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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XLIV.
nechst andächtigem gebet über der bibel gelegen/ die sie fleißig durchgangen/
und alle von Christo handlende weissagungen und sprüche ihr aus- und unter-
gezeichnet/ daß sie die krafft-kern-sprüche/ auch in andern materien/ zu vielma-
liger meiner verwunderung so apposite und mit nachtruck angeführet/ als
viel Prediger nicht solten thun können. Und weiß ich nicht/ ob ich mein tag
jemand von stärckerm glauben fast gehört als sie. Jch bekenne[/] daß mit ihr offt
ein paar stunden in dem HErrn zu conversiren mir so viel genutzt als vieles
lesen. Das kan GOtt! darum nur auf ihn gehofft! Jch kenne einen menschen
in Christo/ der in sünden-zweiffel gesteckt/ aber durch GOttes güte ihm selbs
und andern zum trost 2. Cor. 1/ 3. 4. so erquickt worden/ daß da ihm vorher
die erde für angst zu enge war/ nachmal sein hertz zu enge war den trost zu fas-
sen. Ein dergleichen angefochtenes hertz muß dencken: Dem GOtt wilstu dich
lassen gantz und gar/ und indessen mit samt dem schwachen glauben dich in sei-
ne hände und wunden werffen. Dieses ist die antwort des gedachten christli-
chen mit-bruders/ zu welcher ich in der sache selbs nichts zu setzen habe/ sondern
gleichsam jene nur mit andern expressionen wiederhole. So ist nun gewiß/ daß
allein der glaube das mittel unsrer seligkeit seye/ und wir uns also derselben
gewiß versichern können/ wo jener verhanden ist. Es ist auch eine ausgemach-
te sache/ daß der seligmachende glaube nicht eine menschliche wissenschafft und
überzeugung seye/ sondern ein liecht von GOtt/ und solche wirckung in dero
wir seine gnade in CHristo JESU ergreiffen/ daher sie nicht andern wissen-
schafften und menschlichen habitibus zu vergleichen ist. Daß ich aber näher
zur sache komme/ halte ich/ daß wol in acht zu nehmen seye/ wie unser liebe Lu-
therus über das Magnificat T. 1. Alt. (welchen ort auch D. Dannhauer seiner
Hodosophiae einzuverleiben/ würdig gehalten hat Ph. 5. p. 420.) den menschen
in 3. theile theile aus 1. Thess. 5/ 23. geist/ seel und leib/ gleichwol daß die
erste beyde dem wesen nach eins seyen: wo er sagt/ es seye der geist das tieff-
ste/ edelste/ höchste theil des menschen/ darinn er geschickt ist unbe-
greiflich unsichtig ewige dinge zu fassen/ und ist kürtzlich das hauß/
da der glaube und GOTTES wort inne wohnet. Die see-
le ist eben der geist/ aber in einem andern werck/ und ist dessen
art zu fassen/ was die vernunfft kennen und erkennen kan.
Da
sage ich nun es müsse zum grunde ligen/ daß der glaube ein werck GOttes
in dem geist seye/ da der mensch der göttlichen gnade versichert ist/ wo zwahr
freylich auch erkäntnüß/ beyfall und zuversicht seyn muß/ aber nicht mit der
völligen reflexion. Wo nun solcher glaube in dem grund der seelen oder in
dem geist ist/ da bricht er ordentlicher weise auch aus in die seele/ daß nemlich
der verstand/ womit der mensch sonsten andre dinge verstehet/ mit seinem
liecht auch die dinge/ so der glaube vor sich hat/ ansihet/ beurtheilet und an-

nim-

ARTIC. II. SECTIO XLIV.
