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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
sonderlich der anfang gemacht werden müsse. Wie mich erinnere/ offt von Herrn
D. Dannhauern sel. gehöret zu haben/ wo wir nur die jugend zu retten ver-
möchten/ müßten wir endlich die alten fahren lassen/ alldieweil sothane alte bäume
sich nicht mehr biegen liessen. Nur dieses ist nochmahl ein werck von mehr impor-
tanz
und deliberation, wie der jugend zu göttlicher erziehung am besten zu helf-
fen. Auß bißherigem wird E. Hoch Ehrw. sehen/ daß in dero vorgetragenen pun-
cten fast durch und durch einstimmig seye/ und also dero werckstelligung so viel sehn-
licher verlange/ und wo ich dergleichen zuthun vermöchte/ gern alles mit arbeiten
wolte. Nur in dem einigen hoffe/ werde es nicht übelgenommen werden/ daß
meinen dissensum freundlich bezeuge: Wann E. Hoch Ehrw. verlangten eine
durchgehende conformität in externis & ceremonialibus da ich dieselbe nicht
nur in betrachtung der verfassung unserer gesamten kirchen vor blosser dings un-
möglich achte/ sonderen wo ichs in händen hätte/ mit einem wort solche zu wege zu-
bringen/ eher da gegen als davor seyn würde. Jn dem die varietät der ceremo-
ni
en/ wo sie recht erwogen wird/ eher eine zierde als einen mißstand der kirchen ach-
te/ hingegen den Papisten ihre rühmende conformität/ welche gleichwol auch so
durchgehend nicht ist/ wie sie dieselbe rühmen/ vor einen schlechten ruhm halte. Jch
wolte zwar nicht gern so weit gehen/ als ich einen Christlichen Theologum einmahl
hörte/ der meinte/ wo er in einer kirchen-pflantzung begriffen wäre/ und in einer
statt 7. gemeinden anordnen solte/ so solten jede andere ceremonien haben: damit
die leuthe aus der ersahrung selbs allgemach erkennen lernten/ was zu dem wesen
der religion und cultus oder nur den äusserlichen umständen gehörte/ und würden
dahin gewiesen/ was sie aller ort gleich sörmig finden/ wäre der ersten art/ alles ü-
brige aber der andern. Doch finde ich gewiß dieses/ daß die conformität der ce-
remonien
bey den einfältigen fast so bald einen aberglauben/ als die difformität
einigen anstoß machet: Und fället man endlich insgesamt oder meistens auff jene
äusserliche dinge/ so wird auch der unterscheid unter dem was Göttlich/ und nur
von menschlicher einsetzung ist/ sehr den leuthen aus den augen gesetzt/ und wird end-
lich alles vor einerley würde zu seyn geachtet. Sonderlich aber sind die arten der
gemüther und anderer umstände so bewandt/ daß bey diesen diese/ bey andern an-
dere/ ja zu unterschiedlichen zeiten unterschiedliche ceremonien, am erbaulichsten
sind/ und würde eine allgemeine verordnung viel gutes hindern/ und nachmahl in
weg jeglicher kirche stehen/ das jenige/ was sie sich das erbaulichste erkennete/ an-
zu ordnen. Da her ich in allem vor das beste achte/ eine stete freyheit in allen denen
dingen zu behalten/ die nicht von GOtt selbst verordnet sind/ und lobe ich allezeit
unsere Evangelische kirche vor andern darinnen und so fern/ daß sie in allem pur
lauter allein bey GOTTes wort ohne aufftringung einiges weiteren bleibe: Da-
her ich mich keinen sonderlichen freund profitire aller der kirchen satzungen/ wodurch
einiges also angeordnet wird/ daß nun fortan nothwendig so bleiben solle/ und nicht

nach

Das ſechſte Capitel.
