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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XXX.
das hertz wohl vorbereitet/ zu dem glauben tüchtig zu seyn/ und nachmahl die wah-
re früchte zubringen. 9. Daß das Gottselige leben die früchte allein des glaubens/
und vielmehr ein stück der durch den glauben erlangten seligkeit als deroselben ur-
sach seyen/ und was etwa vor weitere grundlehren in diesem tractatu sind/ welche
ich alle als wahrhafftig und Evangelisch erkenne/ und keine einige ausgenom-
men/ zum öfftern in den predigten bißher werde getrieben haben und noch treibe.
Hiebey neben aber kan gleich wohl nicht bergen/ daß neben ein und andern unbeque-
men worten/ so aber doch guten verstand leiden/ und deswegen nicht bemercke/ et-
liches observiret/ so ich anders gewünschet/ oder doch wünsche/ daß diejenige/ so
solches büchlein lesen/ zu ihrer mehrern aufferbauung solches beobachten mögen.
1. Nimmt der Autor die wort/ selig und gerecht werden/ als gantz einerley an.
Nun bekenne gern/ daß sie von niemand unzertrennlich sind/ und welcher gerecht
auch selig/ wer aber selig auch gerecht ist. Jn dessen bemercke gleichwohl einen
zimlichen unterscheid unter beyden. Jndem gerechtigkeit allein ein gut der selig-
keit ist/ welche alle güter der gnaden und herrlichkeit zugleich zusammen fasset. 2.
Vornehmlich ist mein allermeistes bedencken/ daß ich wünschte/ daß der glaube und
seine eigenschafften deutlicher und kantlicher vorgestellet wären. Es stehet zwar
pag. 83. einiges sehr denckwürdiges/ so gnugsam zeiget daß der Autor eine rechte
meinung hat: aber an andern orten ist zu weilen so davon geredet/ daß sichere her-
tzen in den gedancken stehen bleiben mögen/ als wäre der glaube nichts anders als
eine blosse einbildung und persuasion von der gerechtigkeit. Und also wo der
mensch buß thun solle/ bestehe es in nichts anders/ als allein in den wiederum ge-
fassten gedancken/ daß er wiederum in Christo selig seye. Jch sage gar nicht/ daß
dieses die meinung des Autoris seye. Jch stehe aber in billiger sorge/ daß sichere
gemüther es nicht allein so auffnehmen und zu ihrem verderben verdrähen können/
sondern wo sie solches gemüths sind/ davor halten werden/ sie haben gnugsam ursach
es also zu verstehen. Jch bekenne gern/ daß in dem glauben freylich die zueignung
und applicirung der göttlichen gnade das hauptwerck und recht die seele des glau-
bens/ daher wahrhafftig das einige seye/ worinnen der glaube/ uns selig machet.
Weil aber alle beede/ eines theils ein sicherer mensch/ deren ich exempel gnug weiß/
bey allen seinen fortsetzenden boßhafftigen und verdamlichen sünden/ die er nicht zu
lassen begehret/ so dann andern theils ein wahrer glaubiger/ sich die gnade und die
gerechtigkeit appliciret; dieser wahrhafftig und mit grund/ jener mit unrecht/ und
als eine sach/ die ihm gleichwohl in der that nicht gebühret/ dieser aus der erleuch-
tung und versiglung des heiligen Geistes in seine hertzen/ jener aus einer fleischli-
chen sicherheit; dieser gemäß dem göttlichen willen/ jener aber schnur stracks dem-
selben etgegen/ als welcher ja nicht will daß stinckende böcke sich einbilden sollen/ sie
seyen wahre schafe. Weil sage ich dergleichen gedancken beyderley ihnen machen
können/ und in der that ihnen machen/ so achte ich hochnötig seyn/ daß wir/ so offt

wir

ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XXX.
das hertz wohl vorbereitet/ zu dem glauben tuͤchtig zu ſeyn/ und nachmahl die wah-
re fruͤchte zubringen. 9. Daß das Gottſelige leben die fruͤchte allein des glaubens/
und vielmehr ein ſtuͤck der durch den glauben erlangten ſeligkeit als deroſelben ur-
ſach ſeyen/ und was etwa vor weitere grundlehren in dieſem tractatu ſind/ welche
ich alle als wahrhafftig und Evangeliſch erkenne/ und keine einige ausgenom-
men/ zum oͤfftern in den predigten bißher werde getrieben haben und noch treibe.
