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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
allein das väterliche schreiben an NN. so ich zwar nicht gesehen/ mit einigen con-
ditionen
solle clausulirt gewesen seyn/ sondern ich in den antwort-schreiben selbst
erkennet/ daß darinnen der consensus nicht schlechter dings ausgetrucket/ sondern
gleichsam dem vater wiederum heimgegeben worden/ wo es austrücklich heisset/ wo
des vaters und der tochter wille hierinnen würde conform seyn: Daher ich ge-
stehe/ daß ich nicht finde/ wie einige verbündligkeit damit gemachet/ sondern daß
meine vielgeliebte schwester frey geblieben/ wie auch ihrem geliebten vater/ die ge-
walt bey behalten geblieben seye/ selbs darinnen zu disponiren. Gleich wie nun
Herr N. viel vergnügter und ruhiger auff solche antwort sich gewiesen/ als wie
vorhin gedencken mögen: Also bin auch versichert/ das GOTT mit seiner kräff-
tigen hand deroselben gemüther mehr beruhigen werde/ als es etwa noch bißher in
erwartung des ausganges gewesen. Daß einige bedencklichste in der sache/ ob
der endliche erfolg wahrhafftig vor GOTTes willen zuerkennen/ möchte wol die-
ses seyn/ weil die ursachen der väterlichen abschlagung wol nicht so bewandt/ daß sie
allein vor sich angesehen das gewissen befridigten/ als darin nicht auff das jenige ge-
sehen wird/ worauff wir billich sehen solten/ denen göttliche ehr/ des nechsten wol-
fahrt und eigenen heyls beobachtung die einige zwecke aller unser rathschläge seyn
solten/ sondern auff bloß fleischliche gründe/ eine eingebildete beschimpffung des ge-
schlechts und der gleichen. Aber ohneracht dessen/ so sehe ich gleichwol die väterli-
che resolution vor die erklärung des göttlichen willens an. Wie GOTT zum
öfftern seinen willen uns anzeiget/ durch solche/ welche in dem stück auff ihrer seiten
sich versündigen/ und nicht thun/ was sie thun solten. Göttlicher wille war/ das
Jerobeam das königreich haben solte: ob wol welche ihn darzu auffgeworffen/ und
er selbst/ sich darinnen versündigeten. Göttlicher wille war Josephs hinabsen-
dung in Egypten/ die seine neidische brüder mit sünden beförderten. Und also in
vielen anderen exempeln. Daher so sehe ich in väterlicher antwort (es wäre denn
sache/ das solche mich zu etwas verbinden wolte/ so wieder den Vater in dem him-
mel streitet) nicht so wol an/ wie wol oder übel sie gegründet/ worauff ich bey an-
derer guten freund rath zu sehen/ sondern wie solche person mir an GOttes stelle
vorstehe/ und GOtt in ihm wolle geehret seyn. Jst in jenem von ihm gefehlet/ so
steht die verantwortung bey ihm/ wie bedächtlich er sich seiner gewalt gebraucht/
nicht bey den jenigen/ welche ihr schon dieses zum gehorsam genug seyn lassen/ daß
es des Vaters wille seye/ Ja ich halte davor/ daß eben darinnen die göttliche
weißheit so viel herrlicher sich hervor thue/ daß sie ihren heiligsten willen durch
fleischliche anderer menschen absichten zuweilen sehen lässet/ wo alle diese nicht hin-
dern müssen/ daß nicht jene durch dringe/ und endlich allein stehen bleibe. Wel-
ches wie es in regierung der gantzen kirchen öffters so viel scheinbahrer erhellet/ also
auch von gottseligen seelen in dem gemeinen leben eben so wol erkant und beobach-
tet wird. Daher weil ich vernehme/ daß NN. nicht wol zu frieden seye/ verhof-

fe
M 3

ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII.
