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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. II. SECTIO XXV.
solches nur müglich seyn könte. Was das exempel Franc. Spierae anlanget/
bleibe ich dabey/ daß wir nicht nach den exempeln/ in denen uns so viele unbe-
kante dinge sich finden mögen/ sondern nach GOttes eigenem wort zu urthei-
len haben. Daher ich lieber das verlangen nach dem glauben bey ihm/ ob es
redlich vor GOtt gewesen/ als die göttliche barmhertzigkeit und wahrheit in
zweiffel ziehen will. So meldet Sleidanus austrücklich von ihm/ daß er be-
kant/ Deum se amare non posse, verum horribiliter odisse. Wir reden a-
ber von einer seele/ die eine sehnliche begierde nach GOtt und seiner gnade
hat/ wo dann nothwendig die liebe der innerste grund solcher begierde ist/ mas-
sen niemand ein sehnliches verlangen nach etwas haben kan/ welches er nicht
liebet/ und so viel ernstlicher liebet/ als seine begierde brünstiger darnach ist.
Und wo endlich etwas aus Spierae exempel sich ziehen liesse/ würde es nichts
anders seyn/ als daß ein mensch mit seiner boßhafftigen verstossung der er-
kanten göttlichen wahrheit in ein solches gericht und verstockung fallen könte/
daß er gleichsam schon hie in der verdamnüß lige/ wie auch Spiera solches
fühlen geklaget hat/ und daher gantz keine göttliche wirckung mehr in ihm
platz habe. Aber aus solchem allem läst sich mit keinem schein schliessen/ daß
nicht GOtt seine gnade demjenigen zu geben willig seye/ bey welchem verlan-
gen und liebe/ die bereits seiner gnade würckungen sind/ sich finden. So hat
auch unser S. D. Dannhauer/ und mit ihm andere Theologi, aus der histo-
rie zur gnüge dargethan/ daß bey Spiera die opinion von der blossen verwerf-
fung der menscheu den härtesten stoß seiner verzweiffelung gegeben/ und alle
krafft des trostes gehindert. Da aber gleichwie der glaube selbs durch einen
solchen irrthum zunicht gemacht werden kan/ warum nicht das verlangen
nach demselben/ als ein dessen schwächerer oder doch verborgenerer grad?
Hingegen wo wir reden von dem verlangen des glaubens/ welches vor einen
wahren glauben zu halten/ so reden wir davon mit den übrigen requisitis, so
zu dem glauben gehören. So hätte auch dafür gehalten/ daß dem armen
mann noch auff andere art/ als man findet/ zuzusprechen gewesen wäre/ ihn
von dem fühlen/ welches in solchem stande das allergefährlichste ist/ ab- und
auff andere gewissere fundamenta zu führen. Jetzo eben nicht zu sagen/ daß
einige wol in den gedancken seyn/ Spierae verdammnüß sey eben nicht so ge-
wiß/ sondern möge zwahr das schreckliche leiden und höllen-angst/ mit dero er
kämpffen müssen/ und allem ansehen nach untergelegen/ ein heilig gericht
GOttes über ihn gewesen seyn/ so wol zur straffe seiner sünden/ als anderen
zum abscheu und schrecken vor dem abfall: es möge aber der HErr doch noch/
anderen unvermercket/ in seinem letzten in dem grund seiner seelen einige
tröpfflein haben kommen lassen/ davon er erhalten worden/ daß ja sein verlan-
gen nicht vergebens wäre. Wie denn/ wo solches recht auffrichtig und nicht

viel-
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ARTIC. II. SECTIO XXV.
