande/ da er sich selbst verdammt. Und auf solche weise sind Herr Stengers wort gantz recht/ und geschicht solches bey angefochtenen personen gantz offt. Ob aber/ wie der er- ste angezogene ort auf solchen fall gehet/ es geschehen solte/ oder je geschehen sey/ daß GOtt der gleichen menschen in währender solcher anfechtung/ ohne zu letzt noch wiederkommenden trost/ des empfindlichen glaubens von der welt weg neh- me oder weggenommen hätte/ zweifeln wir fast/ haltens viel lieber mit unserm seligen Herrn Luthero 8. Wittenb. pag. 58. da er sagt: Daß GOTT keine anfechtung ewig währen läst/ sondern eben wie sich das wetter ver- ändert/ daß allwege nach einem trüben ein heller tag kommet/ und nach der arbeit eine erquickung: Also erfahren wir auch/ daß un- sere hertzen wiederum durch einen geistlichen trost auffgerichtet wer- den/ ob sie gleich eine zeitlang mit gedancken der verzweiffelung des unglaubens und ungedult für GOTT und der welt/ einen/ zween/ drey tage oder länger sind geplagt worden. Wie auch so viel exempel der angefochtenen bekant sind/ in denen sich solche göttliche güte/ die sie E 3
ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII. halten/ ſo thut doch GOtt was er wil/ er verdammt keinen men-ſchen/ es mangele ihm dann an der reue oder am Evangelio. Alles ſolches ſolte das anſehen gewinnen/ ob wuͤrde gelehrt/ daß der menſch moͤchte ſelig werden/ der doch mit verzweiffelung/ und ohne in dem hertzen gehabten troſt der ſeligkeit/ geſtorben ſeye. Welches der lehr von dem allein ſeligmachenden glauben ſtracks zu wider ſeyn wuͤrde. Wir koͤnnen auch nicht in abred ſeyn/ daß wir dieſe arthen zu reden wuͤnſchen geaͤndert zu haben/ damit ſie nicht in einen un- rechten verſtand/ ſo zwar des Autoris ſelbs nicht ſeyn wird/ gezogen werden moͤch- ten. Gleichwol wo die meynung des Autoris genauer angeſehen wird/ laͤſſet ſich dieſe entſchuldigung ſehen/ daß er rede von dem ſtand der in der hoͤchſten geiſt- lichen anfechtung liegenden Chriſten/ welche den bey ihnen wohnenden glauben nicht fuͤhlen/ ſondern zwar mit der verzweiflung ringen/ aber ſich nicht uͤberwin- den laſſen: ob dann ſchon ein ſolcher menſch eine zeitlang des zeugnuͤß des heiligen Geiſtes und ſeines glaubens in der ſeelen nicht fuͤhlet/ und hingegen die ſo gifftige als feurige pfeile des Satans/ der ihn wegen mangel fuͤhlenden glaubens zur ver- zweiffelung treibet/ in ſeiner ſeelen leiden muß/ daß er meinet/ er ſey ſchon gleich- ſam mitten in der hoͤlle/ ſo iſt alsdann der glaube ihm gantz ohnbekaͤntlich in deſſen hertzens-grund verborgen/ und wird auff unausſprechliche weiſe durch den hei- ligen Geiſt erhalten/ ob wohl der arme menſch ſelbs und andere neben ihm ſolches glaubens kein ander zeugnuͤß haben/ als ſein noch habendes ſehnliches verlangen nach der gnade: Deßwegen wie der in ohnmacht ligende menſch/ kein leben fuͤh- let/ daß er doch hat/ ſo hat auch der angefochtene menſch das geiſtliche leben des glaubens/ daß er nicht ſpuͤret: Stehet alſo vor GOtt in ſeligem ſtande/ da er ſich ſelbſt verdammt. Und auf ſolche weiſe ſind Herr Stengers wort gantz recht/ und geſchicht ſolches bey angefochtenen perſonen gantz offt. Ob aber/ wie der er- ſte angezogene ort auf ſolchen fall gehet/ es geſchehen ſolte/ oder je geſchehen ſey/ daß GOtt der gleichen menſchen in waͤhrender ſolcher anfechtung/ ohne zu letzt noch wiederkommenden troſt/ des empfindlichen glaubens von der welt weg neh- me oder weggenommen haͤtte/ zweifeln wir faſt/ haltens viel lieber mit unſerm ſeligen Herrn Luthero 8. Wittenb. pag. 58. da er ſagt: Daß GOTT keine anfechtung ewig waͤhren laͤſt/ ſondern eben wie ſich das wetter ver- aͤndert/ daß allwege nach einem truͤben ein heller tag kommet/ und nach der arbeit eine erquickung: Alſo erfahren wir auch/ daß un- ſere hertzen wiederum durch einen geiſtlichen troſt auffgerichtet wer- den/ ob ſie gleich eine zeitlang mit gedancken der verzweiffelung des unglaubens und ungedult fuͤr GOTT und der welt/ einen/ zween/ drey tage oder laͤnger ſind geplagt worden. Wie auch ſo viel exempel der angefochtenen bekant ſind/ in denen ſich ſolche goͤttliche guͤte/ die ſie E 3
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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO VII.
