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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
ich nicht leugne/ daß ich noch weniges sehe/ darauff ich eine sonderbare hoff-
nung gründen könte. Folglich kommet billig in consideration, ob hingegen/
da wir eine solche vollständige und solenne reformation nicht wohl hoffen
mögen/ alles andere unterlassen/ und darauff vergebens gewartet werden mü-
ste: Oder ob nicht unseren amt und gewissen gemäßer seye/ daß wir zwar mit
bitten/ mit rathen und ansuchen bey der Obrigkeit/ uns bemühen/ dero hilffe
zuerlagen/ und sie dahin zu persvadiren/ daß sie dem HErren/ von deme sie
sie empfangen haben/ zu ehren ihre gewalt nachtrücklich anwenden/ und sich
ihrer pflicht erinnern wolten; wo wir aber solches nicht erlangen/ gleichwohl
wir prediger zwar ihnen keinen eingriff in ihre jura thun/ so nicht würde ver-
antwortlich und gesegnet seyn/ aber doch versuchen die verrichtungen unsers
amts auf eine solche art zuthun/ daß vermittels göttlichens segens ein mehre-
res als leider insgemein geschiehet/ ausgerichtet werden möchte: Mit so
emsiger treibung göttlichen worts in der offentlichen predigt und catechismus-
versammlung/ als gewissenhafften zusprüchen bey den einzelen personen/ nach
Pauli exempel Apost. Gesch. 20/31. Jch weiß/ das wir damit bey dem grö-
sten und rohen hauffen wenig ausrichten werden/ der nicht anders als durch
zwang nur zu einigen anfang deß guten gebracht werden mag/ und gegen
welchen wir meistens deß obrigkeitlichen amts/ bedörfftig sind. Aber damit
hätten wir noch nicht stang und stab fallen zulassen/ sondern auf eine andere
art zusuchen/ dem teuffel schaden zu thun/ daß wir uns erstlich am meisten der-
jentgen annehmen/ bey welchen wir bereits aus Gottes wirckung gute gemü-
ther und eine christliche intention erkennen/ mit denselben am fleißigsten um-
zugehen/ daß wir ihren geistlichen wachsthum befördern/ und bey solchen leu-
ten es dahin bringen/ damit sie selbst und ihre haußhaltungen recht mögen
leichter werden/ die andern ihren nachbaren und freunden scheinen; Wo es
nicht fehlet/ daß nicht solte durch solcherley gute exempel/ und dergleichen christ-
licher leute umgang/ immer noch ein und anderer gewonnen/ und das amt deß
Predigers durch jene hilffe leichter und fruchtbarer gemacht werden. Giebt
dann GOtt gnade/ daß bereits eine starcke zahl sich in einer gemeine findet/
so nun rechtschaffene Christen sind/ so mag als dann nicht nur ein obrigkeit
so viel leichter bewogen werden/ die übrige hartnäckige durch ihren arm zu gehor-
sam zubringen/ sondern es mag auch ein prediger in seinem amt selbst ernstlicher
gegen diese verfahren/ da er das gröste theil der gemeinde hat/ als er noch nicht klüg-
lich thun mögen/ wo ers noch erst fast allein mit einer gemeinde zuthun gehabt/
bey dero ohne den nahmen und das opus operatum deß eusserlichen Gottesdiensts
fast nichts christliches sich gefunden hat. Aufs wenigste würde damit eine statt-
liche vorbereitung gemacht/ wo Gott dermahleins einiger der grossen hertzen wol-
te zu einer mehreren reformation bewegen/ daß solche als dann so viel glücklicher

von

Das ſechſte Capitel.