nechſt andaͤchtigem gebet uͤber der bibel gelegen/ die ſie fleißig durchgangen/
und alle von Chriſto handlende weiſſagungen und ſpruͤche ihr aus- und unter-
gezeichnet/ daß ſie die krafft-kern-ſpruͤche/ auch in andern materien/ zu vielma-
liger meiner verwunderung ſo appoſite und mit nachtruck angefuͤhret/ als
viel Prediger nicht ſolten thun koͤnnen. Und weiß ich nicht/ ob ich mein tag
jemand von ſtaͤrckerm glauben faſt gehoͤrt als ſie. Jch bekenne[/] daß mit ihr offt
ein paar ſtunden in dem HErrn zu converſiren mir ſo viel genutzt als vieles
leſen. Das kan GOtt! darum nur auf ihn gehofft! Jch kenne einen menſchen
in Chriſto/ der in ſuͤnden-zweiffel geſteckt/ aber durch GOttes guͤte ihm ſelbs
und andern zum troſt 2. Cor. 1/ 3. 4. ſo erquickt worden/ daß da ihm vorher
die erde fuͤr angſt zu enge war/ nachmal ſein hertz zu enge war den troſt zu faſ-
ſen. Ein dergleichen angefochtenes hertz muß dencken: Dem GOtt wilſtu dich
laſſen gantz und gar/ und indeſſen mit ſamt dem ſchwachen glauben dich in ſei-
ne haͤnde und wunden werffen. Dieſes iſt die antwort des gedachten chriſtli-
chen mit-bruders/ zu welcher ich in der ſache ſelbs nichts zu ſetzen habe/ ſondern
gleichſam jene nur mit andern expreſſionen wiederhole. So iſt nun gewiß/ daß
allein der glaube das mittel unſrer ſeligkeit ſeye/ und wir uns alſo derſelben
gewiß verſichern koͤnnen/ wo jener verhanden iſt. Es iſt auch eine ausgemach-
te ſache/ daß der ſeligmachende glaube nicht eine menſchliche wiſſenſchafft und
uͤberzeugung ſeye/ ſondern ein liecht von GOtt/ und ſolche wirckung in dero
wir ſeine gnade in CHriſto JESU ergreiffen/ daher ſie nicht andern wiſſen-
ſchafften und menſchlichen habitibus zu vergleichen iſt. Daß ich aber naͤher
zur ſache komme/ halte ich/ daß wol in acht zu nehmen ſeye/ wie unſer liebe Lu-
therus uͤber das Magnificat T. 1. Alt. (welchen ort auch D. Dannhauer ſeiner
Hodoſophiæ einzuverleiben/ wuͤrdig gehalten hat Ph. 5. p. 420.) den menſchen
in 3. theile theile aus 1. Theſſ. 5/ 23. geiſt/ ſeel und leib/ gleichwol daß die
erſte beyde dem weſen nach eins ſeyen: wo er ſagt/ es ſeye der geiſt das tieff-
ſte/ edelſte/ hoͤchſte theil des menſchen/ darinn er geſchickt iſt unbe-
greiflich unſichtig ewige dinge zu faſſen/ und iſt kuͤrtzlich das hauß/
da der glaube und GOTTES wort inne wohnet. Die ſee-
le iſt eben der geiſt/ aber in einem andern werck/ und iſt deſſen
art zu faſſen/ was die vernunfft kennen und erkennen kan.