halten/ ſo thut doch GOtt was er wil/ er verdammt keinen men-
ſchen/ es mangele ihm dann an der reue oder am Evangelio. Alles
ſolches ſolte das anſehen gewinnen/ ob wuͤrde gelehrt/ daß der menſch moͤchte
ſelig werden/ der doch mit verzweiffelung/ und ohne in dem hertzen gehabten troſt
der ſeligkeit/ geſtorben ſeye. Welches der lehr von dem allein ſeligmachenden
glauben ſtracks zu wider ſeyn wuͤrde. Wir koͤnnen auch nicht in abred ſeyn/ daß
wir dieſe arthen zu reden wuͤnſchen geaͤndert zu haben/ damit ſie nicht in einen un-
rechten verſtand/ ſo zwar des Autoris ſelbs nicht ſeyn wird/ gezogen werden moͤch-
ten. Gleichwol wo die meynung des Autoris genauer angeſehen wird/ laͤſſet
ſich dieſe entſchuldigung ſehen/ daß er rede von dem ſtand der in der hoͤchſten geiſt-
lichen anfechtung liegenden Chriſten/ welche den bey ihnen wohnenden glauben
nicht fuͤhlen/ ſondern zwar mit der verzweiflung ringen/ aber ſich nicht uͤberwin-
den laſſen: ob dann ſchon ein ſolcher menſch eine zeitlang des zeugnuͤß des heiligen
Geiſtes und ſeines glaubens in der ſeelen nicht fuͤhlet/ und hingegen die ſo gifftige
als feurige pfeile des Satans/ der ihn wegen mangel fuͤhlenden glaubens zur ver-
zweiffelung treibet/ in ſeiner ſeelen leiden muß/ daß er meinet/ er ſey ſchon gleich-
ſam mitten in der hoͤlle/ ſo iſt alsdann der glaube ihm gantz ohnbekaͤntlich in deſſen
hertzens-grund verborgen/ und wird auff unausſprechliche weiſe durch den hei-
ligen Geiſt erhalten/ ob wohl der arme menſch ſelbs und andere neben ihm ſolches
glaubens kein ander zeugnuͤß haben/ als ſein noch habendes ſehnliches verlangen
nach der gnade: Deßwegen wie der in ohnmacht ligende menſch/ kein leben fuͤh-
let/ daß er doch hat/ ſo hat auch der angefochtene menſch das geiſtliche leben des
glaubens/ daß er nicht ſpuͤret: Stehet alſo vor GOtt in ſeligem ſtande/ da er ſich
ſelbſt verdammt. Und auf ſolche weiſe ſind Herr Stengers wort gantz recht/
und geſchicht ſolches bey angefochtenen perſonen gantz offt. Ob aber/ wie der er-
ſte angezogene ort auf ſolchen fall gehet/ es geſchehen ſolte/ oder je geſchehen ſey/
daß GOtt der gleichen menſchen in waͤhrender ſolcher anfechtung/ ohne zu letzt
noch wiederkommenden troſt/ des empfindlichen glaubens von der welt weg neh-
me oder weggenommen haͤtte/ zweifeln wir faſt/ haltens viel lieber mit unſerm
ſeligen Herrn Luthero 8. Wittenb. pag. 58. da er ſagt: Daß GOTT keine
anfechtung ewig waͤhren laͤſt/ ſondern eben wie ſich das wetter ver-
aͤndert/ daß allwege nach einem truͤben ein heller tag kommet/ und
nach der arbeit eine erquickung: Alſo erfahren wir auch/ daß un-
ſere hertzen wiederum durch einen geiſtlichen troſt auffgerichtet wer-
den/ ob ſie gleich eine zeitlang mit gedancken der verzweiffelung
des unglaubens und ungedult fuͤr GOTT und der welt/ einen/
zween/ drey tage oder laͤnger ſind geplagt worden. Wie auch ſo
viel exempel der angefochtenen bekant ſind/ in denen ſich ſolche goͤttliche guͤte/ die
ſie
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/55>, abgerufen am 22.07.2024. |