Hiebey neben aber kan gleich wohl nicht bergen/ daß neben ein und andern unbeque-
men worten/ ſo aber doch guten verſtand leiden/ und deswegen nicht bemercke/ et-
liches obſerviret/ ſo ich anders gewuͤnſchet/ oder doch wuͤnſche/ daß diejenige/ ſo
ſolches buͤchlein leſen/ zu ihrer mehrern aufferbauung ſolches beobachten moͤgen.
1. Nimmt der Autor die wort/ ſelig und gerecht werden/ als gantz einerley an.
Nun bekenne gern/ daß ſie von niemand unzertrennlich ſind/ und welcher gerecht
auch ſelig/ wer aber ſelig auch gerecht iſt. Jn deſſen bemercke gleichwohl einen
zimlichen unterſcheid unter beyden. Jndem gerechtigkeit allein ein gut der ſelig-
keit iſt/ welche alle guͤter der gnaden und herrlichkeit zugleich zuſammen faſſet. 2.
Vornehmlich iſt mein allermeiſtes bedencken/ daß ich wuͤnſchte/ daß der glaube und
ſeine eigenſchafften deutlicher und kantlicher vorgeſtellet waͤren. Es ſtehet zwar
pag. 83. einiges ſehr denckwuͤrdiges/ ſo gnugſam zeiget daß der Autor eine rechte
meinung hat: aber an andern orten iſt zu weilen ſo davon geredet/ daß ſichere her-
tzen in den gedancken ſtehen bleiben moͤgen/ als waͤre der glaube nichts anders als
eine bloſſe einbildung und perſuaſion von der gerechtigkeit. Und alſo wo der
menſch buß thun ſolle/ beſtehe es in nichts anders/ als allein in den wiederum ge-
faſſten gedancken/ daß er wiederum in Chriſto ſelig ſeye. Jch ſage gar nicht/ daß
dieſes die meinung des Autoris ſeye. Jch ſtehe aber in billiger ſorge/ daß ſichere
gemuͤther es nicht allein ſo auffnehmen und zu ihrem verderben verdraͤhen koͤnnen/
ſondern wo ſie ſolches gemuͤths ſind/ davor halten werden/ ſie haben gnugſam urſach
es alſo zu verſtehen. Jch bekenne gern/ daß in dem glauben freylich die zueignung
und applicirung der goͤttlichen gnade das hauptwerck und recht die ſeele des glau-
bens/ daher wahrhafftig das einige ſeye/ worinnen der glaube/ uns ſelig machet.
Weil aber alle beede/ eines theils ein ſicherer menſch/ deren ich exempel gnug weiß/
bey allen ſeinen fortſetzenden boßhafftigen und verdamlichen ſuͤnden/ die er nicht zu
laſſen begehret/ ſo dann andern theils ein wahrer glaubiger/ ſich die gnade und die
gerechtigkeit appliciret; dieſer wahrhafftig und mit grund/ jener mit unrecht/ und
als eine ſach/ die ihm gleichwohl in der that nicht gebuͤhret/ dieſer aus der erleuch-
tung und verſiglung des heiligen Geiſtes in ſeine hertzen/ jener aus einer fleiſchli-
chen ſicherheit; dieſer gemaͤß dem goͤttlichen willen/ jener aber ſchnur ſtracks dem-
ſelben etgegen/ als welcher ja nicht will daß ſtinckende boͤcke ſich einbilden ſollen/ ſie
ſeyen wahre ſchafe. Weil ſage ich dergleichen gedancken beyderley ihnen machen
koͤnnen/ und in der that ihnen machen/ ſo achte ich hochnoͤtig ſeyn/ daß wir/ ſo offt

wir