allein das vaͤterliche ſchreiben an NN. ſo ich zwar nicht geſehen/ mit einigen con-
ditionen
ſolle clauſulirt geweſen ſeyn/ ſondern ich in den antwort-ſchreiben ſelbſt
erkennet/ daß darinnen der conſenſus nicht ſchlechter dings ausgetrucket/ ſondern
gleichſam dem vater wiederum heimgegeben worden/ wo es austruͤcklich heiſſet/ wo
des vaters und der tochter wille hierinnen wuͤrde conform ſeyn: Daher ich ge-
ſtehe/ daß ich nicht finde/ wie einige verbuͤndligkeit damit gemachet/ ſondern daß
meine vielgeliebte ſchweſter frey geblieben/ wie auch ihrem geliebten vater/ die ge-
walt bey behalten geblieben ſeye/ ſelbs darinnen zu disponiren. Gleich wie nun
Herr N. viel vergnuͤgter und ruhiger auff ſolche antwort ſich gewieſen/ als wie
vorhin gedencken moͤgen: Alſo bin auch verſichert/ das GOTT mit ſeiner kraͤff-
tigen hand deroſelben gemuͤther mehr beruhigen werde/ als es etwa noch bißher in
erwartung des ausganges geweſen. Daß einige bedencklichſte in der ſache/ ob
der endliche erfolg wahrhafftig vor GOTTes willen zuerkennen/ moͤchte wol die-
ſes ſeyn/ weil die urſachen der vaͤterlichen abſchlagung wol nicht ſo bewandt/ daß ſie
allein vor ſich angeſehen das gewiſſen befridigten/ als darin nicht auff das jenige ge-
ſehen wird/ worauff wir billich ſehen ſolten/ denen goͤttliche ehr/ des nechſten wol-
fahrt und eigenen heyls beobachtung die einige zwecke aller unſer rathſchlaͤge ſeyn
ſolten/ ſondern auff bloß fleiſchliche gruͤnde/ eine eingebildete beſchimpffung des ge-
ſchlechts und der gleichen. Aber ohneracht deſſen/ ſo ſehe ich gleichwol die vaͤterli-
che reſolution vor die erklaͤrung des goͤttlichen willens an. Wie GOTT zum
oͤfftern ſeinen willen uns anzeiget/ durch ſolche/ welche in dem ſtuͤck auff ihrer ſeiten
ſich verſuͤndigen/ und nicht thun/ was ſie thun ſolten. Goͤttlicher wille war/ das
Jerobeam das koͤnigreich haben ſolte: ob wol welche ihn darzu auffgeworffen/ und
er ſelbſt/ ſich darinnen verſuͤndigeten. Goͤttlicher wille war Joſephs hinabſen-
dung in Egypten/ die ſeine neidiſche bruͤder mit ſuͤnden befoͤrderten. Und alſo in
vielen anderen exempeln. Daher ſo ſehe ich in vaͤterlicher antwort (es waͤre denn
ſache/ das ſolche mich zu etwas verbinden wolte/ ſo wieder den Vater in dem him-
mel ſtreitet) nicht ſo wol an/ wie wol oder uͤbel ſie gegruͤndet/ worauff ich bey an-
derer guten freund rath zu ſehen/ ſondern wie ſolche perſon mir an GOttes ſtelle
vorſtehe/ und GOtt in ihm wolle geehret ſeyn. Jſt in jenem von ihm gefehlet/ ſo
ſteht die verantwortung bey ihm/ wie bedaͤchtlich er ſich ſeiner gewalt gebraucht/
nicht bey den jenigen/ welche ihr ſchon dieſes zum gehorſam genug ſeyn laſſen/ daß
es des Vaters wille ſeye/ Ja ich halte davor/ daß eben darinnen die goͤttliche
weißheit ſo viel herrlicher ſich hervor thue/ daß ſie ihren heiligſten willen durch
fleiſchliche anderer menſchen abſichten zuweilen ſehen laͤſſet/ wo alle dieſe nicht hin-
dern muͤſſen/ daß nicht jene durch dringe/ und endlich allein ſtehen bleibe. Wel-
ches wie es in regierung der gantzen kirchen oͤffters ſo viel ſcheinbahrer erhellet/ alſo
auch von gottſeligen ſeelen in dem gemeinen leben eben ſo wol erkant und beobach-
tet wird. Daher weil ich vernehme/ daß NN. nicht wol zu frieden ſeye/ verhof-

