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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
schliessen müsse/ der glaube und H. Geist müsse/ obwohl verborgen/ vorhan-
den sein/ der sich in so herrlicher würckung zeige. Da muß das hertzliche ver-
langen nach Göttlicher gnade/ die hertzliche verachtung alles weltlichen trosts/
die sehnliche begierde GOtt wohlgefällig zu werden/ die sorgfältige verwah-
rung vor sünden/ und greuel über alle vorige sünde/ die man in sich gehabt
(die sich bey solchen angefochtenen/ wo sie gute Christen sind/ allezeit finden
werden) diejenige kennzeichen sein/ daraus sie erkennen können/ daß der glau-
be/ das himmlische feuer/ in ihm seye/ dessen krafft und wärme sich dermassen
hervor thue/ und das so tief verborgene gute offenbahre: welches zuhaben/ wo sie
versichert sind/ sie darnach nicht mehr weiter an der heilwertigen gemeinschafft
deß verdiensts Christi zweiffeln mögen. Jch rede hie nicht auß müssigen spe-
culation
en, sondern nicht nur einmahliger erfahrung/ wie es mit solchen
leuten in diesem kampff hergehe/ und was den stich halte/ oder nicht: auch
was die meynung deß Apostels seye. 1. Joh. 3/ 18. 19. 20. Jch gehe nun zu der
6. beschuldigung; die zwar Tarnovium betrifft. Jch habe desselben oration
de novo Evangelio
angezogen zum zeugniß daß meine lehr nicht neu seye. Will
aber jemand den treuen und in unserer kirchen werth gehaltenen Theologum
beschuldigen/ daß er die alte und unsern Symbolischen büchern gemässe leh-
re alß ein neues Evangelium traducirt habe/ möchte ers mit der gantzen U-
niversit
ät zu Rostock aus machen/ auf dero in solenni panegyri solche oration
offendlich gehalten/ von keinem Theologo wiedersprochen/ und durch den
truck ad memoriam posteritatis erhalten worden. Es gedencke aber derje-
nige/ der solche von Tarnovio verworffene lehr und neues Evangelium wol-
te unserer kirchen und Symbolischen Büchern zuschreiben/ was vor schimpff er
denselbigen unverschuldeter weise anthue: die eine vielheiligere lehr sühren/ und
der liebe Theologus samt andern seinen nachfolgern nichts mehr treiben/ alß
daß wir sie erhalten/ und nicht in einem falschen Gottlosen verstand ver-
trähen wollen lassen. Auf das 7. daß ich das studium sanctimoniae
mehr treibe alß den glauben/ ist oben bereits geantwortet/ und ists ja ei-
ne seltzame sache/ daß ichs mit den Papisten halten solle/ denen ich in diesem
articul vor andern am eyfrigsten wiederspreche/ und da ich viele grobe irrthü-
me solcher kirchen erkenne/ diesen von der rechtfertigung vor das hertz aller
irrthüme halte. Und wie kan ich die früchten erfodern ante arboris existen-
tiam?
Da ich erkenne/ daß nicht ein einig werck kan gut sein/ es fliesse dann
aus dem glauben: und meinen zuhörern so emsig zeige/ wie der glaube an
Jesum Christum und sein verdienst nicht nur das einige mittel ihrer seligkeit
seye/ sondern aus demselben alles Gottgefällige leben herkommen müste/ so
gar daß welche wercke/ aus einbildung einigen verdiensts/ oder was sonsten die