ich nicht leugne/ daß ich noch weniges ſehe/ darauff ich eine ſonderbare hoff-
nung gruͤnden koͤnte. Folglich kommet billig in conſideration, ob hingegen/
da wir eine ſolche vollſtaͤndige und ſolenne reformation nicht wohl hoffen
moͤgen/ alles andere unterlaſſen/ und darauff vergebens gewartet werden muͤ-
ſte: Oder ob nicht unſeren amt und gewiſſen gemaͤßer ſeye/ daß wir zwar mit
bitten/ mit rathen und anſuchen bey der Obrigkeit/ uns bemuͤhen/ dero hilffe
zuerlagen/ und ſie dahin zu perſvadiren/ daß ſie dem HErren/ von deme ſie
ſie empfangen haben/ zu ehren ihre gewalt nachtruͤcklich anwenden/ und ſich
ihrer pflicht erinnern wolten; wo wir aber ſolches nicht erlangen/ gleichwohl
wir prediger zwar ihnen keinen eingriff in ihre jura thun/ ſo nicht wuͤrde ver-
antwortlich und geſegnet ſeyn/ aber doch verſuchen die verrichtungen unſers
amts auf eine ſolche art zuthun/ daß vermittels goͤttlichens ſegens ein mehre-
res als leider insgemein geſchiehet/ ausgerichtet werden moͤchte: Mit ſo
emſiger treibung goͤttlichen worts in der offentlichen predigt und catechismus-
verſammlung/ als gewiſſenhafften zuſpruͤchen bey den einzelen perſonen/ nach
Pauli exempel Apoſt. Geſch. 20/31. Jch weiß/ das wir damit bey dem groͤ-
ſten und rohen hauffen wenig ausrichten werden/ der nicht anders als durch
zwang nur zu einigen anfang deß guten gebracht werden mag/ und gegen
welchen wir meiſtens deß obrigkeitlichen amts/ bedoͤrfftig ſind. Aber damit
haͤtten wir noch nicht ſtang und ſtab fallen zulaſſen/ ſondern auf eine andere
art zuſuchen/ dem teuffel ſchaden zu thun/ daß wir uns erſtlich am meiſten der-
jentgen annehmen/ bey welchen wir bereits aus Gottes wirckung gute gemuͤ-
ther und eine chriſtliche intention erkennen/ mit denſelben am fleißigſten um-
zugehen/ daß wir ihren geiſtlichen wachsthum befoͤrdern/ und bey ſolchen leu-
ten es dahin bringen/ damit ſie ſelbſt und ihre haußhaltungen recht moͤgen
leichter werden/ die andern ihren nachbaren und freunden ſcheinen; Wo es
nicht fehlet/ daß nicht ſolte durch ſolcherley gute exempel/ und dergleichen chriſt-
licher leute umgang/ immer noch ein und anderer gewonnen/ und das amt deß
Predigers durch jene hilffe leichter und fruchtbarer gemacht werden. Giebt
dann GOtt gnade/ daß bereits eine ſtarcke zahl ſich in einer gemeine findet/
ſo nun rechtſchaffene Chriſten ſind/ ſo mag als dann nicht nur ein obrigkeit
ſo viel leichter bewogen werden/ die uͤbrige hartnaͤckige durch ihren arm zu gehor-
ſam zubringen/ ſondern es mag auch ein prediger in ſeinem amt ſelbſt ernſtlicher
gegen dieſe veꝛfahren/ da er das groͤſte theil der gemeinde hat/ als er noch nicht kluͤg-
lich thun moͤgen/ wo ers noch erſt faſt allein mit einer gemeinde zuthun gehabt/
bey dero ohne den nahmen und das opus operatum deß euſſerlichen Gottesdienſts
faſt nichts chriſtliches ſich gefunden hat. Aufs wenigſte wuͤrde damit eine ſtatt-
liche vorbereitung gemacht/ wo Gott dermahleins einiger der groſſen hertzen wol-
te zu einer mehreren reformation bewegen/ daß ſolche als dann ſo viel gluͤcklicher