Da
ſage ich nun es muͤſſe zum grunde ligen/ daß der glaube ein werck GOttes
in dem geiſt ſeye/ da der menſch der goͤttlichen gnade verſichert iſt/ wo zwahr
freylich auch erkaͤntnuͤß/ beyfall und zuverſicht ſeyn muß/ aber nicht mit der
voͤlligen reflexion. Wo nun ſolcher glaube in dem grund der ſeelen oder in
dem geiſt iſt/ da bricht er ordentlicher weiſe auch aus in die ſeele/ daß nemlich
der verſtand/ womit der menſch ſonſten andre dinge verſtehet/ mit ſeinem
liecht auch die dinge/ ſo der glaube vor ſich hat/ anſihet/ beurtheilet und an-

nim-
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[895/0903] ARTIC. II. SECTIO XLIV. nechſt andaͤchtigem gebet uͤber der bibel gelegen/ die ſie fleißig durchgangen/ und alle von Chriſto handlende weiſſagungen und ſpruͤche ihr aus- und unter- gezeichnet/ daß ſie die krafft-kern-ſpruͤche/ auch in andern materien/ zu vielma- liger meiner verwunderung ſo appoſite und mit nachtruck angefuͤhret/ als viel Prediger nicht ſolten thun koͤnnen. Und weiß ich nicht/ ob ich mein tag jemand von ſtaͤrckerm glauben faſt gehoͤrt als ſie. Jch bekenne/ daß mit ihr offt ein paar ſtunden in dem HErrn zu converſiren mir ſo viel genutzt als vieles leſen. Das kan GOtt! darum nur auf ihn gehofft! Jch kenne einen menſchen in Chriſto/ der in ſuͤnden-zweiffel geſteckt/ aber durch GOttes guͤte ihm ſelbs und andern zum troſt 2. Cor. 1/ 3. 4. ſo erquickt worden/ daß da ihm vorher die erde fuͤr angſt zu enge war/ nachmal ſein hertz zu enge war den troſt zu faſ- ſen. Ein dergleichen angefochtenes hertz muß dencken: Dem GOtt wilſtu dich laſſen gantz und gar/ und indeſſen mit ſamt dem ſchwachen glauben dich in ſei- ne haͤnde und wunden werffen. Dieſes iſt die antwort des gedachten chriſtli- chen mit-bruders/ zu welcher ich in der ſache ſelbs nichts zu ſetzen habe/ ſondern gleichſam jene nur mit andern expreſſionen wiederhole. So iſt nun gewiß/ daß allein der glaube das mittel unſrer ſeligkeit ſeye/ und wir uns alſo derſelben gewiß verſichern koͤnnen/ wo jener verhanden iſt. Es iſt auch eine ausgemach- te ſache/ daß der ſeligmachende glaube nicht eine menſchliche wiſſenſchafft und uͤberzeugung ſeye/ ſondern ein liecht von GOtt/ und ſolche wirckung in dero wir ſeine gnade in CHriſto JESU ergreiffen/ daher ſie nicht andern wiſſen- ſchafften und menſchlichen habitibus zu vergleichen iſt. Daß ich aber naͤher zur ſache komme/ halte ich/ daß wol in acht zu nehmen ſeye/ wie unſer liebe Lu- therus uͤber das Magnificat T. 1. Alt. (welchen ort auch D. Dannhauer ſeiner Hodoſophiæ einzuverleiben/ wuͤrdig gehalten hat Ph. 5. p. 420.) den menſchen in 3. theile theile aus 1. Theſſ. 5/ 23. geiſt/ ſeel und leib/ gleichwol daß die erſte beyde dem weſen nach eins ſeyen: wo er ſagt/ es ſeye der geiſt das tieff- ſte/ edelſte/ hoͤchſte theil des menſchen/ darinn er geſchickt iſt unbe- greiflich unſichtig ewige dinge zu faſſen/ und iſt kuͤrtzlich das hauß/ da der glaube und GOTTES wort inne wohnet. Die ſee- le iſt eben der geiſt/ aber in einem andern werck/ und iſt deſſen art zu faſſen/ was die vernunfft kennen und erkennen kan. Da ſage ich nun es muͤſſe zum grunde ligen/ daß der glaube ein werck GOttes in dem geiſt ſeye/ da der menſch der goͤttlichen gnade verſichert iſt/ wo zwahr freylich auch erkaͤntnuͤß/ beyfall und zuverſicht ſeyn muß/ aber nicht mit der voͤlligen reflexion. Wo nun ſolcher glaube in dem grund der ſeelen oder in dem geiſt iſt/ da bricht er ordentlicher weiſe auch aus in die ſeele/ daß nemlich der verſtand/ womit der menſch ſonſten andre dinge verſtehet/ mit ſeinem liecht auch die dinge/ ſo der glaube vor ſich hat/ anſihet/ beurtheilet und an- nim-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 895. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/903>, abgerufen am 23.11.2024.