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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
mir zu erkennen gegeben hat. Was dann nun die von meinen Hochgeehrten
Herrn angestelte examination meiner in den piis desideriis vorgeschlagene mit-
tel anlangt/ so ist das erste die fleißigere übung göttliches worts. Ach wie
wüntschte ich/ daß wir da von unsern Evangelischen kirchen rühmen könten/ daß
GOttes wort so reichlich in denselben wohnete/ daß nicht ein mehrers zu verlangen
wäre. Fragt man von den predigten/ so wird wohl/ wie mein Hochgeehrten
Herrn bekant/ an denselben nicht eben grosser mangel seyn/ daß ihrer nicht genug an
den meisten orten gehalten würden: stimme auch gern deme bey/ was er sagt/ daß
etwa einige predigten nützlicher in betstunden/ ich setze dazu rechtschaffene cate-
chisationes
verwandelt würden/ sonderlich da in den betstunden die bücher der
Schrifft fein ohne fernern zusatz/ der gemeinde fleißig vorgelesen würden. Jch
hoffte aber/ es werde mir niemand in abred seyn/ daß gleichwohl die predigten/ ob
sie wohl von GOttes wort handelen/ dennoch von menschen und also abgefasset
sind/ daß sie von den zuhörern nach den geschriebenen wort GOttes müssen exami-
ni
ret werden: wie wollen aber die zuhörer solches zur gnüge thun/ wo sie so gar
selten die Schrifft selbst/ wie sie von dem heiligen geist abgefaßt ist/ lesen oder hören
lesen/ sondern kaum jemahl etwas anders davon hören/ als die wenige Evange-
lische oder andere texte/ so vorgelesen werden/ so dann die etwa hin und wieder
vorkommende sprüche? Und wie gehets etwa an denen orten/ wo es prediger giebt/
deren predigten etwa sehr weniges gründliches aus GOttes wort in sich fassen/ wie
essorglich bey den nachforschen sich hin und wieder finden möchte? Jst da nicht
drauff zu gedencken/ wie die Schrifft selbs fleißiger unter die leute komme? Was
privat zusammenkünfften anlangt/ halte ich/ wer derselben nothwendigkeit
insgemein leugnen wolte/ der müßte zu gleich alle haußkirchen/ die unterweisung
der haußgenossen/ besuchung der krancken/ privat-besprechung und bestraffung sei-
nes nechsten und dergleichen vor unnöthig achten/ welches ich von Christlichen leh-
rern nicht hoffe: Wo aber die frage ist/ von dieser oder jener art einer privat-zusam-
menkunfft/ so wird keine gewisse insgemein als nöthig/ auffgetrungen/ sondern
würde da zu sehen seyn/ was jeglicher zeit/ ort/ person/ und anderer umstände be-
schaffenheit mit sich bringet/ und wo von mehr erbauung zu hoffen seye/ mit beyse-
tzung dessen/ daß jeglicher sey verbunden auffbeste art/ als er vermag/ und ihm Gott
gelegenheit giebt/ die erbauung seiner gemeinde willig zu befördern und befördern
zu helffen/ welches nicht eben allemahl mit dem publico also geschiehet/ daß man
nicht über dasselbe noch weitere erbauung auch in privat-congressibus, wo sie nach
den göttlichen regeln und ohne confusion in GOttesfurcht angestellet werden/ an-
treffen und zu wege bringen könne. Und werden sich etwa exempel zeigen/ wie
fromme hertzen aus einigen solchen exercitiis nicht geringen geistlichen wachsthum
geschöpffet. Da möchte einem sünde werden/ wer da wüßte guts zuthun/ und
war daßes nicht auff andere weise mit gleichen succeß geschehen könt:/ und thäte

es

Das ſechſte Capitel.