ſonderlich der anfang gemacht werden muͤſſe. Wie mich erinnere/ offt von Herrn
D. Dannhauern ſel. gehoͤret zu haben/ wo wir nur die jugend zu retten ver-
moͤchten/ muͤßten wir endlich die alten fahren laſſen/ alldieweil ſothane alte baͤume
ſich nicht mehr biegen lieſſen. Nur dieſes iſt nochmahl ein werck von mehr impor-
tanz
und deliberation, wie der jugend zu goͤttlicher erziehung am beſten zu helf-
fen. Auß bißherigem wird E. Hoch Ehrw. ſehen/ daß in dero vorgetragenen pun-
cten faſt durch und durch einſtimmig ſeye/ und alſo dero werckſtelligung ſo viel ſehn-
licher verlange/ und wo ich dergleichen zuthun vermoͤchte/ gern alles mit arbeiten
wolte. Nur in dem einigen hoffe/ werde es nicht uͤbelgenommen werden/ daß
meinen diſſenſum freundlich bezeuge: Wann E. Hoch Ehrw. verlangten eine
durchgehende conformitaͤt in externis & ceremonialibus da ich dieſelbe nicht
nur in betrachtung der verfaſſung unſerer geſamten kirchen vor bloſſer dings un-
moͤglich achte/ ſonderen wo ichs in haͤnden haͤtte/ mit einem wort ſolche zu wege zu-
bringen/ eher da gegen als davor ſeyn wuͤrde. Jn dem die varietaͤt der ceremo-
ni
en/ wo ſie recht erwogen wird/ eher eine zierde als einen mißſtand der kirchen ach-
te/ hingegen den Papiſten ihre ruͤhmende conformitaͤt/ welche gleichwol auch ſo
durchgehend nicht iſt/ wie ſie dieſelbe ruͤhmen/ vor einen ſchlechten ruhm halte. Jch
wolte zwar nicht gern ſo weit gehen/ als ich einen Chriſtlichen Theologum einmahl
hoͤrte/ der meinte/ wo er in einer kirchen-pflantzung begriffen waͤre/ und in einer
ſtatt 7. gemeinden anordnen ſolte/ ſo ſolten jede andere ceremonien haben: damit
die leuthe aus der erſahrung ſelbs allgemach erkennen lernten/ was zu dem weſen
der religion und cultus oder nur den aͤuſſerlichen umſtaͤnden gehoͤrte/ und wuͤrden
dahin gewieſen/ was ſie aller ort gleich ſoͤrmig finden/ waͤre der erſten art/ alles uͤ-
brige aber der andern. Doch finde ich gewiß dieſes/ daß die conformitaͤt der ce-
remonien
bey den einfaͤltigen faſt ſo bald einen aberglauben/ als die difformitaͤt
einigen anſtoß machet: Und faͤllet man endlich insgeſamt oder meiſtens auff jene
aͤuſſerliche dinge/ ſo wird auch der unterſcheid unter dem was Goͤttlich/ und nur
von menſchlicher einſetzung iſt/ ſehr den leuthen aus den augen geſetzt/ und wird end-
lich alles vor einerley wuͤrde zu ſeyn geachtet. Sonderlich aber ſind die arten der
gemuͤther und anderer umſtaͤnde ſo bewandt/ daß bey dieſen dieſe/ bey andern an-
dere/ ja zu unterſchiedlichen zeiten unterſchiedliche ceremonien, am erbaulichſten
ſind/ und wuͤrde eine allgemeine verordnung viel gutes hindern/ und nachmahl in
weg jeglicher kirche ſtehen/ das jenige/ was ſie ſich das erbaulichſte erkennete/ an-
zu ordnen. Da her ich in allem vor das beſte achte/ eine ſtete freyheit in allen denen
dingen zu behalten/ die nicht von GOtt ſelbſt verordnet ſind/ und lobe ich allezeit
unſere Evangeliſche kirche vor andern darinnen und ſo fern/ daß ſie in allem pur
lauter allein bey GOTTes wort ohne aufftringung einiges weiteren bleibe: Da-
her ich mich keinen ſonderlichen freund profitire aller der kirchen ſatzungen/ woduꝛch
einiges alſo angeordnet wird/ daß nun fortan nothwendig ſo bleiben ſolle/ und nicht