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[398/0416] Das ſechſte Capitel. ich nicht leugne/ daß ich noch weniges ſehe/ darauff ich eine ſonderbare hoff- nung gruͤnden koͤnte. Folglich kommet billig in conſideration, ob hingegen/ da wir eine ſolche vollſtaͤndige und ſolenne reformation nicht wohl hoffen moͤgen/ alles andere unterlaſſen/ und darauff vergebens gewartet werden muͤ- ſte: Oder ob nicht unſeren amt und gewiſſen gemaͤßer ſeye/ daß wir zwar mit bitten/ mit rathen und anſuchen bey der Obrigkeit/ uns bemuͤhen/ dero hilffe zuerlagen/ und ſie dahin zu perſvadiren/ daß ſie dem HErren/ von deme ſie ſie empfangen haben/ zu ehren ihre gewalt nachtruͤcklich anwenden/ und ſich ihrer pflicht erinnern wolten; wo wir aber ſolches nicht erlangen/ gleichwohl wir prediger zwar ihnen keinen eingriff in ihre jura thun/ ſo nicht wuͤrde ver- antwortlich und geſegnet ſeyn/ aber doch verſuchen die verrichtungen unſers amts auf eine ſolche art zuthun/ daß vermittels goͤttlichens ſegens ein mehre- res als leider insgemein geſchiehet/ ausgerichtet werden moͤchte: Mit ſo emſiger treibung goͤttlichen worts in der offentlichen predigt und catechismus- verſammlung/ als gewiſſenhafften zuſpruͤchen bey den einzelen perſonen/ nach Pauli exempel Apoſt. Geſch. 20/31. Jch weiß/ das wir damit bey dem groͤ- ſten und rohen hauffen wenig ausrichten werden/ der nicht anders als durch zwang nur zu einigen anfang deß guten gebracht werden mag/ und gegen welchen wir meiſtens deß obrigkeitlichen amts/ bedoͤrfftig ſind. Aber damit haͤtten wir noch nicht ſtang und ſtab fallen zulaſſen/ ſondern auf eine andere art zuſuchen/ dem teuffel ſchaden zu thun/ daß wir uns erſtlich am meiſten der- jentgen annehmen/ bey welchen wir bereits aus Gottes wirckung gute gemuͤ- ther und eine chriſtliche intention erkennen/ mit denſelben am fleißigſten um- zugehen/ daß wir ihren geiſtlichen wachsthum befoͤrdern/ und bey ſolchen leu- ten es dahin bringen/ damit ſie ſelbſt und ihre haußhaltungen recht moͤgen leichter werden/ die andern ihren nachbaren und freunden ſcheinen; Wo es nicht fehlet/ daß nicht ſolte durch ſolcherley gute exempel/ und dergleichen chriſt- licher leute umgang/ immer noch ein und anderer gewonnen/ und das amt deß Predigers durch jene hilffe leichter und fruchtbarer gemacht werden. Giebt dann GOtt gnade/ daß bereits eine ſtarcke zahl ſich in einer gemeine findet/ ſo nun rechtſchaffene Chriſten ſind/ ſo mag als dann nicht nur ein obrigkeit ſo viel leichter bewogen werden/ die uͤbrige hartnaͤckige durch ihren arm zu gehor- ſam zubringen/ ſondern es mag auch ein prediger in ſeinem amt ſelbſt ernſtlicher gegen dieſe veꝛfahren/ da er das groͤſte theil der gemeinde hat/ als er noch nicht kluͤg- lich thun moͤgen/ wo ers noch erſt faſt allein mit einer gemeinde zuthun gehabt/ bey dero ohne den nahmen und das opus operatum deß euſſerlichen Gottesdienſts faſt nichts chriſtliches ſich gefunden hat. Aufs wenigſte wuͤrde damit eine ſtatt- liche vorbereitung gemacht/ wo Gott dermahleins einiger der groſſen hertzen wol- te zu einer mehreren reformation bewegen/ daß ſolche als dann ſo viel gluͤcklicher von

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/416>, abgerufen am 22.11.2024.