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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das fünffte Capitel.
austrücklich geboten wären: Da fordert die liebe von uns/ was wir sonsten
unterlassen könten. Hie aber von dem heiligen abendmahl haben wir den
unwidersprechlichen befehl unsers liebsten Heylandes/ thut solches zu mei-
nem gedächtnüß/ und ihr sollt den tod des HERRN verkündigen.

Diesen befehl sehe sie recht an/ so wird sie glauben/ sie seye schuldig/ solche
art der verkündigung des todes des HErrn zu begehen/ ob sich auch niemand
daran ärgerte/ da sie es unterließe. Sie glaubt ja/ daß von dem tode des
HErrn ihr alle krafft der vergebung der sünden und auch des neuen lebens
komme/ und daß der HErr dieselbe mit seinem leib und blut gebe/ da solle
sie der glaube selbs dahin treiben/ solcher güter sich suchen theilhafftig zu-
machen. Sie weiß/ wie hochnöthig sie der stärckung in dem geistlichen nö-
thig habe/ da solle sie der hunger selbs zu dieser mahlzeit treiben. Also ist der
befehl des HErrn/ der nutzen der uns versprochen wird/ und unsre eigne
noth schon wichtige ursachen/ um welcher willen wir uns bey diesem tisch ein-
finden sollen/ ob wol endlich auch die liebe nicht ausgeschlossen wird/ die das
ärgernüß des nechsten gern verhüten will. Jch komme endlich auff den 5.
scrupel der von andern/ die das heilige abendmahl nicht mithalten/ und mit
allerhand meinungen/ auch richten des nechsten/ sich versündigen/ genomme-
ner ärgernüsse. Aber geliebte schwester/ laßt uns solche ärgernüssen mit hertz-
lichem mitleiden und gebet zu GOtt ansehen/ nicht aber durch dieselbige im
geringsten uns von unserem guten weg abhalten lassen. Anderer irrthum
und fall wird uns so wenig schaden/ als uns anderer wahrheit und recht-
schaffenheit nutzen wird/ ohne deroselben selbsten theilhafftig zu seyn. Es ist
dieses ein betrug des satans/ und verhengnüß des göttlichen gerichts/ daß
einige an der einfalt des Evangelii/ so wir von jugend auff aus GOTTES
wort gelernet haben/ und für solche dem HErrn stets danckbar seyn solten/
auff allerhand sonderliche neue meinungen verfallen/ und weil sie andere [verlorenes Material - 3 Zeichen fehlen]
unrein achten/ sich ihres abendmahls enthalten wollen/ aber sich damit
an GOtt und an den brüdern versündigen. Lasset uns hingegen bey GOt-
tes wort allein bleiben/ und dem HErrn dancken/ daß er uns in eine solche
kirche gesetzet hat/ welche ob sie in andern stücken auch viele verderbnüß in sich
hat/ gleichwol die lehr noch rein behalten. Lasset uns unsere nechsten nicht
richten/ noch sie so böse achten/ daß wir auch von derselben gemeinschafft in
den guten wercken uns verunreinigt zu werden sorgen wolten. Vielmehr
lasset uns glauben/ wir sind selbs schwehre sünder/ die nicht anders als aus
der barmhertzigkeit unsers GOttes das heil zu erwarten haben/ und darinn
solches bey Christo suchen wollen: geschihet nun solches in gesellschafft an-
derer/ deren sünden uns mehr in die augen leuchten/ so lasset uns glaubeu/
wir seyn würdig/ unter diesen zustehen/ wollen aber zufrieden seyn/ da uns

un-

Das fuͤnffte Capitel.
austruͤcklich geboten waͤren: Da fordert die liebe von uns/ was wir ſonſten
unterlaſſen koͤnten. Hie aber von dem heiligen abendmahl haben wir den
unwiderſprechlichen befehl unſers liebſten Heylandes/ thut ſolches zu mei-
nem gedaͤchtnuͤß/ und ihr ſollt den tod des HERRN verkuͤndigen.