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[93/0111] ARTIC. I. DISTINCTIO I. SECTIO XVII. allein das vaͤterliche ſchreiben an NN. ſo ich zwar nicht geſehen/ mit einigen con- ditionen ſolle clauſulirt geweſen ſeyn/ ſondern ich in den antwort-ſchreiben ſelbſt erkennet/ daß darinnen der conſenſus nicht ſchlechter dings ausgetrucket/ ſondern gleichſam dem vater wiederum heimgegeben worden/ wo es austruͤcklich heiſſet/ wo des vaters und der tochter wille hierinnen wuͤrde conform ſeyn: Daher ich ge- ſtehe/ daß ich nicht finde/ wie einige verbuͤndligkeit damit gemachet/ ſondern daß meine vielgeliebte ſchweſter frey geblieben/ wie auch ihrem geliebten vater/ die ge- walt bey behalten geblieben ſeye/ ſelbs darinnen zu disponiren. Gleich wie nun Herr N. viel vergnuͤgter und ruhiger auff ſolche antwort ſich gewieſen/ als wie vorhin gedencken moͤgen: Alſo bin auch verſichert/ das GOTT mit ſeiner kraͤff- tigen hand deroſelben gemuͤther mehr beruhigen werde/ als es etwa noch bißher in erwartung des ausganges geweſen. Daß einige bedencklichſte in der ſache/ ob der endliche erfolg wahrhafftig vor GOTTes willen zuerkennen/ moͤchte wol die- ſes ſeyn/ weil die urſachen der vaͤterlichen abſchlagung wol nicht ſo bewandt/ daß ſie allein vor ſich angeſehen das gewiſſen befridigten/ als darin nicht auff das jenige ge- ſehen wird/ worauff wir billich ſehen ſolten/ denen goͤttliche ehr/ des nechſten wol- fahrt und eigenen heyls beobachtung die einige zwecke aller unſer rathſchlaͤge ſeyn ſolten/ ſondern auff bloß fleiſchliche gruͤnde/ eine eingebildete beſchimpffung des ge- ſchlechts und der gleichen. Aber ohneracht deſſen/ ſo ſehe ich gleichwol die vaͤterli- che reſolution vor die erklaͤrung des goͤttlichen willens an. Wie GOTT zum oͤfftern ſeinen willen uns anzeiget/ durch ſolche/ welche in dem ſtuͤck auff ihrer ſeiten ſich verſuͤndigen/ und nicht thun/ was ſie thun ſolten. Goͤttlicher wille war/ das Jerobeam das koͤnigreich haben ſolte: ob wol welche ihn darzu auffgeworffen/ und er ſelbſt/ ſich darinnen verſuͤndigeten. Goͤttlicher wille war Joſephs hinabſen- dung in Egypten/ die ſeine neidiſche bruͤder mit ſuͤnden befoͤrderten. Und alſo in vielen anderen exempeln. Daher ſo ſehe ich in vaͤterlicher antwort (es waͤre denn ſache/ das ſolche mich zu etwas verbinden wolte/ ſo wieder den Vater in dem him- mel ſtreitet) nicht ſo wol an/ wie wol oder uͤbel ſie gegruͤndet/ worauff ich bey an- derer guten freund rath zu ſehen/ ſondern wie ſolche perſon mir an GOttes ſtelle vorſtehe/ und GOtt in ihm wolle geehret ſeyn. Jſt in jenem von ihm gefehlet/ ſo ſteht die verantwortung bey ihm/ wie bedaͤchtlich er ſich ſeiner gewalt gebraucht/ nicht bey den jenigen/ welche ihr ſchon dieſes zum gehorſam genug ſeyn laſſen/ daß es des Vaters wille ſeye/ Ja ich halte davor/ daß eben darinnen die goͤttliche weißheit ſo viel herrlicher ſich hervor thue/ daß ſie ihren heiligſten willen durch fleiſchliche anderer menſchen abſichten zuweilen ſehen laͤſſet/ wo alle dieſe nicht hin- dern muͤſſen/ daß nicht jene durch dringe/ und endlich allein ſtehen bleibe. Wel- ches wie es in regierung der gantzen kirchen oͤffters ſo viel ſcheinbahrer erhellet/ alſo auch von gottſeligen ſeelen in dem gemeinen leben eben ſo wol erkant und beobach- tet wird. Daher weil ich vernehme/ daß NN. nicht wol zu frieden ſeye/ verhof- fe M 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/111>, abgerufen am 25.11.2024.