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[135/0153] ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECT. XXX. das hertz wohl vorbereitet/ zu dem glauben tuͤchtig zu ſeyn/ und nachmahl die wah- re fruͤchte zubringen. 9. Daß das Gottſelige leben die fruͤchte allein des glaubens/ und vielmehr ein ſtuͤck der durch den glauben erlangten ſeligkeit als deroſelben ur- ſach ſeyen/ und was etwa vor weitere grundlehren in dieſem tractatu ſind/ welche ich alle als wahrhafftig und Evangeliſch erkenne/ und keine einige ausgenom- men/ zum oͤfftern in den predigten bißher werde getrieben haben und noch treibe. Hiebey neben aber kan gleich wohl nicht bergen/ daß neben ein und andern unbeque- men worten/ ſo aber doch guten verſtand leiden/ und deswegen nicht bemercke/ et- liches obſerviret/ ſo ich anders gewuͤnſchet/ oder doch wuͤnſche/ daß diejenige/ ſo ſolches buͤchlein leſen/ zu ihrer mehrern aufferbauung ſolches beobachten moͤgen. 1. Nimmt der Autor die wort/ ſelig und gerecht werden/ als gantz einerley an. Nun bekenne gern/ daß ſie von niemand unzertrennlich ſind/ und welcher gerecht auch ſelig/ wer aber ſelig auch gerecht iſt. Jn deſſen bemercke gleichwohl einen zimlichen unterſcheid unter beyden. Jndem gerechtigkeit allein ein gut der ſelig- keit iſt/ welche alle guͤter der gnaden und herrlichkeit zugleich zuſammen faſſet. 2. Vornehmlich iſt mein allermeiſtes bedencken/ daß ich wuͤnſchte/ daß der glaube und ſeine eigenſchafften deutlicher und kantlicher vorgeſtellet waͤren. Es ſtehet zwar pag. 83. einiges ſehr denckwuͤrdiges/ ſo gnugſam zeiget daß der Autor eine rechte meinung hat: aber an andern orten iſt zu weilen ſo davon geredet/ daß ſichere her- tzen in den gedancken ſtehen bleiben moͤgen/ als waͤre der glaube nichts anders als eine bloſſe einbildung und perſuaſion von der gerechtigkeit. Und alſo wo der menſch buß thun ſolle/ beſtehe es in nichts anders/ als allein in den wiederum ge- faſſten gedancken/ daß er wiederum in Chriſto ſelig ſeye. Jch ſage gar nicht/ daß dieſes die meinung des Autoris ſeye. Jch ſtehe aber in billiger ſorge/ daß ſichere gemuͤther es nicht allein ſo auffnehmen und zu ihrem verderben verdraͤhen koͤnnen/ ſondern wo ſie ſolches gemuͤths ſind/ davor halten werden/ ſie haben gnugſam urſach es alſo zu verſtehen. Jch bekenne gern/ daß in dem glauben freylich die zueignung und applicirung der goͤttlichen gnade das hauptwerck und recht die ſeele des glau- bens/ daher wahrhafftig das einige ſeye/ worinnen der glaube/ uns ſelig machet. Weil aber alle beede/ eines theils ein ſicherer menſch/ deren ich exempel gnug weiß/ bey allen ſeinen fortſetzenden boßhafftigen und verdamlichen ſuͤnden/ die er nicht zu laſſen begehret/ ſo dann andern theils ein wahrer glaubiger/ ſich die gnade und die gerechtigkeit appliciret; dieſer wahrhafftig und mit grund/ jener mit unrecht/ und als eine ſach/ die ihm gleichwohl in der that nicht gebuͤhret/ dieſer aus der erleuch- tung und verſiglung des heiligen Geiſtes in ſeine hertzen/ jener aus einer fleiſchli- chen ſicherheit; dieſer gemaͤß dem goͤttlichen willen/ jener aber ſchnur ſtracks dem- ſelben etgegen/ als welcher ja nicht will daß ſtinckende boͤcke ſich einbilden ſollen/ ſie ſeyen wahre ſchafe. Weil ſage ich dergleichen gedancken beyderley ihnen machen koͤnnen/ und in der that ihnen machen/ ſo achte ich hochnoͤtig ſeyn/ daß wir/ ſo offt wir

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/153>, abgerufen am 26.11.2024.