Dieſen befehl ſehe ſie recht an/ ſo wird ſie glauben/ ſie ſeye ſchuldig/ ſolche
art der verkuͤndigung des todes des HErrn zu begehen/ ob ſich auch niemand
daran aͤrgerte/ da ſie es unterließe. Sie glaubt ja/ daß von dem tode des
HErrn ihr alle krafft der vergebung der ſuͤnden und auch des neuen lebens
komme/ und daß der HErr dieſelbe mit ſeinem leib und blut gebe/ da ſolle
ſie der glaube ſelbs dahin treiben/ ſolcher guͤter ſich ſuchen theilhafftig zu-
machen. Sie weiß/ wie hochnoͤthig ſie der ſtaͤrckung in dem geiſtlichen noͤ-
thig habe/ da ſolle ſie der hunger ſelbs zu dieſer mahlzeit treiben. Alſo iſt der
befehl des HErrn/ der nutzen der uns verſprochen wird/ und unſre eigne
noth ſchon wichtige urſachen/ um welcher willen wir uns bey dieſem tiſch ein-
finden ſollen/ ob wol endlich auch die liebe nicht ausgeſchloſſen wird/ die das
aͤrgernuͤß des nechſten gern verhuͤten will. Jch komme endlich auff den 5.
ſcrupel der von andern/ die das heilige abendmahl nicht mithalten/ und mit
allerhand meinungen/ auch richten des nechſten/ ſich verſuͤndigen/ genomme-
ner aͤrgernuͤſſe. Aber geliebte ſchweſter/ laßt uns ſolche aͤrgernuͤſſen mit hertz-
lichem mitleiden und gebet zu GOtt anſehen/ nicht aber durch dieſelbige im
geringſten uns von unſerem guten weg abhalten laſſen. Anderer irrthum
und fall wird uns ſo wenig ſchaden/ als uns anderer wahrheit und recht-
ſchaffenheit nutzen wird/ ohne deroſelben ſelbſten theilhafftig zu ſeyn. Es iſt
dieſes ein betrug des ſatans/ und verhengnuͤß des goͤttlichen gerichts/ daß
einige an der einfalt des Evangelii/ ſo wir von jugend auff aus GOTTES
wort gelernet haben/ und fuͤr ſolche dem HErrn ſtets danckbar ſeyn ſolten/
auff allerhand ſonderliche neue meinungen verfallen/ und weil ſie andere [verlorenes Material – 3 Zeichen fehlen]
unrein achten/ ſich ihres abendmahls enthalten wollen/ aber ſich damit
an GOtt und an den bruͤdern verſuͤndigen. Laſſet uns hingegen bey GOt-
tes wort allein bleiben/ und dem HErrn dancken/ daß er uns in eine ſolche
kirche geſetzet hat/ welche ob ſie in andern ſtuͤcken auch viele verderbnuͤß in ſich
hat/ gleichwol die lehr noch rein behalten. Laſſet uns unſere nechſten nicht
richten/ noch ſie ſo boͤſe achten/ daß wir auch von derſelben gemeinſchafft in
den guten wercken uns verunreinigt zu werden ſorgen wolten. Vielmehr
laſſet uns glauben/ wir ſind ſelbs ſchwehre ſuͤnder/ die nicht anders als aus
der barmhertzigkeit unſers GOttes das heil zu erwarten haben/ und darinn
ſolches bey Chriſto ſuchen wollen: geſchihet nun ſolches in geſellſchafft an-
derer/ deren ſuͤnden uns mehr in die augen leuchten/ ſo laſſet uns glaubeu/
wir ſeyn wuͤrdig/ unter dieſen zuſtehen/ wollen aber zufrieden ſeyn/ da uns

