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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
angezogenen vorred über die Epistel an die Römer: Wann sie das Evan-
gelium hören so fallen sie daher/ und machen ihnen auß eigenen
kräfften einen gedancken im hertzen/ der spricht/ ich glaube/ das hal-
ten sie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menschliches
gedicht und gedancken ist/ den deß hertzens grund nimmer erfähret/
also thut er auch nichts/ und folget keine besserung hernach.
Bey
solchen leuten ist das verdienst Christi nur in ihren blossen gedancken/ und
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur seligkeit/
dann solche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewürcket ist/ noch
anderes gutes in ihnen würcket. Also aber ist das verdienst Christi nicht
nur in blossen gedancken/ sondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und
also Göttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen
kan) ergriffen/ und also in Göttlichem gericht wahrhafftig dem menschen zu-
gerechnet wird/ und nachmahl auch seine krafft ferner in tödtung unsers alten
menschen bey uns erweiset. Dieses ist die doppelte krafft des verdienstes
Christi; wie es uns eines theils die seligkeit schencket/ andern theils die sünde
würcklich in uns dempffet/ und die heiligung befördert. Also kan ich wohl
sagen/ ich nehme den leuten das verdienst Christi nicht aus den hertzen/ son-
dern ich will/ daß es nicht in blossen eiteln gedancken/ sondern warhafftig in
dem hertzen seye/ so wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-
schiehet/ und nicht der menschlichen einbildung/ alß auch folglichen kräf-
tiger würckung vieler früchten daher diese beyde stück einander nicht entgegen
zusetzen/ sondern zu subordiniren seynd/ daß Christi leben/ leiden und ver-
dienst uns beydes donum und exemplum seye: welche beyde nutzen des ver-
diensts Christi nicht ohne die gröste gefahr getrennet werden können. Was
das 4. anlanget/ daß ich consecutive alle schwache verdamme/ ist war-
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts
schwachheit. Jch habe in dem Sendschreiben austrücklich gemeldet/ daß
uns unsere schwachheit nicht von der seligkeit ausschliesse. Aber darin ligt
eben der grausame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter
dem nahmen der schwachheit will durchstreichen lassen/ was vor Gottes au-
gen fein gute starcke boßheit ist. Schwache Christen müssen doch Christen
und Christi Jünger seyn/ daher einen solchen glauben haben/ der lebendig
seye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ sondern viel-
mehr nach allen stücken in seinen geboten wandeln wollen: wo solcher nicht/
sondern noch der vorsatz ist/ GOtt und dem fleisch zugleich zu dienen/ da ist
nicht etwa ein schwacher/ sondern ein todter und also nicht wahrer glaube: Der
mensch mag auch in seinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.

Also

Das ſechſte Capitel.
angezogenen vorred uͤber die Epiſtel an die Roͤmer: Wann ſie das Evan-
gelium hoͤren ſo fallen ſie daher/ und machen ihnen auß eigenen
kraͤfften einen gedancken im hertzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das hal-
ten ſie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchliches
gedicht und gedancken iſt/ den deß hertzens grund nimmer erfaͤhret/
alſo thut er auch nichts/ und folget keine beſſerung hernach.
Bey
ſolchen leuten iſt das verdienſt Chriſti nur in ihren bloſſen gedancken/ und
nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur ſeligkeit/
dann ſolche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewuͤrcket iſt/ noch
anderes gutes in ihnen wuͤrcket. Alſo aber iſt das verdienſt Chriſti nicht
nur in bloſſen gedancken/ ſondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und
alſo Goͤttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen
kan) ergriffen/ und alſo in Goͤttlichem gericht wahrhafftig dem menſchen zu-
gerechnet wird/ und nachmahl auch ſeine krafft ferner in toͤdtung unſers alten
menſchen bey uns erweiſet. Dieſes iſt die doppelte krafft des verdienſtes
Chriſti; wie es uns eines theils die ſeligkeit ſchencket/ andern theils die ſuͤnde
wuͤrcklich in uns dempffet/ und die heiligung befoͤrdert. Alſo kan ich wohl
ſagen/ ich nehme den leuten das verdienſt Chriſti nicht aus den hertzen/ ſon-
dern ich will/ daß es nicht in bloſſen eiteln gedancken/ ſondern warhafftig in
dem hertzen ſeye/ ſo wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge-
ſchiehet/ und nicht der menſchlichen einbildung/ alß auch folglichen kraͤf-
tiger wuͤrckung vieler fruͤchten daher dieſe beyde ſtuͤck einander nicht entgegen
zuſetzen/ ſondern zu ſubordiniren ſeynd/ daß Chriſti leben/ leiden und ver-
dienſt uns beydes donum und exemplum ſeye: welche beyde nutzen des ver-
dienſts Chriſti nicht ohne die groͤſte gefahr getrennet werden koͤnnen. Was
das 4. anlanget/ daß ich conſecutive alle ſchwache verdamme/ iſt war-
hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts
ſchwachheit. Jch habe in dem Sendſchreiben austruͤcklich gemeldet/ daß
uns unſere ſchwachheit nicht von der ſeligkeit ausſchlieſſe. Aber darin ligt
eben der grauſame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter
dem nahmen der ſchwachheit will durchſtreichen laſſen/ was vor Gottes au-
gen fein gute ſtarcke boßheit iſt. Schwache Chriſten muͤſſen doch Chriſten
und Chriſti Juͤnger ſeyn/ daher einen ſolchen glauben haben/ der lebendig
ſeye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ ſondern viel-
mehr nach allen ſtuͤcken in ſeinen geboten wandeln wollen: wo ſolcher nicht/
ſondern noch der vorſatz iſt/ GOtt und dem fleiſch zugleich zu dienen/ da iſt
nicht etwa ein ſchwacher/ ſondern ein todter und alſo nicht wahrer glaube: Der
menſch mag auch in ſeinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will.