ſolches nur muͤglich ſeyn koͤnte. Was das exempel Franc. Spieræ anlanget/
bleibe ich dabey/ daß wir nicht nach den exempeln/ in denen uns ſo viele unbe-
kante dinge ſich finden moͤgen/ ſondern nach GOttes eigenem wort zu urthei-
len haben. Daher ich lieber das verlangen nach dem glauben bey ihm/ ob es
redlich vor GOtt geweſen/ als die goͤttliche barmhertzigkeit und wahrheit in
zweiffel ziehen will. So meldet Sleidanus austruͤcklich von ihm/ daß er be-
kant/ Deum ſe amare non poſſe, verum horribiliter odiſſe. Wir reden a-
ber von einer ſeele/ die eine ſehnliche begierde nach GOtt und ſeiner gnade
hat/ wo dann nothwendig die liebe der inneꝛſte grund ſolcher begierde iſt/ maſ-
ſen niemand ein ſehnliches verlangen nach etwas haben kan/ welches er nicht
liebet/ und ſo viel ernſtlicher liebet/ als ſeine begierde bruͤnſtiger darnach iſt.
Und wo endlich etwas aus Spieræ exempel ſich ziehen lieſſe/ wuͤrde es nichts
anders ſeyn/ als daß ein menſch mit ſeiner boßhafftigen verſtoſſung der er-
kanten goͤttlichen wahrheit in ein ſolches gericht und verſtockung fallen koͤnte/
daß er gleichſam ſchon hie in der verdamnuͤß lige/ wie auch Spiera ſolches
fuͤhlen geklaget hat/ und daher gantz keine goͤttliche wirckung mehr in ihm
platz habe. Aber aus ſolchem allem laͤſt ſich mit keinem ſchein ſchlieſſen/ daß
nicht GOtt ſeine gnade demjenigen zu geben willig ſeye/ bey welchem verlan-
gen und liebe/ die bereits ſeiner gnade wuͤrckungen ſind/ ſich finden. So hat
auch unſer S. D. Dannhauer/ und mit ihm andere Theologi, aus der hiſto-
rie zur gnuͤge dargethan/ daß bey Spiera die opinion von der bloſſen verwerf-
fung der menſcheu den haͤrteſten ſtoß ſeiner verzweiffelung gegeben/ und alle
krafft des troſtes gehindert. Da aber gleichwie der glaube ſelbs durch einen
ſolchen irrthum zunicht gemacht werden kan/ warum nicht das verlangen
nach demſelben/ als ein deſſen ſchwaͤcherer oder doch verborgenerer grad?
Hingegen wo wir reden von dem verlangen des glaubens/ welches vor einen
wahren glauben zu halten/ ſo reden wir davon mit den uͤbrigen requiſitis, ſo
zu dem glauben gehoͤren. So haͤtte auch dafuͤr gehalten/ daß dem armen
mann noch auff andere art/ als man findet/ zuzuſprechen geweſen waͤre/ ihn
von dem fuͤhlen/ welches in ſolchem ſtande das allergefaͤhrlichſte iſt/ ab- und
auff andere gewiſſere fundamenta zu fuͤhren. Jetzo eben nicht zu ſagen/ daß
einige wol in den gedancken ſeyn/ Spieræ verdammnuͤß ſey eben nicht ſo ge-
wiß/ ſondern moͤge zwahr das ſchreckliche leiden und hoͤllen-angſt/ mit dero er
kaͤmpffen muͤſſen/ und allem anſehen nach untergelegen/ ein heilig gericht
GOttes uͤber ihn geweſen ſeyn/ ſo wol zur ſtraffe ſeiner ſuͤnden/ als anderen
zum abſcheu und ſchrecken vor dem abfall: es moͤge aber der HErr doch noch/
anderen unvermercket/ in ſeinem letzten in dem grund ſeiner ſeelen einige
troͤpfflein haben kommen laſſen/ davon er erhalten worden/ daß ja ſein verlan-
gen nicht vergebens waͤre. Wie denn/ wo ſolches recht auffrichtig und nicht