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[468/0486] Das ſechſte Capitel. ſonderlich der anfang gemacht werden muͤſſe. Wie mich erinnere/ offt von Herrn D. Dannhauern ſel. gehoͤret zu haben/ wo wir nur die jugend zu retten ver- moͤchten/ muͤßten wir endlich die alten fahren laſſen/ alldieweil ſothane alte baͤume ſich nicht mehr biegen lieſſen. Nur dieſes iſt nochmahl ein werck von mehr impor- tanz und deliberation, wie der jugend zu goͤttlicher erziehung am beſten zu helf- fen. Auß bißherigem wird E. Hoch Ehrw. ſehen/ daß in dero vorgetragenen pun- cten faſt durch und durch einſtimmig ſeye/ und alſo dero werckſtelligung ſo viel ſehn- licher verlange/ und wo ich dergleichen zuthun vermoͤchte/ gern alles mit arbeiten wolte. Nur in dem einigen hoffe/ werde es nicht uͤbelgenommen werden/ daß meinen diſſenſum freundlich bezeuge: Wann E. Hoch Ehrw. verlangten eine durchgehende conformitaͤt in externis & ceremonialibus da ich dieſelbe nicht nur in betrachtung der verfaſſung unſerer geſamten kirchen vor bloſſer dings un- moͤglich achte/ ſonderen wo ichs in haͤnden haͤtte/ mit einem wort ſolche zu wege zu- bringen/ eher da gegen als davor ſeyn wuͤrde. Jn dem die varietaͤt der ceremo- nien/ wo ſie recht erwogen wird/ eher eine zierde als einen mißſtand der kirchen ach- te/ hingegen den Papiſten ihre ruͤhmende conformitaͤt/ welche gleichwol auch ſo durchgehend nicht iſt/ wie ſie dieſelbe ruͤhmen/ vor einen ſchlechten ruhm halte. Jch wolte zwar nicht gern ſo weit gehen/ als ich einen Chriſtlichen Theologum einmahl hoͤrte/ der meinte/ wo er in einer kirchen-pflantzung begriffen waͤre/ und in einer ſtatt 7. gemeinden anordnen ſolte/ ſo ſolten jede andere ceremonien haben: damit die leuthe aus der erſahrung ſelbs allgemach erkennen lernten/ was zu dem weſen der religion und cultus oder nur den aͤuſſerlichen umſtaͤnden gehoͤrte/ und wuͤrden dahin gewieſen/ was ſie aller ort gleich ſoͤrmig finden/ waͤre der erſten art/ alles uͤ- brige aber der andern. Doch finde ich gewiß dieſes/ daß die conformitaͤt der ce- remonien bey den einfaͤltigen faſt ſo bald einen aberglauben/ als die difformitaͤt einigen anſtoß machet: Und faͤllet man endlich insgeſamt oder meiſtens auff jene aͤuſſerliche dinge/ ſo wird auch der unterſcheid unter dem was Goͤttlich/ und nur von menſchlicher einſetzung iſt/ ſehr den leuthen aus den augen geſetzt/ und wird end- lich alles vor einerley wuͤrde zu ſeyn geachtet. Sonderlich aber ſind die arten der gemuͤther und anderer umſtaͤnde ſo bewandt/ daß bey dieſen dieſe/ bey andern an- dere/ ja zu unterſchiedlichen zeiten unterſchiedliche ceremonien, am erbaulichſten ſind/ und wuͤrde eine allgemeine verordnung viel gutes hindern/ und nachmahl in weg jeglicher kirche ſtehen/ das jenige/ was ſie ſich das erbaulichſte erkennete/ an- zu ordnen. Da her ich in allem vor das beſte achte/ eine ſtete freyheit in allen denen dingen zu behalten/ die nicht von GOtt ſelbſt verordnet ſind/ und lobe ich allezeit unſere Evangeliſche kirche vor andern darinnen und ſo fern/ daß ſie in allem pur lauter allein bey GOTTes wort ohne aufftringung einiges weiteren bleibe: Da- her ich mich keinen ſonderlichen freund profitire aller der kirchen ſatzungen/ woduꝛch einiges alſo angeordnet wird/ daß nun fortan nothwendig ſo bleiben ſolle/ und nicht nach

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/486>, abgerufen am 22.11.2024.