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[840/0848] Das fuͤnffte Capitel. austruͤcklich geboten waͤren: Da fordert die liebe von uns/ was wir ſonſten unterlaſſen koͤnten. Hie aber von dem heiligen abendmahl haben wir den unwiderſprechlichen befehl unſers liebſten Heylandes/ thut ſolches zu mei- nem gedaͤchtnuͤß/ und ihr ſollt den tod des HERRN verkuͤndigen. Dieſen befehl ſehe ſie recht an/ ſo wird ſie glauben/ ſie ſeye ſchuldig/ ſolche art der verkuͤndigung des todes des HErrn zu begehen/ ob ſich auch niemand daran aͤrgerte/ da ſie es unterließe. Sie glaubt ja/ daß von dem tode des HErrn ihr alle krafft der vergebung der ſuͤnden und auch des neuen lebens komme/ und daß der HErr dieſelbe mit ſeinem leib und blut gebe/ da ſolle ſie der glaube ſelbs dahin treiben/ ſolcher guͤter ſich ſuchen theilhafftig zu- machen. Sie weiß/ wie hochnoͤthig ſie der ſtaͤrckung in dem geiſtlichen noͤ- thig habe/ da ſolle ſie der hunger ſelbs zu dieſer mahlzeit treiben. Alſo iſt der befehl des HErrn/ der nutzen der uns verſprochen wird/ und unſre eigne noth ſchon wichtige urſachen/ um welcher willen wir uns bey dieſem tiſch ein- finden ſollen/ ob wol endlich auch die liebe nicht ausgeſchloſſen wird/ die das aͤrgernuͤß des nechſten gern verhuͤten will. Jch komme endlich auff den 5. ſcrupel der von andern/ die das heilige abendmahl nicht mithalten/ und mit allerhand meinungen/ auch richten des nechſten/ ſich verſuͤndigen/ genomme- ner aͤrgernuͤſſe. Aber geliebte ſchweſter/ laßt uns ſolche aͤrgernuͤſſen mit hertz- lichem mitleiden und gebet zu GOtt anſehen/ nicht aber durch dieſelbige im geringſten uns von unſerem guten weg abhalten laſſen. Anderer irrthum und fall wird uns ſo wenig ſchaden/ als uns anderer wahrheit und recht- ſchaffenheit nutzen wird/ ohne deroſelben ſelbſten theilhafftig zu ſeyn. Es iſt dieſes ein betrug des ſatans/ und verhengnuͤß des goͤttlichen gerichts/ daß einige an der einfalt des Evangelii/ ſo wir von jugend auff aus GOTTES wort gelernet haben/ und fuͤr ſolche dem HErrn ſtets danckbar ſeyn ſolten/ auff allerhand ſonderliche neue meinungen verfallen/ und weil ſie andere ___ unrein achten/ ſich ihres abendmahls enthalten wollen/ aber ſich damit an GOtt und an den bruͤdern verſuͤndigen. Laſſet uns hingegen bey GOt- tes wort allein bleiben/ und dem HErrn dancken/ daß er uns in eine ſolche kirche geſetzet hat/ welche ob ſie in andern ſtuͤcken auch viele verderbnuͤß in ſich hat/ gleichwol die lehr noch rein behalten. Laſſet uns unſere nechſten nicht richten/ noch ſie ſo boͤſe achten/ daß wir auch von derſelben gemeinſchafft in den guten wercken uns verunreinigt zu werden ſorgen wolten. Vielmehr laſſet uns glauben/ wir ſind ſelbs ſchwehre ſuͤnder/ die nicht anders als aus der barmhertzigkeit unſers GOttes das heil zu erwarten haben/ und darinn ſolches bey Chriſto ſuchen wollen: geſchihet nun ſolches in geſellſchafft an- derer/ deren ſuͤnden uns mehr in die augen leuchten/ ſo laſſet uns glaubeu/ wir ſeyn wuͤrdig/ unter dieſen zuſtehen/ wollen aber zufrieden ſeyn/ da uns un-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 840. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/848>, abgerufen am 23.11.2024.