moti-
Zz

ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II.
ſchlieſſen muͤſſe/ der glaube und H. Geiſt muͤſſe/ obwohl verborgen/ vorhan-
den ſein/ der ſich in ſo herrlicher wuͤrckung zeige. Da muß das hertzliche ver-
langen nach Goͤttlicher gnade/ die hertzliche verachtung alles weltlichen troſts/
die ſehnliche begierde GOtt wohlgefaͤllig zu werden/ die ſorgfaͤltige verwah-
rung vor ſuͤnden/ und greuel uͤber alle vorige ſuͤnde/ die man in ſich gehabt
(die ſich bey ſolchen angefochtenen/ wo ſie gute Chriſten ſind/ allezeit finden
werden) diejenige kennzeichen ſein/ daraus ſie erkennen koͤnnen/ daß der glau-
be/ das himmliſche feuer/ in ihm ſeye/ deſſen krafft und waͤrme ſich dermaſſen
hervor thue/ und das ſo tief verborgene gute offenbahre: welches zuhaben/ wo ſie
verſichert ſind/ ſie darnach nicht mehr weiter an der heilwertigen gemeinſchafft
deß verdienſts Chriſti zweiffeln moͤgen. Jch rede hie nicht auß muͤſſigen ſpe-
culation
en, ſondern nicht nur einmahliger erfahrung/ wie es mit ſolchen
leuten in dieſem kampff hergehe/ und was den ſtich halte/ oder nicht: auch
was die meynung deß Apoſtels ſeye. 1. Joh. 3/ 18. 19. 20. Jch gehe nun zu der
6. beſchuldigung; die zwar Tarnovium betrifft. Jch habe deſſelben oration
de novo Evangelio
angezogen zum zeugniß daß meine lehr nicht neu ſeye. Will
aber jemand den treuen und in unſerer kirchen werth gehaltenen Theologum
beſchuldigen/ daß er die alte und unſern Symboliſchen buͤchern gemaͤſſe leh-
re alß ein neues Evangelium traducirt habe/ moͤchte ers mit der gantzen U-
niverſit
aͤt zu Roſtock aus machen/ auf dero in ſolenni panegyri ſolche oration
offendlich gehalten/ von keinem Theologo wiederſprochen/ und durch den
truck ad memoriam poſteritatis erhalten worden. Es gedencke aber derje-
nige/ der ſolche von Tarnovio verworffene lehr und neues Evangelium wol-
te unſerer kirchen und Symboliſchen Buͤchern zuſchreiben/ was vor ſchimpff er
denſelbigen unverſchuldeter weiſe anthue: die eine vielheiligere lehr ſuͤhren/ und
der liebe Theologus ſamt andern ſeinen nachfolgern nichts mehr treiben/ alß
daß wir ſie erhalten/ und nicht in einem falſchen Gottloſen verſtand ver-
traͤhen wollen laſſen. Auf das 7. daß ich das ſtudium ſanctimoniæ
mehr treibe alß den glauben/ iſt oben bereits geantwortet/ und iſts ja ei-
ne ſeltzame ſache/ daß ichs mit den Papiſten halten ſolle/ denen ich in dieſem
articul vor andern am eyfrigſten wiederſpreche/ und da ich viele grobe irrthuͤ-
me ſolcher kirchen erkenne/ dieſen von der rechtfertigung vor das hertz aller
irrthuͤme halte. Und wie kan ich die fruͤchten erfodern ante arboris exiſten-
tiam?
Da ich erkenne/ daß nicht ein einig werck kan gut ſein/ es flieſſe dann
aus dem glauben: und meinen zuhoͤrern ſo emſig zeige/ wie der glaube an
Jeſum Chriſtum und ſein verdienſt nicht nur das einige mittel ihrer ſeligkeit
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[361/0379] ARTIC. I. DISTINCTIO III. SECTIO II. ſchlieſſen muͤſſe/ der glaube und H. Geiſt muͤſſe/ obwohl verborgen/ vorhan- den ſein/ der ſich in ſo herrlicher wuͤrckung zeige. Da muß das hertzliche ver- langen nach Goͤttlicher gnade/ die hertzliche verachtung alles weltlichen troſts/ die ſehnliche begierde GOtt wohlgefaͤllig zu werden/ die ſorgfaͤltige verwah- rung vor ſuͤnden/ und greuel uͤber alle vorige ſuͤnde/ die man in ſich gehabt (die ſich bey ſolchen angefochtenen/ wo ſie gute Chriſten ſind/ allezeit finden werden) diejenige kennzeichen ſein/ daraus ſie erkennen koͤnnen/ daß der glau- be/ das himmliſche feuer/ in ihm ſeye/ deſſen krafft und waͤrme ſich dermaſſen hervor thue/ und das ſo tief verborgene gute offenbahre: welches zuhaben/ wo ſie verſichert ſind/ ſie darnach nicht mehr weiter an der heilwertigen gemeinſchafft deß verdienſts Chriſti zweiffeln moͤgen. Jch rede hie nicht auß muͤſſigen ſpe- culationen, ſondern nicht nur einmahliger erfahrung/ wie es mit ſolchen leuten in dieſem kampff hergehe/ und was den ſtich halte/ oder nicht: auch was die meynung deß Apoſtels ſeye. 1. Joh. 3/ 18. 19. 20. Jch gehe nun zu der 6. beſchuldigung; die zwar Tarnovium betrifft. Jch habe deſſelben oration de novo Evangelio angezogen zum zeugniß daß meine lehr nicht neu ſeye. Will aber jemand den treuen und in unſerer kirchen werth gehaltenen Theologum beſchuldigen/ daß er die alte und unſern Symboliſchen buͤchern gemaͤſſe leh- re alß ein neues Evangelium traducirt habe/ moͤchte ers mit der gantzen U- niverſitaͤt zu Roſtock aus machen/ auf dero in ſolenni panegyri ſolche oration offendlich gehalten/ von keinem Theologo wiederſprochen/ und durch den truck ad memoriam poſteritatis erhalten worden. Es gedencke aber derje- nige/ der ſolche von Tarnovio verworffene lehr und neues Evangelium wol- te unſerer kirchen und Symboliſchen Buͤchern zuſchreiben/ was vor ſchimpff er denſelbigen unverſchuldeter weiſe anthue: die eine vielheiligere lehr ſuͤhren/ und der liebe Theologus ſamt andern ſeinen nachfolgern nichts mehr treiben/ alß daß wir ſie erhalten/ und nicht in einem falſchen Gottloſen verſtand ver- traͤhen wollen laſſen. Auf das 7. daß ich das ſtudium ſanctimoniæ mehr treibe alß den glauben/ iſt oben bereits geantwortet/ und iſts ja ei- ne ſeltzame ſache/ daß ichs mit den Papiſten halten ſolle/ denen ich in dieſem articul vor andern am eyfrigſten wiederſpreche/ und da ich viele grobe irrthuͤ- me ſolcher kirchen erkenne/ dieſen von der rechtfertigung vor das hertz aller irrthuͤme halte. Und wie kan ich die fruͤchten erfodern ante arboris exiſten- tiam? Da ich erkenne/ daß nicht ein einig werck kan gut ſein/ es flieſſe dann aus dem glauben: und meinen zuhoͤrern ſo emſig zeige/ wie der glaube an Jeſum Chriſtum und ſein verdienſt nicht nur das einige mittel ihrer ſeligkeit ſeye/ ſondern aus demſelben alles Gottgefaͤllige leben herkommen muͤſte/ ſo gar daß welche wercke/ aus einbildung einigen verdienſts/ oder was ſonſten die moti- Zz

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/379>, abgerufen am 22.11.2024.