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[811/0819] ARTIC. II. SECTIO XXV. ſolches nur muͤglich ſeyn koͤnte. Was das exempel Franc. Spieræ anlanget/ bleibe ich dabey/ daß wir nicht nach den exempeln/ in denen uns ſo viele unbe- kante dinge ſich finden moͤgen/ ſondern nach GOttes eigenem wort zu urthei- len haben. Daher ich lieber das verlangen nach dem glauben bey ihm/ ob es redlich vor GOtt geweſen/ als die goͤttliche barmhertzigkeit und wahrheit in zweiffel ziehen will. So meldet Sleidanus austruͤcklich von ihm/ daß er be- kant/ Deum ſe amare non poſſe, verum horribiliter odiſſe. Wir reden a- ber von einer ſeele/ die eine ſehnliche begierde nach GOtt und ſeiner gnade hat/ wo dann nothwendig die liebe der inneꝛſte grund ſolcher begierde iſt/ maſ- ſen niemand ein ſehnliches verlangen nach etwas haben kan/ welches er nicht liebet/ und ſo viel ernſtlicher liebet/ als ſeine begierde bruͤnſtiger darnach iſt. Und wo endlich etwas aus Spieræ exempel ſich ziehen lieſſe/ wuͤrde es nichts anders ſeyn/ als daß ein menſch mit ſeiner boßhafftigen verſtoſſung der er- kanten goͤttlichen wahrheit in ein ſolches gericht und verſtockung fallen koͤnte/ daß er gleichſam ſchon hie in der verdamnuͤß lige/ wie auch Spiera ſolches fuͤhlen geklaget hat/ und daher gantz keine goͤttliche wirckung mehr in ihm platz habe. Aber aus ſolchem allem laͤſt ſich mit keinem ſchein ſchlieſſen/ daß nicht GOtt ſeine gnade demjenigen zu geben willig ſeye/ bey welchem verlan- gen und liebe/ die bereits ſeiner gnade wuͤrckungen ſind/ ſich finden. So hat auch unſer S. D. Dannhauer/ und mit ihm andere Theologi, aus der hiſto- rie zur gnuͤge dargethan/ daß bey Spiera die opinion von der bloſſen verwerf- fung der menſcheu den haͤrteſten ſtoß ſeiner verzweiffelung gegeben/ und alle krafft des troſtes gehindert. Da aber gleichwie der glaube ſelbs durch einen ſolchen irrthum zunicht gemacht werden kan/ warum nicht das verlangen nach demſelben/ als ein deſſen ſchwaͤcherer oder doch verborgenerer grad? Hingegen wo wir reden von dem verlangen des glaubens/ welches vor einen wahren glauben zu halten/ ſo reden wir davon mit den uͤbrigen requiſitis, ſo zu dem glauben gehoͤren. So haͤtte auch dafuͤr gehalten/ daß dem armen mann noch auff andere art/ als man findet/ zuzuſprechen geweſen waͤre/ ihn von dem fuͤhlen/ welches in ſolchem ſtande das allergefaͤhrlichſte iſt/ ab- und auff andere gewiſſere fundamenta zu fuͤhren. Jetzo eben nicht zu ſagen/ daß einige wol in den gedancken ſeyn/ Spieræ verdammnuͤß ſey eben nicht ſo ge- wiß/ ſondern moͤge zwahr das ſchreckliche leiden und hoͤllen-angſt/ mit dero er kaͤmpffen muͤſſen/ und allem anſehen nach untergelegen/ ein heilig gericht GOttes uͤber ihn geweſen ſeyn/ ſo wol zur ſtraffe ſeiner ſuͤnden/ als anderen zum abſcheu und ſchrecken vor dem abfall: es moͤge aber der HErr doch noch/ anderen unvermercket/ in ſeinem letzten in dem grund ſeiner ſeelen einige troͤpfflein haben kommen laſſen/ davon er erhalten worden/ daß ja ſein verlan- gen nicht vergebens waͤre. Wie denn/ wo ſolches recht auffrichtig und nicht viel- K k k k k 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 811. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/819>, abgerufen am 23.11.2024.