mir zu erkennen gegeben hat. Was dann nun die von meinen Hochgeehrten
Herrn angeſtelte examination meiner in den piis deſideriis vorgeſchlagene mit-
tel anlangt/ ſo iſt das erſte die fleißigere uͤbung goͤttliches worts. Ach wie
wuͤntſchte ich/ daß wir da von unſern Evangeliſchen kirchen ruͤhmen koͤnten/ daß
GOttes wort ſo reichlich in denſelben wohnete/ daß nicht ein mehrers zu verlangen
waͤre. Fragt man von den predigten/ ſo wird wohl/ wie mein Hochgeehrten
Herrn bekant/ an denſelben nicht eben groſſer mangel ſeyn/ daß ihrer nicht genug an
den meiſten orten gehalten wuͤrden: ſtimme auch gern deme bey/ was er ſagt/ daß
etwa einige predigten nuͤtzlicher in betſtunden/ ich ſetze dazu rechtſchaffene cate-
chiſationes
verwandelt wuͤrden/ ſonderlich da in den betſtunden die buͤcher der
Schrifft fein ohne fernern zuſatz/ der gemeinde fleißig vorgeleſen wuͤrden. Jch
hoffte aber/ es werde mir niemand in abred ſeyn/ daß gleichwohl die predigten/ ob
ſie wohl von GOttes wort handelen/ dennoch von menſchen und alſo abgefaſſet
ſind/ daß ſie von den zuhoͤrern nach den geſchriebenen wort GOttes muͤſſen exami-
ni
ret werden: wie wollen aber die zuhoͤrer ſolches zur gnuͤge thun/ wo ſie ſo gar
ſelten die Schrifft ſelbſt/ wie ſie von dem heiligen geiſt abgefaßt iſt/ leſen oder hoͤren
leſen/ ſondern kaum jemahl etwas anders davon hoͤren/ als die wenige Evange-
liſche oder andere texte/ ſo vorgeleſen werden/ ſo dann die etwa hin und wieder
vorkommende ſpruͤche? Und wie gehets etwa an denen orten/ wo es prediger giebt/
deren predigten etwa ſehr weniges gruͤndliches aus GOttes wort in ſich faſſen/ wie
esſorglich bey den nachforſchen ſich hin und wieder finden moͤchte? Jſt da nicht
drauff zu gedencken/ wie die Schrifft ſelbs fleißiger unter die leute komme? Was
privat zuſammenkuͤnfften anlangt/ halte ich/ wer derſelben nothwendigkeit
insgemein leugnen wolte/ der muͤßte zu gleich alle haußkirchen/ die unterweiſung
der haußgenoſſen/ beſuchung der krancken/ privat-beſprechung und beſtraffung ſei-
nes nechſten und dergleichen vor unnoͤthig achten/ welches ich von Chriſtlichen leh-
rern nicht hoffe: Wo aber die frage iſt/ von dieſer oder jener art einer privat-zuſam-
menkunfft/ ſo wird keine gewiſſe insgemein als noͤthig/ auffgetrungen/ ſondern
wuͤrde da zu ſehen ſeyn/ was jeglicher zeit/ ort/ perſon/ und anderer umſtaͤnde be-
ſchaffenheit mit ſich bringet/ und wo von mehr erbauung zu hoffen ſeye/ mit beyſe-
tzung deſſen/ daß jeglicher ſey verbunden auffbeſte art/ als er vermag/ und ihm Gott
gelegenheit giebt/ die erbauung ſeiner gemeinde willig zu befoͤrdern und befoͤrdern
zu helffen/ welches nicht eben allemahl mit dem publico alſo geſchiehet/ daß man
nicht uͤber daſſelbe noch weitere erbauung auch in privat-congreſſibus, wo ſie nach
den goͤttlichen regeln und ohne confuſion in GOttesfurcht angeſtellet werden/ an-
treffen und zu wege bringen koͤnne. Und werden ſich etwa exempel zeigen/ wie
fromme hertzen aus einigen ſolchen exercitiis nicht geringen geiſtlichen wachsthum
geſchoͤpffet. Da moͤchte einem ſuͤnde werden/ wer da wuͤßte guts zuthun/ und
war daßes nicht auff andere weiſe mit gleichen ſucceß geſchehen koͤnt:/ und thaͤte