Alſo
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[358/0376] Das ſechſte Capitel. angezogenen vorred uͤber die Epiſtel an die Roͤmer: Wann ſie das Evan- gelium hoͤren ſo fallen ſie daher/ und machen ihnen auß eigenen kraͤfften einen gedancken im hertzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das hal- ten ſie dann vor einen rechten glauben. Aber wie es ein menſchliches gedicht und gedancken iſt/ den deß hertzens grund nimmer erfaͤhret/ alſo thut er auch nichts/ und folget keine beſſerung hernach. Bey ſolchen leuten iſt das verdienſt Chriſti nur in ihren bloſſen gedancken/ und nicht in der krafft; daher es weder mit glauben ergriffen wird zur ſeligkeit/ dann ſolche leut haben den glauben nicht/ der von GOtt gewuͤrcket iſt/ noch anderes gutes in ihnen wuͤrcket. Alſo aber iſt das verdienſt Chriſti nicht nur in bloſſen gedancken/ ſondern in der krafft/ wann es mit wahrem/ und alſo Goͤttlichem lebendigem glauben (der in kein unbußfertiges hertz kommen kan) ergriffen/ und alſo in Goͤttlichem gericht wahrhafftig dem menſchen zu- gerechnet wird/ und nachmahl auch ſeine krafft ferner in toͤdtung unſers alten menſchen bey uns erweiſet. Dieſes iſt die doppelte krafft des verdienſtes Chriſti; wie es uns eines theils die ſeligkeit ſchencket/ andern theils die ſuͤnde wuͤrcklich in uns dempffet/ und die heiligung befoͤrdert. Alſo kan ich wohl ſagen/ ich nehme den leuten das verdienſt Chriſti nicht aus den hertzen/ ſon- dern ich will/ daß es nicht in bloſſen eiteln gedancken/ ſondern warhafftig in dem hertzen ſeye/ ſo wohl in warhafftiger zurechnung/ die dem glauben ge- ſchiehet/ und nicht der menſchlichen einbildung/ alß auch folglichen kraͤf- tiger wuͤrckung vieler fruͤchten daher dieſe beyde ſtuͤck einander nicht entgegen zuſetzen/ ſondern zu ſubordiniren ſeynd/ daß Chriſti leben/ leiden und ver- dienſt uns beydes donum und exemplum ſeye: welche beyde nutzen des ver- dienſts Chriſti nicht ohne die groͤſte gefahr getrennet werden koͤnnen. Was das 4. anlanget/ daß ich conſecutive alle ſchwache verdamme/ iſt war- hafftig eine unerfindliche auflage/ oder unziehmlicher gebrauch des worts ſchwachheit. Jch habe in dem Sendſchreiben austruͤcklich gemeldet/ daß uns unſere ſchwachheit nicht von der ſeligkeit ausſchlieſſe. Aber darin ligt eben der grauſame betrug des teuffels/ daß man insgemein alles unter dem nahmen der ſchwachheit will durchſtreichen laſſen/ was vor Gottes au- gen fein gute ſtarcke boßheit iſt. Schwache Chriſten muͤſſen doch Chriſten und Chriſti Juͤnger ſeyn/ daher einen ſolchen glauben haben/ der lebendig ſeye/ daß man nun und nimmermehr mit willen GOtt beleidigen/ ſondern viel- mehr nach allen ſtuͤcken in ſeinen geboten wandeln wollen: wo ſolcher nicht/ ſondern noch der vorſatz iſt/ GOtt und dem fleiſch zugleich zu dienen/ da iſt nicht etwa ein ſchwacher/ ſondern ein todter und alſo nicht wahrer glaube: Der menſch mag auch in ſeinem kopff vor gedancken haben/ was er immer will. Alſo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/376>, abgerufen am 25.11.2024.