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[266[268]/0286] Das ſechſte Capitel. mir zu erkennen gegeben hat. Was dann nun die von meinen Hochgeehrten Herrn angeſtelte examination meiner in den piis deſideriis vorgeſchlagene mit- tel anlangt/ ſo iſt das erſte die fleißigere uͤbung goͤttliches worts. Ach wie wuͤntſchte ich/ daß wir da von unſern Evangeliſchen kirchen ruͤhmen koͤnten/ daß GOttes wort ſo reichlich in denſelben wohnete/ daß nicht ein mehrers zu verlangen waͤre. Fragt man von den predigten/ ſo wird wohl/ wie mein Hochgeehrten Herrn bekant/ an denſelben nicht eben groſſer mangel ſeyn/ daß ihrer nicht genug an den meiſten orten gehalten wuͤrden: ſtimme auch gern deme bey/ was er ſagt/ daß etwa einige predigten nuͤtzlicher in betſtunden/ ich ſetze dazu rechtſchaffene cate- chiſationes verwandelt wuͤrden/ ſonderlich da in den betſtunden die buͤcher der Schrifft fein ohne fernern zuſatz/ der gemeinde fleißig vorgeleſen wuͤrden. Jch hoffte aber/ es werde mir niemand in abred ſeyn/ daß gleichwohl die predigten/ ob ſie wohl von GOttes wort handelen/ dennoch von menſchen und alſo abgefaſſet ſind/ daß ſie von den zuhoͤrern nach den geſchriebenen wort GOttes muͤſſen exami- niret werden: wie wollen aber die zuhoͤrer ſolches zur gnuͤge thun/ wo ſie ſo gar ſelten die Schrifft ſelbſt/ wie ſie von dem heiligen geiſt abgefaßt iſt/ leſen oder hoͤren leſen/ ſondern kaum jemahl etwas anders davon hoͤren/ als die wenige Evange- liſche oder andere texte/ ſo vorgeleſen werden/ ſo dann die etwa hin und wieder vorkommende ſpruͤche? Und wie gehets etwa an denen orten/ wo es prediger giebt/ deren predigten etwa ſehr weniges gruͤndliches aus GOttes wort in ſich faſſen/ wie esſorglich bey den nachforſchen ſich hin und wieder finden moͤchte? Jſt da nicht drauff zu gedencken/ wie die Schrifft ſelbs fleißiger unter die leute komme? Was privat zuſammenkuͤnfften anlangt/ halte ich/ wer derſelben nothwendigkeit insgemein leugnen wolte/ der muͤßte zu gleich alle haußkirchen/ die unterweiſung der haußgenoſſen/ beſuchung der krancken/ privat-beſprechung und beſtraffung ſei- nes nechſten und dergleichen vor unnoͤthig achten/ welches ich von Chriſtlichen leh- rern nicht hoffe: Wo aber die frage iſt/ von dieſer oder jener art einer privat-zuſam- menkunfft/ ſo wird keine gewiſſe insgemein als noͤthig/ auffgetrungen/ ſondern wuͤrde da zu ſehen ſeyn/ was jeglicher zeit/ ort/ perſon/ und anderer umſtaͤnde be- ſchaffenheit mit ſich bringet/ und wo von mehr erbauung zu hoffen ſeye/ mit beyſe- tzung deſſen/ daß jeglicher ſey verbunden auffbeſte art/ als er vermag/ und ihm Gott gelegenheit giebt/ die erbauung ſeiner gemeinde willig zu befoͤrdern und befoͤrdern zu helffen/ welches nicht eben allemahl mit dem publico alſo geſchiehet/ daß man nicht uͤber daſſelbe noch weitere erbauung auch in privat-congreſſibus, wo ſie nach den goͤttlichen regeln und ohne confuſion in GOttesfurcht angeſtellet werden/ an- treffen und zu wege bringen koͤnne. Und werden ſich etwa exempel zeigen/ wie fromme hertzen aus einigen ſolchen exercitiis nicht geringen geiſtlichen wachsthum geſchoͤpffet. Da moͤchte einem ſuͤnde werden/ wer da wuͤßte guts zuthun/ und war daßes nicht auff andere weiſe mit gleichen ſucceß geſchehen koͤnt:/ und thaͤte es

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 266[268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/286>, abgerufen am 22.11.2024.